Neil Clarke geht in seinem Vorwort auf die sich ausbreitende Corona Pandemie ein.
Die Novelle ist mit „Camouflage“ eine weitere Robert Reed Story um das große Schiff. Wie bei allen anderen Arbeiten fällt es leicht, sich in den umfangreichen, ambitionierten, aber durch die schiere erdrückende Größe des Raumschiffs auch ambivalenten Plot hinzuarbeiten. Da die Geschichte aber im Internet neben der Anthologie Veröffentlichung von Tor sowohl in einer Sammlung als auch als einzige Novelle leicht käuflich zu erwerben ist, unterminiert Neil Clarke seine Strategie, herausragende eher unbekannte Arbeiten zu präsentieren.
Im Mittelpunkt steht der ehemalige oder gegenwärtige oder vielleicht auch zukünftige Captain des Schiffes mit Namen Pamir. Robert Reed führt dieses charismatischen Charakter sehr ambivalent ein. Wie alles bei dieser inzwischen sehr umfangreichen Serie ist Flexibilität oberstes Trumpf. Robert Reed wird das gigantische Raumschiff mit seinen Millionen von Ecken und Kanten dem Leser niemals zur Gänze vorstellen (können). Pamir streicht unerkannt unter verschiedenen Namen durch das Schiff. Sein Name ist im Grunde Legion.
Eine Frau lässt ihn finden, weil in ihrer Kabine ein Mann/ Wesen ermordet aufgefunden ist. Der Captain soll nach dem Täter forschen, wobei sich die Suche relativ schnell über die Aspekte eines Familiendramas hinaus entwickelt.
Der Auftakt der Geschichte ist selbst für Leser interessant, die bislang nicht mit Robert Reeds „Great Ship“ Zyklus in Kontakt gekommen sind. Stimmungsvoll mit einem melancholischen Unterton führt der Leser eine Art Phantom ein, das nicht sterben kann, aber auch nicht mehr auf der großen Bühne agieren will.
Auch der Ausgangspunkt des Mordes ist gut gestaltet. Ein unmögliches Verbrechen, eine begrenzte Anzahl von exzentrischen nicht griffigen Charakteren, aber kein ausreichendes Motiv. Die Ermittlungen erweitern sich kontinuierlich. Hier versucht Robert Reed die Quadratur des Kreises, in dem er zu viele Aspekte aus seinem umfangreichen Zyklus hinzuzieht und über das Ziel hinausschießt. Im Rahmen eines Romans ist diese Vorgehensweise legitim und die wenigen längeren Arbeiten dieser Serie ragen deswegen auch aus der Masse der Geschichten oder Novellen positiv heraus.
Während andere Krimis an Bord von Raumschiffen oder Raumstationen ja auf die Idee der Enge, der begrenzten Anzahl von Verdächtigen zurückgreifen können, um Spannung zu erzeugen, minimiert Robert Reed diesen Effekt, in dem er kontinuierlich alle Thrillerelemente eliminiert und im Gegenzug die Anzahl der potentiellen Verdächtigen maximiert.
Im direkten Vergleich zu den teilweise sehr intellektuellen verspielten Kurzgeschichten um das Große Schiff ist „Camouflage“ – der Titel trifft im Grunde auf das ganze Generationenraumschiff zu – wie eine Zwiebel, die stoisch geschält wird, dessen Innere aber trotzdem aus sich selbst heraus nicht schmeckt, sondern als Beilage für ein anderes umfangreicheres Gericht dient.
Trotz der Schwächen liest sich die Geschichte kurzweilig, wenn man mehr auf den Hintergrund und nicht auf die klassische Kriminalhandlung achtet.
Zwei Kurzgeschichten runden den April ab. „The Robots of Eden“ von Anil Menon ist ein knapp ein Jahr alter Nachdruck. Auch nicht unbedingt glücklich. In der nahen Zukunft können sich Verheiratete einfach trennen. Ein Gehirnimplantat hilft ihnen dabei.
Eine große Schwäche der ganzen Kurzgeschichte ist bei einem derartig emotionalen Thema die Zeichnung der Protagonisten. Der Leser muss sie nicht mögen, Ecken und Kanten reichen aus. Aber die von Anil Menon entwickelten Figuren wirken eindimensional, oberflächlich und agieren in der kompakten Handlung zu vorhersehbar.
