Überrannt

Martin Kay

Martin Kays neuer Science Fiction Thriller “Überrannt” hatte laut dem Nachwort des Autoren einen längeren Weg hinter sich. Anfänglich als eher klassische Science Fiction Invasionsstory geplant überarbeitete der Autor nach einer längeren Pause den Text und fügte noch einige Ideen hinzu. Herausgekommen ist wie bei seinen Vigilanten Thrillern ein Buch, das vom rasant erscheinenden Titel auf der literarischen Straße Tempo macht. Bis zum nachgeschobenen Epilog, der ein wenig Hoffnung verspricht. 

Allerdings muss sich Martin Kay  auch ein wenig den Vorwurf gefallen lassen, das er mit den neuen Erkenntnissen im mittleren Abschnitt des Buches die Glaubwürdigkeit hinsichtlich der potentiellen Antagonisten überspannt und einige stimmungsvolle atmosphärische Szenen zu Beginn des Plots unterminiert. 

Martin Kay ist auch ein Autor, der sich respektvoll im Genre bewegt. Manche Szenen mögen den Leser vor allem aus Michael Crichtons “Andromeda”  oder dem unterschätzten Film “Stay in the Light” bekannt vorkommen. 

Sein Roman beginnt mit einem Alptraum. Martin Kay beschreibt in seinem Nachwort, dass er unbedingt Mark Freiers Titelbild in der Endfassung vertreten sehen wollte, aber sein finales Manuskript diese Sequenz nicht mehr vorgesehen hatte.  Die Ausgangsbasis des Alptraums mit dem Flug zweier Freundinnen über New York und den folgenden Ereignissen wird später noch einmal aufgenommen und als mögliche Erklärung für einige bis dahin schwer erklärliche Momente genommen. 

 Die eigentliche Handlung beginnt in Schweden. An einem See brechen plötzlich Menschen zusammen und sterben. Es gibt keine äußere Ursache. Ella Degerlund kann ihre deutsche Freundin Ariane Hellenberg, eine Wirtschaftsjournalistin, noch von dem mysteriösen Vorgängen informieren. Sie macht sich auf den Weg nach Schweden. Ariane Hellenberg bittet noch einen Bekannten um Hilfe, der für den MI 6 arbeitet und sich ebenfalls auf den Weg nach Schweden macht. Das Sterben beginnt sich allerdings schnell auszubreiten. 

Nur kurze Zeit später brechen in vielen Metropolen der Welt Menschen zusammen. Nur ein blinder Mann und ein schreiendes Neugeborenes werden verschont. Bei Michael Crichton war es ja ein Alkoholiker wie auch ein schreiendes Neugeborenes. Im Gegensatz allerdings zu Crichtons Thriller war die Wissenschaft anfänglich hilflos. Die Seuchenteams starben ebenfalls relativ schnell nach ihrem Eintreffen an  den jeweiligen Einsatzorten, die Schutzausrüstung hat ihnen nicht geholfen. 

Neben den beiden Überlebenden scheinen auch Ella und Ariane in Schweden vereint die seltsame Seuche unbeschadet zu überstehen. Martin Kay wird im Verlaufe des Romans Erklärungen nachschieben, die sich weit über die im Prolog angesprochenen New Yorker Ereignisse hinaus erstrecken. 

Das erste Drittel des Buches ist der stärkste Abschnitt. Stringent und immer wieder aus subjektiver Sicht von mit klaren Charakterzügen präsentierten “normalen” Menschen beschreibt Martin Kay das auf dem Klappentext herausgestellte “große Sterben”. Der Ablauf mit den Wellen der zusammenbrechenden Menschen erreicht die unheimliche fast paranoide Qualität aus “Stay in the Light”, wobei es bei Martin Kay kein echtes Entkommen gibt. 

 Auch die Übertrag der Pandemie mit seinen vielfältigen modernen Möglichkeiten wird interessant beschrieben.  Dabei greift der Autor mit zwei Handlungsebenen auf verschiedene Theorien zurück, welche einmal die europäische Task Force und dann die Wissenschaftler im fragilen Schutz ihrer modernen an Iron Mans Ausrüstung erinnernden Spezialanzügen entwickeln. Die Idee der globalen Übertragung ist vielleicht auch nicht unbedingt ganz neu, wird aber wie eingangs erwähnt ausgesprochen effektiv eingesetzt. 

Im mittleren Abschnitt verdichten sich die Anzeichen von außerirdischem Einfluss. Dabei reicht das Spektrum von einem Gestrandeten bis zu einer weißhaarigen Queen from Outer Space. Martin Kay bemüht sich wirklich, diese Aspekte überzeugend und mit der notwendigen Ernsthaftigkeit in die Handlung einzubauen, aber sie wirken teilweise ein wenig exzentrisch aufgesetzt.

Danach fügt der Autor noch einen anderen, nicht zu unterschätzenden Auslöser für die Seuche und das große Sterben hinzu. Ohne zu spoilern spannt Martin Kay hier einen Bogen in James Bond Dimension. In überdrehter James Bond Manier der achtziger Jahre. Auch haben die Antagonisten oder zumindest deren Handlanger ausreichend Zeit und Raum, um ihre natürlich anfänglich positiven Motive zu erklären, bevor alles außer Kontrolle geriet. Die Idee ist derartig grotesk, dass sie irgendwie auch funktionieren kann. Auch hier greift Martin Kay zumindest optisch hinsichtlich der zweiten “Welle” auf einige cineastische oder besser fernsehtechnische Motive zurück. 

Der Autor treibt ja den Roman auf den beiden angesprochenen Handlungsebenen voran. Nicht selten verfügt der Leser über mehr, allerdings auch unsichere Informationen als die Protagonisten der jeweiligen Spannungsbögen. Das erhöht die Dynamik des Plots deutlich, führt aber auch zum abschließenden Problem, die zahlreichen aufgeworfenen Theorien/ Szenarien auch zufriedenstellend abzuschließen. Auf der einen Seite greift Martin Kay auf den klassisch aufopferungsvollen Showdown zurück; im Epilog präsentiert der Autor seinen Lesern einen Blick auf eine andere Art der Erde. Natürlich mit ein wenig Hoffnung, aber auch nicht gänzlich unbekannt. 

“Überrannt”  ist wie ein guter Blockbuster. Kurzweilig zu lesen, solide Charaktere und eine interessante Ausgangsbasis, die im zweiten Teilabschnitt manche Logik zu Gunsten einer dynamischen Actionszene einfach unter den Tisch kehrt. Die nachgereichten Erklärungen wirken wie erwähnt manchmal ein wenig zu stark konstruiert, aber generell kann sich Martin Kay das Attribut ans Label heften, seine Leser nicht nur überrannt, sondern anschließend auch noch mit dem Gewicht seiner Theorien buchstäblich erschlagen zu haben. 

Überrannt - Kay, Martin

  • Herausgeber ‏ : ‎ Atlantis Verlag (4. April 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 372 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3864028159
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864028151