Das Jahr 2025 beginnt für Herausgeber Neil Clarke mit dem üblichen Rückblick auf die Storys und Graphiken des Jahres davor, die zur Auswahl stehen, um prämiert zu werden. Priya Sriddhars „Do Termites Celebrate Holiday?“ ist eine lustige Exkursion in das Reich der Insekten mit einigen Exkursen zur phantastischen Literatur. Kurzweilig geschrieben, aber auch leerreich.
Arley Sorg interviewt mit der Lektorin und Verlagsangestellten LaShawn M. Wanak die andere Seite der Herstellung von Büchern. Sie geht ausführlich auf ihre Vorgehensweise ein, aber auch die Freude, Cons zu besuchen und sich dort mit Lesern und Autoren zu unterhalten. Diana M. Pho ist eine junge Autorin, die in den letzten Jahren zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht hat. Mit ihren Anmerkungen ergänzt sie ausgesprochen gut Wanaks Äußerungen. Beide Interviews sind – wie in der Vergangenheit – sorgfältig vorbereitet und überzeugen durch ihre thematische Tiefe.
Zun Yu Tan eröffnet das Jahr 2025 mit seiner Geschichte „When There Are Two of You: A Documentary“. In ferner Zukunft können Menschen ihre Persönlichkeit kopieren. Wie eine Momentaufnahme wird diese Kopie Sentience genannt. Der Protagonist geht einen Schritt weiter und verpflanzt die Kopie seines Bewusstseins in einen extra hergestellten Klonkörper von sich. Zun Yan Tan erweitert aber diese bekannte Prämisse, denn in seiner Geschichte stirbt das Original. Eine zweite Protagonistin ist noch extremer vorgegangen, in dem sie das Sentience ihrer selbst in das eigene Bewusstsein überspielen ließ.
Die Protagonisten sind trotz der Kürze des Textes erstaunlich gut und mit einem Augenzwinkern charakterisiert worden. Die inneren Dialoge geben der inhaltlich nachdenklich stimmenden Reflektion über die eigenen Persönlichkeiten eine humorvolle Note. Zun Yu Tan konzentriert sich auf seine Prämisse, reduziert sie auf zwei vielleicht extreme Einzelschicksale und lässt das emotionale Chaos einfach laufen.
Der Titel ist Programm bei Gunnar de Winters „Child of the Mountain”. Ein junges Mädchen kümmert sich auf einem nicht näher beschriebenen Berg in einer unbekannten Umgebung um ihre genetische Schwester. Als sie stirbt, entzieht sie ihrem Körper die seelische Essenz. Auch wenn die Idee auf den ersten Blick an Zun Yu Tans Eröffnungsgeschichte mit Fantasy Elementen erinnert, geht Gunnar de Winter deutlich weiter. Neben einer Reflektion über das Leben und Sterben geht es in der kompakten Geschichte auch um die Wesen, welche die Körper der Toten entsorgen. Eine teilweise zynische makabre Geschichte, die gegen Ende auch ein wenig Optimismus ausstrahlt.
„Clarkesworld“ 220 hat die Quantität der Geschichten im direkten Vergleich zu den vorangegangenen Ausgaben reduziert, dafür werden zwei Novellen präsentiert. Ansonsten veröffentlichte Neil Clarke immer nur einen längeren Text. „Never Eaten Vegetables“ von H.H. Pak wirkt auf den ersten Blick bizarr. Intelligente Raumschiffe mit eingefrorenen Embryonen werden von einem Konglomerat zu einer der Kolonialwelten geschickt. Wenn auf dem Flug zum Planeten natürlich etwas schief geht, ist die künstliche Intelligenz auf sich alleine gestellt.
Sie übt sich in einer Art Selbstfindungsphase und trifft aus Aspekte der eigenen Persönlichkeit, die sich bislang nicht kannte, die ihr aber bei er Problemlösung helfen könnten.
Hinsichtlich der Persönlichkeitsfindung, der Konfrontation mit dem eigenen unterbewussten Ego reiht sich „Never Eaten Vegatbles“ in die Reihe der ersten beiden Geschichten ein. Die Charaktere sind ausgesprochen gut geschildert, die Schiffsintelligenz mit ihrer Mischung aus Neugierde und Einsamkeit ragt hier heraus. H.H. Pak bietet für das auftretende Problem eine mindestens zufriedenstellende, in sich auch logische Lösung an, so dass die Novelle überzeugend wie kurzweilig zu lesen ist.
Tia Tashiros „The Temporary Murder of Thomas Monroe weicht von diesem Muster ab. Es gibt keine zweite Persönlichkeit, der Protagonist erwacht nach einem weiteren Todd seinerseits. Der Unterschied liegt im Detail. Mehrere Male hat er sich selbst umgebracht, um einem Schicksal zu entkommen. Dieses Mal wurde er ermordet und Thomas Monroe ist überzeugt, nicht zum letzten Mal. Und auch nicht zum ersten Mal. Tia Tashiro gelingt es, trotz der bizarren Ausgangslage eine klassische Spannungskurve aufzubauen. Ihre Geschichte ist auch eine Hommage an die klassischen Krimis, wobei die Autorin mit Versatzstücken spielt. Das Ende ist nicht gänzlich überzeugend, da sie basierend auf der Ausgangslage den gordischen Knoten zu durchschlagen sucht, der metaphorisch überhaupt nicht vorhanden ist. Aber trotz dieser kleinen Schwäche ist die Story sehr unterhaltsam.
Aus dem Chinesischen übersetzt ist Wang Yanzhongs „Beyond Everything“. Aus Verzweiflung schicken die Menschen von ihrer durch Kriege und den ökologischen Zusammenbruch fast unbewohnbar gewordenen Erde einen weiteren Kurier zu den Außerirdischen. Bislang ist keiner der Freiwilligen bis auf einen zurückgekommen. Mit dem Wissen des Rückkehrer versucht für neue Gesandte bei den Fremden zu lernen, was die Menschheit retten kann.
Die Ausgangsprämisse ist schwierig. Natürlich ist die Idee der Hilfe von außen verführerisch, aber grundsätzlich fehlt es Yanzhongs Charakteren an allem. Sie agieren naiv, suchen Hilfe statt sich selbst umzuschauen. Auch die Ratschläge sind eher belehrend als wirklich effektiv. Schwerfällig, wenig spannend und überambitioniert gehört die Story trotz der guten Absichten des Autoren zu den schwächsten Texten der Januar „Clarkesworld“ Ausgabe.
Meg Ellisons Miniatur „Autonomy“ ist deutlich lustiger, wenn auch dunkler. Die Protagonistin besucht wie öfter ihre Freundin. Leider sitzt ein Mann auf der Motorhaube ihres bestellten Robo-Taxis. Sie hat einen Code, den sie bei solchen Fällen anwenden soll. Das hilft nur bedingt, denn auf der Rückfahrt muss sie die Quittung für ihr Verhalten bezahlen. „Autonomy“ ist eine Satire auf das autonome Fahren und gleichzeitig auch eine seltsame Horrorgeschichte mit einer interessanten, aber nicht bis zum Ende durchdachten Prämisse. Leider sind auch die Charaktere nicht überzeugend genug angelegt, um mehr als die knapp über dreitausend Worte durchzuhalten.
Der Januar beginnt zufriedenstellend – bei zwei Geschichten – bis sehr gut mit den beiden längeren Arbeiten. Der Mensch im Spiegel seiner Selbst wäre ein roter Faden, er sich durch Zwei Drittel der Geschichten zieht. Stilistisch überzeugend mit dreidimensionalen Charakteren eine gute Jahresausgabe.
