Gespiegelte Fantasie

Jörg Weigand und Michael Haitel

Im markanten Lila der Phantastischen Bibliothek des Suhrkamp Verlages präsentieren Jörg Weigand und Michael Haitel einen wirklich beeindruckenden Jubiläumsband zu Franz Rottensteiners achtzigsten Geburtstag. Im Gegensatz zu einer Reihe anderer Geburtsbücher aus diesem Verlag widerspricht der Inhalt den fast traurig klingenden Worten Jörg Weigands in seiner Einleitung, der einen mehr persönlichen Kontakt zu Franz Rottensteiner suchte über trotz einiger Treffen niemals fand. Beide sind seit Jahre Herausgeber zahlreicher Anthologien und Sachbüchern zu verschiedenen Themen, aber

Jörg Weigand zusätzlich im Gegensatz zum ausschließlich sekundärliterarisch agierenden Franz Rottensteiner auch noch Autoren. Beide bearbeiten unterschiedliche Flanken des großen Feldes Phantastik. Am Ende dieses Buches geht Alfred Vejchar auf die lange Freundschaft mit Franz Rottensteiner ein - Alfred Vejchar überreichte ja auch quasi an dessen acntzigstem Geburtstag das Büchlein - und zeigt ihn als einen eher wortkargen, aber sehr herzlichen Menschen. 

Dieter Braegs ausführliches Gespräch mit franz Rottensteiner aus dem Jahr 1996 - zwei Jahre später das erste Mal veröffentlicht - erschlägt in seiner Breite und vor allem auch Tiefe gleich die ersten Jahre im Fandom, aber niemals einem Science Fiction Club; die Entstehung des Quarber Merkurs inklusiv der markanten Namensgebung, die beratende Tätigkeit für verschiedene Verlage und schließlich auch den Streit mit Walter Ernsting, da Franz Rottensteiner Literatur in vor allem auch gekürzter Heftromanmanier nicht anerkennen wollte. Auf dieses Thema geht Alfred Vejchar in seinem Nachwort auch noch einmal kurz ein. Er sieht sich selbst mehr als SF Fan und damit Allesleser, während sich Franz Rottensteiner wie einige aus der Wiener Gruppe schnell auf die Originale konzentrierte und dadurch die bis zu Beginn der sechziger Jahre klassischen Publikationswege dieser Literaturgattung vor allem in Deutschland ablehnte. Beide bleiben aber gegenüber Franz Rottensteiner als Jubilar milde. Dass er dogmatisch gegen die Zeit mit Unterbrechungen der Quarber Merkur bis Mitte der neunziger Jahre und vor Übernahme der Technik durch den EDFC im Umdruckverfahren hergestellt hat, obwohl das für eine nicht illustrierte Literaturzeitschrift nicht notwendig gewesen ist, wird genauso wenig angesprochen wie die teilweise sehr dogmatischen, belehrenden und nicht immer objektiven Kritiken, die Franz Rottensteiner seit vielen Jahren schreibt. Auch wenn die “Quarber Merkur” des 21. Jahrhunderts eine deutlich altersmilde zeigen.  

Ulrich Blode berichtet wortreich und verklausuliert von einer Reise nach Quarb. Einem möglicherweise fiktiven Besuch im Hause Rottensteiners. Es finden sich unzählig viele Anspielungen auf die Bücher und Autoren in diesem sehr kurzen Text, die Franz Rottensteiner literarisch begleitet hat.  Quarb und das Haus am Abhang spielt auch in Hans Langsteiners Bericht eine wichtige Rolle. Kai Riedemann kämpft sich angereichert mit Zitaten durch das Berliner  Telefonbuch.   Auch Thomas le Blanc kann es nicht lassen, mit dem Begriff Quarb zu spielen. Allerdings greift der Herausgeber und Chef der Phantastischen Bibliothek Wetzlar nicht zum ersten Mal auf diese nach dem Prinzip des Duden gestaltete Art der Würdigung zurück. 

Das Buch durchzieht wie es sich für Geburtstagsbände gehört eine solide Mischung aus primären oder sekundären Erinnerungen. In einigen Beiträgen mischen sich diese Bereich. So nähert sich Robert M. Christ nur zaghaft dem Franz Rottensteiner an, während Helmut Ehls mit “Am Rande des Eisfelds” beginnend mit der eigenen Fandomvergangenheit über den in Osnabrück unterrichtenden Rainer Eisfeld schließlich den Bogen auch irgendwie und irgendwo zu Franz Rottensteiner schlägt. 

