Austern im Halbschlaf

Monika Niehaus

P. Machinery hat die Geschichten aus Donnas Kaschemme in einem Vorgängerband gesammelt präsentiert. Aber Monika Niehaus hat nicht nur über die bekannteste Kneipe am Randes Universums geschrieben, sondern in den Phantatischen Miniaturen der Phantastischen Bibliothek aus Wetzlar ist sie in allen Sammelausgaben mit mindestens einer Geschichte vertreten. „Austern im Halbschlaf“ präsentiert eine Sammlung von Miniaturen – Bernd Schuh geht in seinem Nachwort noch einmal auf die Gesetzmäßigkeiten dieser Miniaturen, aber auch Wissenschaftler als erfolgreiche Science Fiction Autoren ein-, die eben nicht in Donnas Kaschemme spielen.

Einige wenige der hier gesammelten Storys/ Miniaturen sind neben der Erstveröffentlichungen in den DIN A 5 Heften aus Wetzlar in der Anthologie „Diagnose F“, aber auch dem ersten Sammelband mit Miniaturen „Staubkornfee trifft Ich-Maschine“ nachgedruckt worden.

 Alle Phantastischen Miniaturen stehen unter einem besonderen Thema. Dabei sind die Herausforderungen an die Autoren unterschiedlich. Es  beginnt mit der ersten Ausgabe im Jahre 2011  „Ihr Haar zerbrach wie blaues Glas“. Jede Geschichte musste diesen Satz enthalten und so setzte Monika Niehaus auf eine Variation des Blaubartsthemas. Später erschien mit „Wir müssen das Gummi in der Zelle erneuern“ eine andere Art von Herausforderung. Jede Miniatur musste mit dem Schlusssatz der vorangegangenen Geschichte beginnen. Und das Ende der letzten Miniatur musste der erste Satz des Auftaktstory sein. Mit „Süßes Blut“ konzentriert sich Monika Niehaus zu diesem Thema auf eine besondere Art der Kriminalgeschichte. Das Geheimnis eines Mordes in einem von innen abgeschlossenen Zimmer. Der Täter wird mittels haarscharfer Beobachtung, aber auch dem Zufall überführt.

Zur Idee der Zahl „23“ kann Monika Niehaus alleine drei Miniaturen, aber auch darin enthalten ein vermeintlich mathematisches Rätsel beitragen, dessen Auflösung ausgesprochen menschlich ist.

 Auch „Einseitig“  gibt den Autoren Grenzen auf. Im Grunde finden sich in dieser Sammlung doppelt so viele und halb so lange Geschichten bzw. Miniaturen. Vier dieser Arbeiten sind hier  nachgedruckt. Dabei reicht das Spektrum von einer Art First Contact Geschichte mit Anspielungen auf Gullivers Reisen bis zu einer Bande von Plünderern die sich Route links und rechts der Straße aufteilen und doch aufgrund einer mathematischen Besonderheit wieder zusammenkommen. Alles streng wissenschaftlich unterlegt.

 Die Gnurks“ gehören zu den beliebtesten Kreaturen der Phantastischen Miniaturen. Folgt der Leser allerdings Monika Niehaus „Schlechtes Timing“, währe es niemals so weit gekommen.  „Gefährliche Leidenschaft“ wurde bislang einmal in „Staubkornfee trifft Ich- Maschine“ nachgedruckt. Im direkten Vergleich ist es die schwächere Geschichte, aber vielleicht für die breite Masse zugänglicher.  

 

Monika Niehaus „Hommage an einen Schundschriftsteller“  aus „Auf sehr fremden Pfaden“ – diese Sammlung inspirierte den Karl May Verlag zur einer Reihe moderner Fantasy/ Abenteuergeschichten ist eine dieser wilden Kneipengeschichten, in denen sich die einzelnen „Feinde“ nicht unbedingt friedlich, aber beschwingt bei einem Getränk alkoholischer Gärung begegnen. Aus der Chronologie der Geschichtenabfolge gerissen schließt Monika Niehaus auch mit „Happy End“ die literarische Miniaturauseinandersetzung zwischen Schöpfer und seinen Schöpfungen. Die dritte Miniatur um Haewelmann ist deutlich leichter zu lesen, ihr fehlt aber auch  die melancholische Auseinandersetzung mit dem Sachsen.

