Camp 4

Volker Hamann und Matthias Hofmann

Wieder liegt eine Rekordzeit von fast drei Jahren zwischen der letzten, noch vor Corona veröffentlichten „Camp“ Ausgabe und dieser vierten Nummer. Die beiden Herausgeber Matthias Hofmann und Volker Hamann begründen diese Pause nicht nur, aber vor allem auch wegen der schwierig vorhersehbaren wirtschaftlichen Situation, welche ein außergewöhnliches Magazinprojekt wie „Camp“ darstellt. Schließlich hat sich in den letzten Jahren nicht nur das soziale Verhalten, sondern spätestens mit dem Ukraine Krieg auch die finanzielle Kaufkraft großer Teile der Bevölkerung verändert.

 

Im Dezember 2022 erblickte dann doch vierte Ausgabe mit den bekannten Schwerpunkten Comic, Illustration und Trivialkultur, abgerundet durch zwei Handvoll von Buchrezensionen seltener Titel aus den Bereichen das Licht der Welt.

 

Der Bereich Comics besteht aus drei Artikeln. Volker Hamann geht auf die Comicadaptionen der Nestor Burma Romane ein. Dazu stellt der Autor erst einmal die auch wieder veröffentlichten Krimis des französischen Autoren vor. Dabei verzichtet Volker Hamann auf Detail, bevor der Schwerpunkt des Artikels die Kooperation zwischen Jacques Tardi als Zeichner und Leo Malet als Schöpfer der Nestor Burma Romane ist. Wer die zugrunde liegenden Romane nicht kennt, wird angesichts der wenigen Einblicke in die Inhalte dem Urteil des Autoren vertrauen müssen. Auf der anderen Seite würde eine ausführliche Vorstellung der Romane und anschließend der auch teilweise freien Comicbuchadaptionen den Rahmen eines entsprechenden Artikels sprengen. Volker Hamann setzt ausreichend positive Akzente, das ein interessierter Leser die Romane wie auch die inzwischen von der dritten Autorengeneration verfassten Comics inhaltlich einordnen kann.

 

Christian A. Bachmann geht in „Quadratisch, praktisch, gut“ auf die Big Little Books des Whitmans Verlags ein. Reichhaltig illustriert wird ein sehr guter Überblick über ein Verlagsphänomen und seine Zeit präsentiert.

 

Das Thema „Nosferatu“ und nicht „Dracula“ nehmen Paolo Caneppele und Günter Krenn auf. Einhundert Jahre nach Murnaus bahnbrechenden Nosferatu Film lebt Max Schrecks Vampirinkarnation vor allem in einer Reihe von Comics wieder auf. Die Geschichte wird weitererzählt, aber auch historische Lücken bis zu den Kreuzzügen geschlossen. Kurzweilig zu lesen und vor allem wie alle Artikel reichhaltig und in der Bandbreite überzeugend illustriert. 

 

Im zweiten Bereich Illustration eröffnet Matthias Hofmann mit einem über Whatsapps geführten Interview die wunderbare Welt des Tielbildkünstler Beeple alias Michael Winkelmann. Die Entstehung des Artikels hat sich laut Matthias Hofmann über längere Zeit hingezogen und insbesondere der Anfang wirkt durch fehlende Überarbeitungen und Wiederholungen genannter Aspekte unkoordiniert. Winkelmanns Antworten schwanken zwischen Floskeln und interessanter Informationen hin und her. Matthias Hofmann hat auf einen klassisch distanzierten Artikel verzichtet und bringt seine subjektiven Ansichten immer wieder ein. Wie stark sich die Kryptowelt und damit auch die digitale Kunst zwischen Hype und wirtschaftlichen Abgründe hin und her bewegt, kann Matthias Hofmann höchstens andeuten. So wirken einzelne Aspekte dieser Artikels/ Interviews innerhalb weniger Monate überholt. Derartige schwanken haben weder die Holländer mit ihrer Tulpenkrise als erste große Spekulationsblase noch der neue Markt Anfang des 21. Jahrhunderts unbekommen. Dem dummen Geld sei dank. Aber die abgedruckten Zeichnungen inklusive der als politische Karikaturen oder Satiren einzuordnenden Arbeiten über einen politischen Clown zeigen eindrucksvoll, wie weit die Bandbreite Michael Winkelmanns bei einem Projekt ist, das jeden Tag seit mehr als 5000 Tagen ein Bild schafft.

