Forever Magazine 52

Neil Clarke (Hrsg.)

In seinem Vorwort spricht Herausgeber Neil Clarke von der Notwendigkeit, dass auch das "Forever" Magazin sich Veränderungen unterziehen muss, damit er am Puls seiner Leser bleibt. Diese sollen Vorschläge machen. Die Vorgehensweise ist angesichts der momentanen Stärke des Nachdruckmagazins im direkten Vergleich mit dem Flagschiff "Clarkesworld" auch ein wenig verwunderlich, denn die ausgewählten Geschichten sind qualitativ den neuen Veröffentlichungen überlegen. Alleine die ein wenig einfältigen und sich wiederholenden Titelbilder könnten Käufer abhalten.  

 Steven Popkes "Jackie´s Boy" ist eine dieser Post Doomsdaygeschichten, in denen sich die Hoffnung aus einfachen Gesten entwickelt. Dabei bleibt der Autor hinsichtlich der Ursachen der Katastrophe erstaunlich ambivalent. Nur wenige Menschen haben die Umweltzerstörung, den Bioterrorismus und schließlich die anschließende Seuche überlebt. Michael ist einer der wenigen Jugendlichen, die inzwischen auf sich alleine gestellt sind. Er schleicht nachts in einen der streng bewachten, sich aber im Inneren selbst überlassenen Zoos und fängt eine sehr schwierige Freundschaft mit einem der wenigen überlebenden Elefanten an, wobei diese sprechen kann. Sie brechen gemeinsam aus dem Zoo aus und machen sich auf die Suche nach weiteren Elefanten. 

Die Stärken der Geschichte sind mannigfaltig. Steven Popkes macht nicht gleich den Fehler, eine Freundschaft in der Tradition Disneys zwischen dem Elefanten und dem Jungen aufzubauen. Es ist eine klassische Zweckgemeinschaft, beide sind auf der Suche, aber beide haben keine Ahnung, was sich hinter der nächsten Weggabelung befindet.  Die Charaktere sind dreidimensional, aber trotzdem überzeugend sperrig gezeichnet worden. Die Hintergrundinformationen absichtlich rudimentär, vielleicht deswegen auch so überzeugend.

Steven Popkes beschreibt eine zusammengebrochene Zivilisation, dessen Reste noch erkennbar sind. Die Natur holt sich ihren Teil wieder zurück. Die Zukunft der Menschheit liegt im Dunkeln.  Aber darum geht es dem Autoren auch nicht. Er zeigt eine abschließend emotional ansprechende, aber nicht anrührende Geschichte vor einem sehr gut entwickelten Hintergrund, die an keiner Stelle ins Kitschige abgleitet.    

 John Barnes "An Ocean is a Snowflake, Four Billion Miles Away" ist eine ungewöhnliche Geschichte vor einem bekannten Hintergrund. Der Mars ist besiedelt. Zwei Dokumentarfilmer versuchen den Einschlag eines Kometen auf dem Mars zu filmen, um daraus positive oder wie erwartet negative Effekte auf den Terraformingprozess des roten Planeten abzuleiten.  In seiner Mars Trilogie ist Kim Stanley Robinson auf das gleiche Thema in einer epischen Breite eingegangen, für das John Barnes pointiert, hintergründig, aber auch ein wenig neutral nur eine Novellette benötigt. Leoa bedauert, dass der alte Mars durch die Veränderungen verschwindet.  Richtige Argumente kann sie nicht liefern, da sie fast an einer Art mystischen Mars, bestehend aus den zahlreichen Science Fantasy Geschichten des Golden Age in Kombination mit dem Pioniergeist der Frontierbewohner glaubt. Thorby ist eher der Pragmatiker, der nicht nur seine persönlichen Chancen durch eine riskante Begegnung mit dem einschlagenden Kometen sieht und diese unbedingt der Nachwelt überliefern möchte, sondern von einer zweiten Erde träumt. Wahrscheinlich hätten Drohnen die Ereignisse auch filmen können, aber dann wäre die emotionale Komponente verloren gegangen. Im Laufe des Wartens auf den einen Moment konzentriert sich John Barnes auf seine durchaus dreidimensional gezeichneten Figuren. Leoa ist trotz ihrer Träumereien die Ambitioniertere von Beiden, realistisch und bodenständig, aber auch selbstkritisch.  Thorby ist unabhängig von seinen beruflichen Träumen im Grunde ein einsamer Mensch. Sein Beruf füllt ihn nur bedingt aus.

