Der Koloss im Orbit

Jacqueline Montemurri

„Der Koloss aus dem Orbit“ ist die überarbeitete Romanfassung zweier Kurzgeschichten, die Jacqueline Montemurri im „Exodus“ Magazin veröffentlicht hat. Für eine der beiden Geschichten erhielt die Autorin den Kurd Laßwitz Preis. Auch wenn die Texte für die Romanveröffentlichung grundlegend überarbeitet und in den späteren Spannungsbogen eingebaut worden sind, bilden sie gleichzeitig auch den besten Abschnitt des Romans.

Der Koloss umkreist seit einigen Jahren die Erde. „Niemand“ weiß, woher er kommt und ob es sich um ein außerirdisches Artefakt handelt. Er reagiert auf keine Kontaktaufnahme und agiert auch nicht. Ein Konglomerat hat die Rechte an dem Koloss erworben, obwohl in dieser Konstellation gar nicht feststeht, wer beugt ist, diese Rechte zu verkaufen. Man entschließt sich, eine Art Team der Verzweifelten auszuschicken.

Die Journalistin Dysti hat jahrelang von der Popularität des Koloss im Orbit gelebt. Sie hat immer wieder irgendetwas über das Ding berichtet. Inzwischen ist das Interesse nicht nur an dem Koloss, sondern vor allem auch an der inzwischen drogensüchtigen Dysti in der Öffentlichkeit verklungen und sie hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.

Aber aus dem Nichts heraus erhält sie ein Angebot. Die Firma will ein kleines Team in den Orbit schicken, das in den Koloss eindringen soll. Zum Team gehört auch der Cyborg Soldat Xell. Kaum an Bord des Kolosses machen sie eine überraschende Entdeckung.

Die beiden Kurzgeschichten lebten davon, dass der Koloss gigantisch und geheimnisvoll gewesen ist. Wie Arthur C. Clarkes „Rama“, wie Nivens „Ringwelt“ oder Frederik Pohls „Gateaway“ oder Bob Shaws „Orbitsville“. Gigantische Objekte, die stoisch und seit Jahrhunderten unberührt darauf warten, dass eine gruppe von nicht perfekten Wissenschaftlern, Astronauten oder auch Soldaten sie untersuchen und quasi dem Menschen „unterordnen“.

Diese Idee gibt die Autorin nach fünfzig Seiten auf und bringt sich damit auch ein wenig in Schwierigkeiten. Ein aufmerksamer Leser wird am Ende sehr viele Fragen haben. Da wäre die Idee, dass „es“ nur in eine Richtung geht.  Aus welcher Richtung ist dann der Koloss gekommen? Weiterhin ist die Idee unglaubwürdig, dass die Regierungen in ihrer paranoiden und vor allem von Montemurri mehrfach im Verlaufe des Buches betonten paranoiden Haltung eine derartig gefährliche potentielle Waffe aus den Augen lassen.

Bezüglich der Herkunft erscheint es ebenfalls unwahrscheinlich, dass so etwas Gigantisches quasi im Hinterstübchen entwickelt werden kann. Niemand soll wirklich etwas bemerkt haben? Unwahrscheinlich bis unglaubwürdig.

Je mehr Informationen die Autorin am Ende der vielleicht ersten fünfzig Seiten offenbart, umso mehr raubt sie sich ihrer eigenen anfänglich faszinierenden Schöpfung.   

Nach den fünfzig Seiten kommt es zu einem Zeitsprung und vor allem Dysti und Xell finden sich in einer archaischen Zukunft wieder. Der Leser muss sich positiv auf ein neues Szenario einstellen. Positiv auch für die Autorin, die mit einem wild romantischen Post Doomsday Road Movie den Roman fortführt.

