Nova 28

Michael Haitel & Michael Iwoleit

Dirk Alt ist an der neuen Nova 28 auf fast allen Ebenen beteiligt. Nicht nur im sekundärliterarischen Teil oder der ersten Geschichte der Ausgabe, auch das Vorwort stammt aus seiner Feder.

„Meine insektoiden Nachbarn“ ist eine Robinsonade. Auch darauf weist der Ich- Erzähler hin, der mit seinem Raumschiff auf einer bewohnbaren, allerdings nicht unbedingt idyllischen Welt gestrandet ist. Stoisch beobachtet er die Insektoiden und sendet seine Berichte – soweit es die technischen Kapazitäten zulassen – nach Hause. Er verweist auch auf Dafoes „Robinson Crusoe“ und dessen religiöse Bezüge. Die Geschichte liest sich trotz des fatalistischen Untertons kurzweilig, die Faszination der Raumfahrt wird relativiert und die Beschreibung der fremden Welt ist lesenswert.

  Marcus Hammerschmidts „Die Befragung“ ist eine der Geschichte, bei denen man sich mehr Hintergrund und einen umfangreicheren Plot wünscht. Der Protagonist muss zu einer in zeitlichen Abständen erfolgenden Befragung in eine Behörde. Mehr und mehr stellt sich heraus, dass dieses Deutschland politisch sich aus Europa entfernt hat. Zucht und Ordnung ohne direkt Bezüge zum Dritten Reich darzustellen herrscht vor. Die digitale Überwachung  ist so perfekt, dass selbst alte private Schriften archiviert worden sind und entsprechend genutzt werden können. Marcus Hammerschmitt kritisiert gegenwärtige Exzesse und es wäre interessant, eine Novelle oder einen ganzen Roman in dieser dunklen Zukunftswelt lesen zu können.

„Und immer noch gefällt mir deine Nase“ aus der Feder Wolfgang Mörth ist eine von zwei längeren Geschichten. Auf der einen Seite eine rührige Liebesgeschichte, um zwei alte, aber nicht ergraute Menschen, die „endlich“ zueinander finden. Auf der anderen Seite eine kritische Abrechnung mit den sozialen Strukturen, warum die Prämisse zur Identifizierung einzelner Gruppen ein wenig umständlich und kostenintensiv erscheint. In einer futuristischen digitalisierten Welt müsste es bessere Methoden geben. Aber das absichtliche abhängig machen ist ein anderer Aspekt, der zeitlos und zynisch gleich erscheint.

Tom Turtschi präsentiert mit „Don´t be Evil“ in seinem expressiven Stil die politisch aktuellste Story. Ein Journalist berichtet aus der Kriegszone im Nahen Osten. Anscheinend ist dort „Frieden“ ausgebrochen. Allerdings beweist sein altmodisch geschriebener und aus der Zone geschmuggelter Brief eine andere Wahrheit. Der Autor packt eine Menge Ideen in seine intensiv geschriebene Story. Die Idee, im Hintergrund digital übermittelte Berichte ohne Wissen des Autoren zu verändern, zu relativieren, zu kürzen oder eine gänzlich andere Meinung einzubauen ist faszinierend und wird zugleich sehr einfach beschrieben. Das diese Art der Zensur der Nachrichten fast schon eine klassische, in Vergessenheit geratene Antwort bedingt ist die konsequente Pointe dieser atmosphärisch dunklen Geschichte, in welcher der Autor aber auch an einigen Stellen sehr eng am Rande des Klischees die Leser emotional manipuliert. 

Uwe Schimuneks „Like War“   wirkt nur vordergründig offensiv progressiv. Ein Auftragsmord in einer virtuellen Scheinwelt, ein Killer mit einem Faible eher für das Bankkonto denn politische Ambitionen. Zwar überzeugt vor allem zu Beginn der progressiv Aufbau der Scheinwelt, aber der Plot bietet keine wirklich neuen Ideen, um unabhängig von der Kürze überzeugen zu können.

