Mit “The Next Time I Die” veröffentlicht Hard Case Crime einen zweiten, für sich alleinstehenden Krimi aus der Feder des New Yorker Autoren Jason Starr. “Fake i.D.” ist im Rahmen der kurzzeitigen Kooperation mit dem Rotbuchverlag auch ins Deutsche übersetzt worden.
Zusammen mit Ken Bruen hat Jason Starr noch die Tetraologie um Max & Angela in der Reihe der Hard Case Crime Publikationen veröffentlicht. Eine Art Breaking Bad auf Speed, soweit man es angesichts der Vorlage noch steigern kann.
Der Klappentext spricht von einem paranoiden Thriller in der Tradition der “Twillight Zone” und Philip K. Dick. Im Gegensatz zu Dicks Realitäten biegenden Romanen erinnert die erste Auflösung des Szenarios tatsächlich eher an die zynisch sadistischen Pointen, welche Rod Sterlings Serie über viele Jahre auszeichnete. Auch verzichtet Jason Starr auf eine für das Science Fiction Genre vielleicht nicht immer folgerichtige, aber zumindest konsequente Auflösung des Plots. Aber in einer anderen Hinsicht ist Jason Starrs Roman ausgesprochen bemerkenswert. Sein Protagonist Steven Blitz nimmt sich immer selbst mit.
Steven Blitz ist ein erfolgreicher Anwalt, der sich gerade auf den Prozess seines Lebens vorbereitet. Er soll einen verrückten Künstler verteidigen, dem mehrere bestialische Morde zur Last gelegt werden.
Eines Abends wirft ihn seine Frau aus dem Haus. Sie will die Scheidung. In der Nacht voller Schneetreiben droht Blitz zuerst mit seinem Wagen auf dem Weg zum Bruder in den Straßengraben zu rutschen. Kurze Zeit später an einer Tankstelle will er den Streit zwischen einer jungen Frau und einem Mann schlichten, als dieser ihm ein Messer in den Bauch stößt.
Er wacht im Krankenhaus wieder auf. Dass er diesen Stich überlebt hat, grenzt aus seiner Perspektive an ein Wunder. Nur ist er nicht wegen einer Stichverletzung eingeliefert worden, sondern wegen einer Gehirnerschütterung. Zusätzlich hat er gerade eine Krebstherapie hinter sich gebracht. Er litt an einem Gehirntumor.
Aber seine ganze Realität hat sich zusätzlich verändert. Nicht Trump, sondern Al Gore ist Präsident im Weißen Haus. 9/11 hat es niemals gegeben. Der Welt droht ein Atomkrieg, ausgelöst durch einen Konflikt zwischen Indien und Pakistan. Zusätzlich hat er in dieser Welt eine Tochter, einen Hund und vor allem liebt er seine wunderschöne Frau.
Auch den großen Prozess gibt es nicht und dank des richtigen Riechers ist er mit Blockbuster Aktien reich geworden. In seiner Welt hat er durch die Insolvenz der Verleihkette viel Geld verloren. Es gibt kein Facebook, kein Google. Oder besser gesagt, sie heißen anders.
Steven Blitz versucht sich in seiner Welt zu orientieren. Jason Starr gibt sich sehr viel Mühe, diese fremde und doch irgendwie für den Leser auch erkennbare Welt ausführlich zu beschreiben. Manche Anspielungen sind pointiert. So sitzt dieser Trump wegen sexueller Nötigung seit einigen Jahren im Gefängnis. Blitz versucht den Point of Divergence durch eine ausführliche Recherche einzugrenzen. Eine Idee, die sich lange Zeit wie ein roter Faden durch die Handlung zieht, um schließlich während des Finals notgedrungen fallen gelassen zu werden.
Ein zweiter Aspekt ist das Verhältnis zu seiner Familie. Er muss sich erst an Tochter und Hund gewöhnen. Vor allem findet er seine Frau plötzlich wieder attraktiv, die in der ursprünglichen Realität ihn zu Gunsten einer anderen Frau verlassen wollte. In der neuen Welt ist Steven Blitz allerdings ein Schwerenöter, der nicht nur Affären mit Kolleginnen im Büro hat, sondern auch mit seiner jungen Babysitterin. Mit dieser verbindet ihn ein weiteres dunkles Geheimnis.
