Holly

Stephen King

„Holly“ – wie der Name scho sagt- ist der vierte Roman mit der Privatdetektivin Holly Gibney. In seinem Nachwort geht Stephen King darauf ein, dass es sinnvoll ist, die ersten Roman „Mr. Mercedes“, „Finderlohn“ – der Originaltitel „Finders Keeper bezieht sich auf die Detektei, welche Holly von ihrem an Krebs verstorbenen Partner geerbt hat- und „Mind Control“ zuerst zu lesen. „Der Outsider“  nimmt einzelne Aspekte dieses Buchs vorweg. Zwischen „Der Outsider“ und „Holly“ entstand noch die Novelle „Blutige Nachrichten“. Sie spielt teilweise während „Holly“, ist aber vor Corona geschrieben worden. Daher wirken einzelne Aspekte dieser relevanten Novelle aus der Zeit gefallen.  Stephen King selbst hat einmal gesagt, dass Holly in „Mr. Mercedes“ nur eine Nebenrolle übernehmen sollte. Mehr und mehr rückte sie in den Mittelpunkt der Geschichte. In „Holly“ geht es vor allem um sie. Nicht nur wegen des aktuellen Falls, sondern viele Ereignisse aus ihrer eigenen, nicht einfachen familiären Vergangenheit erscheinen plötzlich in einem gänzlich anderen Licht.  

„Holly“ ist teilweise – die Haupthandlung um Holly – nicht nur in der Corona Zeit angelegt, Stephen King rechnet mit Trump Politik der ersten Amtszeit ab und unkt,  hoffentlich wird er nicht 2024 wiedergewählt. Das ist ja inzwischen Realität geworden.

Bis auf „Der Outsider“ handelt es sich bei den ersten drei Romanen um erstaunlich simple Psychothriller, die gar nicht Stephen Kings sonstigem Oevre entsprechen. Damit soll auf jeden Fall ausgedrückt werden, dass die Bücher nicht spannend sind. Aber sie sind greifbar. Stephen King meets Thomas Harris. Im Gegensatz zu einigen anderen mutigen Horrorromanen, in denen der übernatürliche Schrecken immer Hand in Hand mit den persönlichen Schicksalen seiner dreidimensionalen Protagonisten gegangen ist, sind diese jeweiligen Suche nach psychopathischen Massenmördern, die sich für schlauer als der Rest der Welt halten sowie ein fremdartiges Monster – der Auftakt von „Der Outsider“ ragt aus allen anderen Romanen um Holly brillant wie schockierend heraus – bodenständig.

Auch „Holly“ handelt von zwei Massenmördern, deren Taten der Leser auf Augenhöhe verfolgen kann. Stephen King fragt in diesem Buch nicht nach dem „wer?“, das „Warum?“ bildet sich auf ein indirekte Art und Weise heraus und wirkt grotesk. Ist aber rückblickend genauso wenig überraschend wie Thomas Harris Hannibal, dessen charismatischen  Größenwahn     

Am Ende der Geschichte, der Jagd spricht Holly vom menschlichen Schrecken im direkten Vergleich zur letztendlich übernatürlichen Herausforderung durch den Outsider im gleichnamigen Roman. Ja, das Fremde verliert schnell an einer direkten Bedrohung, wenn es relativierend erklärt wird. Aus dem Unbekannten, dem Allgegenwärtigen wird das Phantastische. So erschreckend die “Alien” oder “Predator” Streifen, so entsetzlich Stephen Kings Inspiration - John W. Campbells Kurzgeschichte “Who Goes there” - auch sein mag, die Bedrohung kommt wie bei Freddy Krüger, Jason oder den “Halloween” Filmen aus dem Jenseits. Die menschlichen Abgründe sind verstörend, unerklärlicher und die Phantasie der Autoren ist teilweise viel näher an der Realität als es der Leser vermutet. Das Aufschlagen der Zeitung, die abendlichen Nachrichten zeigen ihm, wie fragil die Barriere zwischen literarischer Phantasie und krankhafter Obsession ist. Nicht geworden ist, da es sich um keine reine Entwicklung der Neuzeit handelt, sondern einfach nur “ist”. 

