Shooter

Stephen Hunter

Der Festa- Verlag legt mit „Shooter“ den ersten Roman einer inzwischen Familienserie um den Scharfschützen Bob Lee Swagger neu auf. Das Buch ist schon 1996 als „Im Fadenkreuz der Angst“ in Deutschland erschienen. Der Leipziger Verlag hat aber eine neue, sehr zeitgemäße Übersetzung anfertigen lassen und präsentiert den Roman im Gegensatz zu "Im Fadenkreuz der Angst" ungekürzt. Der Roman des Pistolensportschützen Hunter erschien in den USA drei Jahre früher. Einer aus heutiger Sicht politisch fast naiven Epoche, was sich auch an einigen Passagen des Buches zeigt.  Während David Morrells „Rambo“ ein literarisches Kind der siebziger Jahre ist, zeigen sich die politischen Schleifspuren der Neunziger mit dem Eingreifen des CIAs in Lateinamerika oder dem ersten Golfkrieg. Nicht die ganze amerikanische Nation darf böse sein, sondern nur einzelne Gruppen, die von politischem wie kranken Ehrgeiz getrieben sind und denen das Geld wichtiger als die Ehre ist. Auch eher ein Ergebnis aus den neunziger Jahren ist das Ende des Romans, das effektiv und passend in einem Gerichtssaal spielt und eine letzte im Grunde ausweglose Situation bereinigt. Nur hat Stephen Hunter überambitioniert vergessen, dass er die relevante Szene detailliert im Roman beschrieben hat und dass der in Frage kommende Protagonist in diesem Moment keine echten Zweifel geäußert hat. Das nachträglich geäußerte Misstrauen wird zu wenig in der Figur vorbereitet und wirkt deswegen trotz der eher cineastisch reifen Auflösung nicht ganz zufriedenstellend.  Hinzu kommt, dass Stephen Hunter im Grunde auf mehrere Klischees zurückgreift. Der potentielle Tod eines der wichtigsten Protagonisten, der sich später als Teil einer umfassenden Ablenkungsstrategie herausstellt und die Entführung der einzigen Frau, die dem Scharfschützen Swagger etwas bedeutet, sind inzwischen Klischees des Genres. Selbst die finale wie pragmatische Auflösung der Dreieckskonfrontation wirkt trotz aller Spannung auch ein wenig bemüht und findet sich in einigen dieser harten Thriller wieder.  Wie bei John Rambo erzwingt Aktion gegen Reaktion. Im Gegensatz zu „Rambo“ wissen die militärisch geschulten Männer allerdings durch den zwangsweise rekrutierten Psychologen, was auf sie zukommen wird. Sollte Swagger sich getäuscht und verraten fühlen, wird er zu einem unerbittlichen Rächer, der das Gerechtigkeitsgleichgefühl um jeden Preis wieder herzustellen sucht. Koste es, was es wolle und seien die Chancen auch noch so gering.  Da der Leser weiß, dass die Antagonisten Swagger anheuern und sein Wissen missbrauchen wollen, ist der Plot Verlauf festgeschrieben und weicht nicht im Groben, aber in den Details nur vom stringenten roten  Faden ab, der spätestens seit Morrells Rambo Gesetz ist.