Echo
Thomas Olde Heuvelt ist sicherlich nicht der neue Stephen King. Obwohl der 1983 geborene Niederländer spätestens mit seinem Roman „Hex“ international auf sich aufmerksam machte, gewann er schon 2015 für „The Day, The World Turned Upside Down“ den HUGO in der Kategorie beste Kurzgeschichte. Vor allem kann Thomas Olde Heuvelt nicht der neue Stephen King sein, weil seine literarischen Wurzeln viel weiter die Geschichte der Horrorliteratur entlang in die Vergangenheit reichen: H.P. Lovecraft gehört spätestens nach der Lektüre von „Echo“ zu seinen Vorbildern mit den alten, unergründlich fremden (Berg-) Göttern. Aber Heuvelt ist nicht an einer Kopie Lovecrafts gelegen. Wie Ramsey Campbell in seiner fast über vierzig Jahre umfassenden Publikationsgeschichte greift der Niederländer Impressionen, keine Ideen von Lovecraft auf, extrapoliert sie in den bislang auf deutsch oder englisch vorliegenden Romanen auf eine geschickte Art und Weise, verkleidet sie in strukturell in sich geflochtenen Geschichten und lässt den Leser ausgewrungen wie sprachlich zurück. Heuvelt will wie Lovecraft, Campbell, aber auch Stephen King (meistens) keine Antworten auf die übernatürlichen Phänomene geben, die verborgen vor den Augen der meisten Zivilisationsmenschen ganz nahe an der Natur lauern. Wie seine Protagonisten soll der Leser sie spüren, erdulden, aber nicht verstehen.
Nach dem Erfolg von „Hex“ – für die internationale Ausgabe hat Heuvelt den Roman noch quasi neu geschrieben - litt der Niederländer laut eigenen Angaben im Nachwort an einer Schreibblockade. Der Druck, den Erfolg von „Hex“ mit dem nächsten Buch zu übertreffen, ist zu stark gewesen. Fast vier Jahre hat Heuvelt an „Echo“ geschrieben. Trotz mehr als siebenhundert Seiten Umfang wurden vom Lektorat achtzig Seiten entfernt. „Echo“ vereinigt zwei Besonderheiten. Heuvelts Liebe zu seinem Partner und seine Obsession mit dem Bergsteigen. Vielleicht funktioniert der Roman deswegen so gut, denn den Drang, den nächsten Berg zu bezwingen; sich wieder in Lebensgefahr zu begeben und den Triumph im Grunde nicht richtig auskosten zu können, durchzieht diese vielschichtige Geschichte.
Heuvelt setzt auf klassische Strukturen. Wie bei Lovecraft werden wichtige Abschnitte in Tagebuchform erzählt. Was bei Lovecraft eine Distanz zwischen Protagonisten und Leser; Handlung und Gegenwart aufbaut, ist bei „Echo“ allerdings notwendig. Die Geschichte beginnt zusätzlich mit einem entsprechend schaurigen Prolog. Der Leser wird absichtlich desorientiert, kann das Geschehen nicht einordnen. Erst später kommt Thomas Olde Heuvelt auf diese Sequenz zurück und nimmt den Faden wieder auf. Da die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird und nach dem Auftakt spielende Sequenzen deutlich früher spielen; später aber nach dem Rahmenschluss an anderen Stellen erst wieder aufgenommen werden, verlangt die Geschichte über ihre ganze Länge die volle Aufmerksamkeit der Leser.
Sam Avery und Nick Grevers sind ein homosexuelles Liebespaar in bester Jetset-Manier. Sie leben in den Niederlanden. Nick ist ein Athlet; Autor von leichten Artikeln im Netz und liebt das Bergsteigen. Sam Avery ist Amerikaner, kommt eher aus bürgerlichen Verhältnissen und will sein Studium hinter sich bringen. Er beteiligt sich zwar an der Miete, Nicks reiche Familie ist allerdings eher die monetäre Quelle. Sam Avery mag die Berge nicht. Immer wieder geht Heuvelt darauf ein, wie verliebt die beiden Männer sind. Das könnte kitschig wirken, ist aber überzeugend beschrieben.
Nick ist mit seinem deutschen Freund im Sommer in die französisch- schweizer Alpen zum Bergsteigen gefahren. Sie suchen neue Herausforderungen und finden einen Berg, den es in den offiziellen Karten nicht gibt: den Le Maudit. Dessen Namen ist Programm. Der Berg ist nur durch ein Tal zu erreichen. Die Bergbewohner raten ihnen ab.
Im Laufe der Geschichte offenbart Heuvelt mehr über den Berg und die zahlreichen Menschen, die ihn bestiegen haben. Die meisten haben es nur versucht und sind ums Leben gekommen. Normal fliegt die Bergwacht den Berg auch nicht an. Die Details dieser verhängnisvollen Bergbesteigung kommen erst nach und nach ans Tageslicht.
Was genau mit Nick und Augustin passiert ist, bleibt unausgesprochen. Es gibt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Am Ende ist Augustin tot, vermutlich in einer Gletscherspalte verschwunden und Nick schwer verletzt. Seine Verletzungen lassen sich nur bedingt erklären. Die Ärzte sind der Meinung, ein Eispickel wurde in seinen Kiefer getrieben und hat erheblichen Schaden angerichtet. Offiziell handelt es sich um Verletzungen, die er beim Absturz erlitten hat. Da er nur ein GPS-Signal ausstrahlen kann, rettet ihn die Bergwacht vom Fuße des Le Maudit. Bei einer genauen Positionsangabe wären sie nicht geflogen. Aus Aberglaube.
Nach ungefähr einhundert Seiten hat Thomas Olde Heuvelt die Ausgangsposition perfekt entwickelt und extrapoliert seinen Plot in zwei Richtungen. Die emotionale Ebene und die phantastische Ebene.
Bei der emotionalen Ebene kommt erschwerend hinzu, dass während Nicks Krankenhausaufenthalt mehrere Dutzend Menschen anscheinend an einer Art Virusanschlag sterben. Das wirkt aufgesetzt und wird auch nicht ausreichend genug erläutert. Es ist auch unnötig. Dramaturgisch sind die Selbstmorde vom Krankenhauspersonal um den unter seinen starken Verbänden wie eine Inkarnation von H.G. Wells „Der Unsichtbare“ wirkenden Nick als Gruselelement ausreichend genug. Ein Anschlag, ein Ausbruch von übernatürlichen Elementen und damit dreißig oder mehr Tote überspannen den Rahmen einer Geschichte, die sich auf die langsame Entwicklung einer übernatürlichen Bedrohung und im Grunde eine Rückkehr eines lebendigen Toten in seine „Heimat“ konzentrieren soll.
Thomas Olde Heuvelt beschreibt die Beziehung zwischen Sam und Nick ebenfalls auf zwei Ebenen. Vor dem Unfall, nach dem Unfall. Partys, homosexueller Sex, ein Jetset Leben inklusive eigenwilligem Kater. Wenig Verantwortung für die Umwelt. Vielleicht nicht ganz so abgehoben wie einige Yuppies, aber nahe dran. Nach dem Unfall flieht Sam erstmals in die Arme seiner Familie. Allerdings gibt es auch hier ein dunkles Geheimnis, das wie der Massenmord im Krankenhaus ambivalent behandelt wird. Die dunkle verführerische Seite könnte Sam schon länger durch seine naive kindliche Leichtgläubigkeit unter Kontrolle haben. Oder auch nicht. Vieles ist hier eine Frage der Perspektive, ein Puzzlespiel bestehend aus unterschiedlichen Erinnerungen. Kaum hat sich der Leser –vom Thomas Olde Heuvelt auch geschickt manipuliert – auf eine mögliche Richtung festgelegt, entzieht der Autor dem Leser wie auch seinem Protagonisten diese „Wahrheit“ und impliziert eine andere Möglichkeit. Das ist spannend, atmosphärisch stimmig, lenkt aber auch vom grundlegenden Plot ab und führt wie einige rote Fäden ins Nichts.
