Karla

Monika Niehaus & Jörg Weigand (Hrsg.)

Der Verlag p. machinery setzt seine inzwischen etablierte Tradition der Geburtstagsbücher und weniger Gedenkbände mit „Karla“ fort. Monika Niehaus und ihr Ehemann Jörg Weigand setzen der Autorin historischer wie phantastischer Geschichten ein optimistisch grünes Denkmal, das kleine handlich Büchlein hat einen einladenden grünen Rand.

Es lohnt sich, die beiden Einleitungen von Monika Niehaus („Später, aber umso schwungvoller Start in eine literarische Karriere“) und Jörg Weigand („Hinaufgeschrieben. Die Karriere der Autorin Karla Weigand“) in der umgekehrten Reihenfolge zu lesen. Zwar gilt immer noch Ladys first, aber Jörg Weigand schreibt mehr über die ersten zarten Pflänzchen literarischer Erzeugnisse inklusive einer umfangreichen Bibliographie, während Monika Niehaus vor allem die Freundschaft in den Mittelpunkt stellt. Zwar träumte Karla Weigand zu diesem Zeitpunkt noch davon, in ihrem dritten Lebensabschnitt Schriftstellerin zu werden, aber zumindest während der ersten gemeinsamen Treffen der Weigands und Niehaus war sie davon noch einen Schritt entfernt. Jörg Weigand dagegen erzählt, wie er seine Frau mit sanftem Druck und viel Überzeugung schließlich an die Tastatur gebracht hat.

Dieses Trio von einleitenden Texten wird durch Friedhelm Schneidewinds Kurzexkursion unter dem Titel „Historie, Recherche und Fantasie“ ergänzt. Friedhelm Schneidewind fasst die wichtigsten längeren Texte Karla Weigands kurz zusammen. Einzelne Informationen werden den Leser schon aus den Artikeln von Monika Niehaus und Jörg Weigand bekannt vorkommen, aber Friedhelm Schneidewind ist weniger befangen und kann ein wenig objektiver, distanzierter über die besondere Art von Karla Weigands vor allem historisch minutiös recherchierten historischen Werk schreiben.

Susanne Päch widmet Karla Weigand ein Gedicht ihres verstorbenen Mannes Herbert W. Franke, das im Anschluss abgedruckt worden ist. Eine bitterböse faustische Satire, wie sie Herbert W. Frankes Frühwerk- teilweise in der p.machinery Werksausgabe zum ersten Mal seit Jahrzehnten zugänglich – auszeichnet.

 Kollegen wie Iny Klocke & Elmar Wohlrath waren zu den Anfängen nicht nur zugegeben, sondern haben aus ihren eigenen Erfahrungen berichten. Daher fallen ihre Glückwunsch vielleicht ein wenig kürzer, aber nicht weniger persönlich aus. Sehr persönlich wird es bei den Gaisbauers, welche Karla Weigand auch durch ihre gemeinsame Herausgebertätigkeit im Rahmen der EDFC Publikationen schon seit vielen Jahren kennen.

Ursula und Herbert Kalbitz berichten reichhaltig durch alte Leihbuchtitelbilder illustriert von Karlas erstem Auftreten bei den alljährlich stattfindenden Treffen der Leihbuchsammler. Marianna Labisch spricht über die ungewöhnliche Frau, die sie  wie die meisten anderen in diesem Buch versammelten Gratulanten – über Jörg Weigand kennen lernen durfte.

 In einem zweiten Beitrag beträgt Jörg Weigand Ahnenforschung und stellt fest, dass seine Frau mit dem Satiriker und langjährigem Herausgeber des Magazins „Punsch“ im 19. Jahrhundert verwandt ist. Literarische Wurzeln also weit vor der Wiege ausgesät.

Manred Weigand skizziert als Ergänzung zwei Tage aus dem Leben der Karla W. im Haushalt des Weigands mit der Erkenntnis, das man erst Schreiben kann, wenn alle anderen geliebten Menschen unter der... Bettdecke sind. Jöeg Weigands aus erster Ehe stammender Sohn Armin berichtet über die anfänglichen Schwierigkeiten, mit der zweiten Frau zurecht zu kommen,. Wobei hier in erster Linie die eigenen Vorurteile im Kopf zur Sprache kommen. 

