Die Leiche des Meisterdetektivs

Andreas Zwengel

Andreas Zwengel präsentiert in der Sammlung „Die Leiche des Meisterdetektivs“ drei Kurzgeschichten bzw. Novellen aus dem Sherlock Holmes Kanon.

 

Doktor Watson wird in „Tod eines Veteranen“ von seinem Freund zu dessen subventionierten Kurhotel gerufen, weil er nicht nur Tabak braucht, sondern der Tod eines Afghanistan Veteranen für den Meisterdetektiv als Mord erscheint. Watson soll ihn hinsichtlich der historischen Hintergründe des verlustreichen Krieges informieren.

 

Bei der Geschichte handelt es sich eher um ein Kammerspiel. Die Tatsache, das der abgeschieden im Heim freiwillig lebende Offizier vergiftet worden ist, etabliert Sherlock Holmes schnell als Tatsache. Anschließend kommen im Grunde nur zwei Personen als Täter in Frage. Nicht, weil nicht mehr Menschen dort leben und Zugang zu den Räumlichkeiten hatten, sondern weil sie in der Handlung keine aktive Rolle spielen. In „Das Zeichen der Vier“ griff Arthur Conan Doyle schließlich auf einen weiteren Protagonisten zurück, der lange Zeit nur als Schemata durch die Augenzeugen und Hinterlassenschaften an den Tatorten erkennbar war. So tiefgründig ist die Geschichte nicht.

 

Das Motiv ist schnell geklärt und der Täter macht sich durch sein aktives Eingreifen in die Ermittlungen verdächtiger als die offensichtlich eher Verdächtige. Der Hintergrund des Krieges spielt abschließend keine wirklich nachhaltige Rolle. Wie einige andere Kurzgeschichten aus Andreas Zwengels Werk wirkt der Plot zu stark fokussiert und der Erzählstrang zu stark komprimiert, als das die Story wirklich nachhaltig überzeugen kann.

 

Auch „Im Dienst ihrer Majestät“ ist viel zu sehr verdichtet worden. Im Gegensatz zu den anderen beiden Geschichten ist das in mehrfacher Hinsicht schade, denn die Story beinhaltet nicht nur das meiste Potential, zum ersten Mal schwimmt sich Andreas Zwengel von den Zwängen des Kanons frei und verbindet die Rettung des Empires mit einer abenteuerlichen Handlung. Floyd Wheeler ist zwar Amerikaner, aber im Auftrag der Krone unterwegs. Er soll ein bestimmtes wertvolles „Paket“ aus Rabat abholen. Seine Verfolger sind ihm immer auf den Fersen. Die Flucht gelingt in klassischer Indiana Jones Manier in Kombination mit den technischen Gadgets, die einem James Bond zu Ehren reichen. Die finale Rettung erfolgt durch einen geheimnisvollen Mann, der deutlich macht, das er mit Mycroft Holmes quitt ist. Alleine diese Episode verdient es, in einer weiteren Geschichte erzählt zu werden.

 

Im zweiten Teil der Story geht es um einen jungen Mann, der erst seit kurzer Zeit zum elitären Zirkel gehört. Sie sind für die Sicherheit Englands zuständig. Unter der langen Leine Mycroft Holmes, der mindestens einen Verräter in der kleinen Gruppe finden muss. Sherlock Holmes gibt im Off nur einen kleinen Tipp.

 

Andreas Zwengel konzentriert sich auf die Vorgehensweise Mycroft Holmes, wobei der Autor geschickt die Perspektiven wechselt und die Leser angesichts der genauen politischen Position einzelner Figuren an der Nase herumführt. Während des Showdowns werden schließlich die Karten auf den Tisch gelegt und der Leser kann endlich die „Guten“ sowie die Feinde des Empires voneinander unterscheiden.

 

Der Text ist wie eingangs erwähnt sehr stark zusammengefasst. Das Tempo ist ausgesprochen hoch. Das unterscheidet die Geschichte von einigen anderen Kanonarbeiten Zwengels, in denen die dreißig oder vierzig Seiten mit Ablenkungen gefüllt werden muss. Der Verzicht auf Sherlock Holmes ist hervorzuheben. Mycroft Holmes als geheimnisvoller Hüter der Krone hat eine interessante Rolle, seine Vorgehensweise entspricht teilweise der Herangehensweise seines Bruders, in dem die Verräter quasi ihren eigenen roten Faden aufgrund der ihnen zugeflüsterten Informationen auslegen. Mycroft Holmes braucht also quasi nur noch den Faden aufwickeln.

