Reiner F. Hornigs „Das Geheimnis der toten Augen“ ist der vierte in sich unabhängige Roman mit neuen Abenteuer im Edgar Wallace Stil. Und doch gibt es Verknüpfungen nicht nur zum britischen Bestsellerautoren, sondern auch den ersten beiden Jugendbuchnachdrucken in dieser Serie. Bryan Edgar Wallace spielt in Rainer F. Hornigs Buch eine aktive Rolle. Aus Dietmar Küglers Jugendbüchern „Edgar Wallace löst den Fall“ hat Reiner F. Horning indirekt die Figur des Ebenezer Pommerys übernommen, der damals dank der teilweise parallel laufenden Lektüre von Edgar Wallace Büchern schwierige Kriminalfälle lösen konnte. Jetzt steht sein Sohn Ebenezer Pommery jr. Im Mittelpunkt des Geschehens. Wie sein Vater arbeitet er für Scottland Yard, aber im Gegensatz zu seinem Vater ist er kein derartig intimer Kenner der Werke des Meisters und einen Teil der aktiven Ermittlungs- und Kombinationsarbeit vor Ort muss seine attraktive und natürlich in den jungen Mann verliebte Assistentin übernehmen.
Jedes der Kapitel besteht aus einem Buchtitel Edgar Wallace. Hinzu kommen, wie der Autor in seinem Nachwort ausführt, umfangreiche historische Recherchen bei den in Deutschland spielenden Orten. Ein Flugzeugabsturz wurde in der Zeit ein wenig verlegt und zwei Überlebende gestrichen, damit diese Prämissen in seine kompakte, lange Zeit auch sehr spannende und trotzdem alle fast zum Klischee gewordenen Momente eines Edgar Wallace streifende Geschichte passen.
Rainer Frank Hornig erblickte Anfang der siebziger Jahre in einer Kleinstadt im Hochschwarzwald das Licht der Welt. Vor allem in der Regenbogenpresse veröffentlichte er eine Reihe von Kurzkrimis, die mit anderen Autoren zusammen auch als Ebooks neu erschienen sind. Anfang 2021 erschien mit „Wächter der Zukunft“ sein erster Science Fiction Roman als E- Book, kurz darauf der hier präsentierte Edgar Wallace Roman.
Die Geschichte beginnt im berüchtigten Gefängnis von Dartmoor. Ein mehrfacher psychopathischer Mörder entkommt auf eine perfide Art und Weise. Auch weiterhin pflastern Leichen auf seiner Fluchtroute den Weg. Von Scottland Yard wird Ebenezer Pommery junior angefordert. Seine Assistentin begleitet ihn.
Der Auftakt mit dem mordenden Butler ist klassischer Edgar Wallace. Auch wenn viele relevante Ereignisse nur aus dem Off den Protagonisten und den Lesern berichtet werden, spielt Reiner F. Hornig das ganze Wallace Instrumentarium bis zur Eingliederung des Sohns – ebenfalls ja ein erfolgreicher Schriftsteller, der nicht selten wie der Vater cineastische B Film Ehren erhalten hat – durch.
Die Spur führt schließlich nach Deutschland zu einem brutalen Diamantenraub vor vielen Jahren. Die Beute ist nicht wieder aufgetaucht, die Täter gelten als tot, zumal drei der Attentäter aus einem Fluss offensichtlich ermordet gezogen werden.
Ab diesem Moment beginnt die eigentliche Arbeit des Inspektors, zu der positiv im Gegensatz zu Dietmar Küglers abschließend zu stereotyp gestalteten Vorlagen nicht immer wieder den Meister zitiert. Reiner F. Hornig geht sogar fremd, in dem Pommery an einem Abendtreffen von örtlichen Amateurdetektivin ausführlich aus einem der markanten Roman des britischen Krimischriftstellers John Dickson Carr zitiert und so der versammelten Gruppe ein Rätsel zu knacken gibt. Aber auch solche Ablenkungen fügt der Autor abschließend wieder auf eine interessante und vor allem auch Pommery ein wenig blamierende Art und Weise wieder in die laufende Geschichte ein.
