Die Gnade der Götter

James Corey

Nach der „Expanse“ Serie startet das Autorenkollektiv James Corey mit „Die Gnade der Götter“  der erste Teil einet neue Trilogie „The Captive´s War“ . Im Vergleich zur populären und verfilmten „Expanse“ Serie ist der Plot absichtlich nur auf drei Bände geplant, was eine schnellere Hintergrundentwicklung genauso bedingt wie eine auf den ersten Band konzentrierte Einführung der Pro- wie teilweise auch Antagonisten.

Die Geschichte beginnt auf dem Planeten Anjiin. Die Menschen haben die Welt vor Äonen besiedelt, deren Historie ist allerdings verloren gegangen. Damit unterscheidet sich die Serie von Beginn an von „The Expanse“, die vor allem im Sonnensystem gespielt hat. Ob es plausibel erscheint, dass die Menschen jegliche Geschichte ihrer Aussiedelung und Besiedelung des Planeten Anjiin verloren haben, erscheint der ansonsten genauen Vorgaben unwahrscheinlich. Diese Idee dient wahrscheinlich nur als Ablenkung.

Dafyd Alkhor ist der Assistenz eines brillanten Wissenschaftlers und seines Teams.

Die Carryx sind aggressive Außerirdische, die, basierend auf ihrer Hive Zivilisation, sich ein gigantisches Imperium erobert haben. Sie expandieren seit Jahrhunderten, wahrscheinlich eher Jahrtausenden.  Bislang haben  sie keinen Feind getroffen, der ihnen ebenbürtig ist. Natürlich muss eine solche Siegesserie irgendwann enden und natürlich trifft man irgendwann auf einen Feind, der brutaler, rücksichtsloser und entschlossener ist, die Heimat zu verteidigen und irgendwann zum Gegenangriff überzugehen.  Der Feind ist möglicherweise so mächtig, dass er das Imperium der Carryx vernichten könnten. Ein typischer Pyrrhussieg, der möglicherweise auch in einer totalen Niederlage endet.

Die Forscher auf dem Planeten Anjiin könnten einen Schlüssel zur Rettung der Carryx in der Hand halten. Im Film „Metaluna 4 antwortet nicht“  haben Außerirdische Menschen von der Erde entführt, um ihnen bei einem Krieg  gegen den Nachbarplaneten zu helfen. In dem Film zeichnete sich die Niederlage ab und die Menschen kamen zu spät. So weit ist es in „Die Gnade der Götter“ noch nicht, aber bei der Lektüre fällt den Lesern die Ähnlichkeit der Ausgangsposition schon auf. Nur ist alles bei James Corey natürlich größer, lauter und schwieriger.

Der rasant erzählte Auftaktband funktioniert auf zwei Ebenen.  Auch wenn das Autorenkollektiv James Corey in der „Expanse“ Serie teilweise ältere Genre Ideen modernisiert und recycelt präsentiert hat, überzeugten die insgesamt zehn Bände vor allem auf der charakterlichen Ebene.

Die Handvoll Menschen um Dafyd Alkhor erleiden ein doppeltes Trauma. Ihre Welt wird überfallen; unendlich viele Menschen werden durch den brutalen Angriff getötet und das Forscherteam wird entführt. Das erste Trauma. Gefangen landen sie in einem zweiten Konflikt. Deutlich größer, umfangreicher als der Überfall auf ihre Welt. Deutlich schwieriger für die Menschen zu lösen, da die Gefangenen im übertragenen Sinne zu Rettern werden, ohne dass ihre Entführer die menschliche Psyche verstehen oder gar eine Idee haben, was wie Ratten in Käfigen gefangene Mensch positiv für die Carryx oder hinsichtlich eines Überlebenskampfs negativ gegenüber den Carryx ausrichten können.