Dieser Vorhersehbarkeit einzelner Szenen, vielleicht ganzer Handlungsteile wird aber durch eine erstaunliche Distanz gegenüber dem Geschehen, eine sachliche wie moralische Unabhängigkeit ausgeglichen. Stephen Hunter verlangt hinsichtlich seines Waffenfetischismus und der ambivalenten, manchmal ein wenig grauen, aber niemals nachhaltig unsichtbare Grenzen überschreitenden Zeichnung seiner Figuren – der Held darf nur Schurken töten, die Verbrecher alles niedermähen und der noch unwillige Sidekick glänzt in zwei wichtigen Szenen durch moralische Bedenken, die ihn zögern lassen – ein wenig Geduld von seinen Lesern.   Aber die Wurzeln des Romans liegen viel tiefer als im Vietnamtrauma oder der Verklärung des amerikanischen Kriegshelden. Im Grunde erzählt Stephen Hunter auf erstaunlich einfache Weise einen modernen Western mit einem Helden, der die amerikanischen Tugenden wie kein anderer verkörpert. Er kommt aus dem Süden der USA, ist aber bodenständig verschlagen und wird in der finalen Gerichtsverhandlung durch einen typischen Matlock Verschnitt vertreten. Er ist ein Kriegsheld, der über den Krieg – dieses Mal Vietnam und nicht der Bürgerkrieg – nicht sprechen möchte, der auch keinen Wert auf Auszeichnungen legt. Er lebt abgeschieden, isoliert nur mit seinem Hund, der für ihn wichtiger als ein Mensch ist. Kein Wunder, dass er seinem Hund später eine ordentliche Beerdigung sogar auf geweihten Boden als einzigem bislang ernsten Freund zu kommen lässt.  Auf der anderen, eher implizierten Seite ersetzt Stephen Hunter den treusten Freund des Menschen  später nicht nur durch einen menschlichen Kameraden, er lässt den geschiedenen Swagger wieder eine eheähnliche Beziehung eingehen. Das Loslassen des Einen, das Herausfordern führt zu einer neuen Zugänglichkeit des Protagonisten.   Swagger hat nur im Krieg getötet. Zu Beginn des Romans schießt er selbst auf Tiere nicht mehr, sondern markiert oder betäubt sie nur noch, um sie durch Abschneiden des Geweihs vor anderen Jägern zu schützen. Swagger ist ein Mann mit Vergangenheit, die er nur zum Schutz seiner Kameraden, der amerikanischen Interessen in Vietnam eingesetzt hat. Auch in der zweiten Hälfte des Buches wird er effektiv wie eine Maschine nur töten, wenn sein Leben direkt oder indirekt in Gefahr ist. Oder wenn seine Freundin bedroht wird. Es passt, dass er sich gleichzeitig an den Mördern seines Hundes rächen kann. Wie Rambo reagiert er auf nur auf Provokationen. Im Gegensatz zu Rambo, der auf die ebenfalls typische Arroganz kleiner Ordnungshüter in vergessenen, im Süden der USA beheimateten Städten reagiert, ist Swagger unwissentlicher Helfer bei einem komplex geplanten Attentat, dessen Opfer je nach Perspektive von vorneherein ein lateinamerikanischer Priester oder der amerikanische Präsident ist. Wie Rambo wird Swagger auf einer gänzlich anderen Ebene provoziert. Im Gegensatz zu Rambo, dessen Reaktionen nicht vorhersehbar sind, ist die Tötung Swaggers und seine Denunzierung als psychotischer Einzeltäter von  Beginn an geplant.

 "Shooter" ist auch ein Roman des Übergangs. Swaggers Vater hat im Zweiten Weltkrieg für eine gerechte Sache gekämpft. Sein Sohn in Vietnam für einen fragwürdigen Krieg. Beide haben ihrem Land gedient- im allgemeinen ist es so, dass das Töten von Gegnern und nicht Zivilisten im Krieg natürlich separiert von jeglichen Kriegsverbrechen als abgeschlossenes Erlebnis gesehen werden muss, dass ohne Frage für viele Menschen auch seelische Fiolgen bedingt. Aber diese Soldaten sind keine grundsätzlichen Verbrecher. Stephen Hunter diskutiert nicht die Kriegsrechtfertigung für den Einsatz der Amerikaner in Vietnam. Er stellt den Feldzug auch nicht auf eine Stufe mit dem Kampf gegen die Nazis, aber Swagger ist aufgrund seiner Taten ein Held, der viele amerikanische Soldaten dank seiner Fähigkeit als Scharfschütze gerettet hat. Damit seine Argumentation noch besser funktioniert und den Roman sicherlich aus dem Einheitsbreit der paramilitärischen und teilweise fassistischen Thriller heraushebt, braucht er mehr als nur einen Gegner. Shreck und seine rechte Hand Payne sind zwar eindimensional, opportunistisch und brutal beschrieben worden, aber sie verkörpern auch die neue amerikanische Politik nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie sind die Werkzeuge, welche Regierungen benutzen, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen. Die gekauften "Söldner" der Industrie, die dahin gehen, wo die Gesetze die Amerikaner behindern könnten. Sie leben mit und von der Gewalt, die sie allerdings nicht immer und gegen die Klischees argumentierend herbei gerufen haben. Um sie dunkler und böser zu machen, sind sie an einer Ausschwitz Auktion im Dschungel - eines der markantesten Bilder des Romans - beteiligt. Damit werden die Fronten noch deutlicher und vielleicht sogar manipulierender abgegrenzt als es notwendig gewesen wäre. Das Werkzeug, das sie sich ausgesucht haben, ist deutlich interessanter. Ohne zu viel zu verraten handelt es sich ebenfalls um einen Meisterscharfschützen, dessen Geschichte so anders als die von Swagger ist. Vielleicht wird die Figur seines eigentlichen Feindes zu wenig differenziert gezeichnet. Dabei wäre ausgerechnet das notwendig, denn die Idee, einer intellektuellen Wandlung nach mehr als zwanzig Jahren aus dem Nichts heraus wahrscheinlich nur aufgrund der Herausforderung oder für Geld ist zu wenig vorbereitet. Dadurch verliert auch das eigentliche Duell an Faszination.