Rainer Eisfeld und Rolf Gindorf mit seinem aus dem Quarber Merkur Index nach gedruckten Erinnerungen an einen alten Kampfgefährten haben es deutlich leichter. Sie sind mit dem jungen Leiterstürmer Franz Rottensteiner und damit den entsprechenden Reaktionen aus dem Fandom quasi aufgewachsen. Rainer Eisfeld schreibt ausführlich über den jungen Kritiker Franz Rottensteiner, der immer wieder “wieder die Schundliteratur” proklamierte und nicht Phantasik (viele der Autoren gehen nur auf die Science Fiction ein) in  gebundener hochwertiger Form akzeptierte. Die Kritik an Walter Ernsting in seiner Doppelfunktion als Herausgeber und Vorsitzender des SFCD inklusiv der Legende um die Entstehung und den Verkauf seines Erstlings - es war nicht der erste Roman eines deutschen Autoren im Rahmen der Utopia Roman, aber der erste Band, bei dem mittels eines fiktiven Übersetzers vielleicht nicht nur die Leser, sondern auch der Verlag getäuscht worden sind - sowie dem auch von Rolf Gindorf angesprochenen Rottensteiner Boykott. Rainer Eisfeld sieht die eigentlich positive Ära der Science Fiction  erst beginnend mit den Herausgebern Fleissner, Jeschke und Rottensteiner 1969 - 1971. Dazu gibt Rainer Eisfeld abschließend noch einen guten Überblick über die verschiedenen Reihen. Rolf Gindorf ergänzt dessen Erinnerungen noch auf eine selbstironische Art und Weise. Auch Gindorf gehört allerdings weniger lautstark zu den stetigen Kritiken der gekürzten SF Literatur im Heftroman. Dazu finden sich eine Reihe von Zitaten aus heute nicht mehr zugänglichen Fanzines. Am Ende erkennt auch Gindorf, dass nicht alle Wege unbedingt nach Trantor führen, aber das die Interpretation von phantastischen Texten hinsichtlich der inhaltlichen Tiefe und auch der Befriedigung unterschiedlicher intellektueller Bedürfnisse nicht nur durch eine Tür erfolgen sollte. Auch wenn Franz Rottensteiner zusammen mit den später die SF- Times herausgebenden Kollegen eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Genre per se, aber auch den deutschen Veröffentlichungen in gekürzter Form erst ermöglicht hat.   

Neben den Erinnerungen an fandomlichen Mitstreitern finden sich in diesem Jubiläumsband allerdings nur zwei Stellungnahmen langjähriger “Mitarbeiter”. Herbert W. Franke hat nach seinem Abschied bei Goldmann in den lila Taschenbüchern ein neues Zu Hause gefunden. Thomas Franke schreibt ausführlich und manchmal das eigentliche Thema verfehlend über die Zusammenarbeit mit Franz Rottensteiner bei der Gestaltung der Suhrkamp Taschenbücher. Dann leitet er über auf die Strugatzkis, für die er immer wieder an einem Theaterstücke eines ihrer bekanntesten Bücher gearbeitet hat und geht auch auf Lem ein. Der dritte im Bundes könnte Dieter von Reeken sein, der drei Sammelbände mit teilweise thematisch verbunden Artikeln und Rezensionen veröffentlicht hat. Dieter von Reeken geht auch darauf ein, dass Franz Rottensteiner in den AN damals einer der ersten Autoren gewesen ist, der ausführlich Kurd Laßwitz wieder entdeckt hat. Eines der Herzstücke im eigenen Verlag. So schließt sich nicht nur bei Dieter von Reeken mancher Kreis. Auch Christian Hofmann zeigt auf, wie der Polaris Almanach als junger Mann seinen intellektuellen Kreis erweiterte und irgendwann irgendwie nicht nur zu einer intensiveren Beschäftigung mit afrikanischer Science Fiction und Phantastik führte, sondern ihn dazu brachte, auch im ”Quarber Merkur” über diese heute wenig beachteten Autoren aus Afrika zu schreiben.       

Einige Würdigungen wie von Helmut W. Mommers - er ist auf einigen der hier abgedruckten Fotos abgebildet - oder Jürgen vom Scheidt fallen erstaunlich kurz und irgendwie herzlich distanziert aus. Udo Klotz zitiert nicht nur auf der Laudatio bzgl. der Ehrenmitgliedschaft, sondern kann zumindest einige Wort zu Franz Rottensteiner persönlich beitragen. Sie geben einen Einblick in einen eher zurückhaltenden, scheuen, aber auf dem Papier auch wortgewaltigen Mann. 