Reumütig kehrt Sam zu seinem Geliebten zurück und versucht mit dem schwerverletzten Mann zu leben. Sex misslingt. Nick leidet unter Stimmungen, hervorgerufen von seinen schweren Medikamenten. Schließlich kommen die Beiden zum einzig logischen Entschluss. Sie müssen zurück in die Berge fahren. Nicht unbedingt zum Le Maudit, aber in dessen Nähe. Natürlich als seelische Erholung, aber auch als Vorbereitung auf die plastischen Operationen, die in der Schweiz gemacht werden sollen.
Eine Rückkehr an den Ort der Tragödie ist immer eine Katastrophe und wirft ambivalente Schatten voraus. Thomas Olde Heuvelt beginnt mit Klischees zu spielen. Die Einheimischen fürchten den Mann mit den Bandagen, weil sie wissen, dass er von ihrem Berg zurückgekommen ist. Die Glücksvögel rebellieren in seiner Nähe und die Androhung von körperlicher Gewalt reicht auch nicht aus.
Sam fordert schließlich Verstärkung an. Seine Schwester kommt aus den USA, um ihn eigentlich zurückzuholen. Mit ihr schließt sich der im Prolog etablierte Kreis. Und eine Krankenschwester aus Nicks Sanatorium kommt, um bei den Recherchen zu helfen. Sie ist damals vom Arbeitsplatz geflohen, während sich ihr Chef nach Nicks Operation umgebracht hat. Nicht der letzte Selbstmord in dieser Geschichte. Anscheinend hat es mit Nicks immer steinerner werdenden Gesicht zu tun.
Die emotionale Handlungsebene verschwimmt trotz der dreidimensionalen Zeichnung der Charaktere teilweise zu stark. Natürlich sind die Menschen nach einem solchen Unfall und vor allem auch zahlreichen Toten/ Selbstmorden in der un- aber auch mittelbaren Umgebung geschockt. Aber wie in simplen Horrorgeschichten üblich, machen sie es auch den potentiellen Feinden zu leicht, während das eigentliche Böse schön auf der Bettkante Platz genommen hat. Das wirkt zu simpel, zu stringent konstruiert und steht in einem starken Kontrast zu Heuvelt zu experimentellem Schreibstil. Zu Hype, voller Hashtag Ausdrücke, eine Vermischung von deutsch und englisch auf der Suche nach dem passenden Begriff. Durch diese literarische Experimentierfreudigkeit versucht Heuvelt die Quadratur des Kreises, denn insbesondere Sam wirkt nicht dadurch natürlicher, sondern eindimensionaler. Manche Leser werden das in einem starken Kontrast zu den mehrfach angesprochenen Aufzeichnungen – nachträglichen Aufzeichnungen – als lebendig empfinden. Es wirkt allerdings in dieser Häufung bemüht.
Aufzeichnungen/Tagebucheinträge sind bei H.P. Lovecraft immer Beweise, dass die übernatürlichen Ereignisse „wahr“ sind. Sie sollen vor einem realistischen, bei Lovecraft minutiös beschriebenen Hintergrund jeder Kritik standhalten. Das ist auch bei Heuvelt der Fall. Nicks Versuch, die verhängnisvolle Expedition zum Berg; ihr Scheitern während des Abstiegs und schließlich die immer dunkler und brutaler werdenden Visionen einzuordnen bildet spannungstechnisch einen perfekten Kontrast zur Liebesgeschichte. Die Erwartungen der Leser an diesen Teil der Story sind entsprechend größer, werden aber rückblickend nur bedingt befriedigt. Heuvelt lässt Nick nur kurz den Vorhang heben. Vieles basiert auf Spekulationen, brüchigen Erinnerungen und Erzählungen Dritter. Bis auf einen vom Gipfel mitgebrachten Stein gibt es keine Beweise und die finale Konfrontation inklusive der entsprechenden „Auflösung“ kann natürlich nur in der Gegenwart erfolgen.
Die Tagebuchaufzeichnungen – der Leser muss ja nicht mehr wissen, was geschehen ist, sondern warum – sind die intensivsten Abschnitte des Buches. Thomas Olde Heuvelt macht aus seinem Herzen keine Mördergrube und in einigen Passagen wirkt „Echo“ wie eine Liebeserklärung an den eigenen geduldigen Partner. Hinzu kommt Heuvelts Faszination mit dem Berg. In seinem Nachwort spricht er Autor von der eigenen Liebe zur nächsten Herausforderung und das zeigt sich im vorliegenden Manuskript. Und wenn der Berg dann auch noch geheimnisvoll wirkt, dann ist die Sucht perfekt. Seine Höhe schwankt. Persönlich gemessen scheint er höher als es angesichts der ihn umgebenden Berge möglich ist. Ein verstecktes Tal soll den Aufstieg erleichtern, aber die Zeit vergeht deutlich langsamer bzw. die zurückgelegte Strecke ist länger als es kartentechnisch möglich ist. Klassische, vielleicht auch ein wenig klischeehafte Hinweise, dass hier etwas nicht stimmen kann.
Heuvelt zitiert gerne aus klassischen Horrorgeschichten. Nicht nur zu Beginn der einzelnen Kapitel mit Bradbury, H.G. Wells – Nick sieht sich auch als der neue Unsichtbare – Shirley Jackson, Washington Irving und auch Stephen King. Aber Heuvelts Protagonisten ziehen keine Querverbindung zwischen der verzerrten Realität und der Fiktion.
Die Tagebuchaufzeichnungen ermöglichen es dem Leser, Nicks innere Einstellung, aber auch den Versuch zu verfolgen, die finalen Ereignisse am Berg wieder zu rekonstruieren. Vieles bleibt vage und anscheinend ist Nick eher der Kollateralschaden als das eigentliche Opfer. Dieser Übergang wirkt final nicht routiniert genug geschrieben.
In den Bergen zur Erholung angekommen, schlägt Thomas Olde Heuvelt den Bogen zum Anfang zurück. Sams Schwester wird von Menschen ohne Augen, von dunklen Schatten bedroht. Das Motiv zieht sich durch den Roman. Bei einem nächtlichen Spaziergang in dem kleinen Dorf nur ein Tal vom verhängnisvollen Berg entfernt werden Nick und Sam ebenfalls von diesen Gestalten verfolgt. An einer anderen Stelle versucht der Bürgermeister zusammen mit dem örtlichen Pfarrer sie zur Abreise zu überreden. Ihr Kater wird mittels Katzenfutter in eine Fuchsfalle gelockt. Überall hängen die Bergraben, teilweise ausgestopft, teilweise noch lebendig in den alten Vogelkäfigen als Glücksbringer.
Auch die Idee der Raben als Seelenstehler wird von Thomas Olde Heuvelt mehr angedeutet als wirklich abschließend zufriedenstellend entwickelt. Die beiden Handlungsebenen – auf der einen Seite die Tagebuchaufzeichnungen; auf der anderen Seite die Gegenwart mit verschiedenen Selbstmorden, den geheimnisvollen augenlosen Gestalten und schließlich die Bedrohung im Dorf – laufen im Finale zusammen.
