Sherlock Holmes und der Träumer

William Meikle

William Meikles „Sherlock Holmes und der Träumer“ ist nur bedingt ein alleinstehendes Abenteuer.  Lange Zeit wirkt der übernatürlich angelegte Plot nicht nur faszinierend bizarr, sondern weckt höchstens latente Erinnerungen an den 18. Band der im Blitz Verlag veröffentlichten neuen Fälle Sherlock Holmes, in dem der britische Detektiv dem Wiedergänger begegnet ist. Aber der Mitte von „Sherlock Holmes und der Träumer“ greift William Meikle auch mit ausführlichen Handlungszusammenfassungen und direkten Zitaten auf „Sherlock Holmes und der Wiedergänger“ zurück. Damit holt der Autor effektiv Leser an Bord, welche den ersten Band nicht kennen und abschließend auch nicht unbedingt kennen müssen.

Negativ ist dagegen, dass der Plot mit diesen ausführlichen Zitaten zu zerfallen beginnt und die bis dahin interessante Mischung aus einer Reihe auf den ersten Blick nicht in einem direkten Zusammenhang stehenden Verbrechen, die in der Entführung Mycroft Holmes gipfeln, plötzlich erstaunlich hektisch wie auch stringent „aufgeklärt“ werden.  

Der Beginn des Romans wirkt rückblickend ein wenig zu stark konstruiert. Der rastlose Sherlock Holmes sammelt Zeitungsartikel. Einer berichtet von einem seltsamen Diebstahl bei einem Kriegskameraden Doktor Watsons. Gemeinsam übernehmen sie den Auftrag. Der Dieb scheint ein Landstreicher zu sein, der geistesabwesend immer wieder seine Frau Irene sucht. Mehr durch einen Zufall und einem Instinkt folgend grast Sherlock Holmes eine Reihe der anderen in der Zeitung erwähnten Diebstähle ab und findet immer wieder die gleiche Täterbeschreibung.

Anscheinend folgen die einzelnen, nicht direkt in einem Zusammenhang stehenden und verschiedene Verbrechen umfassende Taten dem Muster einer mathematischen Fibonaccireihe, an deren Ende die schon angesprochene Entführung Mycrolft Holmes steht.

Die erste Hälfte des Buches mit dem möglicherweise übernatürlich agierenden Schurken wider Willen, der sogar durch Wände gehen kann, ist interessant. Das Problem, mit dem Sherlock Holmes konfrontiert wird, ist vielschichtig. Die Motive hinter dem auf den ersten Blick absolut harmlosen erscheinenden Täter, der Sherlock Holmes und Watson mehrmals entkommt, schleierhaft. Auch die Idee, dass Holmes quasi die Fibonaccireihe in umgekehrter Reihenfolge abarbeiten muss, um zumindest am richtigen Ort und der richtigen Zeit zu sein, wird vielschichtig, aber auch für den Leser jederzeit nachvollziehbar erzählt.

Der Klappentext gibt schon einen Hinweis auf Professor Moriarty im Hintergrund. Der „Bruch“ folgt trotz einiger sehr guter Ansätze mit den Hinweisen auf den ersten Band. Die Seelenwanderung sowie die feindliche Übernahme von Persönlichkeiten in ihren Körpern ist dort ausführlich beschrieben worden. Moriarty suchte einen neuen Weg, um nach seinem „Tod“ an den Reichenbachfällen wieder zurückzukommen.

„Sherlock Holmes und der Träumer“ ist der zweite Versuch. Moriartys Intention kann nur scheitern, weil ihm weniger Sherlock Holmes als sein eigenes Ego im Wege steht. Ohne eine derartige Spur zu hinterlassen wäre Sherlock Holmes erst spät, vielleicht sogar zu spät auf den eigentlichen Plan gestoßen und Moriarty hätte vor allem dem britischen Empire einen nicht mehr zu reparierenden Schaden in einer absolut sicheren Position zufügen können. Normalerweise wäre dann der nächste Schritt gewesen, die eigenen Taschen wieder zu füllen.