"Shooter" ist ein Buch der gebrochenen Menschen. Swagger hat sich in die Isolation zurück gezogen, sein späterer Partner Memphis leidet als FBI Agent unter dem Trauma, eine Geisel bei einer Aktion verletzt zu haben. Er hat die im Rollstuhl sitzende Frau schließlich aufgrund seines schlechten Gewissens geheiratet. Swaggers Freundin ist die Ehefrau seines Kameraden, der in Vietnam an seiner Seite gestorben ist. Die wichtige hinweisgebende Sekretärin möchte von Männern als Frau und nicht mehr als Schlampe gesehen werden. Payne und Shreck sind reine Sadisten und politische Opportunisten, die irgendwann die Grenze zwischen Recht und Ordnung sowie den amerikanischen Interessen aus den Augen verloren haben. Vielleicht wirkt es ein wenig zu kitschig, dass die beiden männlichen Helden Swagger und Mephis am Ende nicht nur den Glauben an die amerikanische Justiz wiederherstellen und die politischen Kräfte entlarven, sondern auch Partnerinnen möglicherweise fürs Leben finden, aber Stephen Hunter bemüht sich, diese Szenen nicht zu kitschig zu beschreiben.

Hunters Roman setzt sich aber auch mit der Idee des Scharfschützen auseinander. Des Mannes, der aus der Entfernung tötet. Und im Gegensatz zu Panzern, Flugzeugen oder Geschützen den Gegner trotzdem sehen muss. Es ist kein anonymes Töten. Hunter beschreibt eine elitäre Elite von wenigen Männern, die aus immer größeren Entfernungen mit Hilfe immer perfiderer Kugeln oder Gewehre töten können und töten werden. Teilweise verliebt sich Hunter zu sehr in die kleinen Details und beschreibt sie Seitenweise. Was während der Gerichtsverhandlung vielleicht notwendig ist, erscheint anfänglich wie ein Fetisch. Der Autor erhebt das Töten aus der Entfernung zu einer Wissenschaft und je länger der Leser bei "Shooter" verbleibt, um so umwahrscheinlicher erscheint es, dass Oswald wirklich alleine mit einem alten Gewehr John F. Kennedy erschossen haben könnte. In den etwas trockenen, vielleicht zu gedehnten Kapiteln erfährt der Leser so viel über die Planung von Attentaten, wie er eigentlich nicht wissen will.

Hinsichtlich seines politischen Standpunkts ist Stephen Hunter ohne Frage konservativ, vielleicht von Tom Clancy beeinflusst, aber systemtreu mit einem Glauben an die amerikanischen Grundrechte. Er beschreibt die Manipulationen der CIA treuen Waffenfirma, ihrer Handlanger und der involvierten Politiker mit der entsprechenden Abscheu und heroisiert das Bild des einsamen Soldaten nicht über Gebühr. Swagger ist kein Sympathieträger, aber er wird auch nicht abstossend oder brutal genug beschrieben. Er ist ein einfacher Mann, der wie ein Mann seinen nicht einfachen Weg bis zum Ende gehen will und gehen wird. Schuld sie die anderen, die ihn mißbraucht haben. In dieser Hinsicht lebt der amerikanische Traum in Kombination mit dem immer stärker werdenden amerikanischen Trauma, das in dem nicht immer nur spannenden, sondern teilweise ein wenig zu distanziert beschriebenen "Shooter" mehr und mehr thematisiert wird, aus der heute fast unschuldig erscheinenden Perspektive der neunziger Jahre lange vor dem 11. September weiter. Swagger ist ein Mann, der weniger in seiner Eitelkeit gekränkt, als hinsichtlich seiner einzigen Niederlage - dem Verlust des Freundes/ Kameraden - von Shreck gekitzelt wird. Provoziert nimmt er weniger für seine Ehre, sondern aus Rache um seinen Hund, nicht für die Nation, sondern für die Gerechtigkeit einen Kampf auf, den er ausserhalb eines Romans nicht gewinnen kann.

Vielleicht für ein Debüt stellenweise zu überambitioniert, zu wenig frei erzählend konzipiert unterhält "Shooter" in dieser überfälligen Neuauflage insbesondere Anhänger David Morrells und Tom Clancys solide.

 

Buchseiten:640 Seiten
Ausführung:Paperback, Umschlag in Festa-Lederoptik
Format:20 x 12,5 cm
ISBN:978-3-86552-316-7
Originaltitel:Point of Impact
Übersetzung von:Patrick Baumann
Kategorie: