Sherlock Holmes 48: Verrat aus dem Dunkel

James Crawford

James Crawfords neue Sammlung „Verrat aus dem Dunkel“ besteht aus insgesamt fünf Geschichten.

 “Tigeralarm“ beginnt mit einem Anruf eines britischen Adligen, der Sherlock Holmes über ein Komplett in Indien informieren will, an dessen Ziel ein Aufstand gegen die britischen Truppen steht. Kaum im Zoo als Treffpunkt angekommen, begegnen sie einem freilaufenden Tiger, der gerade ihren Informanten angefallen und getötet hat. Ein Inder erschießt den Tiger und verhindert so weitere Tote.

Sherlock Holmes und Doktor Watson beginnen zu ermitteln, wobei im engeren Täterkreis nur wenige Inder in Frage kommen, die entweder hochrangig bei der Armee dienen oder als Rechtsanwälte selbstständig sind. Vater und Sohn.

Der Fall ist relativ stringent angelegt und auch nicht wirklich spannend. Das mögliche Beweisstück führt Sherlock Holmes im Grunde direkt zu dem einzigen in Frage kommenden Mann, den Holmes und Watson direkt mit den Tatsachen konfrontieren. Der Hintergrund ist eher komplex und angesichts der britischen Kolonialpolitik nicht nur in Indien eher naiv optimistisch als wirklich realistisch. Natürlich erläutern die Verschwörer Sherlock Holmes während der finalen Konfrontation alle Fakten, auf welche der Detektiv noch nicht gestoßen ist. Natürlich ist das Ende auch keine Überraschung, im Laufe der Jahre hat sich in dieser Hinsicht nicht nur in den neuen Sherlock Holmes Geschichten, sondern in vielen Teilen der Detektivgenres eine gewisse Mechanik etabliert. Inklusiv des entsprechenden „Verweises“.

 Die vierte und fünfte Geschichte bauen  sowohl aufeinander wie auch auf „Tigeralarm“ auf. In „Flirt mit dem Tod“ begibt sich Sherlock Holmes in den Untergrund und hinterlässt Doktor Watson nur kryptische Nachrichten. Auch dessen Verfolgung endet mit Kopfschmerzen und einer Tasse Tee in einer Opiumhöhle. Doktor Watson ist überrascht, als er Doktor Watson in Verkleidung erkennt. Genau wie die folgende Geschichte – auch wenn fast zwei Jahre zwischen den beiden Episoden liegen, bildet das sehr offene Ende von „Flirt mit dem Tod“ die Brücke – „Familienbande“ weiterhin um den Aufstand. Im Mittelpunkt steht wie in der ersten Geschichte die indische Familie Rahman und es geht weiterhin um den Aufstand in Indien, an den angeblich auch britische Truppen beteiligt sein könnten. Deswegen möchte Mycroft Holmes, das sein Bruder abseits der Dienstwege weiter ermittelt. Laut James Carwford kommt es in „Familienbande“ zur ersten Begegnung zwischen Watson und Mycroft Holmes. Der Titel ist also in doppelter Hinsicht Programm. Von den drei Geschichte weist „Familienbande“ zwar die höchste Dynamik auf, das Ende wirkt ein wenig konstruiert. Es ist nicht zum ersten Mal in den Kanongeschichten anderer Autoren, dass weniger Reden und mehr Handeln dem berühmten Detektiv schon den Gar ausgemacht hätte. So kann sich Sherlock Holmes immer wieder in letzter Sekunde befreien (lassen). Sowohl „Tigeralarm“ als auch „Familienbande“ weisen eine Reihe von ähnlichen Mustern auf. Sherlock Holmes begibt sich zusammen mit Doktor Watson in Gefahr, wirkt ehrlich überrascht und wird in beiden Fällen von dritter Seite in letzter Sekunde gerettet. Dabei erscheint die Rettung in der zweiten Geschichte deutlich spektakulärer, um aus Sicht des logisch agierenden Detektivs zu argumentieren, in dieser Konstellation nicht planbar und doch entsprechend effektiv. Die Dialoge zwischen Sherlock und Mycroft Holmes; ihre gleichzeitige Reaktion bei der Nennung des Namens Holmes und einige Szenen zwischen Watson und Mycroft haben „Familienbande“ positiv aus dieser Sammlung heraus, während alle drei Texte an der schematischen Zeichnung der Antagonisten kränkeln und ihre Vorgehensweise sich ein wenig zu sehr ähnelt. Vor allem sollte zumindest Doktor Watson aufstöhnen, wenn ihm zum dritten Mal innerhalb weniger Jahre die gleiche, fiktive und seinen Indien Erfahrungen ein wenig widersprechende Gefahr vorgesetzt wird.    

