Bruder der Gorgonen

Peter van Greenaway

Peter van Greenaways 1973 publizierter Roman ist vor allem durch die Adaption Jack Golds mit Richard Burtin in der Hauptrolle heute noch bekannt. Jack Gold hat in den siebziger Jahren auch Algis Budrys Paranoiathriller „Who“ verfilmt. In beiden Fällen hat der britische Regisseur mit seinen Drehbuchautoren auf das Potential des Stoffes vertraut und sich eng, cineastisch vielleicht sogar ein wenig zu eng an die Vorlagen gehalten.

 Wenig bekannt ist, dass „Bruder der Gorgonen“ der erste Roman einer ganzen Reihe von Krimis ist, in denen Inspektor Cherry vom Scottland Yard mitspielt. Erstaunlich ist, dass Peter van Greenaway die Serie in „Bruder der Grogonen“ mit einem derartig passiv agierenden, alleine reagierenden Inspektor begonnen hat.

 Science Fiction Elemente finden sich allerdings in einigen von Peter van Greenaways Büchern.

 Im Grunde werden die wenigen kriminalistischen Elemente immer wieder im Verlauf der Geschichte überdeckt.  Die Ausgangslage ist ein klassischer „Who done it“, wobei Peter van Greenaways zynisch sarkastischer Stil vor allem im ersten Kapitel durchschlagen originell ist. Der Schriftsteller Morlar ist in einem Arbeitszimmer von einer Napoleonbüste nieder-, aber nicht wie erhofft erschlagen worden. Morlar wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er sterben wird. Inspektor Cherry macht sich auf die Suche nach dem Täter und befragt seinen Psychiater.

 Die erste Hälfte des Buches besteht aus Rückblenden, in denen nicht nur auf Morlars nicht unbedingt einfaches Leben eingegangen wird. Zum ersten Mal finden sich Andeutungen, dass Morlar telekinetisch begabt ist und diese Gabe auch rücksichtslos einsetzt, wenn es nicht nach seinem Willen geht.

 An einer anderen Stelle beschreibt Morlar, wie er im Zweiten Weltkrieg von seinen vorgesetzten Offizieren und ihrer Inkompetenz angewidert worden ist und sich im Dschungelkampf gegen die Japaner angesichts der Aussichtslosigkeit ihrer Verteidigungsposition eher rechtzeitig abgesetzt hat. Diese Passage wird in der Verfilmung nicht übernommen.

 In den ersten vier Büchern hat sich Morlar als schwieriger, aber auch intelligenter und kompetenter Autor erwiesen. Mit dem fünften Roman kippte sein Verhältnis als Autor. Spätestens ab diesem Moment erweitert Peter van Greenaway auch die Erzählform. Die Gegenwartsebene wird lange Zeit von einer Reihe von Katastrophen dominiert. Ein seltsamer Flugzeugabsturz, das Verschwinden eines Atom U- Bootes und schließlich auch die Katastrophe dreier Astronauten, die auf der Rückseite des Mondes nach schweren technischen Problemen abstürzen. Immer wieder suchen seine Protagonisten in der Gegenwart nach Nachrichten.

 Das diese Katastrophe und zwei weitere zukünftige Ereignisse auch mit Morlars Schicksal zusammenhängen, ist dem Leser schneller klar als dem Inspektor. Am Besten wäre es, wenn man sich dem Buch ohne Kenntnis des Films nähert.

 Der Autor definiert den Roman ausschließlich auf die Person Morlar, die allgegenwärtig und dann doch nicht aktiv vorhanden ist. Erst am Ende auf den letzten Seite wird er noch einmal in das Geschehen eingreifen und eine Warnung ausstoßen. Interessant ist vielleicht in dieser Hinsicht, dass einige Jahre später die Reihe von „The Omen“ Filmen mit dem sehr unbekannten vierten Roman – verfilmt in Italien – auf eine ähnliche Thematik hinsichtlich einer atomaren Katastrophe zurückgreifen wird.

 Morlar ist ein unsympathischer Mann. Ungeliebt als Kind handelt es sich um einen Egozentriker, einen Egoisten, einen Narzissten und schließlich einen Einzelgänger. Ohne Frage ist er ein guter Autor, vielleicht ein weniger guter Rechtsanwalt. Als die Öffentlichkeit sein literarisches Genie überspitzt gesprochen nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht mehr anerkennen will, verändert er nicht nur sein Werk, er beginnt anscheinend die meisten Menschen aktiv zu hassen.