Das große Problem ist, das derartige Geschichten Plot technisch eine Katastrophe beinhalten müssen.  Die Spannung entwickelt sich aus der doppelten Bedrohung. Einmal durch die Nähe zum einschlagenden Kometen und dann durch das Unglück. Nach einem beschaulichen, von den Charakteren getriebenen Mittelteil zieht John Barnes das Tempo wieder deutlich an und beendet die Geschichte auf einer den Leser sehr zufriedenstellenden Note.    

 Die dritte und letzte Geschichte stammt von R. Macleod, der immer wieder mit ungewöhnlichen Geschichten abseits des Mainstreamgenres für Aufsehen gesorgt hat. "Entangled" ist eine intelligente, vielschichtige Story, in welcher die technologischen Aspekte einer zukünftigen Gesellschaft interessant mit den soziologischen Folgen kombiniert worden sind.

Auf der einen Seite gibt es auf der unter den Folgen der Klimakatastrophe leidenden Erde immer noch Kommunen reicher Menschen, die sich systematisch von der Außenwelt abgeschottet haben. Folgerichtig liegen die Slums in mittelbarer Nähe dieser inzwischen isolierten kleinen Gemeinden. Der größte Teil der Menschheit ist aber "entangled",  wie der Titel der Geschichte so profan wie provokativ impliziert.  Bei der weiteren Beschreibung bleibt  Ian MacLeod allerdings erstaunlich ambivalent. Ein Gemeinschaftsbewusstsein ist entstanden, an dem die Menschen "teilnehmen" können.

 Um es dem Leser verständlicher zu machen greift der Autor auf die einzige Möglichkeit zurück, es visuell umzusetzen. Aus der kombinierten, aber nicht immer einfachen Ich- und dritten Perspektive folgt man Martha Chauhan, die mit ihrem Vater als kleines Kind aus einer der Slumgegenden geflohen ist. Sie hat vor einiger Zeit ein traumatisches Erlebnis durchlitten. Am Ende der Story offenbart R MacLeod ihr Geheimnis. Bis dahin versucht sie sich in dieser Welt genauso, aber auf eine direktere Art und Weise zurecht zu finden, wie es der Leser muss.

 Wie bei allen seinen Texten ist die Zeichnung der Protagonisten überzeugend. Er schafft es, menschliche gebrochene Charaktere vor allem mit für den Leser zugänglichen Vergangenheiten zu erschaffen. Nicht selten wachsen sie überzeugend über sich heraus und reifen. Die Erfahrungen sind niemals kitschig, sentimental oder halbherzig beschrieben worden. Sie gehören immer eng zu den Handlungssträngen, wobei sich der Autor hier manchmal mit Klischees des Genres auseinandersetzt, um diese verfremdet und intensiviert auf eine fesselnde Art und Weise zu präsentieren.

 Hinzu kommt die wechselnde Perspektive als Herausforderung an die Leser. Die Informationen sind fast gleichmäßig über beide Handlungsebenen verteilt und wie bei einem guten Mosaik muss man aufpassen, alle Steine mitzunehmen und aus ihnen ein vielschichtiges, intimes Bild zusammenzusetzen.

 Die Geschichte spielt in einem zersplitterten Großbritannien. Die Seuche hat viele Menschen dahin gerafft. So ist es kein Wunder, dass Martha in einer dunklen, kalten Jahreszeit mit viel Schnee durch geplünderte Siedlungen der reichen mit Anspielungen an James Ballards paranoide Romane wandert oder vor halbfertigten, leerstehenden Gebäuden stehen bleibt. Die Außenwelt ist absichtlich mit einem dicken "Stift" vereinsamt und zerfallen beschrieben worden, während das Gemeinschaftsbewusstsein als falsche Sicherheit Wärme und Geselligkeit impliziert. 

 So gehört "Entangled" auch eher in den Bereich der "Weird Fiction" und weniger der klassischen SF.  Ian Macleod ist ein interessanter, auf höchstem Niveau mit humanistischen Hintergedanken provozierender Autor, dessen wenige Arbeiten immer wieder aus der Masse herausstechen und deswegen unbedingt entdeckendswert sind.

 Wie alle anderen 2019 "Forever" Ausgaben überzeugen die drei längeren Texte und verdienen trotz einzelner Veröffentlichungen auch in den "Year´s Best" Anthologien den Nachdruck.

 

Forever Magazine Issue 52 cover - click to view full size

112 Seiten E Book

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