Sherlock Holmes Society Band 3: Die Sünden des Sohns

Sylvain Cordurié

Lange Zeit präsentiert sich der dritte Doppelband der „Sherlock Holmes Society“ als eine gekonnte Mischung aus „Terminator“ im Steampunkkostüm und Alan Moore brillanter Comicreihe „The League of Extraordinary Gentlemen“ mit zwei Frauen nicht als Beimischung, sondern teilweise im Fahrersitz. Erst gegen Ende während des überraschend, aber konsequent gestalteten Showdowns findet Sylvain Cordurie in die abschließende Spur und negiert vor allem James Camerons Grundideen.

 Es ist allerdings notwendig, nicht nur die ersten beiden Doppelbände zu lesen, um die verschachtelte Handlung mit den differenzierten wie starren Positionen zu verstehen, sondern möglichst auch begleitende Abenteuer wie „Sherlock Holmes und die Zeitreisenden“ oberflächlich zu kennen, um die abschließend richtigen wie falschen Schlüsse nachvollziehen zu können.

 Der große Unterschied zu James Camerons „Terminator“ sind die Motive. 1935 ist das britische Imperium zu einem Monster geworden, das in dieser Parallelwelt die übrige Welt dominiert, tyrannisiert und kontrolliert. Es gibt nur einen wirklichen Gegner, Liam Holmes, den Sohn Sherlock Holmes. Dieser vernichtet mit Birmingham und ihren Bewohnern die zweitgrößte Stadt Großbritanniens, um seine „Macht“ zu demonstrieren und das Imperium einzuschüchtern.

 König George V. beschließt darauf hin, doch auf das vorhandene Mittel der Zeitreise – die Zeichnungen erinnern an eine viktorianische Version der bekannten amerikanischen Serie „Time Tunnel“ – zurückzugreifen und einen Supersoldaten in die Vergangenheit zu schicken, um Liams Vater Sherlock Holmes schon im Jahre 1895 zu töten und damit die zukünftige Bedrohung auszuschalten.

 Diese Prämisse greift nicht nur auf James Camerons Filme, sondern teilweise auch auf Harlan Ellisons „Outer Limits“ Drehbuch „The Soldier with the Glas Dagger“ zurück.

 Der Leser muss sich allerdings vor Augen halten, dass Sylvain Cordurie impliziert, dass Ian Holmes eben kein Terrorist, sondern ein Rebell ist, der mit seiner viele Unschuldige tötenden Superbombe ebenfalls die Tyrannen in Schach halten will. Während in Camerons Filmen ein „Terminator“ in die Vergangenheit geschickt wird, ist es hier ein stoischer Supersoldat, dem allerdings eine weitere im Verlauf der Handlung wichtige Nachricht mitgegeben wird.

 Liam Holmes gelingt es mit seinem kybernetischen Adlatus ebenfalls, durch die Zeit in das Jahr 1895 zu gelangen. Während das britische Empire Sherlock Holmes töten möchte, sinnt Liam Holmes nicht danach, seinen Vater zu schützen, sondern das Entstehen des Reiches der Dunkelheit zu verhindern.

 Aus den letzten Bänden ist Sherlock Holmes Stiftung – im Original „Society“ – bekannt, die wie eine viktorianische „Suicide Squad“ aus der bekannten amerikanischen Comicserie wirkt. Es fehlt ihnen nur an dem zynischen Humor.

 Sherlock Holmes setzt sich anfänglich fast stoisch blind wie das bestehende Imperium ein und möchte erst Liam Holmes und den Supersoldaten aus der Zukunft stoppen, bevor er möglicherweise von innen heraus auch dank seines ambivalent erscheinenden Bruders Mycroft Holmes Veränderungen in Gang setzt.

 Auch wenn die Serie „Sherlock Holmes Society“ heißt, hat Sylvain Cordurie in seinen inzwischen zahlreichen Miniserien immer wieder unterstrichen, dass er mit dem klassischen deduzierenden Sherlock Holmes wenig bis gar nichts anfangen kann. Auf der positiven Seite ist sein Sherlock Holmes deutlich dynamischer und scheut auch nicht vor Gewalt im richtigen Moment in Kombination mit effektiven Bluffs zurück; auf der anderen Seite lässt der Autor mit seinen beiden sich ideal ergänzenden Zeichnern vor allem in diesem Doppelband seinem Protagonisten keine echte Chance, die Initiative zu ergreifen. Und das hat nicht nur mit der doppelten Herausforderung zu tun, mit einem erwachsenen, im intellektuell mindestens gleichwertigen, aber rücksichtsloseren Sohn konfrontiert zu werden, sondern vor allem erkennen zu müssen, wer die Mutter sein wird.

 So ist es kein Zufall, dass Sherlock Holmes zwar kurzfristig eine Art Pyrrhussieg mit einer ideal strukturierten Teamleistung gegen den Supersoldaten aus der Zukunft erzielen kann, hinsichtlich der finalen Konfrontation aber nicht nur zu kurz kommt, sondern stoisch die rein logische wie fatalistische Vorgehensweise Liam Holmes nicht akzeptieren, noch tolerieren kann. So ist es jemand anders, der eine Zukunft, aber sehr wahrscheinlicht nicht diese Zukunft rettet.