Die Ausgangslagen sind nicht selten in Monika Niehaus Miniaturen sehr unterschiedlich, die Wege in die Zukunft unkalkulierbar, aber Bewegung/ Veränderung scheint als einziges Element Sinn zu machen. Wenn alles zu spät ist, hilft nur als Fluchtinstinkt „Paranoia“, wie Monika Niehaus in ihrer kurzweilig zu lesenden, visuell ausgesprochen gut angelegten Geschichte aus den „Nanowelten“ demonstriert. Gegen jede Logik muss einfach mal gehandelt und weniger geschaut werden. Die Folgen bleiben hinter der Protagonistin und dem Leser zurück. „Amour Fou“ ist eine bizarre amouröse Story.

 Mit „Burn, Library, Burn“ setzt Monika Niehaus nicht nur einer Bibliothek, sondern der Bibliothek ein fiktives feuriges Ende, während „Die Büchse der Pandora“ deutlich ambitionierter ist. Mythologie wird mit einem überzogenen Realismus verbunden.                    

Die erste Doppelminiaturenausgabe war die Sammlung zu Goethe. Zu viele zu gute Beiträge trudelten ein. Monika Niehaus war mit drei sehr unterschiedlichen Geschichten vertreten. In „Lottelottchen“ zeigt sie nicht nur auf, wie eine außereheliche Liebesromanze zu großer Literatur führt, sondern spannt den Bogen von Goethe bis zu Thomas Manns „Lotte in Weimar“. In „Flaschengeist“ geht es eher um Hochprozentiges bei der geradlinigen Pointe, während „Goethe Inc.“  aufzeigt, dass ein Dichter in der fernen Zukunft nicht nur kopierbar, sondern dem ganzen Volk in Form von Kloning und Ausbildung zugänglich gemacht werden kann.

 Bei der Miniatur „Job Future“ geht es Monika Niehaus in „Humankapital 2.0“ um eine ideale Kombination von moderner Telemedizin, gerne auch mit Hologrammen und den Menscheleien, die am Rande des Klischees sich auch in der sterilen Zukunft anscheinend nicht ausmerzen lassen.  „Projekt S“ konzentriert sich auf den Arbeitsmarkt und findet eine fragile Methode, um die Millionen von beruflich Untauglichen zu beschäftigen. Zumindest vordergründig, bis sie hinter das Geheimnis der Strandverschmutzung kommen.

 „Freitag“ aus der Miniatur „Blaufußtölpel“ lässt seine Pointe schon früh erkennen. Aber die Anspielungen beginnend beim verschwundenen Forscher Livingston über Robinson Crusoes Gefährten Freitag und endend beim Raumkreuzer Orion sind trotzdem lesenswert.

 Zu den stärksten Miniaturen generell gehört „Reset“. Monika Niehaus setzt sich in den beiden Geschichten „60 Sekunden Zukunft“ und „Neues Spiel, Neues Glück“ mit den Möglichkeiten auseinander, noch einmal zu „beginnen“: Dabei stellt sie den arroganten naiven Schlucker am Ende zwischen Reichtum und Tragödie vor eine fast unlösbare Aufgabe, während die Götter in der zweiten Geschichte einfach dem Titel alle Ehre machen.

 „Im Garten Hieronimus“ zeigt Monika Niehaus mit dem „Zirpen der Zikaden“ nicht nur ihre Vorliebe für exotische Biologie , sondern beginnend mit dem Sänger und der Suche eines Raumfahrers nach einer besonderen Welt auch auf, das Kneipengeschichte auch mit klischeehaften Enden immer noch die Zeit zwischen zwei Bieren vertreiben können.

Der „Traum im Traum“ stellt als Thema selbst in „Datenkorrektur“ eine Herausforderung dar. Die Autorin stellt pointiert dar, wie aus der Tragödie – die bevorstehende Hinrichtung – ein Triumph – es kommt auf die Tage an  - wird, der schließlich in einer bitterbösen Pointe endet.  

Zwei Miniaturen aus „Purpurkraut“ sind im Bereich der Weird Fiction angesiedelt.  „Sophie, die Henkersmaid“ ist nicht nur eine Anspielung auf Christian Morgenstern, sondern vor allem auch auf H.H. Ewers „Alraune“, während die „Villa Nachtschatten“ beginnend mit einem Prozess über Visionen und Alpträume auf eine pragmatische Pointe zusteuert.