Die zwei längsten Arbeiten stammen aus den Feder von Rainer Schorm und Fritz Heidorn. Schorm schreibt ausführlich und inklusiv einer Auflistung aller veröffentlichten Titel über die Phantastische Bibliothek des Suhrkamp Verlages, das Hauptwerk des Herausgebers Franz Rottensteiner. Dabei geht der Autor auch auf das Verhältnis zwischen Franz Rottensteiner und einer Vielzahl der veröffentlichten Science Fiction Titel ein, wobei die phantastische Bibliothek mit ihrer Mischung aus Klassikern wie den Scheerbart Titeln, phantastischen Titeln wie Jonathan Carrolls Hauptwerk per se und schließlich deutschsprachiger Science Fiction - Weisser, Hammerschmidt, Kiss, Schattschneider und schließlich auch Herbert W.- Franke  - ein gewaltiger Ausdruck von Franz Rottensteiners generellen Interessen ist. Viele der anderen Artikel gehen nur auf das Verhältnis zwischen SF Fandom und Franz Rottensteiner im Allgemeinen sowie mehrmals auf den Streit sowie die Aussperrung Franz Rottensteiners aus allen Club bezogenen Fanzines ein. 

Fritz Heidorn versucht Franz Rottensteiners Ansatz einer “Literatur der Ideen”  auf andere Autoren zu übertragen. Der Autor sieht die Chance, aber auch Verpflichtung, über das Unmögliche hinaus literarisch vorzustoßen, um rückblickend das “Mögliche” zu erkennen. Kim Stanley Robinson als einer der wichtigsten Vertreter der modernen, ökologisch orientierten Science Fiction wird zitiert. Es folgen kurze Exkurse zu einer Reihe von profilierten Wissenschaftlern/ Autoren wie Carl Sagan, der einer breiten Öffentlichkeit das Tor zum Kosmos öffnete, aber auch Freeman Dyson mit seiner Dysonsphäre oder dem perfekten Science Fiction Autoren/ Physiker Gregory Benford sowie die anerkannten Klassiker wie Arthur C. Clarke oder Fred Hoyle. Mit dem Arthur C. Clarke Preis für Michio Kaku auch im Zusammenhang mit der Dyson Sphäre schließt sich ein weiterer Kreis. Fritz Heidorn schlägt zwar anschließend den Bogen zu der von Fritz Rottensteiners auch immer wieder proklamierten Ideen SF, aber der Zusammenhang mit dem Jubilar ist eher peripher. 

Franz Rottensteiner hat zumindest als Veröffentlichung keiner Zeile von Primärliteratur geschrieben. Daher erscheint es befremdlich, wenn sich insgesamt acht Geschichten in diesem Geburtstagsbuch befinden. Zumindest Alexander Roeder nimmt aber auf einen Favoriten des Herausgebers Franz Rottensteiners Rücksicht und präsentiert eine wunderbare Hommage auf Peo Perutz, der sowohl bei den Phantastischen Romanen im Paul Zsolnay Verlag als auch untergeordnet auch bei der Phantastischen Bibliothek des Suhrkamp Verlags von Franz Rottensteiner aus dem Vergessen geborgen und wieder ans literarische Licht der Öffentlichkeit geholt worden ist.  

Karl Ulrich Burgdorfs “Un Boche” ist eine von zwei Geschichten, in denen historische Persönlichkeiten mitspielen. Old Shatterhand und Winnetou retten den französischen Diener Passepartout aus der Hand der Sioux. in Jules Vernes Geschichte wird diese Begegnung anders beschrieben.  Burgdorf vermittelt es dem Leser, in dem er auf der einen Seite Karl May mit seinen beiden Alter Egos und angeblich realen Abenteuern präsentiert; auf der anderen Seite Philias Fogg dem französischen Abenteuerschriftsteller seine Reise “In 80 Tagen um die Welt” präsentiert, damit er diese als Buch adaptieren kann. Jules Verne hat einen kurzen Auftritt. Ganz bewusst wurde Old Shatterhands Auftritt der literarischen Öffentlichkeit verschwiegen. Nicht weil Fogg/ Passepartout den Ruhm für sich alleine wollten, sondern wegen der Vergangenheit des Franzosen im deutsch-französischen Krieg, Karl- Ulrich Burgdorf präsentiert eine nette literarische Spielerei, aber der Plot wird zu kopflastig, zu intellektuell konstruiert erzählt. 

Klara Weigands “Traumgerichte” beschreibt die Alpträume einer von zwei Schwestern. Dabei handelt es sich um historische Persönlichkeiten. Die Alpträume führen schließlich zu einer historischen Begegnung inklusive der entsprechenden Hochzeit. Der Text enthält wenig phantastische Elemente, wobei die Protagonisten angesichts der Kürze gut charakterisiert worden sind. 