Der Ehemann wartet auf seine Frau und seine Tochter, die aus den USA zurückgekommen. Die Frau hat einen Liebhaber mitgebracht und will die Scheidung. Das Implantat beruhigt den Ehemann und hilft ihm, sogar mit dem Nebenbuhler freundschaftlich umzugehen.
Das Ende ist perfekt. Anscheinend ist das Implantat nicht nur eine Hilfe, sondern gleichzeitig ein emotionales Gefängnis, aus dem die Träger nicht entkommen können oder paranoid nicht entkommen sollen. Die Gleichschaltung der Gesellschaft könnte Absicht sein, aber Anil Menon arbeitet die Hintergründe zu wenig heraus. Ab welchem Moment greift das Implantat wirklich ein. Ist Scheidung ein ausreichender Grund, Streit oder Misshandlung des Partners?
Die Freundschaft mit dem Widersacher wird auf der einen Seite emotional überzeugend, auf der anderen viel wichtigeren Seite aber auch als unabsichtlicher Plan beschrieben. Dem Leser wird nicht gänzlich klar, was der Autor damit bezweckt, zumal Aktion und Reaktion abschließend zu schnell und zu wenig nachhaltig aufgearbeitet ineinander fließen.
Eine interessante Ausgangsidee, der eine Kurzgeschichte aber nicht gerecht wird. Mit deutlich mehr Hintergrund als Roman oder zumindest als umfangreiche Novelle inklusiv dreidimensionaler Charaktere könnte sich „The Robots of Eden“ beginnend bei dem fast zynischen Titel aus dem Durchschnitt erheben.
Sarah Pinskers „Escape from Caring Season“ setzt sich auf eine andere Art und Weise mit „Familie“ auseinander. Zora und Anya leben in einer besonderen Anlage, die sie in jüngeren Jahren selbst gebaut haben. Das neue Management hält Anya aber auf der Hospitalstation gefangen, so dass Zora einen Ausbruchsversuch startet.
Sarah Pinskers Zukunftsbild ist ein wenig uneinheitlich. So gibt es eine Software, die Anrufe beim eigenen Rechtsanwalt verhindert, ohne das es dafür eine abschließende Erklärung gibt. Das Verhalten der „Anstaltsleitung“ könnte auch die Polizei auf den Plan rufen. Die Leitung mit ihrem Gewinnsmaximierungsprinzip ist überzeugend beschrieben worden, wobei alle Aspekte, die nach außen dringen könnten, ausgeschaltet werden.
Im Gegensatz zu Anya ist Zora die dominierende Persönlichkeit. Entschlossen wie intelligent, schlagkräftig und trotz der körperlichen Schwächen immer noch beweglich. Auch wenn sie bereit ist, für Anya Opfer zu bringen, scheut sie Kontrolle von außen und will sich mit allen Mitteln wehren.
Mit Gina als Jägerdrohne, welche verschwundene Personen auffinden soll, verfügt die Story über einen dritten „Protagonisten“. Die Dialoge sind ausgesprochen gut beschrieben worden. Das eine Drohne allerdings über so viel Mitleid mit ihren Zielen verfügt, wirkt schon fast konstruiert.
Das Tempo ist hoch, die Charaktere sind gut gezeichnet und das Finale interessant genug, ohne auf Klischees zurückzugreifen. Das Thema ist vielleicht ein wenig klischeehaft, aber Anya und Zora sind eben nicht die Opfer, die sich eine Kooperation gerne aussucht.
Da die Novelle „Camouflage“ mit den in den letzten Monaten veröffentlichten Arbeiten nicht standhalten kann, wirkt der April ein wenig blass um die Nase. Die beiden Kurzgeschichten überzeugen emotional, aber nicht konsequent inhaltlich. Schade ist weiterhin, dass die Suche vor allem nicht im Internet zugänglichen Texten von Neil Clarke im Gegensatz zu früheren „Forever“ Ausgaben nicht fortgesetzt wird und vielen Lesern mindestens eine der drei Arbeiten aus der ursprünglichen Quelle vertraut erscheint.