Anstatt ein Crescendo zu inszenieren, geht Thomas Olde Heuvelt fast stoisch einen Schritt zurück und impliziert, das alles seine Ordnung haben muss und manche „Dinge“ sich nicht von ihrem Ursprung entfernen. Statt einem Knall endet die Geschichte auf einer subtilen, nicht falsch klingenden, aber auch nicht wirklich befriedigenden Note. Ein wenig mehr darf es schon sein , zumal eine Vielzahl von aufgeworfenen Fragen nicht beantwortet werden. So hat Nick als Inkarnation des Berges einen selbstmörderischen Einfluss auf viele, aber nicht alle seiner Mitmenschen. Eher unbewusst, nur in zwei Situationen bewusst. In beiden Fällen ist seine Existenz, seine Geschichte mittelbar und einmal unmittelbar gefährdet. Von einer weiteren Person geht eine Gefahr aus, aber die Liebe zu Sam scheint diese junge Frau zu schützen. Das muss sich der Leser allerdings zusammenreimen, ausgesprochen wird es nicht.
In der Theorie ist eine zu intensive Aufklärung bei einem auf Stimmungen aufgebauten Horrorroman auch nicht notwendig, aber Thomas Olde Heuvelt lässt zu viel unnötig liegen. Bei einem Umfang von mehr als siebenhundert Seiten sollte das Finale nicht aus wenigen Absätzen, fast nebenbei erzählt, bestehen. Das ist zu wenig. Positiv ist, dass Thomas Olde Heuvelt bei seinem überwiegend subtilen Horror bleibt und sich nicht in brutale übertriebene Exzesse hineingesteigert. Hier folgt der Autor vor allem den in den achtziger Jahren entstandenen Ramsey Campbell Büchern, von denen „Midnight Sun“ allerdings mit deutlich dreidimensionaleren Protagonisten „Echo“ literarisch das Wasser reichen kann.
„Echo“ ist ein umfangreicher, ambitioniert strukturierter und hinsichtlich der Grundthemen minutiös mit vielen Details geschriebener Gruselroman, der sich eng an die klassischen Wurzeln hält. Es ist nicht die sowieso schwer zu definierende Zukunft der Horrors in einer Welt, die aus den Angeln gehoben erscheint. Jede Zeit hat ihren „persönlichen“ literarischen Schrecken, aber Thomas Olde Heuvelt führt die alten Traditionen mit noch einigen erkennbaren Schwächen respektvoll und konsequent fort. Alleine deswegen ist „Echo“ ohne den Ballast der plakativen Werketexte auf dem Cover eine gute, eine solide, eine grundehrliche Spannungslektüre mit einigen überzeugenden atmosphärisch dunklen Sequenzen und gut, vielleicht ein wenig zu eindimensional gezeichneten Protagonisten, die vom Berg kommend im Grunde nur reagieren, aber erst am Ende ein einziges Mal agieren können.
Echo
Thomas Olde Heuvelt ist sicherlich nicht der neue Stephen King. Obwohl der 1983 geborene Niederländer spätestens mit seinem Roman „Hex“ international auf sich aufmerksam machte, gewann er schon 2015 für „The Day, The World Turned Upside Down“ den HUGO in der Kategorie beste Kurzgeschichte. Vor allem kann Thomas Olde Heuvelt nicht der neue Stephen King sein, weil seine literarischen Wurzeln viel weiter die Geschichte der Horrorliteratur entlang in die Vergangenheit reichen: H.P. Lovecraft gehört spätestens nach der Lektüre von „Echo“ zu seinen Vorbildern mit den alten, unergründlich fremden (Berg-) Göttern. Aber Heuvelt ist nicht an einer Kopie Lovecrafts gelegen. Wie Ramsey Campbell in seiner fast über vierzig Jahre umfassenden Publikationsgeschichte greift der Niederländer Impressionen, keine Ideen von Lovecraft auf, extrapoliert sie in den bislang auf deutsch oder englisch vorliegenden Romanen auf eine geschickte Art und Weise, verkleidet sie in strukturell in sich geflochtenen Geschichten und lässt den Leser ausgewrungen wie sprachlich zurück. Heuvelt will wie Lovecraft, Campbell, aber auch Stephen King (meistens) keine Antworten auf die übernatürlichen Phänomene geben, die verborgen vor den Augen der meisten Zivilisationsmenschen ganz nahe an der Natur lauern. Wie seine Protagonisten soll der Leser sie spüren, erdulden, aber nicht verstehen.
Nach dem Erfolg von „Hex“ – für die internationale Ausgabe hat Heuvelt den Roman noch quasi neu geschrieben - litt der Niederländer laut eigenen Angaben im Nachwort an einer Schreibblockade. Der Druck, den Erfolg von „Hex“ mit dem nächsten Buch zu übertreffen, ist zu stark gewesen. Fast vier Jahre hat Heuvelt an „Echo“ geschrieben. Trotz mehr als siebenhundert Seiten Umfang wurden vom Lektorat achtzig Seiten entfernt. „Echo“ vereinigt zwei Besonderheiten. Heuvelts Liebe zu seinem Partner und seine Obsession mit dem Bergsteigen. Vielleicht funktioniert der Roman deswegen so gut, denn den Drang, den nächsten Berg zu bezwingen; sich wieder in Lebensgefahr zu begeben und den Triumph im Grunde nicht richtig auskosten zu können, durchzieht diese vielschichtige Geschichte.
Heuvelt setzt auf klassische Strukturen. Wie bei Lovecraft werden wichtige Abschnitte in Tagebuchform erzählt. Was bei Lovecraft eine Distanz zwischen Protagonisten und Leser; Handlung und Gegenwart aufbaut, ist bei „Echo“ allerdings notwendig. Die Geschichte beginnt zusätzlich mit einem entsprechend schaurigen Prolog. Der Leser wird absichtlich desorientiert, kann das Geschehen nicht einordnen. Erst später kommt Thomas Olde Heuvelt auf diese Sequenz zurück und nimmt den Faden wieder auf. Da die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird und nach dem Auftakt spielende Sequenzen deutlich früher spielen; später aber nach dem Rahmenschluss an anderen Stellen erst wieder aufgenommen werden, verlangt die Geschichte über ihre ganze Länge die volle Aufmerksamkeit der Leser.
Sam Avery und Nick Grevers sind ein homosexuelles Liebespaar in bester Jetset-Manier. Sie leben in den Niederlanden. Nick ist ein Athlet; Autor von leichten Artikeln im Netz und liebt das Bergsteigen. Sam Avery ist Amerikaner, kommt eher aus bürgerlichen Verhältnissen und will sein Studium hinter sich bringen. Er beteiligt sich zwar an der Miete, Nicks reiche Familie ist allerdings eher die monetäre Quelle. Sam Avery mag die Berge nicht. Immer wieder geht Heuvelt darauf ein, wie verliebt die beiden Männer sind. Das könnte kitschig wirken, ist aber überzeugend beschrieben.
Nick ist mit seinem deutschen Freund im Sommer in die französisch- schweizer Alpen zum Bergsteigen gefahren. Sie suchen neue Herausforderungen und finden einen Berg, den es in den offiziellen Karten nicht gibt: den Le Maudit. Dessen Namen ist Programm. Der Berg ist nur durch ein Tal zu erreichen. Die Bergbewohner raten ihnen ab.
Im Laufe der Geschichte offenbart Heuvelt mehr über den Berg und die zahlreichen Menschen, die ihn bestiegen haben. Die meisten haben es nur versucht und sind ums Leben gekommen. Normal fliegt die Bergwacht den Berg auch nicht an. Die Details dieser verhängnisvollen Bergbesteigung kommen erst nach und nach ans Tageslicht.