Natürlich finden sich in jedem Geburtstagsband auch viele Geschichten. Einzelne Texte nehmen Bezug auf die Persönlichkeit und die Freundschaft zu Karla Weigand, bei anderen Texten sind ihre literarischen Arbeiten Sprungbretter für neue Freiflüge der Phantasie.  Kai Riedemann eröffnet diesen Abschnitt des Büchleins mit „Die Revolution findet nicht statt“.  Der Titel ist nicht ganz richtig, es könnte auch „Die Revolution endet nie“ heißen. Der Protagonist findet im bescheidenen Erbe seiner Großtante ein kleines Büchlein mit handschriftlichen Ergänzen. Anscheinend stammt der Text aus der französischen Revolution und der Protagonist folgt der allerdings vagen Spur der Notizen bis zu einem Ort, an dem im übertragenen Sinne die Zeit stillgestanden ist. Wie Karla Weigand recherchiert Kai Riedemann den Hintergrund seines Textes sehr gründlich, vielleicht für die Kürze der Geschichte zu gründlich. Das Tempo des Textes ist verhalten, ruhig, die Story lebt vor allem von den impliziten Stimmungen.    

Frank G. Gerigk setzt sich in der “Der Elefant” mit einem besonderen Hobby Karla Weigands auseinander. Sie sammelt Elefanten Figuren. Der gestresste Ehemann dieser Geschichte muss nicht nur eine besondere Reise verschieben; er reist, um ein besonderes Geschenk aus Spanien zu besorgen. Auch Ansgar Schwarzkopfs “Große Pause” setzt sich mit der Jubilarin auseinander: studiert hat sie Lehramt und in dieser Geschichte werden die Lehrer der Zukunft  präsentiert. Ausdauernd, intelligent, mit fast allen Wassern gewaschen und erstaunlich genügsam, wenn sie erst einmal ab- und nicht angeschrieben worden sind. Beide Kurzgeschichten sind Pointengeschichten, geschickt aus dem Leben gegriffene Ideen, ein wenig phantastisch oder mystisch extrapoliert.    

Rainer Schorm verbindet Phantastisches mit Heimatkunde. „Zeit der Zirben... oder das Tagebuch des Josef Koller“ ist die Suche des Erzählers nach einem verschwundenen Vorfahren. Die Aufzeichnungen führen ihn an ein, aber nicht das Ziel. Der Titel ist bei dieser kleinen stimmungsvollen Miniatur Programm.

 In Tim Piepenburgs „Der erste Kontakt?“ geht es um Karla Weigands Faszination für eine besondere Tierart- der Plot mit den außerirdischen Beobachtern, die erst den Mars – alle Klischees werden gestreift – beobachten/ landen und danndie Erde in Augenschein nehmen, entspricht allen Klischees des Genres, liest sich aber aufgrund der Kürze vergnüglich.  

 Jürgen vom Scheidt ist der erste, aber nicht der einzige Autor, welche K.I. in Mittelpunkt seiner Miniatur stellt. Auf die Frage „wie das alles so gekommen ist“, gibt es eine umfangreiche Antwort. Der Wendepunkt scheint die Frauen Fussball WM im Jahr 2023 gewesen zu sein. Natürlich wirkt diese Prämisse ein wenig konstruiert, aber Jürgen vom Scheidt macht deutlich, dass Mensch zu dumm ist, um in Frieden zu leben... Und das schließt auch den (Frauen-) Fussball im Grunde mit ein. Aber die Lösung harrt um die Ecke.  Auch wenn Jan Osterlohs „KI? Nee Pi“ mit der Idee künstlicher Intelligenz spielt, geht es vor allem um die Mutter Natur und die seltsame Verbindung zwischen den Pilzen sowie einzelnen „Bewohnern“.  

 Bei Katja Göddemeyer machen die einzelnen Protagonisten aus Karla Weigands umfangreichem Werk ihre „Aufwartung“. Viel schlimmer treibt es Wolfgang Pippke in „Simplicius“. Die fiktive Figur aus der „Simplicius“ Geschichte dreht den Spieß einfach um und beginnt über die Schriftstellerin – in diesem Fall natürlich eine Karla – zu schreiben, nachdem er sich erst direkt an sie gewandt hat. Viel schlimmer trifft es Astrid Ann Jabusch in „Wo bleibt denn deine Geschichte?“ Auch sie begegnet drei sehr unterschiedlichen und doch gleichen Frauen in einer Eckkneipe, die sie zufällig aufgesucht hat. Oder vielleicht auch nicht ganz zufällig. Pointierte Dialoge und ein teilweise krasser Blick über die eigene Schulter zeichnen diese Geschichte aus.  

 Monika Niehaus präsentiert eine der umfangreichsten Geschichten: „Der Champagner Mord“ ist das intellektuelle Duell zwischen einer inzwischen zu den Cold Cases abgeschobenen Kommissarin und dem einzigen Überlebenden eines Giftmordes. Zwölf andere Menschen sind in dem inzwischen leer stehenden Hotel verstorben. Der Champagner Mord ist nur der Auftakt einer Reihe von perfekten Verbrechen, an denen der Täter nicht überführt, sondern nur in eine perfide Falle gelockt werden kann. Ein intellektuelles Spiel mit einem fatalistischen Ausgang. Vor allem ist sich Monika Niehaus aller Klischees bewusst, welche in den Augen der Polizei auf Fehler des oder der Täter hinweisen. Absichtlich ausgelegt, um das Ziel zu erreichen.

 In ihrer zweiten Story „Der Nachtfalter“ geht es um einen Mord an einem Informanten und Horrorfilmfan. Der Inspektor und seine Helferin ermitteln zwar in der Theorie, finden sich einen möglichen Verdächtigen und folgen den Spuren des perfiden Mordplans, aber die Geschichte wirkt unrund, konstruiert und vor allem auf der einen Seite positiv bizarr mit zahlreichen Anspielungen, auf der anderen Seite eher wie ein Konzept und noch kein fertiger Text. 

 Auch Gisbert Haefs „Schrödingers Wisent“ könnte einen perfekten Mord beschreiben. Nach einem Klassentreffen wird einer der eher unangenehmen ehemaligen Mitschüler tot im Wisent Gehege gefunden. Der Inspektor versucht den Tatablauf noch einmal zu rekonstruieren, er hat eine klare Vorstellung vom Täter, kann es aber nicht beweisen.

Kai Focke greift mit dem Medium Marlen von Halverstedt auf eine Figur aus einer seiner Miniaturen zurück. Im Auftrag ihres Meisters soll sie den Tod eines alten Herrn untersuchen. Dabei kann sie unter bestimmten Umständen mit den Geistern der gerade Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Während bei Gisbert Haefs ein Verbrechen nicht beweisbar ist sowie Monika Niehaus den Täter in eine Falle tappen lässt, aus welcher er nicht entkommen kann, dessen Auslage er aber auch nicht sehen konnte, übernimmt das Medium Marlen von Halverstadt gleich mehrere Aufgaben. Ermittler und „Henker“ zugleich.

 Alle drei Krimis sind spannend, auf wenige Figuren konzentrierte Kammerspiele, in welche teilweise auch Karla Weigands Affinität für die Vergangenheit in Kombination mit guter Recherche und eher intellektuellen statt brachialen Lösungen hineinspielt.        

 Auch Marianne Labischs „Im Schatten der Hochburg“ gehört zu den besseren, weil auch längeren Geschichten dieser Anthologie. Die Tochter eines Adligen verschwindet im Wald. Dort trifft sie auf ein sagenhaftes Wesen, das ihr auf der einen Seite eine düstere Zukunft prophezeit, auf der anderen Seite aber auch einen Schlüssel zu einem Schatz schenkt. Die düstere Zukunft wird sich so nicht manifestieren und Reichtum findet sich auch anderswo. Ihr Vater sucht sie. Er wird von Alpträumen gequält, in denen ein Faun seine unschuldige Tochter brutal vergewaltigt.

 Basierend auf den entsprechenden Legenden um den Faun bzw. Waldgott Fanus hat die Autorin eine stringente, auf zwei Ebenen ablaufende Geschichte entwickelt, die zwar märchenhafte, aber auch gleichzeitig dunkle Züge in sich trägt.  

 Jacqueline Montemurri beschreibt in „Die Hexe von Eichenhain“ eine im dunklen Mittelalter fast alltägliche Situation. Eine junge Kräuterfrau rettet einen Mann aus dem Dorf. Ein Unwetter zieht auf und nur ein Haus wird verschont. Schon denken alle Dorfbewohner, sie haben trotz ihrer langjährigen Hilfe eine Hexe unter sich. Am Ende dreht die Autorin konsequent den Plot und sorgt für eine Überraschung. Der Leser folgte bis dahin fast stoisch der Abfolge von Gerüchten und Vorverurteilungen, vom Schweigen der vielen metaphorischen Schade und dem Inquisitor, der nur schnell eine weitere Verbrennung hinter sich haben wollte.