 Die Nebenfiguren mit dem tragisch zu nennenden Vampir, der Telepathin oder der von einem Dämon besessenen attraktiven Frau sind dreidimensionaler, zugänglicher und vor allem emotionaler gezeichnet worden als Sherlock Holmes. Selbst der im zweiten Teil kurzfristig und unnötig aus der Handlung genommene Doktor Watson darf einen positiven Beitrag zum Teambuilding hinzu steuern.

 Liam Holmes wirkt dagegen wir der klassische, aber verblendete Sherlock Holmes. Seine Motive sind ehrenhaft, wie seine Vorgehensweise grauenhaft ist. Es stellt sich anfänglich die Frage, warum Liam Holmes seine Superbombe in Birmingham ausprobiert und damit King George und seine Vasallen gewarnt hat. Angesichts der Zerstörungswut dieser ambivalent beschriebenen Superwaffe wäre ein Einsatz direkt in der Nähe des Königspalasts in London effektiver gewesen. Der Hydra wäre der Kopf inklusiv der Führungsmannschaft abgeschlagen worden und das Reich spätestens ab diesem Moment zerfallen. Liam Holmes entscheidet sich für den riskanteren Weg, der ohne Frage die Ausbildung einer nicht kontrollierbaren Parallelwelt bedingt hätte. Das ein Sherlock Holmes seine Handlungen einem derartigen Zufall überlässt, erscheint vor allem auch angesichts der hier präsentierten effektiven wie rücksichtslos logischen Vorgehensweise unwahrscheinlich und unglaubwürdig.

 Aber Sylvain Cordurie versucht die große Schwäche seiner „Terminator“ Handlung durch eine Reihe von gut geschriebenen Actionszenen vor wieder minutiös Detail verliebt von Fabio Detullio und Andrea Fattori gezeichneten Hintergründen abzuschwächen und seine Protagonisten argumentativ ein brüchiges wie die Büchse der Pandora in mehrfacher Hinsicht öffnendes Fundament gießen zu lassen.

 Auch der deutsche Titel „Die Sünden des Sohns“ lenkt den Leser eher von der grundlegenden Handlung ab und wirkt deplatziert. Liam Holmes Sünde ist, Millionen von Menschen im Grunde nutzlos zu opfern und dieser Tat noch einem Millionen von Unschuldigen hinzuzufügen, um etwas „Gutes“ zu tun, das die Zukunft sicherer machen soll. Damit setzt er sich mit der klassischen Frage auseinander, ob man Hitler getötet hätte, wenn es eine technische Möglichkeit geben würde, um dessen Gräueltaten im Dritten Reich zu verhindern. Der Logik dieses Plots folgend handelt es sich um keine Sünden. Es ist eher Sherlock Holmes, der trotz der Gründung seiner Society und der Warnungen aus seinem direkten Umfeld die „Sünde der Ignoranz“ begeht und damit beginnend mit seiner erfolgreichen Mission im Auftaktband die Basis für das dunkle Reich mitlegt. Das dieses auf einer sich selbst erfüllenden „Prophezeiung“ basiert ist die rettende Möbiusschleife, welche den Ausgangspunkt der Handlung initiiert, aber auch gleichzeitig gegen alle klassische Logik negiert.

 Wie die ersten beiden Doppelalben ist „Die Sünden des Sohns“ keine klassischer Sherlock Holmes Geschichte. Sie gehört inzwischen durch die bis zum Epilog erheblichen Abweichungen auch nicht in den Bereich des Kanons. Sie könnte auch mit anderen Überheldenfiguren der klassischen Unterhaltungs- oder späteren Pulpliteratur in dieser Hinsicht funktionieren. Zu sehr sind die grundlegenden Abweichungen vor allem in diesem dritten Doppelband zum bekannten und markanten Sherlock Holmes.

 Wen ein toleranter Leser allerdings den Hinweis auf Sherlock Holmes akzeptiert, entwickelt sich ein nicht in sich logischer, aber rasant erzähltes Abenteuergarn mit einer Reihe von tragischen Szenen, in denen sich die einzelnen Charaktere schweren Herzens gegen das eigene Wohl entscheiden müssen, aber vor allem auch einer „Anything Goes“ Steampunk Mentalität, die konsequent bis zum fatalistischen, beide Seiten zerstörenden Ende entwickelt worden ist.

 Hinzu kommt, dass Fabio Detullio und Andrea Fattori Sylvain Corduries phantasievolle Welt in teilweise halbseitigen realistischen Graphiken zu einem antiquierten wie zeitlosen Leben erweckt haben, wie es der Leser seit Alan Moores phantastischen Geschichten um „The League of Extraordinary Gentlemen“ nicht mehr gesehen hat.

Sherlock Holmes Society. Band 3: Die Sünden des Sohns

  • Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
  • Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1. (23. April 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3958395988
  • ISBN-13: 978-3958395985
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