Was genau mit Nick und Augustin passiert ist, bleibt unausgesprochen. Es gibt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Am Ende ist Augustin tot, vermutlich in einer Gletscherspalte verschwunden und Nick schwer verletzt. Seine Verletzungen lassen sich nur bedingt erklären. Die Ärzte sind der Meinung, ein Eispickel wurde in seinen Kiefer getrieben und hat erheblichen Schaden angerichtet. Offiziell handelt es sich um Verletzungen, die er beim Absturz erlitten hat. Da er nur ein GPS-Signal ausstrahlen kann, rettet ihn die Bergwacht vom Fuße des Le Maudit. Bei einer genauen Positionsangabe wären sie nicht geflogen. Aus Aberglaube.
Nach ungefähr einhundert Seiten hat Thomas Olde Heuvelt die Ausgangsposition perfekt entwickelt und extrapoliert seinen Plot in zwei Richtungen. Die emotionale Ebene und die phantastische Ebene.
Bei der emotionalen Ebene kommt erschwerend hinzu, dass während Nicks Krankenhausaufenthalt mehrere Dutzend Menschen anscheinend an einer Art Virusanschlag sterben. Das wirkt aufgesetzt und wird auch nicht ausreichend genug erläutert. Es ist auch unnötig. Dramaturgisch sind die Selbstmorde vom Krankenhauspersonal um den unter seinen starken Verbänden wie eine Inkarnation von H.G. Wells „Der Unsichtbare“ wirkenden Nick als Gruselelement ausreichend genug. Ein Anschlag, ein Ausbruch von übernatürlichen Elementen und damit dreißig oder mehr Tote überspannen den Rahmen einer Geschichte, die sich auf die langsame Entwicklung einer übernatürlichen Bedrohung und im Grunde eine Rückkehr eines lebendigen Toten in seine „Heimat“ konzentrieren soll.
Thomas Olde Heuvelt beschreibt die Beziehung zwischen Sam und Nick ebenfalls auf zwei Ebenen. Vor dem Unfall, nach dem Unfall. Partys, homosexueller Sex, ein Jetset Leben inklusive eigenwilligem Kater. Wenig Verantwortung für die Umwelt. Vielleicht nicht ganz so abgehoben wie einige Yuppies, aber nahe dran. Nach dem Unfall flieht Sam erstmals in die Arme seiner Familie. Allerdings gibt es auch hier ein dunkles Geheimnis, das wie der Massenmord im Krankenhaus ambivalent behandelt wird. Die dunkle verführerische Seite könnte Sam schon länger durch seine naive kindliche Leichtgläubigkeit unter Kontrolle haben. Oder auch nicht. Vieles ist hier eine Frage der Perspektive, ein Puzzlespiel bestehend aus unterschiedlichen Erinnerungen. Kaum hat sich der Leser –vom Thomas Olde Heuvelt auch geschickt manipuliert – auf eine mögliche Richtung festgelegt, entzieht der Autor dem Leser wie auch seinem Protagonisten diese „Wahrheit“ und impliziert eine andere Möglichkeit. Das ist spannend, atmosphärisch stimmig, lenkt aber auch vom grundlegenden Plot ab und führt wie einige rote Fäden ins Nichts.
Reumütig kehrt Sam zu seinem Geliebten zurück und versucht mit dem schwerverletzten Mann zu leben. Sex misslingt. Nick leidet unter Stimmungen, hervorgerufen von seinen schweren Medikamenten. Schließlich kommen die Beiden zum einzig logischen Entschluss. Sie müssen zurück in die Berge fahren. Nicht unbedingt zum Le Maudit, aber in dessen Nähe. Natürlich als seelische Erholung, aber auch als Vorbereitung auf die plastischen Operationen, die in der Schweiz gemacht werden sollen.
Eine Rückkehr an den Ort der Tragödie ist immer eine Katastrophe und wirft ambivalente Schatten voraus. Thomas Olde Heuvelt beginnt mit Klischees zu spielen. Die Einheimischen fürchten den Mann mit den Bandagen, weil sie wissen, dass er von ihrem Berg zurückgekommen ist. Die Glücksvögel rebellieren in seiner Nähe und die Androhung von körperlicher Gewalt reicht auch nicht aus.
Sam fordert schließlich Verstärkung an. Seine Schwester kommt aus den USA, um ihn eigentlich zurückzuholen. Mit ihr schließt sich der im Prolog etablierte Kreis. Und eine Krankenschwester aus Nicks Sanatorium kommt, um bei den Recherchen zu helfen. Sie ist damals vom Arbeitsplatz geflohen, während sich ihr Chef nach Nicks Operation umgebracht hat. Nicht der letzte Selbstmord in dieser Geschichte. Anscheinend hat es mit Nicks immer steinerner werdenden Gesicht zu tun.
Die emotionale Handlungsebene verschwimmt trotz der dreidimensionalen Zeichnung der Charaktere teilweise zu stark. Natürlich sind die Menschen nach einem solchen Unfall und vor allem auch zahlreichen Toten/ Selbstmorden in der un- aber auch mittelbaren Umgebung geschockt. Aber wie in simplen Horrorgeschichten üblich, machen sie es auch den potentiellen Feinden zu leicht, während das eigentliche Böse schön auf der Bettkante Platz genommen hat. Das wirkt zu simpel, zu stringent konstruiert und steht in einem starken Kontrast zu Heuvelt zu experimentellem Schreibstil. Zu Hype, voller Hashtag Ausdrücke, eine Vermischung von deutsch und englisch auf der Suche nach dem passenden Begriff. Durch diese literarische Experimentierfreudigkeit versucht Heuvelt die Quadratur des Kreises, denn insbesondere Sam wirkt nicht dadurch natürlicher, sondern eindimensionaler. Manche Leser werden das in einem starken Kontrast zu den mehrfach angesprochenen Aufzeichnungen – nachträglichen Aufzeichnungen – als lebendig empfinden. Es wirkt allerdings in dieser Häufung bemüht.
Aufzeichnungen/Tagebucheinträge sind bei H.P. Lovecraft immer Beweise, dass die übernatürlichen Ereignisse „wahr“ sind. Sie sollen vor einem realistischen, bei Lovecraft minutiös beschriebenen Hintergrund jeder Kritik standhalten. Das ist auch bei Heuvelt der Fall. Nicks Versuch, die verhängnisvolle Expedition zum Berg; ihr Scheitern während des Abstiegs und schließlich die immer dunkler und brutaler werdenden Visionen einzuordnen bildet spannungstechnisch einen perfekten Kontrast zur Liebesgeschichte. Die Erwartungen der Leser an diesen Teil der Story sind entsprechend größer, werden aber rückblickend nur bedingt befriedigt. Heuvelt lässt Nick nur kurz den Vorhang heben. Vieles basiert auf Spekulationen, brüchigen Erinnerungen und Erzählungen Dritter. Bis auf einen vom Gipfel mitgebrachten Stein gibt es keine Beweise und die finale Konfrontation inklusive der entsprechenden „Auflösung“ kann natürlich nur in der Gegenwart erfolgen.
Die Tagebuchaufzeichnungen – der Leser muss ja nicht mehr wissen, was geschehen ist, sondern warum – sind die intensivsten Abschnitte des Buches. Thomas Olde Heuvelt macht aus seinem Herzen keine Mördergrube und in einigen Passagen wirkt „Echo“ wie eine Liebeserklärung an den eigenen geduldigen Partner. Hinzu kommt Heuvelts Faszination mit dem Berg. In seinem Nachwort spricht er Autor von der eigenen Liebe zur nächsten Herausforderung und das zeigt sich im vorliegenden Manuskript. Und wenn der Berg dann auch noch geheimnisvoll wirkt, dann ist die Sucht perfekt. Seine Höhe schwankt. Persönlich gemessen scheint er höher als es angesichts der ihn umgebenden Berge möglich ist. Ein verstecktes Tal soll den Aufstieg erleichtern, aber die Zeit vergeht deutlich langsamer bzw. die zurückgelegte Strecke ist länger als es kartentechnisch möglich ist. Klassische, vielleicht auch ein wenig klischeehafte Hinweise, dass hier etwas nicht stimmen kann.
