Clarkesworld 157

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke schaut auf jetzt insgesamt 14 Jahre „Clarkesworld“ zurück.  Aus diesem Grund ist die Oktober „Clarkesworld“ auch ein wenig umfangreicher, aber das liegt an den Geschichten und an nicht der Quantität. Andrew Liptak beschreibt in „Destination: Luna“ die literarische Geschichte der Eroberung des Mondes und spannt den Bogen natürlich von Jules Verne über Robert A.. Heinlein bis zu Ian McDonald. Kurzweilig und informativ für Neueinsteiger.

Zwei Interviews zeichnen die Ausgabe aus. Arley Sorg spricht mit der Autorin Nicky Drayden über ihr vielschichtiges Werk. Sie gibt nicht nur einen Eindruck hinsichtlich der Entstehung ihrer Bücher und Kurzgeschichten, sondern auch des Marktes. Arley Sorg spricht auch mit dem Künstler Maurizio Manzieri, der viele Titelbilder von populären SF Magazinen geprägt hat. Hier geht es mehr um die Kombination von Auge und Inhalt. Beide Gespräche sind lesenswert, da Arley Sorg sehr gut die Antworten aufnimmt und neue Fragen anschließt.

Viele der insgesamt sechs Geschichten zeichnet aus, dass es um die Begegnung mit den Fremden geht und daraus resultierend eine Art eigene Betrachtung. Rich Larsons „All Electric Ghosts“ beschreibt eindrucksvoll und stimmungstechnisch interessant die Sehnsucht, fast Sucht eines Drogenabhängigen nach den an Fische erinnernden Außerirdischen, die an der französischen Meeresküste leben. Im Grunde sich der Drogensüchtige eine neue Art von Fix, von Kick, um seinen Drang zu befriedigen. Der größte Teil der Geschichte besteht daher auch aus einer Art Stillleben, den Motiven und Wünschen des Protagonisten Benny zu folgen, wobei er nicht unbedingt sympathisch ist und vor allem der Leser sich schwer tut, seinen Gedanken zu folgen.

Die zweite amerikanische Story stammt von Tomas Furby. „The Scrapyard“ beschreibt das Schicksal eines Cyborgsoldaten, der zum „Abwracken“ geschickt wird als in einem Veteranenaltersheim seine letzten Tage zu verbringen. Es ist eine dieser tragisch heroischen Geschichten, in denen sich Menschen auch körperlich opfern, um gegen einen anscheinend übermächtigen Feind zu kämpfen und dann in Vergessenheit geraten.

Auch wenn der Charakter sehr dreidimensional gestaltet worden ist und vor allem ist er kein klassischer Held. Er hat im Krieg schlimme Dinge getan. Das macht ihn nicht sympathischer.

Technisch erscheinen einige Dinge allerdings auch absurd. Warum eine mehr als fünfzig Jahre alte Technik nicht isoliert und intern abgeschaltet werden kann wird ebenso wenig erläutert wie er sich aus dem Nichts heraus in ein modernes Satellitennetzwerk hinein hacken kann. Irgendwo in dem Universum hätte sich ein Platz für diese Soldaten gefunden.

Bo- Young Kims „How Alike Are We“   ist ein existentieller Science Fiction Thriller. Ein Frachtschiff auf dem Weg zum Mond Europa wird wegen eines Notrufs zum Titan umgeleitet. Bei der Annäherung möchte die Schiffs AI plötzlich einen menschlichen Körper haben. Das kommt der Besatzung ein wenig komisch vor.

Dadurch gabelt sich der Plot in zwei gleichwertige Arme. Auf der einen Seite stehen die Fragen, ob die Kolonie gerettet werden kann und ob die Mannschaft nicht bereit ist, zu meutern, weil sie ihre ursprüngliche Mission nicht ausführen können und ihnen deswegen Geld verloren geht.

Viele Diskussionen auch innerhalb der Crew bis zur Meuterei wirken wie die Quadratur des Kreises und erhöhen weniger die Spannung als das sie den Handlungsfluss unterbrechen.

Bei der Vermenschlichung der AI kommen zwei Themen zur Sprache. Einmal die Frage, warum die AI überhaupt in den Körper gegangen ist. An Bord des Raumschiffs bietet es keinen echten Vorteil und ob im Falle der eigentlichen Rettung ein Mensch mit seiner körperlichen Erfahrung nicht besser ist, wird gar nicht diskutiert. Beim Transfer sind einzelne Daten verloren gegangen.