Lange Zeit können vor allem Dystie und Xell nur reagieren. Sie werden gefangen genommen und können aus dem primitiven Lager fliehen. Sie stranden an Bord eines in der Wüste liegenden ehemaligen Kreuzfahrtschiffs, auf dem die Menschen eine Art kommunistische Kommune gegründet haben, in welcher die einzelnen Mitglieder nicht unbedingt mitarbeiten müssen, aber mitarbeiten sollten. Auch hier kommt es durch diverse Missverständnisse vor allem dem Cyborg Xell gegenüber zu verschiedenen Konflikten.

Im letzten Abschnitt des Buches  folgen Dystie und Xell einem jungen Mann, der ihnen geholfen hat. Zusammen mit einem Besorger ist er in der Wüste in die nächste „Stadt“ gezogen, um wichtige Teile einzutauschen. Dabei ahnte der junge Mann nicht, dass er ein Teil des Tausches sein sollte.

Der Gesamttext lässt sich aus unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachten. Die zukünftige Welt natürlich zusammengebrochen und über rudimentäre Reste der technischen Gegenwart verfügend wird von der Autorin mit einem Auge für die Details, aber leider auch dem Hang, auf bekannte Szenarien zurückzugreifen erzählt. Keine der sozialen Strukturen ist neu.  In jeder dieser „Welten“ ecken die Beiden auf unterschiedliche Art und Weise an. Jacqueline Montemurri trifft die richtigen Töne, aber viele der von ihr beschriebenen Actionszenen sind stereotyp. Vor allem, weil am Ende diese Reise angesichts der verschiedenen Gefahren in einem eher absurden Happy End endet. Auf der einen Seite wollen die Überlebenden neu anfangen und verfügen zumindest inzwischen dank eines Last Minute Geschenks über das notwendige Wissen, zum Anderen hat es sich aber schnell herumgesprochen, dass es dort an der Küste eine Art Paradies gibt und alte Bekannte treffen nach einer beschwerlichen Reise ein. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere ungeladene Gäste den Weg dahin finden. Und Xell/ Dystie haben absichtlich bei ihrer Flucht auf Waffen verzichtet.

Dazwischen beschreibt Jacqueline Montemurri die einzelnen Stationen teilweise ausführlich, aber der Spannungsbogen wirkt immer distanziert und zu stark konstruiert. Solange ein Autor oder Drehbuchschreiber zusammen mit seinem Regisseur die Exzentrik eines George „Mad Max“ Miller überbieten möchte, ist diesem Subgenre schwer etwas Neues abzugewinnen. Und die Autorin scheitert auf einem kurzweilig zu lesenden, vor allem angesichts der interessanten Exposition enttäuschenden Niveau.

Die Charakterisierung der einzelnen Protagonisten ist ambitioniert, aber leider auch nicht wirklich zufriedenstellend. Dystie ist drogensüchtig, hat das Selbstvertrauen in ihren Job verloren. Xell ist ein Soldat, eine kybernetische Tötungsmaschine, aber ja nach Moment mehr Mensch als Maschine, dann wieder andersherum. Beide sind gebrochene Protagonisten. Beiden Figuren legt die Autorin stellenweise sehr pointierte Sprüche in den Mund. Aber sie weiß auch nicht wirklich mit den Protagonisten viel anzufangen. Xell ist nicht nur der perfekte Soldat, sondern im Grunde der feuchte Traum eines jeden jungen Mädchens. Stark, ein Beschützertyp, dazu aufopferungsvoll und einfühlend. Und natürlich auch ein Mann, der sich vor der finalen Lebensaufgabe nicht scheut. Vielleicht sprechen diese Szenen Frauen mehr an als Männer, der eher auf „Terminator“ Typen stehen, aber da der mittlere Abschnitt der Reise die verschiedenen immer ausbaufähigen Hintergründe nur streifend höflich gesprochen langatmig erscheint, ermüden diese zusätzlichen die Seiten füllenden Exkursionen.