Heuvelt zitiert gerne aus klassischen Horrorgeschichten. Nicht nur zu Beginn der einzelnen Kapitel mit Bradbury, H.G. Wells – Nick sieht sich auch als der neue Unsichtbare – Shirley Jackson, Washington Irving und auch Stephen King. Aber Heuvelts Protagonisten ziehen keine Querverbindung zwischen der verzerrten Realität und der Fiktion.
Die Tagebuchaufzeichnungen ermöglichen es dem Leser, Nicks innere Einstellung, aber auch den Versuch zu verfolgen, die finalen Ereignisse am Berg wieder zu rekonstruieren. Vieles bleibt vage und anscheinend ist Nick eher der Kollateralschaden als das eigentliche Opfer. Dieser Übergang wirkt final nicht routiniert genug geschrieben.
In den Bergen zur Erholung angekommen, schlägt Thomas Olde Heuvelt den Bogen zum Anfang zurück. Sams Schwester wird von Menschen ohne Augen, von dunklen Schatten bedroht. Das Motiv zieht sich durch den Roman. Bei einem nächtlichen Spaziergang in dem kleinen Dorf nur ein Tal vom verhängnisvollen Berg entfernt werden Nick und Sam ebenfalls von diesen Gestalten verfolgt. An einer anderen Stelle versucht der Bürgermeister zusammen mit dem örtlichen Pfarrer sie zur Abreise zu überreden. Ihr Kater wird mittels Katzenfutter in eine Fuchsfalle gelockt. Überall hängen die Bergraben, teilweise ausgestopft, teilweise noch lebendig in den alten Vogelkäfigen als Glücksbringer.
Auch die Idee der Raben als Seelenstehler wird von Thomas Olde Heuvelt mehr angedeutet als wirklich abschließend zufriedenstellend entwickelt. Die beiden Handlungsebenen – auf der einen Seite die Tagebuchaufzeichnungen; auf der anderen Seite die Gegenwart mit verschiedenen Selbstmorden, den geheimnisvollen augenlosen Gestalten und schließlich die Bedrohung im Dorf – laufen im Finale zusammen.
Anstatt ein Crescendo zu inszenieren, geht Thomas Olde Heuvelt fast stoisch einen Schritt zurück und impliziert, das alles seine Ordnung haben muss und manche „Dinge“ sich nicht von ihrem Ursprung entfernen. Statt einem Knall endet die Geschichte auf einer subtilen, nicht falsch klingenden, aber auch nicht wirklich befriedigenden Note. Ein wenig mehr darf es schon sein , zumal eine Vielzahl von aufgeworfenen Fragen nicht beantwortet werden. So hat Nick als Inkarnation des Berges einen selbstmörderischen Einfluss auf viele, aber nicht alle seiner Mitmenschen. Eher unbewusst, nur in zwei Situationen bewusst. In beiden Fällen ist seine Existenz, seine Geschichte mittelbar und einmal unmittelbar gefährdet. Von einer weiteren Person geht eine Gefahr aus, aber die Liebe zu Sam scheint diese junge Frau zu schützen. Das muss sich der Leser allerdings zusammenreimen, ausgesprochen wird es nicht.
In der Theorie ist eine zu intensive Aufklärung bei einem auf Stimmungen aufgebauten Horrorroman auch nicht notwendig, aber Thomas Olde Heuvelt lässt zu viel unnötig liegen. Bei einem Umfang von mehr als siebenhundert Seiten sollte das Finale nicht aus wenigen Absätzen, fast nebenbei erzählt, bestehen. Das ist zu wenig. Positiv ist, dass Thomas Olde Heuvelt bei seinem überwiegend subtilen Horror bleibt und sich nicht in brutale übertriebene Exzesse hineingesteigert. Hier folgt der Autor vor allem den in den achtziger Jahren entstandenen Ramsey Campbell Büchern, von denen „Midnight Sun“ allerdings mit deutlich dreidimensionaleren Protagonisten „Echo“ literarisch das Wasser reichen kann.
„Echo“ ist ein umfangreicher, ambitioniert strukturierter und hinsichtlich der Grundthemen minutiös mit vielen Details geschriebener Gruselroman, der sich eng an die klassischen Wurzeln hält. Es ist nicht die sowieso schwer zu definierende Zukunft der Horrors in einer Welt, die aus den Angeln gehoben erscheint. Jede Zeit hat ihren „persönlichen“ literarischen Schrecken, aber Thomas Olde Heuvelt führt die alten Traditionen mit noch einigen erkennbaren Schwächen respektvoll und konsequent fort. Alleine deswegen ist „Echo“ ohne den Ballast der plakativen Werketexte auf dem Cover eine gute, eine solide, eine grundehrliche Spannungslektüre mit einigen überzeugenden atmosphärisch dunklen Sequenzen und gut, vielleicht ein wenig zu eindimensional gezeichneten Protagonisten, die vom Berg kommend im Grunde nur reagieren, aber erst am Ende ein einziges Mal agieren können.
Echo
Thomas Olde Heuvelt ist sicherlich nicht der neue Stephen King. Obwohl der 1983 geborene Niederländer spätestens mit seinem Roman „Hex“ international auf sich aufmerksam machte, gewann er schon 2015 für „The Day, The World Turned Upside Down“ den HUGO in der Kategorie beste Kurzgeschichte. Vor allem kann Thomas Olde Heuvelt nicht der neue Stephen King sein, weil seine literarischen Wurzeln viel weiter die Geschichte der Horrorliteratur entlang in die Vergangenheit reichen: H.P. Lovecraft gehört spätestens nach der Lektüre von „Echo“ zu seinen Vorbildern mit den alten, unergründlich fremden (Berg-) Göttern. Aber Heuvelt ist nicht an einer Kopie Lovecrafts gelegen. Wie Ramsey Campbell in seiner fast über vierzig Jahre umfassenden Publikationsgeschichte greift der Niederländer Impressionen, keine Ideen von Lovecraft auf, extrapoliert sie in den bislang auf deutsch oder englisch vorliegenden Romanen auf eine geschickte Art und Weise, verkleidet sie in strukturell in sich geflochtenen Geschichten und lässt den Leser ausgewrungen wie sprachlich zurück. Heuvelt will wie Lovecraft, Campbell, aber auch Stephen King (meistens) keine Antworten auf die übernatürlichen Phänomene geben, die verborgen vor den Augen der meisten Zivilisationsmenschen ganz nahe an der Natur lauern. Wie seine Protagonisten soll der Leser sie spüren, erdulden, aber nicht verstehen.
Nach dem Erfolg von „Hex“ – für die internationale Ausgabe hat Heuvelt den Roman noch quasi neu geschrieben - litt der Niederländer laut eigenen Angaben im Nachwort an einer Schreibblockade. Der Druck, den Erfolg von „Hex“ mit dem nächsten Buch zu übertreffen, ist zu stark gewesen. Fast vier Jahre hat Heuvelt an „Echo“ geschrieben. Trotz mehr als siebenhundert Seiten Umfang wurden vom Lektorat achtzig Seiten entfernt. „Echo“ vereinigt zwei Besonderheiten. Heuvelts Liebe zu seinem Partner und seine Obsession mit dem Bergsteigen. Vielleicht funktioniert der Roman deswegen so gut, denn den Drang, den nächsten Berg zu bezwingen; sich wieder in Lebensgefahr zu begeben und den Triumph im Grunde nicht richtig auskosten zu können, durchzieht diese vielschichtige Geschichte.