Dadurch konstruiert der Autor im Grunde eine Reihe von kleineren Katastrophen, die eher absurd wirken als dass sie die Spannungskurve verstärken. Die Crew agiert ausgesprochen künstlich und das Ende der Geschichte wirkt komisch. Da holt der Autor Geschlechterklischees heraus, die niemand wirklich wissen möchte. Vor allem bieten sie logisch keine Lösung der aufgeworfenen Probleme an. Mit mehr fünfundzwanzigtausend Wörtern handelt es sich eher um einen Kurzroman als eine Kurzgeschichte, so dass man mehr Tiefe und vor allem auch Interaktion hätte erwarten können.

Der wissenschaftliche Hintergrund ist teilweise widersprüchlich und die inneren Dialoge der AI auf dem Weg zum kurzzeitigen Menschen sollen zeigen, wie schwer dieser Prozess ist, aber in Wirklichkeit werden die einzelnen Themen eher theoretisch gestreift als philosophisch diskutiert.

Zu den deutlich besseren Geschichten gehört „Song Xiuyun“ von A. Que. Eine Mutter reist in die Hauptstadt, weil sie Angst um ihren Sohn hat. Auf der Heimreise spricht sie mit dem Taxifahrer über ihre Erfahrungen.  Die Grundprämisse ist im Grunde unlogisch und es erscheint unwahrscheinlich, dass die Mutter auch aus der Ferne nicht gemerkt hat, was eventuell mit ihrem Sohn nicht stimmen könnte. Hinzu kommt, dass der Sohn gar nicht wie  von der Mutter gewünscht in dem kleinen Dörfchen hätte arbeiten können.

Wissenschaftliche Ungenauigkeiten lassen sich eher verzeihen, wenn die Charaktere dreidimensional und überzeugend sind. Die Autorin spricht den Generationenkonflikt an, der in diesem Fall schon durch das fehlende Verständnis für die Arbeit des Jungen entsteht. Vor allem in China mit dem rasanten Wirtschaftswachstum haben sich die Generationen deutlich voneinander entfernt. Die Mutter versucht ein wenig naiv ihrem Sohn zu helfen, obwohl es bis auf die distanzierte Art keine überzeugenden Motive für diese auch erdrückend erscheinende Art der Hilfe zu geben scheint.

Der Sohn versucht die Mutter mit einem Trick zu täuschen. Der Trick erscheint ausgesprochen kompliziert, auch wenn er auf den ersten Blick die Mutter glücklich macht. Ob tatsächlich ein solcher Weg beschritten werden kann oder sollte, steht auf einem anderen Blatt.

Aber als Ganzes ist es die bislang beste Arbeit A Ques in „Clarkesworld“.

Die dunkelste Story ist „National Center for the Preservation of Human Dignity“ von Youha Nam.  Die Erzählerin wird abgeholt, wenn sie ihre “Survial Tax” nicht mehr bezahlen kann. Innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden kann sie in dieser wie ein Paradies erscheinenden Anstalt überlegen, wie sie ihr Leben beenden will.

Natürlich wird es als eine Art Selbstmord angesehen. Allerdings auf Befehl. Vieles erinnert ein wenig an den berühmten und verfilmten Harry Harrison Roman „Make Room! Make Room“ in Kurzgeschichtenform.    

In beiden Texten geht es um die Frage, wie Menschen würdig aus einer für sie unmöglichen Situation aus dem Leben scheiden können.  Das Ende ist fatalistisch, aber auch folgerichtig. Mit einer gut skizzierten Protagonistin ohne viel Pathetik und/ oder Kitsch ist es eine nachdenklich stimmende Story.

P.E. Lee präsentiert mit „An Arc of Lightning Across the Eye of God“ eine von der Ausgangsbasis her interessante Alternativweltstory. Anscheinend ist die Qing Dynastie niemals zusammengebrochen und China hat mit gigantischen Habitaten im All begonnen, die Erde zu verlassen. In diesen Habitaten herrschen allerdings die gleichen Gesetze wie damals bei der Qing Dynastie.  

Der junge Magistrat muss bei einem „Bewohner“ entscheiden, ob es sich um einen Menschen handelt oder nicht. Die Geschichte wird in Form eines Interviews erzählt, so dass einzelne Aspekte ausschließlich subjektiv gestreift werden, aber das Ende ist zu offen und ignoriert eben diese aufgeworfenen Fragen.   

Im Gegensatz zu den letzten Ausgaben ist die kleine Jubiläumsnummer qualitativ beginnend bei dem schönen Titelbild besser und vor allem interessanter. Der Schwerpunkt Korea scheint sich langsam auszuzahlen, auch die beiden chinesischen Beiträge wirken moderner und vor allem auch spannender. Die Qualität der frühen hunderter Ausgaben wird aber immer noch nicht erreicht. Vielleicht muss sich Neil Clarke einmal eingestehen, dass auch die chinesische Science Fiction nicht nur Perlen produzieren kann.

E Book, 112 Seiten

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