Portal der Welten

Adrian Tschaikovsky

Für seine letzten Science Fiction Bücher ist Adrian Tschaikovsky mit den wichtigsten britischen Science Fiction Preisen ausgezeichnet worden. Auch sein neues Buch „The Doors of Eden“ – der Titel ist im Grunde blanke Ironie – wird sicherlich bei den britischen Preisverleihungen weit vorne sein, auch wenn der Plot und die Erzählstruktur über eine Reihe von Ecken, Kanten und Angriffspunkten verfügt. Am ehesten lässt sich die Grundidee mit verschiedenen Parallelwelten und deren auf mathematischen Formeln basierenden Entstehungen mit der fünfteiligen „Long Earth“ Serie aus der Feder der beiden ebenfalls britischen Autoren Terra Pratchett und Stephen Baxter vergleichen. Nur das Adrian Tschaikovks viele Ideen seiner literarischen Idole wie Mervyn Peake und Clive Staples Lewis Narnia, aber auch Douglas Adams 42 auf die abschließende Frage eingebaut hat. Seine vielschichtigen exzentrischen und eckigen Charaktere sind sich ihrer literarischen Wurzeln durchaus bewusst und je weiter diese bunte Handlung aus fiktiver Evolutionsgeschichte und Rettung-alle-bekannten-Universen fortschreitet, um so mehr versuchen die Figuren die Begegnungen mit fremdartigen, aber immer wieder aufs Begreifliche reduzierten Wesen literarisch nicht nur für die Leser, sondern vor allem für sich selbst zu umschreiben. Dinosaurier können sogar mit Menschen eine Art Partnerschaft eingehen, denn Menschen haben Hände. So pragmatisch eindimensional die Szenen auf den ersten Blick wirken könnten, so effektiv baut Adrian Tschaikovsky sie in eine Buch ein, das aus einigen bekannten Segmenten besteht, die sich wundersamer weise am Ende als etwas Eigenständiges entpuppen.

Ambitioniert, aber jederzeit nachvollziehbar greift der Autor auf insgesamt sechs Handlungsbögen bzw. Erzähler zurück. Zu Beginn ist er bereit, einzelnen Szenen aus unterschiedlichen Perspektiven zweimal zu erzählen. Im Grunde geht es ihm aber bei dieser Struktur nur darum, die einzelnen Protagonisten quasi in Stellung zu bringen und während des temporeichen, ein wenig chaotisch erscheinenden Finals eine Art Squad Team aus Intellekt und Kraft zur Verfügung zu haben. Verbunden werden die einzelnen Kapitel durch ein absichtlich augenzwinkerndes evolutionäres Intermezzo, quasi den absurd erscheinenden wissenschaftlichen Faden, der mehr als eine Evolutionsgeschichte ist. Während sich die Protagonisten auf der langen Erde nur west- oder ostwärts bewegen und damit von einer Welt zur Nächsten schreiten können, sieht Tschaikovsky die verschiedenen Welten als Teil eines Baumes und die Portale zwischen den Welten als Türen zwischen einem mächtigen Geäst an. Trotz der das Tempo ein wenig verringernden evolutionären Theorie mit vielen, aber kurz erklärten Exkursen hat Tschaikovsy einen letzten Trumpf im Köcher. Das Leben auf der Erde ist nicht so entstanden, wie es die Kirche, aber auch die „Biologie“ gerne hätte. Damit schlägt er quasi im Nebensatz einen Bogen zu den verschiedenen Verschwörungstheorien, die immer wieder behaupten, ein komplexes ökologisches System wie auf der Erde kann nicht durch Zufall entstanden sein.

Allerdings negiert Adrian Tschaikovsky diese Idee an einer anderen Stelle wieder, wenn er den „Schurken“ bodenständige Motive unterstellt, welche nicht nur im Science Fiction Genre, sondern auch der Fantasy einen inzwischen schon sehr langen Bart haben.  Da helfen auch nicht zahlreichen Anspielungen von Lewis/ Peake über Douglas Adams bis schließlich zu Michael Crichtons „Jurassic Park“ oder im Grunde dem Rattenfänger von Hameln nichts. Sowohl verschiedene Parallelwelten inklusiv entsprechender Tore oder die allgegenwärtige Quantencomputertheorie  als vordergründige wissenschaftliche Erklärung sind nicht ausreichend, um die pseudowissenschaftlichen Thesen nicht nur der transsexuellen mathematischen Koryphäe zu unterminieren. Hinter dem ohne Frage grandiosen Mantels eines Epos macht es sich der Autor abschließend in diesen Punkten zu leicht.

Manche Vertrautheit versucht der Autor über eine Handvoll dreidimensionaler, aber eben nicht „normaler“ Protagonisten auszugleichen. Da wären gleich zu Beginn die beiden besten Freundinnen und später Geliebte Lee und Mal. Sie haben sich zum Hobby gemacht, nach seltsamen Orten und Geheimnachrichten zu suchen. So befinden sie sich auf der Suche nach den Vogelmenschen im Bodmin Moor. Nur Lee kehrt zurück, Mail verschwindet spurlos. Erst vier Jahre später findet die verzweifelte und am Leben verzweifelnde Lee eine Spur. Dieses klassische, eher an eine Mysterie Geschichte den einen Science Fiction Roman.