Ein vergleichbares Thema greift Paul Sanker in „Der Fluchtalgorithmus“ auf. Der Protagonist langweilt sich in einer perfekten virtuellen Realität. Alle Herausforderungen hat er überstanden, kein Kampf ist real, es gibt keine Gefahren und die erotischen Abenteuer wiederholen sich. Auch wenn die Story sich trotz des sehr kompakten Stils solide lesen lässt, baut sie nicht originell genug auf bekannten Ideen auf, um vor allem im direkten Vergleich zu einigen anderen sehr überzeugenden Geschichten dieser Ausgabe restlos zufriedenzustellen.

Auch wenn Tino Falkes „Chips Chips“ im Grunde keine neue Idee – Kloning außer Kontrolle – präsentiert, überzeugt die Geschichte durch die pointierten Dialoge und die markant gezeichneten Kopien. Das Ende ist ein wenig zu seicht, aber als Pausenfüller ist die Story wirklich gut und kurzweilig zu lesen.

Victor Bodens „Das Subradesaster“ beginnt auch humorvoll exotisch, bevor der Tenor dunkler wird. Ein Botschafter der Erde muss auf einem sehr lebensfrohen Planeten eine Mission erfüllen. Auf dieser Welt gibt es keine Geheimnisse, alles wird offen gelegt. Das kann der Erde mit ihrer paranoiden Geheimniskrämerei nicht gefallen. Aktion und Reaktion wirken gegen Ende ein wenig zu stark konstruiert, aber der Autor baut eine süffisante Pointe ein, die nicht nur den arroganten Protagonisten trifft, sondern aufzeigt, dass die Fremden öfter klüger sind als Mensch glaubt.

Schon mit seinem Buch „Die Wächterin“ hat Wolf Welling bewiesen, dass er klassische Themen originell wie ungewöhnlich aufbereiten kann. Auch „Strandsand“ nutzt die Idee des Generationenraumschiffs, um eine interessante Story zu erzählen. Im Rahmen schon auf einer neuen Welt begegnet die Protagonisten einem Jungen, der an Bord des Raumschiffs von der Schiffsintelligenz getötet worden ist. Im Rückblick erfährt man von ihrer gemeinsamen Liebesgeschichte, die sich aber nicht so natürlich entwickelt wie es die beiden jungen Menschen erwarten. Welling beendet die Story auf einer ein wenig zu exzentrischen Note, welche die emotionale Bindung zwischen den beiden Menschen hinterfragt. Auf der anderen Seite schenkt er uns eine exzentrische Schiffsintelligenz, die ein ungewöhnliches Interesse an den Menschen an Bord zeigt. Zumindest an einigen Testpersonen.   

Die Gaststory „Die Speisung“ von Liviu Surugiu kommt aus Rumänien und ist von Michael Iwoleit übersetzt worden. Der religiöse Plot reiht sich unabhängig vom ironischen Unterton und dem ausgesprochen guten nachhaltigen Ende in die Phalanx von kirchen- , aber nicht unbedingt glaubenskritischen Texten wie „Der Gewissenfalls“ oder „The Sparrow“ ein. Eine Expedition wird von der Erde ausgeschickt, um ein Objekt zu bergen. An Bord befindet sich ein ehemaliger Astronaut und ehemaliger Priester, der sein Amt aufgeben wollte, um die Liebe seines Lebens zu heiraten. Diese wird bei einem Unfall quasi getötet, alleine das Versprechen, sie in der Stasis zu halten und in wenigen Jahren aufzuwecken, wenn sie geheilt werden kann, überzeugt ihn, an der Expedition teilzunehmen.

Mit der Bergung des Objektes nimmt die Handlung eine rasante Wendung. Anscheinend sind die Astronauten plötzlich überflüssig, es geht alleine um den Erfolg der Mission. Der Autor streut fast im Vorrübergehen einige interessante Gedanken ein. So ist die NASA nicht unbedingt vordergründig für die Erforschung des Alls gegründet worden, sondern für diese Mission. Auch das Objekt der „Begierde“ wird absichtlich ambivalent beschrieben, was das Ende doppeldeutiger, aber auch nachhaltiger macht.

Die Zeichnung des Erzählers mit seinem Glaubenskonflikt, aber auch dem Willen zu überleben und zur Erde zu seiner Geliebten zurückzukehren wird als starkes Motiv beschrieben, ohne das es unrealistisch erscheint. Geschickt wird die offensichtliche Pointe vor den Lesern versteckt. Dadurch wirkt sie länger nach und nicht nur bei den Vertretern der irdischen Kirche beginnt es im Kopf zu rotieren.

