Die biologische Invasion

David Gerrold

Als E Books legt der Heyne Verlag leider nur die ersten, in den achtziger Jahren schon veröffentlichten Romane der „The War against the Chtorr“ Serie David Gerrolds neu auf.

 Der Amerikaner hat Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre zwei weitere Romane in den USA veröffentlicht. Sowohl „A Rage for Revenge“ (1989) wie auch “A Season for Slaughter” (1993) sind nicht mehr übersetzt worden.

 In den folgenden Jahren hat David Gerrold immer wieder angedeutet, an den mindestens zwei weiteren Büchern zu arbeiten. Auch die Idee einer Fernsehserie spielte eine Rolle. Aber als einzige Publikation erfolgte in „Entanglements and Terrors“ 2015 aus Auszug aus dem fünften Band „Method for Madness“. 2009 publizierte David Gerrold noch die alleinstehende Kurzgeschichte „Enterprise Fish“.

 Daher ist es ein ambivalentes Vergnügen, eine Serie zu beginnen, die der Autor aus diversen Gründen nicht abgeschlossen hat. Bei einer fortlaufenden Story ist es doppelt schwer, während eine Vielzahl von in sich abgeschlossenen Büchern wahrscheinlich noch akzeptabel gewesen ist.

 Im Original heißt der erste Roman „A Matter for Men“. Vielleicht eine ironische Anspielung auf die klassisch klischeehaften Invasionsgeschichten, denen David Gerrold zumindest in der Theorie einen Gegenentwurf entgegenhalten wollte. Da aufgrund der Unabgeschlossenheit der gesamte Plot nicht zu beurteilen ist, lohnt es sich auf die individuellen Stärken und leider auch zahlreichen Schwächen der beiden Romane einzugehen.

 Zahlreiche Seuchen – eine Anspielung auf Stephen Kings „The Stand“ und andere Doomsday Romane – haben die Menschheit drastisch reduziert. Einzelne Horde der Zivilisation gründen sich wieder. Jim McCarthy wird quasi von der Universität weg zu einer geheimen militärischen Operation abberufen. Überall auf der Erde tauchen bizarre Tiere auf, welche nicht evolutionär einzuordnen sind. Anscheinend sind außerirdische Wesen, die entfernt an überdimensionale Würmer erinnern, auf der Erde gelandet.

 Anscheinend soll die Erde von den Fremden an die eigenen Lebensbedingungen angepasst werden. Der Mensch ist nicht mehr die Spitze der Nahrungskette und muss vor allem durch die Seuchen zahlentechnisch reduziert und technisch in die Ecke gedrängt ums Überleben kämpfen.

 Zu den Stärken gehört die Grundidee. Die Erde wird zwar von den Fremden verändert, aber wie in der legendären Fernsehserie „The Invaders“ gibt es keine echten Spuren für ein großflächiges Wirken der Fremden. Keine technologischen Hinweise, nur die biologischen „Beweise“ der Existenz fremder Wesen auf der Erde. Das macht eine Bekämpfung sehr viel schwieriger als in den typischen Invasionsgeschichten.

 Leider weiß David Gerrold mit der grundlegenden Prämisse wenig anzufangen. Er lässt seine Protagonisten vor allem im ersten Band darüber spekulieren, warum diese mögliche Assimilation so erfolgreich sein könnte. Dabei macht der Amerikaner den klassischen Denkfehler, das die Zivilisation der Chtorr sehr viel älter als die der Menschen ist. Dadurch haben sie den Vorteil, das sie effektiver und vor allem durchschlagender sich an neue Welten und damit auch andere Lebensbedingungen anpassen und aus dieser Position der „Stärke“ heraus die Erde verwandeln können. Leider folgt der Autor seiner Begründung nicht.

 Evolution ist grundlegend ein fortlaufender Prozess, in welcher sich die stärkere Rasse durchsetzt, in dem sie in einem vorhandenen und markanten ökologischen Bereich die schwächeren Lebensformen entweder verdrängt oder vertilgt. Wenn sich die Grundlagen stark verändern, ist die Adaptionsfähigkeit gefragt. Ein klassisches Beispiel ist der Untergang der Dinosaurier, die sich nicht mehr den Lebensbedingungen anpassen konnten.