Kay Amal Khan arbeitet zwar für die britische Regierung, aber ansonsten ist die transsexuelle Wissenschaftlerin nicht nur einer der drei größten Mathematiker des Planeten Erde, sondern ein klassischer Freigeist, der/die sein/ ihr Engagement bei der Regierung bereut. Als sie angegriffen wird,  soll sich der Geheimagent  ihrer Majestät Julian Sabreur um  sie kümmern. Sabreur träumt davon, wie James Bond zumindest das britische Empire, aber nicht unbedingt die Welt zu retten. Allerdings ist er beim Inlandsgeheimdienst und seine Arbeit besteht meistens aus der Analyse von Texten. Auch wenn er in einer Beziehung ist, hat er sich vor vielen Jahren in eine gute Freundin verliebt. Platonisch sind die beiden nicht mehr ganz jungen Menschen am Liebsten in deren Wohnung zusammen.

Lee und Mal haben zu Beginn des Buches und am Ende ein gutes Team gebildet. Immer ein wenig skeptisch, aber durchaus auch unvorsichtig stolpern sie über Dinge, die normalerweise reißerisch auf der letzten Seiten der Boulevardzeitungen ausgeschlachtet werden. Interessant ist, dass sie vor allem auf den anderen Welten eben nicht nur auf Dinosaurier, sondern vor allem auch die klassische Monster stoßen. Einige der Anspielungen auf die britische Gruselgeschichte kann der Leser leicht nachvollziehen, andere Hinweise versteckt der literarisch ambitioniert zitierende Tschaikovsky sehr viel besser. Der Leser muss sich selbst die Frage stellen, ob ihm Science Fantasy in der Tradition der Romane um die lange Erde; klassische wissenschaftliche Science Fiction wie in „Der Spalt“ von Peter Clines oder Patrick Lees „Die Pforte“ oder eine Mischung aus vielen wissenschaftlich eher bemüht entwickelten Theorien mit Monstern der bekannten Literatur wichtiger sind. Die Ergebnisse der letztgenannten Romane sind leider alle gleich.

Sabreur und Khan sind dagegen ein anderes Kaliber. Als eine der wenigen nicht unbedingt originellen Wendungen des Buches erkennt Khan, dass es unzählige Welten quasi Tür an Tür gibt. Diese Orte sind an sich voneinander isoliert, aber die „Wände“ werden dünner und es kommt zu immer mehr Durchbrüchen. Manche nutzen diese Brüche nur, um das eigene Volk mit Nahrung aus nicht unbedingt der Nachbarschaft, aber der nächstliegenden Erde zu versorgen. Andere planen die Expansion des eigenen „Volks“ und damit folgerichtig, wenn auch wenig Originell der natürlich von den Menschen bewohnten Erde. Gegen die durchaus den Menschen in einer anderen Rolle bekannten Invasoren haben die Menschen zahlenmäßig keine Chance, alleine ihre überlegene Technik könnte sie retten.

Positiv ist, dass Tschaikovsky seine Leser quasi überfährt und überrascht. Was als Geschichte eines verschwunden Mädchens ohne weitere Erklärungen aus dem Off beginnt und nur von einer interessanten, aber immer bizarrer werdenden Evolutionsgeschichte als Intermezzo unterbrochen wird, endet schließlich in einem grandiosen Weltrettungsszenario, das in einer weiteren Wendung allerdings zu einem klassischen Konflikt zwischen einer Handvoll Antihelden und einem allgegenwärtigen Schurken mit einem Hang zur Selbstüberschätzung und damit auch der Tendenz  seinen Plan ausführlich nicht nur den Lesern, sondern kurz vor deren geplanter Ermordung auch den „Helden“ zu erzählen, beinhaltet. Sehr viel mehr Klischee inklusiv der Auflösung geht nicht mehr.     

Auch wenn viele Wendungen bekannt und das Ende ein wenig zu abrupt sowie viel zu glatt ist, überzeugt Tschaikovsky durch den Mut, eine bekannte Geschichte ein klein wenig anders, vielleicht nicht unbedingt origineller, nur eben anders zu erzählen. Der Leser braucht einige Zeit, um sich an die Protagonisten zu gewöhnen und sie als abgerundete Charaktere mit sehr vielen Ecken und Kanten, aber auch menschlichen Stärken und Schwächen zu akzeptieren. Die Schurken wirken deutlich eindimensionaler, weniger ausgereift und eher am Plot pragmatisch entwickelt.

„ Portal der Welten“ ist nicht Adrian Tschaikovskys stärkstes Buch. Zu vieles im Hintergrund kommt dem Leser vertraut vor, zu sehr baut der Autor auf semimathemische Thesen und weniger nachvollziehbare Technik. Eine der besuchten Parallelwelten ist allerdings faszinierend, auch wenn sie eher rudimentär über das Notwendigste hinaus entwickelt worden ist. Aber mit wenigen Federstrichen zeigt der Autor den soziologischen Unterschied, auf dem die Entwicklung dieser Welt basiert. Jeden dieser Gedanken kann der Leser nachvollziehen. Aber anschließend verfällt er wieder auf bekannte Handlungsmuster und wie schon erwähnt, wirkt die Bedrohung aller Welten durch die zusammenbrechenden Tore auf der einen Seite vertraut, auf der anderen Seite schließt er diesen handlungstechnisch durchlaufenden Faden dann innerhalb weniger Seiten unbefriedigend und eher pragmatisch als gut durchdacht ab. Aber mit einigen Längen ist der Roman auch in der deutschen Übersetzung stilistisch dank der pointierten Dialoge und einige kleineren Überraschungen zumindest in technischer Hinsicht gut zu lesen.

Portal der Welten: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (10. Mai 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 640 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453424905
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453424906
  • Originaltitel ‏ : ‎ The Doors of Eden