Hinsichtlich seines großen Falles mit dem exzentrischen Künstler - in der neuen Welt nicht existent - lassen einige Hinweise Steven Blitz keine Ruhe. So sucht er den Künstler auf, weil er der festen Überzeugung ist, dass Hammond in jeder möglichen Welt seine grausamen Morde begehen wird. Natürlich ahnt er nicht, dass Hammond erst durch sein offensichtliches Interesse auf ihn aufmerksam wird.
Jason Starr hat den Plot überzeugend ausbalanciert. Die fremde vertraute Welt wird wie schon beschrieben ausführlich dargestellt. Blitz ist zu sehr ein Anwalt, als das er sich hinter seiner Krankheit und dem Unfall lange verstecken kann. Immer wieder eckt er bei Kollegen und seiner Frau an. Die Ausrede, sich an nichts vor dem Unfall wirklich erinnern zu können, unterminiert er durch seine manchmal überzogenen Handlungen selbst. Jason Starr hat das Problem, das er gegen Ende des Plots das Tempo anziehen und die einzelnen Handlungsfäden abschließen muss.
Der Autor greift positiv gesprochen auf das Feld zurück, das Patricia Highsmith in ihren herausragenden Thrillern bereitet hat. Nicht nur nimmt Blitz sich selbst mit, hinter der Anwaltsfassade steckt auch ein gewalttätiger Psychopath, der jederzeit ausbrechen kann. Dabei muss sich der Charakter nicht einmal grundlegend wandeln. Es sind die kleinen Nuancen, die Jason Starr aufgreift und geschickt extrapoliert.
“The Next Time I Die” ist vielleicht am Ende ein wenig zu stark konstruierter Thriller, bei dem einzelne Elemente zu leicht zusammenfallen. Der Übergang zur Pointe ist dabei wahrscheinlich das schwächste Glied des Buches. Er wirkt konstruiert und Blitz Verhalten erscheint fast zu naiv. Der Leser kann die Obsession mit seinem größten Fall - auch wenn er in der neuen Welt keinen Fall hat- verstehen, aber angesichts der Gefährlichkeit des Täters und den fast zynisch naiven Versuchen in der Ausgangwelt , ihn zu verteidigen, agiert Blitz fast schon erschreckend naiv.
Zu den Stärken des Buches gehört die immer erdrückender werdende Umklammerung durch Handlungen, die vor dem Übergang begangen oder zumindest in die Wege geleitet worden sind. Vielleicht wirkt der Prolog bis zur Messerstecherei zu kompakt, zu komprimiert, als das der Leser jeden der Zwischentöne, jede der wieder in einer fast anderen Identität auftretenden Figuren auf Augenhöhe mit Steven Blitz einordnen kann, aber geschickt schließt Jason Starr einen Kreis der persönlichen Hölle Blitzs nach dem Anderen.
Der Handlungsbogen wird an den Anfang der Geschichte zurück geführt. Dieses Mal lässt sich ein weiterer potentieller Point of Divergence klar erkennen. Auch die Handlungen Steven Blitz entsprechen dem Charakter, den der Leser immer stärker in der Parallelwelt hinter der Fassade des biederen Anwalts erkennen konnte.
“The Next Time I Die” ist kein Science Fiction Roman. Es ist ein Paranoia Thriller mit überzeugenden Charakteren, einer stringenten am Ende vielleicht ein wenig konstruierten Handlungsführung und mehreren zynischen Pointen, die geschickt aufeinander aufbauen. In der Tradition von wie erwähnt Patricia Highsmith zeigt er, wie die Welt eines dicht unter seiner persönlichen Oberfläche schon gewalttätigen psychopathischen Menschen auseinanderbrechen kann. Er setzt sie sich nach eigenem Gutdünken wieder zusammen. Das ist der vielleicht am meisten verführerische Reiz dieses interessanten und kurzweilig zu lesenden urbanen Thrillers.
- Herausgeber : Hard Case Crime (28. Juni 2022)
- Sprache : Englisch
- Taschenbuch : 252 Seiten
- ISBN-10 : 178909951X
- ISBN-13 : 978-1789099515