Dystie ist anfänglich ein typischer Zyniker. Vom Leben enttäuscht, beruflich aus ihrer Sicht gescheitert. Ob Andere die Schuld haben, diskutiert sie mit dem Leser nicht. Da Jacqueline Montemurri den Roman aus der Ich- Perspektive der Journalistin erzählt, wäre es notwendig gewesen, dieser wichtigen Figur mehr Tiefe zu geben. Positiv ist, dass Dystie nicht immer und überall aktiv in die Handlung eingreift und nicht selten bei Xell auf Hilfe von außen angewiesen ist. Negativ ist, dass die Autorin erkennt, dass sie mit der Figur nicht mehr anfangen kann. Sie drängt sie in den Hintergrund, schenkt ihr aber abschließend dank einer netten Geste des 250 Jahre als Arschloch lebenden Antagonisten einen Moment des Ruhms. Implantate vergehen eben nicht.

Alle anderen Nebenfiguren sind pragmatisch gezeichnet worden. Die Autorin neigt zu Wiederholungen. Kreuzigungen von Cyborgs ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung. Das Ausschalten dieser menschlichen Kampfmaschine(n) wird auf unterschiedliche Art und Weise beschreiben, aber entweder kommt mehrfach Hilfe aus dem handlungstechnischen Nichts oder Xell wird von seinen Gegnern unterschätzt. Letztes ist vielleicht auch einfach, weil er einen Prototyp darstellt, dessen menschliche Komponente nicht nur aus romantischer Sicht noch dominant sind.  Dabei greift die Autorin nicht nur einmal, sondern mehrmals auf „Deus Ex Machina“ Lösungen komplizierter, aber leider nichts auch komplexer Situationen zurück.  In diesem Punkt reicht das Spektrum von „Schurken“, die erkennen, dass Dystie/ Xell auch Respekt verdienen bis zu einer Art Emanzipation der Klone. In diesem abschließenden Kapital blüht die Autorin auch noch einmal auf und liefert ein kleines Feuerwerk von Wortgefechten. Pointiert, unterhaltsam, aber auch zur Sache beitragend. Diese Szenen finden sich immer wieder über den ganzen Roman verstreut und halten den Leser in den teilweise langatmigen und vor allem in einem zu trockenen Stil erzählten Passagen bei der Stange. 

Das Ende der Reise bürgt noch einmal einiges an Potential, aber Jacqueline Montemurri entschließt sich zu einer wenig überraschenden, unzählige Mal gelesenen oder angeschauten Auflösung. Die Barbaren stürzen den Rest der Zivilisation. Opfergang und dann überleiten zum Epilog.  Aber dieses Szenario ist bezeichnend für alle Schwächen des Buches. Mechanisch läuft der Plot ab, einzelne Szenen werden gut aufgebaut, aber niemals zufriedenstellend und vor allem in der Tiefe abgeschlossen. Weniger wäre mehr gewesen. Diese Tatsache ist aus einem anderen Grund mehr als erstaunlich. Bei ihren Beiträge zu Karl Mays „Magischen Orient“   ist ihr diese Balance gelungen. Abenteuer, Action und gut entwickelte, stetig überzeugende Hintergründe.

Auf die beiden Kurzgeschichten um den Koloss bezogen ist die Romanfassung leider eine Enttäuschung. Im Grunde erzählt die Autorin eine gänzlich andere Geschichte, die eher die Ausgangsbasis betreffend unlogisch und stark konstruiert, aber nicht wirklich entwickelt mit Überzeugung auf die ersten Texte verweist. Ein solcher Schritt kann auch mutig sein und neue Dimensionen öffnen, aber dazu ist der lange zweite Teil der Geschichte als Ganzes betrachtet viel zu schematisch und zu wenig originell. Als seichte Science Fiction Action mit einem leider nur angemessenen Tempo zufriedenstellend, Fans von großen fremdartigen Objekten sollten den Roman meiden und sich auf die beiden Kurzgeschichten konzentrieren.           

Der Koloss aus dem Orbit: Science-Fiction

  • Herausgeber ‏ : ‎ Plan 9 Verlag; 1. Edition (30. August 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 368 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3948700362
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3948700362