 Eine der zahlreichen Tiraden zielt auf die unschuldigen Kinder, aus denen später als Erwachsene Monster werden könnten. Liebe die Wurzeln gleich zu Beginn ausreißen. Seine Argumentation ist über die verschiedenen Ebenen nicht konsequent. Vieles wirkt wie die Floskeln eines gefährlichen Verrückten, wobei ausgerechnet Morlar auch noch über die Macht verfügt, diese verqueren Ansätze umzusetzen.

 Der Roman wirkt heute modern und antiquiert zugleich. Wahrscheinlich um Morlars Charakter noch weiter herauszuheben, hat er aus ihm einen klassischen Macho gemacht, für den alle Frauen Huren und minderwertig sind. Vor allem, wenn sie ihm widersprechen. Richard Burton hat die Rolle in der empfehlenswerten Adaption sich sehr gut zu Eigen gemacht. Selten hat ein mehr unsympathischer Protagonist die Kinoleinwand, heute den Fernsehschirm dominiert. An diese vielschichtige Darstellung reicht Peter van Greenaways Buch nicht heran. Auch seine Angriffe auf Homosexuelle wirken vor allem heute aus der Zeit gefallen.

 Dabei sind die verbalen Attacken auf Staat und Kirche in den siebziger Jahren ohne Frage provokant, in der heutigen Zeit mindestens interessant. Die anderen Aspekte von Morlars Persönlichkeit unterminieren ein wenig die guten Ansätze. Morlar ist ein Opportunist. Er will in einem starken Staat leben, der zwar für seine Bürger da ist, der ihnen aber auch strenge Grenzen setzt. Die Kirche ist für Morlar ein roter Tuch. Im Grunde verfügt er impliziert über gottgleiche Fähigkeiten, so dass er aus der bestehenden menschlichen Ordnung im Angesichts Gottes ausgebrochen ist. Kein Wunder, dass er nach dem Staat auch die Kirche in ihre Schranken weisen will.

 Handlungstechnisch erhält das Buch eine fast surrealistische Note. Es besteht die Möglichkeit, dass Morlar für die ganzen Taten verantwortlich ist. Immerhin hat er sie in einem seiner letzten Bücher niedergeschrieben. Anscheinend noch als utopische Warnung. Die Realität hat seinen Text eingeholt. Es stellt sich gegen Ende des Buches die Frage, ob Morlar tatsächlich über diese Fähigkeiten verfügt oder nur ein Prophet ist.  Der Film ist in dieser Hinsicht deutlicher, aber hinsichtlich seiner übernatürlichen Fähigkeiten auch ambitionierter.

 Als Roman an sich ist der Text aber auch eine frustrierend Lektüre. Nicht selten wirkt durch die verschiedenen, zwar sauber voneinander getrennten und als eine Art Informationsquelle angesehenen Handlungsebenen der Plot schwerfällig. Fast absichtlich um eine besondere Botschaft zu implizieren wird auf jeglichen Spannungsaufbau, auf notwendige Dramatik, teilweise sogar auf eine entsprechende Dramaturgie verzichtet. Peter van Greenaway konzentriert sich derartig auf Morlar, dass er alle anderen relevanten Figuren vernachlässigt.

 Selbst das Ende mit seinem cineastischen Höhepunkt wirkt derartig kompakt beschrieben, dass der Leser das Gefühl hat, die Ereignisse aus der Zeitung des morgigen Tages entnehmen zu können. Es ist schade, dass hier sehr viel Potential verschenkt wird.

 Auf der anderen Seite lohnt es sich, dieses grundlegend einfallsreiche Buch vor allem weniger mit der Kenntnis des Films, sondern als allein stehende Arbeit , als parapsychologischer Paranoiatrip in einen geisteskranken und doch auch brillanten Menschen zu verstehen, dem der Teufel anscheinend besondere Fähigkeiten verliehen hat, um nicht nur Teile der Menschheit in den Abgrund zu stoßen, sondern an dem eigenen Spiegelbild selbst zu scheitern.         

GALAXIS SCIENCE FICTION, Band 15: BRUDER DER GORGONEN: Geschichten aus der Welt von Morgen - wie man sie sich gestern vorgestellt hat. von [van Greenaway, Peter]

  • Format: Kindle Ausgabe
  • Dateigröße: 1682 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 322 Seiten
  • Verlag: Apex Verlag