Heuvelt setzt auf klassische Strukturen. Wie bei Lovecraft werden wichtige Abschnitte in Tagebuchform erzählt. Was bei Lovecraft eine Distanz zwischen Protagonisten und Leser; Handlung und Gegenwart aufbaut, ist bei „Echo“ allerdings notwendig. Die Geschichte beginnt zusätzlich mit einem entsprechend schaurigen Prolog. Der Leser wird absichtlich desorientiert, kann das Geschehen nicht einordnen. Erst später kommt Thomas Olde Heuvelt auf diese Sequenz zurück und nimmt den Faden wieder auf. Da die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird und nach dem Auftakt spielende Sequenzen deutlich früher spielen; später aber nach dem Rahmenschluss an anderen Stellen erst wieder aufgenommen werden, verlangt die Geschichte über ihre ganze Länge die volle Aufmerksamkeit der Leser.
Sam Avery und Nick Grevers sind ein homosexuelles Liebespaar in bester Jetset-Manier. Sie leben in den Niederlanden. Nick ist ein Athlet; Autor von leichten Artikeln im Netz und liebt das Bergsteigen. Sam Avery ist Amerikaner, kommt eher aus bürgerlichen Verhältnissen und will sein Studium hinter sich bringen. Er beteiligt sich zwar an der Miete, Nicks reiche Familie ist allerdings eher die monetäre Quelle. Sam Avery mag die Berge nicht. Immer wieder geht Heuvelt darauf ein, wie verliebt die beiden Männer sind. Das könnte kitschig wirken, ist aber überzeugend beschrieben.
Nick ist mit seinem deutschen Freund im Sommer in die französisch- schweizer Alpen zum Bergsteigen gefahren. Sie suchen neue Herausforderungen und finden einen Berg, den es in den offiziellen Karten nicht gibt: den Le Maudit. Dessen Namen ist Programm. Der Berg ist nur durch ein Tal zu erreichen. Die Bergbewohner raten ihnen ab.
Im Laufe der Geschichte offenbart Heuvelt mehr über den Berg und die zahlreichen Menschen, die ihn bestiegen haben. Die meisten haben es nur versucht und sind ums Leben gekommen. Normal fliegt die Bergwacht den Berg auch nicht an. Die Details dieser verhängnisvollen Bergbesteigung kommen erst nach und nach ans Tageslicht.
Was genau mit Nick und Augustin passiert ist, bleibt unausgesprochen. Es gibt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Am Ende ist Augustin tot, vermutlich in einer Gletscherspalte verschwunden und Nick schwer verletzt. Seine Verletzungen lassen sich nur bedingt erklären. Die Ärzte sind der Meinung, ein Eispickel wurde in seinen Kiefer getrieben und hat erheblichen Schaden angerichtet. Offiziell handelt es sich um Verletzungen, die er beim Absturz erlitten hat. Da er nur ein GPS-Signal ausstrahlen kann, rettet ihn die Bergwacht vom Fuße des Le Maudit. Bei einer genauen Positionsangabe wären sie nicht geflogen. Aus Aberglaube.
Nach ungefähr einhundert Seiten hat Thomas Olde Heuvelt die Ausgangsposition perfekt entwickelt und extrapoliert seinen Plot in zwei Richtungen. Die emotionale Ebene und die phantastische Ebene.
Bei der emotionalen Ebene kommt erschwerend hinzu, dass während Nicks Krankenhausaufenthalt mehrere Dutzend Menschen anscheinend an einer Art Virusanschlag sterben. Das wirkt aufgesetzt und wird auch nicht ausreichend genug erläutert. Es ist auch unnötig. Dramaturgisch sind die Selbstmorde vom Krankenhauspersonal um den unter seinen starken Verbänden wie eine Inkarnation von H.G. Wells „Der Unsichtbare“ wirkenden Nick als Gruselelement ausreichend genug. Ein Anschlag, ein Ausbruch von übernatürlichen Elementen und damit dreißig oder mehr Tote überspannen den Rahmen einer Geschichte, die sich auf die langsame Entwicklung einer übernatürlichen Bedrohung und im Grunde eine Rückkehr eines lebendigen Toten in seine „Heimat“ konzentrieren soll.
Thomas Olde Heuvelt beschreibt die Beziehung zwischen Sam und Nick ebenfalls auf zwei Ebenen. Vor dem Unfall, nach dem Unfall. Partys, homosexueller Sex, ein Jetset Leben inklusive eigenwilligem Kater. Wenig Verantwortung für die Umwelt. Vielleicht nicht ganz so abgehoben wie einige Yuppies, aber nahe dran. Nach dem Unfall flieht Sam erstmals in die Arme seiner Familie. Allerdings gibt es auch hier ein dunkles Geheimnis, das wie der Massenmord im Krankenhaus ambivalent behandelt wird. Die dunkle verführerische Seite könnte Sam schon länger durch seine naive kindliche Leichtgläubigkeit unter Kontrolle haben. Oder auch nicht. Vieles ist hier eine Frage der Perspektive, ein Puzzlespiel bestehend aus unterschiedlichen Erinnerungen. Kaum hat sich der Leser –vom Thomas Olde Heuvelt auch geschickt manipuliert – auf eine mögliche Richtung festgelegt, entzieht der Autor dem Leser wie auch seinem Protagonisten diese „Wahrheit“ und impliziert eine andere Möglichkeit. Das ist spannend, atmosphärisch stimmig, lenkt aber auch vom grundlegenden Plot ab und führt wie einige rote Fäden ins Nichts.
Reumütig kehrt Sam zu seinem Geliebten zurück und versucht mit dem schwerverletzten Mann zu leben. Sex misslingt. Nick leidet unter Stimmungen, hervorgerufen von seinen schweren Medikamenten. Schließlich kommen die Beiden zum einzig logischen Entschluss. Sie müssen zurück in die Berge fahren. Nicht unbedingt zum Le Maudit, aber in dessen Nähe. Natürlich als seelische Erholung, aber auch als Vorbereitung auf die plastischen Operationen, die in der Schweiz gemacht werden sollen.
Eine Rückkehr an den Ort der Tragödie ist immer eine Katastrophe und wirft ambivalente Schatten voraus. Thomas Olde Heuvelt beginnt mit Klischees zu spielen. Die Einheimischen fürchten den Mann mit den Bandagen, weil sie wissen, dass er von ihrem Berg zurückgekommen ist. Die Glücksvögel rebellieren in seiner Nähe und die Androhung von körperlicher Gewalt reicht auch nicht aus.
Sam fordert schließlich Verstärkung an. Seine Schwester kommt aus den USA, um ihn eigentlich zurückzuholen. Mit ihr schließt sich der im Prolog etablierte Kreis. Und eine Krankenschwester aus Nicks Sanatorium kommt, um bei den Recherchen zu helfen. Sie ist damals vom Arbeitsplatz geflohen, während sich ihr Chef nach Nicks Operation umgebracht hat. Nicht der letzte Selbstmord in dieser Geschichte. Anscheinend hat es mit Nicks immer steinerner werdenden Gesicht zu tun.
Die emotionale Handlungsebene verschwimmt trotz der dreidimensionalen Zeichnung der Charaktere teilweise zu stark. Natürlich sind die Menschen nach einem solchen Unfall und vor allem auch zahlreichen Toten/ Selbstmorden in der un- aber auch mittelbaren Umgebung geschockt. Aber wie in simplen Horrorgeschichten üblich, machen sie es auch den potentiellen Feinden zu leicht, während das eigentliche Böse schön auf der Bettkante Platz genommen hat. Das wirkt zu simpel, zu stringent konstruiert und steht in einem starken Kontrast zu Heuvelt zu experimentellem Schreibstil. Zu Hype, voller Hashtag Ausdrücke, eine Vermischung von deutsch und englisch auf der Suche nach dem passenden Begriff. Durch diese literarische Experimentierfreudigkeit versucht Heuvelt die Quadratur des Kreises, denn insbesondere Sam wirkt nicht dadurch natürlicher, sondern eindimensionaler. Manche Leser werden das in einem starken Kontrast zu den mehrfach angesprochenen Aufzeichnungen – nachträglichen Aufzeichnungen – als lebendig empfinden. Es wirkt allerdings in dieser Häufung bemüht.
