Die “Oktober” 2019 Ausgabe besteht wieder aus einer längeren Novelle und zwei Kurzgeschichten. Neal Clarke geht in seinem Vorwort kurz auf die nächsten Projekte ein.
„Good Mountain“ von Robert Reed ist nicht nur einer seiner „The Great Ship“ Novellen, sondern eine von zwei Geschichten, die aus von Gardner Dozois zusammengestellten Anthologien stammen. Das Thema dieser Sammlung ist „One Million A.D.”
Daher leben in dieser Novelle die Menschen auf einem im Grunde unzuverlässigen fremden Planeten. Die Erdplatten bewegen sich kontinuierlich, Inseln versinken im Meer, neue bilden sich aus. Die Menschen leben nicht nur in der ständigen Lebensgefahr, ein Teil ihrer eher archaischen Technik hat sich diesen Lebensumständen angepasst. So leben und arbeiten sie mit gigantischen Würmern, die sie wie Züge benutzen, um größere Entfernungen zu überwinden. In einer Anlehnung an Wells Dr. Moreau haben sie auch affenartige Wesen gezüchtet, die ihnen als Sklaven dienen.
Robert Reed lässt es im Auftaktkapitel ordentlich krachen. Ein Kontinent droht zu zerbrechen. Die Geysire stoßen kontinuierlich feurige und vor allem auch giftige Gase aus. Millionen von Menschen sind bedroht oder schon ums Leben gekommen. Während die immer am Körper getragenen Gasmasken ein wenig helfen, schließen die Feuer die Überlebenden ein.
Jopale und eine Handvoll Affenmenschen fließen auf einem der gigantischen Würmer zu einer entfernt und damit vorläufig sicher gelegenen Küste, an welcher Rettungsschiffe sie erwarten. Jopale ist rechtzeitig aufgebrochen, wird aber von den Eruptionen quasi eingeholt. An der Küste sollen den Gerüchten folgend die Schiffe vor allem am liebsten die reichen Menschen aufnehmen, um sie zu einem natürlich legendären Ort, den neuen Inseln zu bringen, die von derartigen Naturkatastrophen nicht heimgesucht werden können oder sollen.
Neben den großartigen und intensiven Beschreibungen nicht nur dieser exotischen Welt, sondern vor allem auch den sich kontinuierlich verstärkenden Naturkatastrophen hat Robert Reed um Jopale herum eine Handvoll interessanter Charaktere entwickelt. Jopale kann nur reagieren. Der Hüter des Wurms Brace muss sein Gefährt und im Grunde auch seinen Gefährten sicher durch die immer unwägbarer werdende Landschaft bringen. Die Wissenschaftler Do- Ane ist das Bindeglied zu den Geschichten um das „Große Schiff“, denn sie vermutet unter dem „Good Mountain“ genannten Berg das abgestürzte Wrack, das die Menschen auf diese Welt gebracht hat und das möglicherweise Sicherheit verspricht.
Es ist eine solide, durchaus spannende Novelle, in welcher Robert Reed emotional immer die richtigen Tasten drückt, um Reaktionen im Leser zu erzeugen. Inzwischen ist sein „Great Ship“ Universum derartig umfangreich, das es weder notwendig noch nötig ist, alle Geschichten zu kennen, um Vergnügen an den Texten zu haben.
Auf der anderen Seite ist Robert Reed auch immer wieder ein gewöhnungsbedürftiger Autor, der gerne von seinen Lesern Konzentration bis in die kleinsten Details fordert. Keine immer leichte Aufgabe, aber bei einer stringenten Katastrophengeschichte kann man auch über die kleinen Ecken und Kanten hinweglesen und die exotische Landschaft im Auge des Untergangs nicht unbedingt genießen, sondern kennenlernen.
Die Gardner Dozois Anthologie „Old Venus“ wird gerne immer wieder von Neil Clarke positiv gesprochen geplündert. Tobias S. Buckells „Pale Blue Mountain“ ist eine wunderbar dunkle Geschichte voller moralischer Querverweise, die auch heute noch aktuell sind. Die Nazis schießen in dieser Parallelwelt eine amerikanische Expedition zur Venus ab. Das Raumschiff muss notlanden. Die Besatzung wird von den Einheimischen gefangen genommen, als Sklaven gehalten und gekauft/ verkauft. Eines der Besatzungsmitglieder ist ein Mischling, der sich an das Schicksal der Farbigen erinnert fühlt. Auf der einen Seite kann er stoisch mit den Quälereien besser umgehen als seine weißen Kameraden, die sich intellektuell den Sklavenhaltern gegenüber überlegen sehen und deswegen auch immer wieder sinnlose Fluchtversuche starten. Auf der anderen Seite wartet er auch nur auf den richtigen Moment, um selbst fliehen zu können. Als die Besatzung eines Nazis Raumschiffes ebenfalls gefangen genommen wird, verschärft sich die Situation mehr.