James Corey konfrontiert bei dieser Geschichte nicht nur die Protagonisten mit dem buchstäblich aus seinem Elfenbeinkäfig gerissenen Anjiin mit verschiedenen, immer schwerwiegender werdenden Entscheidungen.  Keine der Entscheidungen im Gesamtkontext ist einfach. Nicht jede der Entscheidungen ist erfolgreich. Passt man sich den Entführern trotz deren Misstrauen an und versucht deren Vertrauen zu gewinnen? Keine einfache Lösung, da die Carryx ja von den Menschen keine echte Hilfe suchen, sondern in der eigenen Verzweiflung eine Lösung, die nicht wehtut. Dabei muss die Schwelle zu einer wirklich fremden Intelligenz mit anderen Moralvorstellungen und damit auch Ideen hinsichtlich eines erfolgreichen Feldzugs überwunden werden. Jede von den Menschen präsentierte Idee wird skeptisch hinterfragt, was neben dem von James Corey gut gezeichneten Stockholm Syndrom zu einer gewissen Paranoia führt. Ab einem bestimmten Zeitpunkt beginnen die Menschen ihre eigenen rationalen Entscheidungen zu hinterfragen.

Der zweite Themenkomplex ist die Idee eines Widerstands. Eine Rückkehr auf den eigenen Planeten ist ausgeschlossen. Die Menschen beherrschen die fremde Technik nicht. Das typische „ich klaue mir ein Raumschiff“ Szenario ist zumindest im ersten Buch weitgehend ausgeschlossen. Es gibt nur zwei Szenarien. Passiver Widerstand und ein schneller Tod. Aktiver Widerstand mit einer Art Zerrüttungstaktik, welche den Carryx eine Niederlage zufügt. Das Problem ist der Feind hinter dem Feind. Die Menschen können nicht sicher sein, dass sie nicht vom Regen in die Traufe fallen oder noch schlimmer, dass die Feinde der Carryx noch rücksichtsloser und grausamer agieren.

James Corey macht nicht den Fehler, sich auf eine Hauptfigur zu konzentrieren. Wie in der „Expanse“ Serie bekommen alle Menschen ihren Augenblick des nicht selten wertlosen Ruhmes. Angeführt wird das Team von Tonner, einem beleibten wie arroganten Chefwissenschaftler, der nicht selten nach innen schaut, als die Probleme der Gegenwart zu akzeptieren. Else ist zum Beispiel nicht nur seine Assistentin, sondern auch seine Freundin. Die Mittlerin im Team. Schnell entwickelt sich zwischen Tonner, Else und Dafyd eine interessante Dreierkonstellation, die an einigen Stellen an den Rändern des emotionalen Klischees kratzt, aber aufgrund des hohen Tempos der Geschichte und der kontinuierlichen Etablierung des Hintergrunds diese Schwelle (noch) nicht überschreitet. Trotzdem nimmt die menschliche Komponente – Überleben in Extremsituationen – einen breiten, überzeugenden Raum ein.

Allerdings verlangt James Corey auch Geduld. Die Protagonisten sind Wissenschaftler und ihre bisherige Welt waren wissenschaftliche Projekte; deren Ergebnisse und nicht selten deren Finanzierung. James Corey muss diese Figuren erst lebendig machen und verzichtet dabei lange Zeit auf die Action, welche die Expanse Serie unabhängig vom Kapitän eines alten, aber flugtüchtigen Raumschiffs und einem Detektiv – beides interessante Beschäftigungen als Forscher – von den ersten Seiten an ausgezeichnet hat.   

Zusätzlich führt James Corey mit dem Schwarm einen interessanten, die Paranoia auf beiden Seiten verstärkenden „Protagonisten“ ein. Auch hier wird eine nicht ganz neue Idee auf eine interessante Art und Weise verwandelt. In einem Geisel-Szenario mit einer gegenseitigen Abhängigkeit ist die Präsenz des Schwarms allerdings ein radikales Element, das in den folgenden Büchern ausbaufähig ist. Nicht nur Menschen finden sich in den Wolken Städten, der intergalaktischen Konzentrationslagern, sondern auch viele entführte andere Außerirdische. Dieser Aspekt der Geschichte ist ausbaufähig, auch wenn James Corey die tägliche Konflikte auf dem beengten Raum und in der Extremsituation punktuell wirklich gut beschreibt. Auch hier ist die Ausgangsidee allerdings nicht neu. Intergalaktische Gefängnisse – nicht selten in Kombination mit Zoos- stammen aus dem Golden Age der Science Fiction.