 Deutlich interessanter ist die chronologisch zweite Geschichte. In „Das falsche Urteil“ ist ein Mann wegen Raubmord an einem Juwelier verurteilt worden. Er selbst behauptet, im Geschäft niedergeschlagen worden zu sein und vom tödlichen Angriff auf den Juwelier – dieser wäre dann vorher erfolgt – nichts mitbekommen zu haben. Der Bruder und die Ehefrau – auch dieses Verhältnis ist kompliziert – bitten Sherlock Holmes, den Fall noch einmal aufzurollen und das gefallene Urteil beseitigen zu lassen. Es gibt einen Ohrenzeugen für den Zeitpunkt des Überfalls, einen blinden Mann. Natürlich hat Sherlock Holmes dessen Aussage nicht protokolliert. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass dieser sich trotz seines überdurchschnittlichen Gehörs hinsichtlich der Abfolge auch irren könnte und natürlich findet Sherlock Holmes unter dem Fußboden des Ladens relativ zügig einen wichtigen Schlüssel, welcher den Beschuldigten zwar nicht gleich freispricht, aber ein Aufrollen des ganzen Prozess notwendig macht. Sherlock Holmes möchte sich aber nicht weiter mit dem Fall beschäftigen. Zumindest offiziell.

 Ein großes Problem bei vielen von James Crawfords Sherlock Holmes Geschichten ist der eingeschränkte potentielle Täterkreis. Folgt der Autor den Gesetzen des Kanon, dann kann der falsche Urteil nicht richtig sein. Das wäre innerhalb des Genres einmal eine positive Überraschung. Wie in einigen anderen Geschichten aus seiner Feder lassen sich die möglichen Verbindungen schnell ziehen, wobei das Verhältnis zwischen Frau und Bruder für Ablenkung sorgen soll. Das ist aber nicht der Fall und die Erklärungen sind ein wenig an den Haaren herbeigezogen. James Crawford benötigt diese allerdings, um den Fall ein wenig in die Länge zu ziehen und zumindest in der Theorie noch einmal Spannung aufzubauen.  

 In „Schach, Matt, Mord“ werden die beiden roten Handlungsfäden gleich zu Beginn im Gespräch zwischen Sherlock Holmes und Doktor Watson zusammengefasst. Sherlock Holmes vergleicht seine Ermittlungsarbeit mit einer Schachpartie. Die Leiche hat den Schachclub einer Internatsschule für Kinder reicher Eltern geleitet. Doktor Watsons spricht von der Manipulation des Geistes. Das Opfer ist Lehrer an der Schule, seit einem Jahr dabei und eine Art Mister „Club der toten Dichter“  Keating des viktorianischen Zeitalters. Während Mister Keating nach einer Tragödie allerdings die Schule verlassen muss, wird sein Alter Ego in dieser Geschichte auf mehrfache Art und Weise ermordet, gekreuzigt und in der Mensa aufgehängt. Lestrade bietet Watson und Holmes um ihre Mithilfe. Sie beginnen, die Lehrer zu verhören und bei den Schülern – alles Mitglieder im Schachclub – fallen ihnen einige wenige gleich negativ auf. Damit hört der eigentliche Fall auf, denn James Crawford möchte mit einer erzkonservativ faschistischen Variation zum britischen Film „If“ den Status Quo wieder herstellen (lassen). Sherlock Holmes und Doktor Watson werden in diesem Fall auf das Niveau von Augenzeugen degradiert. Während das in der ersten Geschichte noch mittelbar gewünscht ist, kommt hier die Rettung aus dem Nichts und die extrem gefährliche Situation wird auf eine Art und Weise bereinigt, wie es eben nur die Mutter kann.

Nach dem guten Auftakt verläuft der Plot ein wenig im Sand, um dann auf den letzten Seite durch das Überschlagen von Ereignissen wieder an Fahrt zu gewinnen. Der Leser stellt sich unwillkürlich die Frage, ob James Crawford nur in cineastischer Tradition nachlegen wollte, als das Ermittlungsfeuer am Verglimmen war oder er seinem Detektiv keinen echten Erfolg zugetraut hat. Ein guter Anfang; ein vielleicht handfestes Motiv, aber eine provozierende und vor allem viel zu auffällige Ausführung, welche in dieser Form nur die Aufmerksamkeit auf die ansonsten eher „verschwiegene“, strenge Schule lenkt als das die Tat wirklich ablenkt. 

 „Verrat aus dem Dunkel“ ist als Sherlock Holmes Sammlung eher bemüht als wirklich überzeugend. Ein großes Manko sind die drei inhaltlich zusammenhängenden, aber in dieser Form schematischen Geschichten um einen potentiellen Aufstand in Indien, angezettelt von Kräften aus London. Effektiver wäre es gewesen, die einzelnen, durchaus vorhandenen Stärken der drei Geschichten herauszunehmen und daraus eine einzige, zusammenhängende Novelle zu gestalten, in welcher Sherlock Holmes auf die Bitte von Doktor Watson hin den Fall untersucht. So neutralisieren sich die Geschichten auf dem engen Raum dieser Anthologie. Die Schwächen der Plotkonstruktion zeigen sich auch in den beiden nicht vor der indischen Kulisse spielenden Geschichten. James Crawford baut solide Szenarien auf, kann sie aber nicht abschließend überzeugend lösen. Dreimal wird die finale „Rettung“ oder das Durchschlagen eines gordischen Knoten Sherlock Holmes aus der deduzierenden Hand genommen. Das ist eindeutig zu viel und reduziert die Figur deutlich im Vergleich nicht nur zu den Originalgeschichten, sondern einer Reihe anderer Autoren, die sich sehr viel mehr Mühe mit den Mechanismen einer guten Sherlock Holmes Geschichte gemacht haben.   

Blitz Verlag

Taschenbuch

174 Seiten

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