Und hier zeigt sich die Stärke Stephen Kings und eine der Schwächen des vorliegenden Romans. Stephen King bewegt sich im Thomas Harris Land, ohne die absurde Faszination mit dem charismatischen Hannibal zu erreichen. Vielleicht ist Stephen Kings Roman noch näher an Thomas Harris ersten Horrorthriller “Roter Drache” dran als die eigentliche “Hannibal Lector” Trilogie. 

Stephen King ist ein routinierter, ein erfahrener Autor. Seine Protagonisten kennen sich an der langen, gegen Ende immer kürzer werdenden Leine ihres Mentors mit dem Horrorgenre aus. Man flieht sich zu einem bereitstehenden Wagen, der springt sowieso nicht an. Man geht auch nicht alleine in das Haus des Verdächtigen… damit gefährdet man zu Gunsten der allerdings stellenweise stereotypen Spannung das eigene Leben. Und doch macht gegen Ende der Geschichte ausgerechnet Holly diesen “Fehler”. Es ist eine Selbstüberschätzung einer Frau, die sich an der Grenze zum Hypochonder bewegt; deren bisheriges Familienleben noch einmal auf den Kopf gestellt wird und die allerdings auf Corona reagiert. Auf eine Krankheit, die in ihrem unmittelbaren Umfeld tödliche Spuren hinterlassen hat. Aber Stephen King vermeidet trotz der erstaunlich mechanischen, aber auch lesenswerten Handlung Klischees und spielt mit der Erwartungshaltung der Leser. Am Ende ist wie in “der Outsider” - der “Käfig” ist natürlicher, die Spielwiese deutlich gigantischer und der Preis final auch leider höher - selbst die Frau. Nicht ganz, aber fast ganz. Damit linder Stephen King einige der strukturellen Dellen, die “Holly” in einem starken, fast verstörenden Kontrast zu den wunderbar gezeichneten Protagonisten, auszeichnet. 

Der Leser ist durch die zwei Handlungsebenen deutlich weiter. Hollys Ermittlungen verlaufen  chronologisch, der Leser folgt ihr auf Augenhöhe. Das Schicksal der einzelnen Opfer der psychopathischen Massenmörder - auch zwei statt einem Einzeltäter wie zum Beispiel in “Mr. Mercedes” oder “Der Outsider” ist eine Abweichung von der Norm - wird auf der zweiten Handlungsebene erzählt, wobei Stephen King hier einige Wiederholungen ausweicht und das erlesene “Wissen” mitnimmt. Der Leser weiß viel früher als die einzelnen Opfer, was die Verrückten mit ihnen planen. Daher ist die finale Erkenntnis, einem sympathischen gefangenen Mädchen mitten ins Gesicht geschrien, kein neuer Höhepunkt, sondern nur die Bestätigung der Vermutungen der Leser. 

Ist die Jagd, die Suche nach den roten Fäden spannend oder nicht? Die salomonische Antwort lautet ja und nein. Ja, weil Stephen King sehr viel richtig macht und Holly manchmal durch Zufall, aber auch ihres Hintergrundteams - zwei der jungen Freunde haben literarische Ambitionen  und werden für ihre Mühen belohnt - die einzelnen Puzzleteile zusammensetzt. Rückblickend haben die Täter nicht viele Fehler gemacht, aber jedes Umfeld lässt sich eingrenzen. Das ist routiniert bis spannend geschrieben, das überzeugt durch eine innere Logik. Es ist spannend. Nein, weil Stephen King wieder auf einzelne Versatzstücke des Serienkillergenres mit der Ausnahme des Austausches der Täterstruktur zurückgreift und zu Beginn des finalen Höhepunkts tatsächlich das absolute Klischee - ohne Backup; ohne leicht zu greifende Nachricht in das Haus des oder der Täter nachts einbrechen - spielt. Natürlich hat Stephen King final eine etwas andere Wendung eingeplant, die allerdings ebenfalls nur durch die Gebrechlichkeiten der Täter und einen alten Rat von Hollys Partner und Gründer von “FinderKeeper” funktioniert. Aber absichtlich oder unabsichtlich hat der Leser das Gefühl, vom Amerikaner an der Nase herumgeführt zu werden. 