 Um Sex und Erotik geht es in den beiden Miniaturen „Unmoralitäten“ und „Schöne Körper“.  Wie Doktor Sommer antwortet Dr. Lovelace auf die zahlreichen Zuschriften exotischer Wesen, die Rat und Hilfe hinsichtlich Sexualität und Schwangerschaft suchen. „Electric Green“ ist ein weiterer klassischer Deduktionskrimi. Dieses Mal geht es um verschiedene Substanzen und das Blut immer noch eine besondere Flüssigkeit ist. In „Die Agentur“ wird ein besonderer, vor allem stetig ausbaufähiger Escortservice präsentiert.

Manche Themen stellen selbst die Autoren vor besondere Herausforderungen. Beispielhaft sei hier „Kartoffelfehler“ genannt. Monika Niehaus präsentier zwei Miniaturen zu diesem Thema. In „Die Prüfung“ geht es um den Befall der Kartoffelfelder durch Menschen natürlich aus außerirdischer Sicht, während „Das Orakel“ die schwierige Aufgabe hat, aus dem Wort Kartoffelfehler eine für den Tyrannen nicht unbedingt angenehme Botschaft herauszufiltern.

 Monika Niehaus merkt in ihren einige der Miniaturen einleitenden Anmerkungen an, das ein Autor sich dem ausgelaugten Thema des Kellers nur satirisch nähern kann. Allerdings wirken ihre drei Beiträge als Satire zu schwach und betonen eher die Klischees, die ein Leser unwillkürlich mit dem Thema verbindet. „Keller des Schreckens“ verfügt noch über eine bemühte Pointe, als die junge attraktive Frau zu lange nach den anderen Gästen im Schloss eines Comtes bleibt. Dem Thema Untervermieterentsorgung widmet  sich „Zimmer frei“, während „Whisper in der Wand“ mit der erfolgreichen Schriftstellerin auf der Suche nach Ruhe für einen neuen Roman und dem Mansardenzimmer im Keller wirklich alle Klischees bedient.

 Viel interessanter ist „Nachwürzen verboten“.  Die Titelgeschichte dieser Anthologie ist eine Hommage an Salvatore Dali, heißt allerdings vollständig ausgeschrieben „Weiche Austern im Halbschlaf“. Bei den „Froschschenkeln a la Napoleon“ verbindet sich das Schicksal einer Äbtissin, eines Roboters und eines Generals durch die Zubereitung von Fröschen, welche der Mondgöttin geweiht sind. Der Titel schlägt den Bogen zur Geschichte und damit dem großen kleinen Kaiser.

 Jules Verne, sein Werk und seine Protagonisten stehen im Mittelpunkt zweier Miniaturen. Einnak „Zwischen Jules Verne und Ewigkeit“, das andere Mal als Anspielung auf seinen futuristischen Paris Roman simpel „Jules 2020“ betitelt. Aus der ersten Miniatur stammt eine wunderbare Hommage an den Hannoveraner Altfan und Jules Verne Kenner Wolfgang Thadewald. „Das Doppelleben der Mrs. Aouda Fogg“ ist wieder ein Krimi, um ein perfektes Verbrechen. Das Opfer ist natürlich Phileas Fogg. Der gewiefte Leser ahnt schnell, wie Fogg ums Leben gekommen ist. Dazu wurde diese Idee zu oft verwandt. Aber Monika Niehaus greift auf eine Reihe von bekannten Jules Verne Figuren zurück, um die Geschichte kurzweilig und doch spannend zu erzählen. „Verwandte Seelen“ spielt in einem besonderen Raum der Phantastischen Bibliothek Wetzlars. Die Geister der erfolgreichsten Schriftsteller ihrer Länder treffen von den willigen Dienern zusammengebracht aufeinander. Die Geschichte ist stimmungsvoll und drückt den Respekt nicht nur gegenüber Jules Verne und Karl May, sondern auch dem schon in einer eigenen Geschichte verewigten Jules Verne Sammler/ Kenner Wolfgang Thadewald noch einmal aus. In „Eine wissenschaftliche Hypothese“ verbindet die Autorin schließlich einen Nachfahren der tapferen Reisen ins Innere der Erde mit der Geschichte um die Zeitmaschine H.G. Wells. Am Besten ist es, wenn der britische Autor die angesprochene Hypothese um einen Fund der Expedition direkt mit Jules Vernes fiktiver Familie durchspricht. Der Leser ahnt zwar die Pointe im Vorwege, aber nach Jules Verne und Karl May ist es nur gerecht, auch H.G. Wells literarisch wieder aufstehen zu lassen.

