Clarkesworld 217

Neil Clarke (Hrsg)

 

Vor achtzehn Jahren erschien die erste Ausgabe von „Clarkesworld“. Ein guter Grund für Herausgeber Neil Clarke nicht zurückzublicken, sondern auf die eigentliche Idee hinter dem Magazin zu schauen. Internationale Science Fiction im angloamerikanischen Raum zu präsentieren. Gut 30 Prozent der Geschichten stammen nicht mehr aus den USA und England. Tendenz steigend.

Octavia Cade geht in  ihrem Essay „Fact, Fiction and Feeling: Ecological Grief in a Changing World” auf die immer schmaler werdende Kluft zwischen ökologisch mahnender Science Fiction und der bitteren Realität ein. In ihrem lesenswerten Artikel finden sich eine Reihe von Geschichten, die mindestens einer Wiederentdeckung harren.

Arley Sorgs Interviews mit R.S.A. Garcia und Indrapramit Das unterstreichen die Tendenz zur Internationalisierung.  Trinidad und Tabago trifft auf Indien. Zumindest was die familiären Wurzeln der beiden noch jungen Autoren angeht. Ausführlich gegen sie auf ihren kulturellen Hintergrund ein, versuchen die Verbindung zwischen ihren Traditionen und ihren Geschichten herauszuarbeiten und antworten lebhaft auf ihre bisherigen, teilweise doch sehr belebten Leben.

Sechs Kurzgeschichten und eine Novelle bilden den literarischen Teil dieser Ausgabe. „A Space O/pera“ von Abby Nicole Yee ist eine dieser typischen „Clarkesworld“ Geschichten, in denen nicht viel Technisches überzeugend funktioniert. Der erste Satellit der Philippinen wird mit einem älteren Hund an Bord ins All geschossen. Das wirkt schon archaisch, da die Geschichte nicht in einer Parallelwelt spielt. Als die Verbindung abbricht, versucht die Besitzerin des Hundes, ihn zu retten.

Anscheinend eher für Jugendliche geschrieben, macht der Inhalt nur bedingt Sinn. Der Leser darf nicht in die Tiefe steigen, vieles bleibt unwirklich und die sozialen Kommentare gegenüber den rücksichtslosen Reichen wirken aus dem Zusammenhang gerissen und eher als plakativ belehrende Botschaft hier platziert.

Fiona Moore macht es in „The Cildren of Flame” ein wenig besser. Nach einer nicht näher bezeichneten ökologischen Katastrophe ist die Menschheit oder besser der Rest der Menschheit auf ein primitives Niveau zurückgefallen. Der Titel bezieht sich auf wandernde Nomaden, welche maskiert und mittels einer besonderen Sprache sich durch diese dystopische Welt schlagen. Die Charaktere sind interessant, der Hintergrund stellenweise auch ausgesprochen gut entwickelt, aber die Teile passen nicht wirklich zusammen. Vieles bleibt offen und eine Novelle wäre wahrscheinlich inhaltlich die bessere Wahl gewesen.

Auch „The Buried People“ spielt in einer postapokalyptischen Zukunft. Einer der Überlebenden aus einer technisch höherstehenden Enklave versucht mit der Hilfe ein Einheimischen Menschen auszugraben, die dank ihrer biogenetischen Veränderungen mittels Winterschlaf in der unwirtlichen Umgebung überleben können. Eine Wiederenterweckung für Einsetzen des Frühlings hat schwerwiegende Folgen.

Die Ausgangsbasis ist interessant, der Hintergrund auch zufriedenstellend entwickelt. Problematisch wird es, wenn der Autor Nigel Brown aus seinem potentiellen Helden den Schurken machen möchte. Die Atmosphäre wird gewalttätiger, das Tempo steigert sich, aber generell bleiben gegen Ende mit einem leicht konstruierten Ende die Fragen offen, auf deren Beantwortung sich der Leser gleich zu Beginn der Geschichte durch die gute Exposition eingestellt hat.  

Mike Robinsons „Midnight Patron“ ist die dritte Story, die nach der ultimativen Katastrophe spielt, welche die Menschheit in diesem Fall fast gänzlich ausgelöscht hat. Der Protagonist bricht in ein verlassenes Museum ein und beginnt in der Einsamkeit, seine eigenen künstlerischen Fähigkeiten zu entdecken. Neben einer Ode an die heilende Kraft der Kunst handelt es sich bei diesem kurzen Text um ein melancholisches Stillleben, eine Warnung von einer dunklen Zukunft und gleichzeitig der Beweis, wie viel Schönheit die Menschen erschaffen können, wenn sie wirklich wollen.  

Zu den bizarrsten Geschichten nicht nur dieser Ausgabe gehört ohne Frage Louis Inglis Halls „Fishing the intergalactic Stream“. Der Erzähler reist von Planet zu Planet, um fischen zu gehen.  Es ist nicht unbedingt Seemanns Garn, das hier gesponnen wird. Aber aus den verschiedenen Anekdoten passiert leider nicht viel, so dass die Geschichte schnell relativ langweilig und langatmig wird.

Aus dem Spanischen ist „The Face of God: A Documentary“ übersetzt worden. Damian Neris Gott ist ein gigantischer humanoider Körper mit Schuppen, teilweise Federn, der im erdnahen Orbit kreist. Teile der Kreatur stürzen auf die Erde, während Astronauten einen Wiederbelebungsversuch starten. Der melancholisch surrealistische Unterton erinnert an Ballards provokante Geschichte „The Drowned Giant“ und wie Ballard verzichtet Neris auf eine stringente Handlung und begnügt sich  mit Impressionen.

Arula Ratnakars „Fractal Karma“ ist die einzige längere Geschichte in dieser Ausgabe. Eine Frau findet eine geheime Erfindung, mit deren Hilfe das jeweilige Bewusstseins drei Menschen miteinander verschmolzen werden kann. Die Diebin zwingt eine Mitarbeiterin der Entwicklung, mit ihr zusammenzuarbeiten, um reich zu werden.

Die Charaktere sind ausgesprochen gut gezeichnet. Sie haben alle ihre Schwächen, die in Form der Verschmelzungsmöglichkeiten noch deutlich werden. Die Science Fiction wird solide, aber nicht einschläfernd erklärt und die Thriller Handlung als roter Faden ist spannend. In doppelter Hinsicht geht es um den wissenschaftlichen Missbrauch. Einmal die Forschung per se, aber dann durch die Diebin und ihre kriminellen Aktivitäten. Die Autorin verzichtet auf abschließende Urteile, sie erzählt den gut entwickelten Plot geradlinig, spannend und vor allem auch trotz einer genretechnisch bekannten Ideen erstaunlich originell. Nicht nur die längste Geschichte der Sammlung, sondern ohne Frage auch die beste Arbeit.

Das Titelbild in Herbstfarben läutet das letzte Viertel des „Clarkesworld“ Jahres 2024 ein. Die Mischung ist wieder ausgesprochen ambivalent, wobei zwei oder drei Geschichten aus der Masse herausragen und auch aufgrund ihrer Länge die Lektüre mehr als wert ist.     

  

E Book, 112  Seiten    

E Book

112 Seiten

www.clarkesworldmagazine.com

Clarkesworld Magazine Issue 217 by Neil Clarke - Fable | Stories for everyone