 Eine andere Art Heilerin steht im Mittel von „Musikalisches Konzil“ (Friedhelm Schneidewind). Die junge Frau wird zum Hof gerufen, um einen jungen Mann zu versorgen. Neben einer reichhaltigen Vergütung lernt sie die musikalischen Fähigkeiten zweier Männer kennen, die sich einen Wettstreit liefern. Die Geschichte basiert auf historischen Figuren, ist vom Autoren für die Gegenwart aufgearbeitet worden und wirkt eher wie ein Expose einer längeren Geschichte. Der Zugang zu den Figuren fällt schwer und im Gegensatz zu einigen anderen Autoren historischer Geschichten präsentiert Friedhelm Schneidewind zu Beginn eine – im Verhältnis zum Umfang des Textes –  Fülle von Informationen, welche den Plot schwer in Gang bringen.

 Thomas le Blancs „Die Apothekerin“ könnte der Anfang eines Romans sein, wie sie Karla Weigand in ihrer bisherigen Karriere gerne verfasst hat. Intelligente, entschlossene Frauen, die aktiv gegen den sozialen Strom schwimmen oder schwimmen müssen. Eine junge Frau will bei einem Apotheker in die Lehre gehen, ihre Mutter ist eine Heilerin und gesellschaftlich wäre es ein Novum. Auch wenn Thomas le Blanc seine Geschichte mit „Ein Romananfang“ untertitelt hat, ist der Text vollständig und endet auf einer optimistischen Note.

 Alexander Roeders Kurzgeschichten sind nicht nur in den Phantastischen Miniaturen aus Wetzlar Höhepunkte. „Zweierlei Farben, zweierlei Kunst“ ist eine der besten Geschichten dieses Geburtstags Bandes. Der junge Goethe wird aufgrund seiner künstlerischen und weniger schriftstellerischen Fähigkeiten gebeten, Kupferstiche zu einem alten Buch anzufertigen. Eine ihm bekannte Persönlichkeit will das Buch abholen. Die potentielle Begegnung weckt den Ehrgeiz im jungen Goethe, der allerdings auch aufgrund seines Namens als Mittel zu einem sich erst am Ende zeigenden Zweck missbraucht wird. Alexander Roeder ist einer der Autoren, denen es wie Karla Weigand gelingt, die Vergangenheit lebendig erscheinen zu lassen, ohne die stringente und kurzweilig erzählte Handlung zu erdrücken.

 Humor muss sein. Gerald Bosch „Die Verkostung“ sorgt dafür. Auf der Erde soll ein Brauwettbewerb durchgeführt werden. Inzwischen hat das Bier im Allgemeinen und das Hefegetränk von der Erde im Besonderen das bekannte Universum erobert. Einige der humorvollen Szenen wirken ein wenig zu stark konstruiert, das Ende ist eher unscheinbar.

 Rüdiger Schäfer spielt in „Wachablösung“ . Ein inzwischen vergessener Gefängnisplanet, dessen Technik mehr und mehr zusammenbricht. Ein Gefangener, ein Wächter. Alle zwei Monate wechseln sie die Seiten, übernehmen die Rolle des jeweils Anderen. Der Leser ahnt das pragmatische Ende der Geschichte, aber Rüdiger Schäfer entwickelt in dieser seltsamen Beziehung zwischen den beiden Männern einiges an Emotionen, so dass ihre bizarren Handlungen und Schutzrituale irgendwie nachvollziehbar erscheinen. 

 Hans Jürgen Kuglers „Die perfekte Frau“ beginnt mit einem Mann, der verzweifelt eine neue Partnerin sucht. Seine bisherige Liste ist lang. Durch einen Zufall wird er telefonisch „falsch“ verbunden und findet dank einem Eingreifen von oben die perfekte Partnerin. Aber Perfektion ist etwas, was niemals ewig hält. In einem ironischen Ton mit zahlreichen Anspielungen auf den unzufriedenen ein wenig selbst verliebten Westentaschenmacho geschrieben arbeitet sich der Autor zu einer pragmatischen Pointe durch, die gleichzeitig unterstreicht, dass es sich bei dem „perfekte Frau“ Experiment eher um einen ersten Schritt handelt. In „Die Spinne an der Zimmerdecke“ (Helmut Ehls) ist es eine Fee, welche schließlich bei der ersten Begegnung mit den besten Freunden ihres Partners kalte Füße bekommt und von einer Spinne abgelenkt erscheint. Der Plot wirkt ein wenig überspannt, in der Kürze der Miniatur kann der Leser keine Basis zu den Figuren aufbauen und die Pointe wirkte auch eher pragmatisch.