 „Words, words, words“ beinhaltet Miniaturen ausschließlich von Frauen geschrieben. „Das zweite Gesicht“ ist ein weiterer Krimi, wobei der Beweis direkt vor den Augen der Ermittler ist, aber diese ihn schwer erkennen können. Die Pointe kommt unvorbereitet. Damit soll nicht überraschend gemeint sein, sondern die Leser können sich die Versatzstücke nicht gänzlich zusammenfügen. „Brüderchen“ beinhaltet die Warnung der großen Schwester an die Eltern in spe, sich ihrem Willen unterzuordnen, sonst geschieht ein Unglück. Diese Idee ist in verschiedenen Variationen schon zu oft verwandt worden.

 „Spielzeug, sprich mit mir“ beinhaltet zwei sehr unterschiedliche Miniaturen. Zum Einen „Das Mädchen mit den Spielzeugkrokodilen“, in welcher ein Vater seinem Kind nicht den Wunsch nach einem teuren Spielzeug mit einem besonderen Karma erfüllen will, , während die zweite Miniatur „Die seltsamen und tragischen Vorkommnisse in der Ortschaft Railye“ inhaltlich einen sehr bekannten Verlauf nehmen. In der letzten Miniatur aus dieser Sammlung geht es um das „Einhorn“, das von seinem Karussell ausbricht.

 „Monstrositäten“ beginnt mit einer Hommage an Tod Browning und nicht Roger Corman, wie die Autorin am Ende der Geschichte schreibt. „Dr. Fongs fantastische Freakshow“ folgt allerdings der Handlung es berühmten Films.  Auch „Die Bestie von Gevaudan“ beinhaltet keine wirklichen Überraschungen. In „Von Monstren und Mutanten“ wird fast klassischer Seemannsgarn gesponnen, während in der letzten Miniatur der Sammlung „Dimension 196 883“ vor entsprechenden Besuchern gewarnt wird.

 Die mehr als einhundert Miniaturen ausführlich vorzustellen, würde den Rahmen der Rezension sprengen. Es sind unterschiedliche Themen, teilweise sehr herausfordernd, denen sich Monika Niehaus überwiegend mehrmals stellt. Teilweise handelt es sich um klassische Pointenminiaturen, andere Geschichte weisen für die Kürze der Texte erstaunlich komplexe, aber nicht unbedingt komplizierte Wendungen auf. Aber lesenswert sind alle Texte.

 Begleitet wird die Sammlung von einigen farbigen Graphiken Rainer Schorms und Angsar Schwarzkopf. Dabei handelt es sich teilweise auch um die entsprechenden Miniaturen-  Titelbilder aus dem Hause der Phantastischen Bibliothek Wetzlars.

 „Staubkornfee trifft Ich- Maschine“ präsentierte wie die vorliegende Anthologie ein reichhaltiges Spektrum aus den inzwischen fast siebzig Miniaturen der Phantastischen Bibliothek Wetzlars. Auch „Austern im Halbschlaf“ setzt diese Tradition fort. Die Sammlung zeigt auf, wie vielschichtig die Autorin Monika Niehaus ist. Natürlich sind die Originale vielleicht noch ein wenig empfehlenswerter, da die jeweiligen Themen in überraschender Tiefe und erstaunlich variiert von fast immer mehr als zwanzig unterschiedlichen Charakteren erzählt werden, aber die jeweiligen „Sammelbände“ aus dem Hause p. machinery kommen diesem Gefühl schon sehr nahe und sind ebenso lesenswert.

 

AUSTERN IM HALBSCHLAF: und andere schräge SF- und Fantasystorys (AndroSF: Die SF-Reihe für den Science Fiction Club Deutsc...

  • Herausgeber ‏ : ‎ p.machinery; 1. Edition (30. Juli 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 260 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3957652979
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3957652973