 

Mit Richard Clifton- Dey stellt Christian Blees ausführlich einen Titelbildergraphiker vor, dessen Arbeiten vielen älteren Science Fiction Fans wahrscheinlich eher unabsichtlich aufgefallen sind, ohne das er sie einordnen kann. Selbst Atlan Anhänger sind die Künstler schon einmal begegnet. Christian Blees geht gleichzeitig auch auf den Triviallliteraturmarkt Großbritanniens und dessen Faible für Italowestern ein. Auch in Deutschland brandeten diese harten Westernstoffe vor allem in Form von Heftromanserien an die kommerziellen Ufer. Aber wie stark Clifton- Deys ausdrucksstarke Titelbilder mit den zugrunde liegenden Geschichten zusammenhängen, ist noch nicht in deutscher Sprache herausgearbeitet worden.

 

Hartmut Becker schreibt in seinem Artikel über die „vergessenen Kinderbuchillustrationen der Ditz von Schneidewind“ nicht nur „Literaturgeschichte“, sondern zeichnet das Leben einer multimedialen Persönlichkeit nach. Die Vorgängerin von Oscar, dem Schnellzeichner aus „Dalli Dalli“, nur für den live  und vor Publikum aufgezeichneten Hörfunk. Eine Frau, die von der klassischen Werbung über die im Mittelpunkt stehenden zahlreichen und hier in überdurchschnittlicher Qualität wiedergegebenen Kinderbuchillustrationen bis zum Trickfilm im Grunde alles gemacht hat- vom Hörfunk fürs Radio Bremen in Zusammenarbeit mit ihrem Schwager ganz zu schweigen. Ein pralles Leben wird hier fokussiert, konzentriert, sehr sachlich und doch jederzeit überschaubar geordnet vor der interessierten Lesern ausgebreitet, so dass am Ende bis auf das kaum zu katalogisierende Gesamtwerk der in Kanada verstorbenen Zeichnerin Fragen offen bleiben.

 

Die Zeichnungen der Ditz von Schneidewind sind auch eine perfekte Überleitung in den Bereich der Trivialliteratur und der Neuauflage der „Abenteuer“ Bücher von Enid Blyton. Stefan Schmatz stellt nicht nur die Bücher kurz vor, sondern versucht allerdings sehr neutral die Frage zu diskutieren, was in der Gegenwart für die Jugend akzeptabel ist und was als rassistisch gelten könnte. Eine Frage, welche erstaunlicherweise die Süddeutsche Zeitung mit ihrer vernichtenden Kritik an der Neuauflage dieser Bücher inklusive einiger Klischee bedienenden Innenillustrationen thematisiert hat. Inzwischen hat der Ravensburger Verlag diesem dogmatischen Druck von Minderheiten nachgegeben und seine Winnetoufilmadaptionen zurückgezogen. Andere Verleger distanzieren sich in ihren unbearbeiteten Nachdrucken von alten Texten von Teilen des Inhalts, präsentieren sie aber mit Fußnoten oder Vor- bzw. Nachwörtern begleitet in der ursprünglichen Form. Wie bei vielen politischen Diskussionen ist es leicht, den Stab über die Vergangenheit zu brechen und aus der Gegenwart heraus zu argumentieren. Dabei fällt auf, das die historische Grundlage und das entsprechende Feingefühl den Agitatoren als lautstarke Vertreter angeblich toleranter Minderheiten fehlt. Sie reihen sich in die Gruppe der Belehrenden ein, die mittels schlechter Gewissen Änderungen bewirken wollen und dabei die eigenen Scheuklappen nicht sehen. Es ist schade, dass Stefan Schmatz auf eine eigene Position verzichtet und irgendwie gegen Ende seines lesenswerten Essays versucht, die Wogen zu glätten und auslaufen zu lassen. Eine eigene Meinung mit Begründung hätte dem Artikel gut getan.