Aufzeichnungen/Tagebucheinträge sind bei H.P. Lovecraft immer Beweise, dass die übernatürlichen Ereignisse „wahr“ sind. Sie sollen vor einem realistischen, bei Lovecraft minutiös beschriebenen Hintergrund jeder Kritik standhalten. Das ist auch bei Heuvelt der Fall. Nicks Versuch, die verhängnisvolle Expedition zum Berg; ihr Scheitern während des Abstiegs und schließlich die immer dunkler und brutaler werdenden Visionen einzuordnen bildet spannungstechnisch einen perfekten Kontrast zur Liebesgeschichte. Die Erwartungen der Leser an diesen Teil der Story sind entsprechend größer, werden aber rückblickend nur bedingt befriedigt. Heuvelt lässt Nick nur kurz den Vorhang heben. Vieles basiert auf Spekulationen, brüchigen Erinnerungen und Erzählungen Dritter. Bis auf einen vom Gipfel mitgebrachten Stein gibt es keine Beweise und die finale Konfrontation inklusive der entsprechenden „Auflösung“ kann natürlich nur in der Gegenwart erfolgen.
Die Tagebuchaufzeichnungen – der Leser muss ja nicht mehr wissen, was geschehen ist, sondern warum – sind die intensivsten Abschnitte des Buches. Thomas Olde Heuvelt macht aus seinem Herzen keine Mördergrube und in einigen Passagen wirkt „Echo“ wie eine Liebeserklärung an den eigenen geduldigen Partner. Hinzu kommt Heuvelts Faszination mit dem Berg. In seinem Nachwort spricht er Autor von der eigenen Liebe zur nächsten Herausforderung und das zeigt sich im vorliegenden Manuskript. Und wenn der Berg dann auch noch geheimnisvoll wirkt, dann ist die Sucht perfekt. Seine Höhe schwankt. Persönlich gemessen scheint er höher als es angesichts der ihn umgebenden Berge möglich ist. Ein verstecktes Tal soll den Aufstieg erleichtern, aber die Zeit vergeht deutlich langsamer bzw. die zurückgelegte Strecke ist länger als es kartentechnisch möglich ist. Klassische, vielleicht auch ein wenig klischeehafte Hinweise, dass hier etwas nicht stimmen kann.
Heuvelt zitiert gerne aus klassischen Horrorgeschichten. Nicht nur zu Beginn der einzelnen Kapitel mit Bradbury, H.G. Wells – Nick sieht sich auch als der neue Unsichtbare – Shirley Jackson, Washington Irving und auch Stephen King. Aber Heuvelts Protagonisten ziehen keine Querverbindung zwischen der verzerrten Realität und der Fiktion.
Die Tagebuchaufzeichnungen ermöglichen es dem Leser, Nicks innere Einstellung, aber auch den Versuch zu verfolgen, die finalen Ereignisse am Berg wieder zu rekonstruieren. Vieles bleibt vage und anscheinend ist Nick eher der Kollateralschaden als das eigentliche Opfer. Dieser Übergang wirkt final nicht routiniert genug geschrieben.
In den Bergen zur Erholung angekommen, schlägt Thomas Olde Heuvelt den Bogen zum Anfang zurück. Sams Schwester wird von Menschen ohne Augen, von dunklen Schatten bedroht. Das Motiv zieht sich durch den Roman. Bei einem nächtlichen Spaziergang in dem kleinen Dorf nur ein Tal vom verhängnisvollen Berg entfernt werden Nick und Sam ebenfalls von diesen Gestalten verfolgt. An einer anderen Stelle versucht der Bürgermeister zusammen mit dem örtlichen Pfarrer sie zur Abreise zu überreden. Ihr Kater wird mittels Katzenfutter in eine Fuchsfalle gelockt. Überall hängen die Bergraben, teilweise ausgestopft, teilweise noch lebendig in den alten Vogelkäfigen als Glücksbringer.
Auch die Idee der Raben als Seelenstehler wird von Thomas Olde Heuvelt mehr angedeutet als wirklich abschließend zufriedenstellend entwickelt. Die beiden Handlungsebenen – auf der einen Seite die Tagebuchaufzeichnungen; auf der anderen Seite die Gegenwart mit verschiedenen Selbstmorden, den geheimnisvollen augenlosen Gestalten und schließlich die Bedrohung im Dorf – laufen im Finale zusammen.
Anstatt ein Crescendo zu inszenieren, geht Thomas Olde Heuvelt fast stoisch einen Schritt zurück und impliziert, das alles seine Ordnung haben muss und manche „Dinge“ sich nicht von ihrem Ursprung entfernen. Statt einem Knall endet die Geschichte auf einer subtilen, nicht falsch klingenden, aber auch nicht wirklich befriedigenden Note. Ein wenig mehr darf es schon sein , zumal eine Vielzahl von aufgeworfenen Fragen nicht beantwortet werden. So hat Nick als Inkarnation des Berges einen selbstmörderischen Einfluss auf viele, aber nicht alle seiner Mitmenschen. Eher unbewusst, nur in zwei Situationen bewusst. In beiden Fällen ist seine Existenz, seine Geschichte mittelbar und einmal unmittelbar gefährdet. Von einer weiteren Person geht eine Gefahr aus, aber die Liebe zu Sam scheint diese junge Frau zu schützen. Das muss sich der Leser allerdings zusammenreimen, ausgesprochen wird es nicht.
In der Theorie ist eine zu intensive Aufklärung bei einem auf Stimmungen aufgebauten Horrorroman auch nicht notwendig, aber Thomas Olde Heuvelt lässt zu viel unnötig liegen. Bei einem Umfang von mehr als siebenhundert Seiten sollte das Finale nicht aus wenigen Absätzen, fast nebenbei erzählt, bestehen. Das ist zu wenig. Positiv ist, dass Thomas Olde Heuvelt bei seinem überwiegend subtilen Horror bleibt und sich nicht in brutale übertriebene Exzesse hineingesteigert. Hier folgt der Autor vor allem den in den achtziger Jahren entstandenen Ramsey Campbell Büchern, von denen „Midnight Sun“ allerdings mit deutlich dreidimensionaleren Protagonisten „Echo“ literarisch das Wasser reichen kann.
„Echo“ ist ein umfangreicher, ambitioniert strukturierter und hinsichtlich der Grundthemen minutiös mit vielen Details geschriebener Gruselroman, der sich eng an die klassischen Wurzeln hält. Es ist nicht die sowieso schwer zu definierende Zukunft der Horrors in einer Welt, die aus den Angeln gehoben erscheint. Jede Zeit hat ihren „persönlichen“ literarischen Schrecken, aber Thomas Olde Heuvelt führt die alten Traditionen mit noch einigen erkennbaren Schwächen respektvoll und konsequent fort. Alleine deswegen ist „Echo“ ohne den Ballast der plakativen Werketexte auf dem Cover eine gute, eine solide, eine grundehrliche Spannungslektüre mit einigen überzeugenden atmosphärisch dunklen Sequenzen und gut, vielleicht ein wenig zu eindimensional gezeichneten Protagonisten, die vom Berg kommend im Grunde nur reagieren, aber erst am Ende ein einziges Mal agieren können.

E Book, 120 Seiten