 Auch in Bernd Schuhs „Der Reigen der Liebe“ geht es um eine perfekte Frau. Der Erzähler trifft eine Prinzessin, eine angehende Königin, die sich für eine Nacht ohne Bodyguard davon schleicht, um mit den emotional ein wenig überforderten Protagonisten „aus der Zeit zu fallen“. Auch wenn der Plot stringent erzählt ist und einige mystische Ideen enthalten könnte, fällt der Zugang zu den Protagonisten ein wenig schwer, weil Bernd Schuh sie aufgrund der Kürze des Textes vielleicht zu schematisch, hinsichtlich der Prinzessin auch ein wenig zu klischeehaft angelegt hat.

 Udo Weinbörners „Beschreibung eines Dorfes“ wirkt wie ein Expose. Es wird die Geschichte eines älteren, sehr beliebten Grafen erzählt, der sich eine Frau mit einem gewissen Ruf und einigen toten älteren Herrschaften im Gefolge erst als Haushälterin, später als Ehefrau nimmt. Die Gemeinde ist beunruhigt. Nach einer Weltreise kehren sie zurück und der Text endet abrupt. Andere Fragmente schieben sich in den Vordergrund. Während der Haupthandlungsstrang ausgesprochen komprimiert ohne die Nutzung von wörtlicher Rede niedergeschrieben worden ist, wirkt das zu offene, unbefriedigende Ende sowie die anschließenden Exkursionen negativ nach.  

 „Der Kaffeehausbesitzer“ in Maike Brauns Kurzgeschichte lädt die Protagonistin auf eine sehr ungewöhnliche Reise ein. Oder auch nicht. Verträumt, verklausuliert und mit zahlreichen Anspielungen auf die Wiener Kaffeehauskulter und noch einen Schritt darüber hinaus verliert sich der Plot allerdings gegen Ende in einer surrealistisch wirkenden (Alp-) Traumvorstellung.

 Einige der hier gesammelten Miniaturen können inhaltlich nicht mit den längeren Texten mithalten. In Anja Stürzer „Nächtliche Begegnung“ führt ein Ausflug mit Hund im Wald nicht nur zu einer, sondern zwei Begegnungen, von denen eine nachhaltig ist. Paul Felbers „Feuertanz“ benötigt übernatürliche Wesen, welche den Wanderern schließlich den Weg durch einen magischen wie gefährlichen Wald weisen. 

 Gerald Boschs „Cucas Volk“ mit einem selbstverliebten Adligen auf Schatzsuche in Lateinamerika und den Warnungen der Einheimischen, respektvoll mit den Insekten umzugehen, deutet das Ende dieser Geschichte schon an.

 Bei anderen Texten überzeugt die Pointe dagegen deutlich mehr. Ellen Norton beschreibt eine besondere Begegnung mit dem im Titel erwähnten Onkel Thea im Jahre 2070. Die Protagonisten ist lange Zeit auf der Suche nach Verwandten, hat das Bestreben fast aufgegeben, als sie plötzlich Post von einem ihr bislang unbekannten Onkel Theo bekommt, den sie zum Geburtstag einlädt. Dieser Besuch beinhaltet eine besondere Begegnung.

 Werner Zilligs „Bonnie“ ist dem Erzähler von den intelligentesten Wesen auf der Erde buchstäblich in die Feder diktiert. Sie sind für den wissenschaftlichen Fortschritt verantwortlich und wachen irgendwie auch über einzelne Menschen, wie die Familie lernt. Humorvoll, ein wenig kauzig, aber auch positiv in dieser Sammlung aus der Art geschlagen. 

An der Nordsee spielt Sabine Frambach „Kippkappkögel“. Dieses Mal entführen die magischen Wesen keinen Säugling, sie lassen einen weiteren da. Wie kann man Original und „Fälschung“ nur unterscheiden? Vor allem wenn sich im Laufe der Jahre die beiden Halbbrüder selbst einen Schabernack draußen machen. Humorvoll ist es eine der wenigen Geschichten, die an Karla und Jörg Weigands geliebter Nordsee spielen.