Auch Kai Fockes “Feigenhand” lebt eher von den Protagonisten als dem Plot.  Ein Mird wird begangen. Das zweite Gesicht der Kommissarin hilft bei den Ermittlungen und führt dazu, das der Täter sich in bester “Columbo” Manier selbst verrät. Die Tat wäre an sich schwer zu beweisen gewesen. 

“Die Gedanken sind frei” von Hans Jürgen Kugler beschreibt den “Ausbruch” des Protagonisten aus seinem Alltag und abschließend seine Rückkehr. Die Grundidee ist nicht unbedingt neu, aber Hans Jürgen Kugler hat die Fähigkeit, aus bekannten Versatzstelement vor allem in Form von Kurzgeschichten doch etwas Lesenswertes zu kreiieren. 

Marianne Labisch ist mit zwei Geschichten vertreten. “Die Geschichte von der Wal- Frau” ist der bessere Text. Das liegt unter anderem an der zeitlosen Problematik, wie der Mensch mit anderen Lebewesen rücksichtslos umgeht.  Auch wenn der zugrundeliegende Plot den entsprechenden Subgenre Versatzstücken folgt,   trifft die Autorin die richtigen Töne. 

In ihrer zweiten längeren Geschichte “Grimm im Menschenzoo” präsentiert die Autorin auch eine eher bekannte als markante Idee des Genres. Zwei gut gezeichnete Protagonisten werden entführt und in einem Menschenzoo ausgestellt. Sie kommen in Kontakt mit anderen Gefangenen. Am Ende wird eine pragmatische Lösung präsentiert. Eine Handvoll von Dialog technisch gut geschriebenen Szenen rundet diese längere Kurzgeschichte ab. 

Monika Niehaus “Der Spiegel des Richters” ist im Grunde ein pointierte Miniatur. Ein Mister Smith stellt sich per Visitenkarte als Erpresser vor und leert den Safe seines Opfers. Angeblich sollen Hintergrundstrahlen die Informationsquelle sein. Die Pointe ist deutlich bodenständiger und pragmatischer. 

Alleine Alexander Roeders Hommage an Leo Perutz steht in einem direkten Zusammenhang mit Franz Rottensteiners Interessenschwerpunkten. “Die Jünger des Tagemeisters” beschreibt das Schicksal eines Rittmeisters, der einer vagen Spur eines erkrankten Mannes folgt. Am Ende erfüllt sich die Warnung vor einem besonderen Ereignisses, das genau um 9 Uhr eintritt. Mit diesem Countdown verbindet der Autor die Story mit einem historischen Datum. Stilistisch anspruchsvoll mit bizarren Bildern und vor allem interessanten Charakteren bis zu der angesprochen interessanten Auflösung ragt diese Story aus der Masse heraus. 

“Gespiegelte Fantasie” ist im direkten Vergleich zu einigen anderen Geburtstagsbüchern ist mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.  Auch wenn Franz Rottensteiner anscheinend eher ein zurückhaltender, in der Öffentlichkeit scheuer, hinter der Schreibmaschine aber harter Kritiker und Mensch ist, zeigen die zahlreichen dieser Ausgabe beigefügten Fotos aus mehr als fünfzig Jahren Fandomangehörigkeit genau wie die Artikel von Freunden ein erstaunlich persönliches Bild des Mannes, der als Herausgeber in den letzten fünfzig Jahren sehr viel, genauso viel wie Wolfgang Jeschke für die phantastische Literatur gemacht hat. Natürlich sind Angriffsflächen zurückgeblieben, von denen die Auseinandersetzung mit Stanislaw Lem inklusiv der fast devoten Wertschätzung des polnischen Autoren von Franz Rottensteiners Seite fast gänzlich verschwiegen wird. 

In erster Linie ist “Gespiegelte Fantasie” aber eine Einladung, sich nicht nur mit den von Franz Rottensteiner betreuten Reihen auseinanderzusetzen, sondern auch einer seiner empfehlenswerten Almanachs zu lesen, vielleicht auch erst einmal zu erwerben, deren Ausgabenwie die ganze Phantastische Bibliothek im Schatten der größeren Verlage ein wenig zu Unrecht gestanden haben. Damit ist neben der Gratulation an einen nimmermüden Kritikergeist im Kern der Zweck dieser wunderschön aus mit Titelbildern sowie Graphiken von Thomas Franke illustrierten Ausgabe erreicht.        

Michael Haitel & Jörg Weigand (Hrsg.)
GESPIEGELTE FANTASIE
Franz Rottensteiner zum 80. Geburtstag
AndroSF 149
p.machinery, Winnert, 18. Januar 2022, 296 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 266 9 – EUR 17,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 831 9 – EUR 4,99 (DE)

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