 

Die Auftaktsequenz ist interessant und wirkt eher wie eine Steampunk Variation als eine klassische Sherlock Holmes Geschichte. Auch der geheimnisvolle Mann – einem Werk eines anderen sehr bekannten und pikanterweise französischen Autoren entliehen – rundet diesen sehr gelungenen Auftakt an. Im mittleren Abschnitt hat der Leser lange das Gefühl, den ersten Schritten eines jungen Mannes folgen zu können, der in Großbritannien eine große Karriere vor sich haben wird. Das Ende mit der Aufdeckung der einzelnen Zusammenhänge ist dann pragmatisch, aber auf eine interessante Art und Weise eher den Film Noir folgend auch stimmungsvoll.

      

„Die Leiche des Meisterdetektivs“ ist die dritte und längste Geschichte der Sammlung. Doktor Watson wird ins Leichenschauhaus bestellt, wo die Leiche von Sherlock Holmes, erstochen, aufgebart ist. Anscheinend aus nächster Nähe erstochen.

 

Wie bei allen in einem Serienuniversum spielenden Geschichten ist es schwer, einen Tod überzeugend zu fälschen, da Sherlock Holmes zumindest nicht in der Blüte seiner Ermittlungszeit sterben kann. Das Gleiche gilt für Doktor Watson. Am Ende schiebt Andreas Zwengel mit Hilfe des Meisterdetektivs diese Fehlinterpretation auf Doktor Watsons emotionalen Zustand. Eine Prämisse, welche der Leser akzeptieren kann.

 

Lestrade und Watson machen sich auf die Suche nach den beiden Tätern. Schnell erkennt Doktor Watson, wie unfähig Lestrade ist. Der Weg wird begleitet durch einen zufälligen Fund, den zwei Damen des leichten Gewerbes gemacht haben. Ansonsten wäre der Weg und damit der Fall inklusiv des Schicksals des Detektivs wirklich zu Ende.

 

Die Aufklärung ist für die Länge der Geschichte passend, auch wenn Sherlock Holmes effektiv nicht einen einzigen Beweis auf den Tisch legt. Fast zynisch kommen Holmes und Watson zur Erkenntnis, das auch im viktorianischen England die Großen irgendwie den Kopf aus der Schlinge ziehen können, während man die Kleinen hängt.

 

Neben der spektakulären, aber relativ schnell auch relativierten Prämisse hat die Geschichte ein oder zwei gute Szenen. So ist die Verbreitung von Falschgeld in Form von Ein-Pfund-Scheinen originell beschrieben. Unauffälliger geht es hinsichtlich des Wertes der Scheine und der Verbreitungsart nicht mehr.

 

Die Atmosphäre in den Elendsvierteln im Hafen wird überzeugend beschrieben und am Ende siegt zwar die Gerechtigkeit, die Anzahl der schuldigen wie unschuldigen Opfer ist aber relativ hoch im Vergleich zu einer Reihe anderer Geschichten.

 

Der Hauptteil von Sherlock Holmes Arbeit findet zum wiederholten Mal abseits der Haupthandlung statt. Der Meisterdetektiv fasst die Tatsachen für den staunenden Doktor Watson und den überforderten Lestrade effektiv zusammen.

 

Im Gegensatz zu den beiden anderen in dieser Sammlung vertretenen Geschichten passt die Balance aus Länge und Inhalt allerdings deutlich besser zusammen. „Tod eines Veteranen“ verfügt über zu wenige aktiv in die Handlung integrierte Verdächtige und „Im Dienst ihrer Majestät“ verfügt über zu viele positiv gesprochen Ideen, die auf zu wenig Raum präsentiert werden.

 

„Die Leiche des Meisterdetektivs“ liest sich besser als einige andere Sherlock Holmes Bände aus dem Blitz Verlag. Andreas Zwengel hat zumindest in „Im Dienst ihrer Majestät“ die vertrauten, manchmal stereotypen Muster durchbrochen und präsentiert ein unterhaltsames Garn, während die schwächste Story dieser Sammlung „Tod eines Veteranen“ unterstreicht, wie schnell ein Autor in die angesprochenen bekannten Handlungsschemata verfallen kann.

Andreas Zwengel
DIE LEICHE DES MEISTERDETEKTIVS

Band: 31, Historische Kriminalerzählungen
Seiten: 160 Taschenbuch /Blitz Verlag
Exklusive Sammler-Ausgabe
Preis: 12,95 €
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