 Barbara Büchner beendet den Reigen von sehr unterschiedlichen Geschichten mit „Die Mittagsfrau“. Die auf einer slawischen Legende basierende von einem Studenten zu abendlicher Stunde in einem eingeschneiten Wirtshaus erzählt hätte auch der Auftakt dieses Geburtstagsbandes sein können. Atmosphärisch dicht, durch die verbale Erzählung mittels des Ich- Erzählers auch sehr stringent, verbindet diese kleine Geistergeschichte während der Mittags- und nicht der Mitternachtsstunde vieles, was Karla Weigands Werk auszeichnet. Mythen und Geschichte, authentische wie zugängliche Hintergründe und vor allem auch lebendige Figuren , meistens starke Frauen.  

 Aus dem Geburtstagsbuch für Thomas R.P. Mielke stammt Karla Weigands eigener Artikel „Tatsachenbeschreibung oder Fiktion“. Auch Thomas R.P. Mielke hat viele historische Romane geschrieben. Gemeinsam ist beiden Autoren, dass sie auf Authentizität Wert legen. Recherche steht über allem. Im Rahmen der historisch geschichtlichen Korsettstangen können sich dann die einzelnen Figuren aller Stände bewegen, aber unabhängig von einigen literarischen Feinheiten – Sex gehört dazu, manchmal auch in regelmäßiger Abfolge Schlachten- sollten Hintergrund jeweilige Aktion passen. Für einige Autoren ist Recherche schwierig, aber Karla Weigand macht mehrmals deutlich, dass diese Handarbeit mit möglichst authentischen Quellen und die Versetzung der Protagonisten in die für den Roman richtige und nicht fiktionale Zeit die Voraussetzungen sind, um überzeugende und damit auch erfolgreiche historische Romane schreiben zu können.

 Auch Hans- Dieter Furrers „Der präzise Scharfrichter. Legende einer verzögerten Hinrichtung im Zürcher Oberland“ setzt sich mit der nicht selten nur dem geübten Auge auffallenden Diskrepanz zwischen Legenden und historischen Fakten auseinander. Furrer schlägt den Bogen auch zu Karla Weigand während der Französischen Revolution spielenden Krimi und macht an beiden Beispielen deutlich, wie notwendig, aber auch schwierig es ist, die richtige Balance zwischen unterhaltsamer Spannung und historischer Realität zu finden.  

  Karl Jürgen Roth macht  in „Auf den Spuren unserer Geschichte: Karla Weigand“ deutlich, wie wichtig Recherche vor einem spannenden Inhalt ist. Dieses Thema wird immer wieder aufgegriffen, wobei auf die Betonung einer ordentlichen Vorarbeit hinaus nur wenige weiterführende Informationen für historisch eher oberflächlich gebildete Leser hinzukommen. Auch Andreas Schäfer geht in seinem Beitrag mehr auf die verschiedenen Stärken in Karla Weigands umfangreichem Werk ein als nur das Geburtstagkind.

 Cornelia Morpers „Das Waschen des Elefanten: Sao xiang“ geht noch einmal auf Karla Weigands Liebe zu den Dickhäutern ein, stellt aber auch eine besondere Art der Bemalung von Vasen aus China kurz und gut bebildert vor.

 Die Aufgabe, einer guten und vor allem auch inzwischen routinierten Erzählerin mit fundiertem geschichtlichem Wissen und einem Faible für Recherche etwas Gutes zu Geburtstag zu schenken, hat die eingeladenen Autoren und Autorinnen wie gute Gäste zu Höchstleistungen animiert. Im Vergleich zu manch anderem Geburtstagbuches, in dem die persönlichen Erinnerungen die Qualität der einzelnen Geschichten und Miniaturen übertroffen haben, präsentiert „Karla“ eine ganze Phalanx von wirklich gut erzählten, historisch mindestens zufriedenstellend bis auf den Punkt recherchierten Geschichten mit einigen Abstechern in den Bereich der Science Fiction und des teilweise exzentrischen Krimis. Selbst wer mit Karla (Weigand) und ihrem Werk nicht vertraut ist, wird in dieser empfehlenswerte Anthologie sehr viele lesenswerte Storys abseits der Intention des kleinen, grünlich gehaltenen Buches finden, welche vielleicht eine Art magische Pforte in das literarische Werk des Geburtstagskindes sein könnten.

KARLA: Einer besonderen Frau zum 80. Geburtstag

 Einer besonderen Frau zum 80. Geburtstag Außer der Reihe 91 p.machinery, Winnert, 25.04.2024, 296 Seiten, Paperback ISBN 978 3 95765 372 7 – EUR 31,90 (DE) E-Book: ISBN 978 3 95765 735 0 – EUR 9,99 (DE) Karla Weigand, geboren am 25. April 1944 in München,

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