Die Außerirdischen sind fremdartig genug. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal dieser Trilogie und andere Autoren wie Alan Dean Foster, Phillip Jose Farmer, Andreas Brandhorst oder Jack Vance haben in dieser Hinsicht Pionierarbeit geleistet. Cineastisch orientiert sich James Corey ein wenig an den Alien Filmen, wobei die Hive Intelligenz auch wirklich intelligent ist und eine Zivilisation aufgebaut hat. Sie sind normalerweise nicht reaktiv, sondern aktiv in ihren Eroberungsstrategien. Daher fühlen sie sich in ihren Fundamenten erschüttert und versuchen in ihren bisherigen Mustern zu reagieren, was sowohl kriegstechnisch als auch zivilisatorisch nicht unbedingt klappt. Im Gegensatz zu der dreidimensionalen Charakterisierung der Menschen in Extremsituationen ist die Zivilisation der Carryx in den folgenden beiden Romanen ohne Frage noch ausbaufähig. Hier hilft die Point-of- View Perspektive. Es gibt keinen allwissenden Erzähler und wie bei den „Expanse“ Romanen schreitet die Handlung ausschließlich auf Augenhöhe voran. Die Leser haben keinen Wissensvorsprung. Diese Erzählart schränkt allerdings auch den inhaltlichen Horizont deutlich ein. In der „Expanse“ Serie liefen nicht selten zufällig die verschiedenen Handlungsebenen kurzzeitig zusammen, es kam zu einem Informationsaustausch mit einem kaum merklichen Wissensvorsprung der Leser, bevor sich die Ebenen und damit die Protagonisten teilweise wieder trennten und ihre Wege gingen. Aus dieser Komplexität entsprang ein deutlich umfangreicheres Bild als im vorliegenden ersten Band der neuen Trilogie. Damit soll nicht ausgedrückt werden, dass „Die Gnade der Götter“ – Götter ist metaphorisch zu verstehen – langweilig und einseitiger ist. James Corey haben viele Ideen auf deutlich weniger Seiten zusammengepresst und teilweise Spannungselemente gestrichen, um ihre Ideen im Rahmen des Auftaktromans zu präsentieren.   

„The Expanse“ Serie zeichnete eine bodenständige Technik aus. Nicht selten benötigte Mensch neben einem fähigen Bordmechaniker einen Schraubenschlüssel und das metaphorische Kaugummi, damit alles funktioniert. Die Technik der Carryx basierend auf Überlichttriebwerken ist deutlich komplexer, aber in den oberflächlichen und ausschließlich pragmatischen Beschreibungen nicht komplizierter.  

Es ist der Auftaktroman einer Trilogie und das machen die Autoren auch deutlich. Neben der subjektiven Informationsbeschaffung strebt die Handlung im übertragenen Sinne weiter nach aus und wirft gegenüber dem Leser, aber auch den Forschern mehr Fragen auf als das sie beantwortet werden. Das ist spannungstechnisch opportun, erhöht die Erwartungshaltung der Leser und ermöglicht es James Corey, auch gegenwärtige politische Aspekte in die Handlung einfließen zu lassen. Da es sich nur um eine kleine Gruppe von Wissenschaftlers in einer Extremsituation handelt, ist es leichter, die Menschen als Art sozialen Schmelztiegel anzusehen und ihre Aktionen/ Reaktionen entsprechend für die Gegenwart zu extrapolieren.

Negativ ist, dass die Grundidee der Geschichte – wie schon angesprochen – nicht neu oder bislang hinsichtlich des Handlungskorsetts originell ist. Natürlich ist alles größer, lauter und teilweise auch brutaler, aber wie bei der „Expanse“ Serie hat der Science Fiction Fan das unbestimmte Gefühl, als nutzt James Corey nur die Mechanismen des Genres, um sich an die Interessierten außerhalb des Genres zu wenden, die wie bei dem Krimi oder Thrillergenre nur eine packende, schnell ablaufende Geschichte lesen wollen, aber weder die Geschichte noch die Wurzeln der Science Fiction wirklich kennen oder kennenlernen wollen.   

James Corey hat auf jeden Fall versucht, eine andere Geschichte zu schreiben und sich von Beginn dieser Trilogie an von der populären „Expanse“ Serie abzugrenzen. Das könnte einige Leser irritieren, ist  aber ein logischer und richtiger Schritt.    



Die Gnade der Götter – The Captive’s War: Der neue große Roman vom Autor der Weltbestsellerserie THE EXPANSE (The Captive'...

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (11. Dezember 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 480 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453274709
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453274709
  • Originaltitel ‏ : ‎ The Mercy of Gods – The Captive's War Book 1