 

Alec Nevala-Lee greift in dem gut übersetzten Artikel „Asimovs Reich, Asimovs Mauer“ ein aktuelles Thema auf. „Me too“ in der Science Fiction. Er geht auf die Bedeutung von Asiomov als einer der bedeutenden Science Fiction Autoren genauso ein wie dessen Hang, Frauen zu begraben und gegen ihren Willen zu küssen. Als Beispiel für dieses konträre Verhalten greift er auf die chinesische Geschichte zurück. Der Erbauer der chinesischen Mauer verbrannte gleichzeitig Bücher, wobei das Beispiel hingt. Die chinesische Mauer diente auch als Schutz der eigenen Bevölkerung vor den Mongolen. Isaac Asimov hat eine Reihe von bedeutenden Romanen und Kurzgeschichten erschaffen, eine Bevölkerung wollte er nicht schützen. Im Gegensatz zu einigen anderen Autoren positioniert sich Alex Nevala- Lee allerdings deutlich und verurteilt sowohl Asimovs Verhalten gegenüber Frauen wie auch das Wegschauen von Verlegern und anderen Autoren in solchen Situationen.

 

Mit Sexton Blake stellt Christian Blees den zweiten berühmten, heute allerdings eher vergessenen Privatdetektiv aus der Baker Street vor. Der Autor geht auf dessen Geschichte ein. Als Arthur Conan Doyle sich mit dem Reichefallsturz von Sherlock Holmes verabschieden wollte, ging der Stern dieses anfänglich allerdings eher wie eine Art James Bond Vorfahre agierenden Detektivs auf. Kompakt beschreibt Christian Blees die verschiedenen literarischen Perioden inklusive der entsprechenden Autoren, geht kurz auf die zahlreichen Verfilmungen ein und gibt dem Leser am Ende einige kurze Ratschläge, wo ein Interessanter heute noch in den unüberschaubaren Dschungel der mehr als 5000 Sexton Blake Geschichte einsteigen kann.   

 

Host Illmer wählt zwar für seinen kurzen Artikel mit „Ein Streifzug durch die Geschichte(n) von brennenden und feuerfesten Büchern“ eine breite Überschrift. Inhaltlich sind es nur drei besondere Editionen von Bradburys „Fahrenheit 451“, Stephen Kings „Firestarter“ und  Margaret Atwoods „The Handmaid´s Tale“ – hier geht es eher um ein politisches Statement als einen bezug zum Inhalt -, die vorgestellt werden können. Immerhin konnte sich Margaret Atwood persönlich überzeugen, dass das vom Verlag hergestellte Unikat wirklich unbrennbar ist.

 

Heinz J. Galle nimmt Bezug auf eine seine längere, 2017 im Verlag Dieter von Reeken veröffentlichte Arbeit „Als Roboter noch Roboter waren“ und präsentiert einen inhaltlich allerdings auch eingeschränkten Streifzug durch die Welt der meistens auf Filmen basierenden Welt der Sielzeugroboter und ihre immer höher werdenden Sammlerpreis. Fortlaufende Serien wie „Star Wars“ und ihre unermüdliche Produktion von Robotern hat der Autor von Beginn an ausgeschlossen. Fundiert recherchiert, sachlich dargeboten und reichhaltig illustriert ein sehr zufrieden stellender Endpunkt dieser vierten Camp Ausgabe.

 

Die Bandbreite an Themen aus allen drei Bereichen ist sehr zufrieden stellend. Die hohe Druckqualität in Kombination mit dem werthaltigen Papier, die Vielzahl der Illustrationen und die überwiegend gut geschriebenen Artikel rechtfertigen den Preis dieser Edition. Der Leser sollte „Camp“ weniger als Magazin denn als Almanach betrachten. Auffällig ist, das die Autoren gegenwärtig kontroverse Themen wie Bearbeitung alter Texte zwar ansprechen, aber sich einer Position enthalten. Sie versuchen beide Parteien mittels Zitaten zu Wort kommen zu lassen. Angesichts der Wichtigkeit dieser Themen ist diese neutrale Position in einem Genremagazin zu wenig und hinterlässt einen leicht schalen Beigeschmack bei einer ansonsten sehr informativen und wie für alle Leserschichten konzipierten Lektüre.

CAMP - Magazin Nr. 4 für Comic, Illustration & Trivialkultur: Zeitschrift für Nostalgiker & Freunde des optisch Schönen

  • Herausgeber ‏ : ‎ Edition Alfons (15. Dezember 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 138 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3946266398
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3946266396