Michael Iwoleit hat „Die Speisung“ – der Titel ist reine Ironie – mit sehr viel Einfühlungsvermögen zusätzlich gut übersetzt, so dass sie ein Höhepunkt dieser Ausgabe ist. 

Volly Tanner „Ende Gelände, Baby“ bildet den lyrischen Teil der „Nova“ Ausgabe. Solange es noch Stoff und Sex gibt, kann das zu einem Experiment verkommene Ende der Zivilisation nicht so schlimm sein.  

Der sekundärliterarische Teil besteht aus zwei thematisch interessanten Bereichen. Tony Daniel und Michael K. Iwoleit schreiben aus unterschiedlichen Perspektiven über den 2019 gestorbenen Gene Wolfe. Beide Nachrufe ergänzen sich und zeigen die Bandbreite dessen Werkes auf.

Der zweite Komplex ist relevanter. Dirk Alt, Michael K. Iwoleit und Julie Phillips schreiben über die Tendenz, zwei wichtige SF Preise benannt nach John W. Campbell und James Tiptree jr. umzubenennen. Während Campbell als Faschist bezeichnet wird, geht es bei Alice Sheldon um den vollzogenen Sterbepakt zwischen ihrem Mann und ihr. Das bezeichnen einzelne als Mord. Vor allem Julie Philips, die mit ihrer ausführlichen Biographie Licht in viele Ecken Alice Sheldons Leben geworfen hat, relativiert diese falsche politische Korrektheit, welche alles gleichzuschalten und jegliche Ecken/ Kanten in den Leben von Persönlichkeiten auszuradieren sucht. Die Idee, Preise nicht mehr nach einzelnen Personen zu benennen, ist angesichts des Phlegmas von Organisationen oder politischen Bewegungen absurd. Es sind ja wie die Autoren herausstellen Menschen wie Campbell und Sheldon gewesen, welche das Genre reformiert oder geformt haben. Und wer keinen Fehler hat, sollte den ersten Stein werfen. Vor allem Dirk Alt bereitet dieses schwierige Thema mit dem aufgesetzten Moralismus einer Generation, welche weder Campbells Ägide historisch und persönlich erlebt hat oder die Schwierigkeiten Tiptrees in den siebziger Jahren erfassen konnte, sehr gut vor. Das ausgerechnet eine Autorin wie Jeanette Ng während der Verleihung des John W. Campbell Preises für den besten Autoren den Namensgeber angreift, den Preis aber nicht ablehnt, erscheint schon fast wie bittere Ironie, während wichtige Abschnitte ihrer sehr politischen Danksagung untergehen. Hinzu kommt noch, das weder das von Campbell an die Spitze geführte Magazin und seine Redaktion sich gegen diese Kritik wehrt oder das James Tiptree Preiskomitee sich dem kleinsten Windhauch beugt.   

Zu Beginn des sekundärliterarischen Abschnitts findet sich ein sehr ambitioniertes Interview von Christian Steinbacher mit Philipp Schönthaler, wobei Christian Steinbacher fast schon bemüht Zusammenhänge zwischen dem Genre und Schönthalers Werk herzustellen sucht, während dieser sehr sympathisch zugibt, sich jetzt erst wie in einem gigantischen literarischen Kindergarten im Genre zu orientieren.     

„Nova 28“ ist unter anderem von Dirk Alt, Uli Bendick, Christian Günther oder Victoria Sack illustriert worden. Die teilweise farbigen Graphiken harmonieren gut mit den Geschichten. Das Titelbild von Albert Huhm ist ein Blickfang.

Zusammengefasst ist „Nova“ 28 eine deutlich überzeugendere Ausgabe als die letzte Themennummer. Nicht nur stilistisch, sondern vor allem inhaltlich decken die einzelnen Texte ein sehr breites Spektrum ab und selbst bekannte Prämissen werden bis auf ein oder zwei Ausnahmen originell neu bearbeitet.

NOVA Science-Fiction 28 (NOVA SF)

  • Taschenbuch: 224 Seiten
  • Verlag: p.machinery; Auflage: 1 (18. Dezember 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3957651808
  • ISBN-13: 978-3957651808