Tobias S. Buckell zeigt vielleicht ein wenig belehrend, aber vor allem aufklärend auf, wie die Farbigen in den USA gequält worden sind. Selbst „heute“ in dieser Alternativwelt werden sie immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert, dabei handelt es sich um tapfere Soldaten in diesem brutalen Krieg. Auch die Nazi sind keinen Deut besser. Ein wenig augenzwinkernd unabhängig von dem dunklen Tenor spielt der Autor auch mit den Klischees der Pulpgeschichten.
Das Ende ist zynisch. Wie bei einem Film zieht der Autor die Perspektive auf und erschüttert am Ende den bis dahin sorgfältig aufgebauten Plot, in dem er die Erwartungshaltung der Leser an diese Art von Geschichten unterminiert.
Den „Venus“ Geschichten Burroughs entsprechend hat Tobias S. Buckell absichtlich einen eher getragenen Tonfall für seine Story gewählt. Damit perfektioniert er eine anrührende, aber auch aufwühlende Lektüre.
Aus der Anthologie “Infinity`s End“ stammt der Text „Prophet oft he Roads“ von Naomi Kritzer. The Engineer ist eine künstliche Intelligenz gewesen, welcher die Menschheit dominierte und beherrschte. Luca trägt ein kleines Stück dieser AI mit sich. Er will den Engineer zurückbringen, wobei ihm klar sein muss, das es nicht auf friedlichem Weg geschehen kann.
Naomi Kritzer zeichnet ein ambivalentes Bild dieser künstlichen Intelligenz. Auf der einen Seite will sie wirklich alles kontrollieren und manipulieren. Die Autorin fügt ihrem Plot eine Reihe von überzeugenden Beispielen hinzu.
Luca dagegen hat den Engineer als für große Dinge vorausschauend kennengelernt. So hat er weitere Massaker zwischen Menschen wie auf dem Ganymed Mond verhindert. Eine Begegnung zwischen Luca und Hannah, die ein anderes Fragment des Engineers bei sich trägt, wirft aber Fragen auf. Sie sind im Grunde nicht kompatibel, stehen sich konträr in ihrer Aggressivität gegenüber. Von der Logik her muss sich der Leser fragen, wie diese entgegengesetzten Teile eine AI bilden können.
Naomi Kritzer ist aber eine Autorin, die nicht selten auf positive Lerneffekte ihrer Protagonisten setzt und dadurch dem Leser indirekt, aber bewusst Alternativen aufzeigen will. Dieses gegenseitige Lernen ist eine der Stärken der Geschichte.
So erfahren die Bruchstücke der AI mehr über die Menschen als während der Zeit ihrer an eine Diktatur erinnernden Herrschaft. Luca lernt die Traumata ihrer Vergangenheit zu überwinden und Hannah findet einen neuen Partner. Es ist kein klassisches Happy End, das die Autorin präsentiert.
Es ist nicht mal das Ende einer nicht nur räumlichen, sondern auch intellektuellen Reise. An einigen Stellen bleibt im Leser das unbestimmte Gefühl bestehen, als wenn es nicht einmal der erste Schritt gewesen ist.
Aber wie in jeder guten Geschichte sieht die Autorin ihre Aufgabe nicht ausschließlich darin, Antworten auf nicht selten nicht gestellte Fragen zu geben, sondern Wege aufzuzeigen, mit Möglichkeiten zu spielen. Das gelingt ihr in dieser ohne Frage ungewöhnlichen, intellektuell sehr ansprechenden Kurzgeschichte ausgesprochen gut.
Weiterhin ist „Forever“ bei den Nachdrucken dem Hauptmagazin „Clarkesworld“ überlegen. Vor allem sollten Interessierte die einzelnen Geschichten als Sprungbretter nehmen, um die ganzen Anthologien zu erwerben. Nicht jede hat die Chance wie „Old Venus“, immer wieder auszugsweise repräsentiert zu werden.