In Deutschland selbst spielt ein altes Schloss mit seine langen Geschichte eine wichtige Rolle. An diesem Ort kann sich der Autor mit einer Mischung aus dem gut präsentierten historischen Wissen bis zur Beheizung der Waschtürme gut ausleben, auf der anderen Seite gibt es ausreichend „Platz“, um weitere brutale Morde zu begehen. Immer wieder spielt das ein teurer Füllfederhalter mit den Initialen Bryan Edgar Wallace eine wichtige Rolle. Reiner F. Horning löst diesen Handlungsstrang zwar am Ende des Buches ein wenig zu abrupt und im Kern distanziert auf, aber beim Leser bleibt das unbestimmte Gefühl zurück, als würde der Band auch sehr gut ohne diese offensichtliche Hommage an den berühmten Schriftsteller funktionieren. Denn der Täter macht sich diese Wahnidee abschießend nur zu eigen, um eine Obsession zu befriedigen. Zwar gibt es einen Bezug direkten Bezug zu Edgar Wallace manchmal an eine Achterbahn zwischen Triumph und Tragödie erinnernden Leben, aber grundsätzlich hätte die Geschichte auch sehr gut ohne diese Idee funktioniert.
Der abschließende Hinweis auf den Verbleib des legendären Bernsteinzimmers wird leider nicht bis zum Ende durchgespielt, sondern dient eher als eine Art Ablenkung hinsichtlich der Identität des Mörders. Alle fehlenden Informationen liefert der Täter Pommery und Co. selbst auf dem Silbertablett in einer Szene, welche dem Roman abschließend das Tempo nimmt. Zu diesem Zeitpunkt bestand nicht einmal die Notwendigkeit des beschriebenen drastischen Vorgehens, auch wenn die Bewegungsmusters der betreffenden Person angesichts der wenigen verbliebenen Charaktere des Buches ihn schon mehr als verdächtig machen.
Das Finale wirkt rückblickend ein wenig zu schematisch. Die Rettung in letzter Sekunde durch zwei komplett neue Protagonisten aufgrund nicht einmal eines Verdachts, sondern eines Gefühls erscheint eher aus der literarischen Not heraus geboren als wirklich konsequent in der Tradition der beiden Wallace Schriftsteller entwickelt. Es ist aber auch die einzige wirklich auffällige Schwäche einer gelungenen Hommage an die britischen Vorbilder.
Im Gegensatz zu den stringenten, manchmal ein wenig zu kargen Edgar Wallace Thrillern kombiniert Rainer F. Hornig zahlreiche atmosphärisch interessante Actionszenen – beginnend mit dem britischen Nebel um das berüchtigte Gefängnis Dartmoor inklusiv der „Leiche“ im Schrank über tote Frauen auf der Burgturmtreppe liegend bis zum im Keller mit einer Leiche eingeschlossen zu sein - mit dem prallen Leben in seiner Heimat. Da wird nicht nur das Kuchenbuffett in einem wahrscheinlich regional bekannten Cafe geplündert. Jeden Abend ein schönes Gläschen Wein, lokale Spezialitäten zum Essen und immer wieder Exkurse in die Landschaft. Natürlich nur, um den Fall zu lösen, während die attraktive Assistentin nicht nur einmal, sondern mehrmals dem nicht nur kriminaltechnisch, sondern auch emotional wirklich begriffsstutzigen und alle britischen Klischees verkörpernden Pommery auf die Sprünge helfen muss.
Zusammengefasst ist „Das Geheimnis der toten Augen“ über weite Strecken weniger eine gute Hommage an Edgar Wallace und seine zahlreichen Thriller, sondern für sich alleinstehend auch ein gut geschriebener Roman, der auf einen auch zeitlich umfangreichen und teilweise bizarren Diamantenplot zurückgreifen kann. Viele Elemente der Wallace Thriller hat der Autor manchmal ein wenig überraschend, aber immer auch gut passend in die deutsche Provinz der wahrscheinlich späten sechziger Jahre – so erscheint es durch die Hinweise über das Bernsteinzimmer – oder vielleicht frühen siebziger Jahre übertragen, um dann einen Plot zu entwickeln, der am Anfang noch ein wenig umständlich und unnötig kompliziert eröffnet wird, aber spätestens mit der Fokussierung auf einen einzelnen Handlungsstrang nach dem ersten Drittel des Buches nicht nur gut unterhält, sondern die Sehnsucht nach wenigstens den alten deutschen Wallace Streifen der sechziger Jahre wieder weckt.