So macht die Vorgehensweise nur einen Sinn, wenn Moriarty Sherlock Holmes präzise mit der Vollendung seines perfiden Plans hätten vernichten wollen. Stattdessen versucht er den Detektiv zu täuschen und die hilflose Situation Mycrofts in dessen plötzlich viel zu leicht zu findenden Gefängnisses auszunutzen. Dabei unterschätzt Moriarty die Bindung zwischen zwei Brüdern und macht einen verbal unverzeihlich und leicht zu durchschauenden Fehler.

Ab diesem Moment ist es im Grunde nur noch eine Abwicklung der Konfrontation. Der Widerstand Mycroft Holmes gegen seinen Entführer ist zwar pointiert beschrieben worden, bürgt aber keine originellen oder persönlichen Merkmale.

 Als Roman lässt sich der Plot nicht von „Sherlock Holmes und der Wiedergänger“ trennen. Viele der übernatürlichen Entwicklungen werden in diesem Buch etabliert. Aber auch hier wirkt das Ende der Geschichte ein wenig bemüht, zumal die Wurzeln des zweiten Abenteuers in einer offensichtlich falschen Interpretation der Abläufe bestehen. In beiden Büchern muss sich ein  relativ unwichtiger Nebencharakter entweder opfern oder er wird getötet. Verschiedene bedingte Fluchtszenarien können nicht funktionieren und Moriarty agiert für eine nochmalige Erfolg oder Tod Situation zu unstetig.

Die Motive des Napoleons der Verbrecher sind klar wie gefährlich. Wie angedeutet ist der Weg erstaunlich umständlich und verschiebt den Fokus vielleicht auch genretechnisch bedingt in den Bereich der interessant gestalteten Schnitzeljagd, die aber kritisch gesprochen nicht notwendig ist und vor allem abschließend kontraproduktiv wirkt.

Sherlock Holmes und Doktor Watson haben im Grunde nur die Aufgabe, den einzelnen Hinweisen zu folgen. Zu Beginn steht die obligatorische Deduktionsszene, mit welcher Sherlock Holmes seinen neuen Klienten beeindruckt. Doktor Watson ist aber mehr als ein Stichwortgeber. Dank seiner Aufzeichnungen fällt das letzte Puzzlestück in Sherlock Holmes Hände und er kann im Grunde den Weg buchstäblich abkürzen, ohne den kryptischen Hinweisen zu folgen.

Das eigentliche Finale besteht dann auch nicht aus einer Konfrontation im Diesseits, sondern eher in einer Art mystischen Nirvana, in dem alles beschworen und manifestiert werden kann, aber nur die Niederlage Moriartys „real“ ist. Zwar verstecken sich in der Handlung neben der Anspielung auf die Baskervilles und ihren Hund auch Anspielungen auf die von Arthur Conan Doyle beschriebene Auseinandersetzung an den Reichenbachfällen, aber in diesen Szenen springt der Funke nur bedingt auf den Leser über.

Moriarty als Charakter ist nur bedingt einzuschätzen. Seine Arroganz, sein Wille zu dominieren und vor allem seine Großmannssucht in der direkten Auseinandersetzung mit zwei Holmes auch noch an zwei Fronten sind klassische Züge, die der Autor gut herausarbeitet. Alleine der Weg zu diesem Finale ist zu hinterfragen.

In seiner ganzen viktorianischen Pracht oder auf der anderen Seite seinem Arbeitermilieuelend dient London als überzeugende Kulisse dieser kompakt wie rasant geschriebenen Geschichte, deren erste Hälfte in allen Punkten überzeugt und Sherlock Holmes/ Doktor Watson entweder mit einem perfiden Mathematiker als Täter oder tatsächlich übernatürlichen Ereignissen konfrontiert, während der Autor im zweiten Teil des Buches zu stark bekannten aus „Sherlock Holmes und der Wiedergänger“ vertrauten Mustern setzt. Und das nimmt dem Buch einen Teil seiner bizarren Einzigartigkeit.

William Meikle
SHERLOCK HOLMES UND DER TRÄUMER

Band: 28, Historischer Kriminalroman
Seiten: 172 Taschenbuch
ISBN: Exklusive Sammler-Ausgabe

Blitz- Verlag

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