 Im vorliegenden Roman fängt die Veränderung der Erde langsam, aber für die Menschen erkennbar ist. Aber es ist noch kein grundlegend neues ökologisches System entwickelt worden, das es den Menschen nicht mehr möglich macht, zu überleben. Bei dieser Prämisse ist es irrelevant, ob die Chtorr die ältere oder stärkere Zivilisation darstellen. Es findet in diesem Buch der immer wieder beschworene grundlegende Überlebenskampf noch nicht statt. Natürlich haben die Chtorr auf der Erde keine natürlichen Feinde – die Menschen spielen in dieser Rechnung nur eine untergeordnete Rolle – und könnten sich expotentiell vermehren. Aber auf der anderen Seite macht David Gerrold deutlich, das sie die Erde noch ihrem natürlichen Lebensraum anpassen müssen und deswegen sich nicht klassisch vermehren können.

 Alleine die Idee, das die Flora/ Fauna der Chtorr ein wenig mehr rotstichig auch als Hinweise auf die Beschaffenheit ihres Sonnensystems ist, reicht nicht aus. Die grundlegende Prämisse ist in der Theorie originell und stellt eine Reihe von auch anders herum arbeitenden Terraforming Szenarien auf den Kopf. Aber David Gerrold hat zu Gunsten seiner auch von Action getriebenen Geschichte das Problem, das alles im Zeitraffer ablaufen muss. Dadurch unterminiert er seine eigene Ausgangsbasis und macht den Hintergrund der Geschichte eindimensionaler und vor allem simpler als er eigentlich sein könnte.

 Positiv ist, dass David Gerrold vor allem durch seine Science Fiction Romane der siebziger Jahre als provokanter Autor gewachsen und sich nicht zu schade ist, atypische Protagonisten zu entwickeln, die keinem der Heldenklischee entsprechen. Jim McCarthy ist kein wirklich nachhaltiger netter Mensch. Viele seiner Verwandte sind früh in seinem Leben gestorben. Er ist also nicht behütet aufgewachsen. Wie viele David Gerrold Charaktere hat er sich nie mit seinen Eltern aussprechen können und leidet deswegen unter Schuldgefühlen. Hinzu kommt, dass er sich seiner Sexualität noch nicht sicher ist.

 Militärisch unerfahren stößt er immer wieder seine Vorgesetzten vor den Kopf. Dabei hilft ihm allerdings auch der Autor, in dem David Gerrold auch aufgrund einer gewissen Abneigung gegen die strenge wie stoische Hierarchie der Militärs Jim McCarthy bornierte bis dumme Menschen/ Soldaten/ Offiziere gegenüber stellt. Jim McCarthy ist der einzige Querdenker in diesem Buch, der erst ein wie oben beschrieben eingeschränktes Verständnis den Fremden gegenüber sucht, bevor er zu den Waffen greift und seine Heimat zu verteidigen sucht.

 Jim McCarthy muss also einen klassischen Dreifrontenkrieg führen. Gegen die eigenen emotionalen Widerstände; seine Vorgesetzten in der Versuchsanstalt in Colorado und schließlich auch gegen die Chtorr. David Gerrold nimmt sich in diesem ersten Band sehr viel Zeit, um gerade seinen Antihelden dreidimensional mit allen Ecken und Kanten, aber auch einigen sympathischen Charakterzügen zu entwickeln. Getrieben von gut geschriebenen Dialogen, die erst im Laufe des zweiten Buches cineastischer, aber auch schlampiger werden, entwickelt der Autor sein bizarres, teilweise groteskes Szenario konsequent und für den Auftaktband einer Serie mit entsprechendem Tempo.

 Auch wenn David Gerrold nicht alle Klischees der Invasionsgeschichte vermeiden kann, bemüht er sich abseits der evolutionären Logik auf sehr schwankenden Beinen eine originelle Variante dieses Themas zu präsentieren, so dass sich beginnend mit dem vielleicht in mehrfacher Hinsicht ironischen Titel der Originalausgabe „Die biologische Invasion“ relativ flott und inhaltlich zumindest zufrieden stellend liest.

Die biologische Invasion: Der Krieg gegen die Chtorr, Band 1 - Roman

  • ASIN : B0719715TJ
  • Herausgeber : Heyne Verlag (13. Juni 2017)
  • Sprache : Deutsch
  • Dateigröße : 1614 KB
  • Text-to-Speech (Vorlesemodus) : Aktiviert
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  • Seitenzahl der Print-Ausgabe : 429 Seiten