Aber unabhängig von der teilweise ein wenig stereotypen Grundhandlung ist “Holly” eine Meisterleistung in Hinsicht der Charakterisierung der einzelnen Figuren. Dabei reicht das Spektrum von den Nebenfiguren  - viele Opfer darunter - über die Täter bis zur dominierenden Holly, die sich im Laufe von vier Romanen und einer Novelle zu einer wirklich guten Detektivin, aber vor allem mit ihren Ecken und Kanten auch sympathischen Frau entwickelt hat. 

Beginnend mit dem Auftaktkapitel ist klar, wer die beiden Entführer und späteren Mörder sind: Rodney und Emily Harris. Ein älteres Ehepaar, beide haben als Professoren in unterschiedlichen Fachbereichen an der Universität unterrichtet. Über achtzig Jahre alt, unscheinbar, im Grunde auf sich alleine gestellt und mit einer perfiden Masche die Hilfsbereitschaft der Mitmenschen ausnutzen brandgefährlich.  

Im Laufe der Story zeigt sich ihre wahre, im Grunde durchgeknallte Intention. Nicht umsonst ist der Spitzname von Rodney Harris “Mr. Meat” und seine Ernährungsansichten - höflich gesprochen - wild und unkalkulierbar. Seine Frau Emily scheint lange Zeit im Schatten ihres Mannes zu stehen. Natürlich ist diese von King absichtlich ausgestreute Ansicht falsch. 

In seinem Nachwort spricht Stephen King auch davon, dass er nicht nur einen Roman in Zeiten von Corona - für den Autoren von “The Stand” ein Deja Vu, in dem die Realität seine Fiktion endlich oder leider eingeholt hat - schreiben, sondern mit den beiden Harris die unverdächtigsten Massenmörder aller Zeiten wollte. Das ist ihm gelungen. Daher folgt das Buch  nicht den klassischen Strukturen des Thrillergenres. Es ist keine Frage, dass Holly und die beiden Harris aufeinandertreffen. Es ist nicht einmal eine Frage, wo sie aufeinander treffen, da die Harris durch ihre Erkrankungen in ihrem Handlungsradius mehr und mehr eingeschränkt werden. Auf diese typischen, vielleicht auch klischeehaften Aspekte des Spannungsaufbaus verzichtet Stephen King und konzentriert sich über die allerdings manchmal auch wenig stereotypen und gegen Ende auch zu überdreht gezeichneten Schurken auf seine Hauptfigur Holly. 

Nach vier Romanen und einer Novelle ist Stephen King - wie auch der Leser - mit Holly vertraut. Und trotzdem gelingt es dem Amerikaner, durch den Corona-Tod von Hollys Mutter wieder alles in Frage zu stellen. Meisterhaft greift Stephen King im Verlaufe der Handlung vor und führt Hollys charakterliche Entwicklung, basierend auf den Lehren ihres inzwischen verstorbenen Mentors sowie aus der Jagd auf verschiedene Killer, konsequent weiter fort. Gleichzeitig holt Holly ihre eigene Vergangenheit ein. Sie erfährt, dass ihre Mutter nicht nur eine egozentrische Manipulatorin, sondern vor allem zusammen mit ihrem Onkel als Trittbrettfahrer eine Lügnerin gewesen ist, welche das eigene Wohl über das ihrer Tochter gestellt hat. Mit ihrem Tod lösen sich diese von Holly konsequent gelockerten Fesseln. Holly erkennt, wie sehr sie manipuliert worden ist. Auf der einen Seite fällt ihr mit dem Tod der ungeliebten Mutter ein wahrer Felsbrocken von den Schultern, auf der anderen Seite muss sie sich mit einer gänzlich anderen Situation auseinandersetzen. 

Holly hat ihre Mutter an Corona verloren. Sie wollte sich nicht impfen lassen. Sie gehörte zu den Trump Anhängern und war immer davon überzeugt, dass Covid Corona Fake News ist.

Die Idee von Hollys Teilnahme an einer per Zoom übertragenen Beerdigung war die erste Szene, die Stephen King für diesen Roman hatte. Der Plot – in der Zeitung gelesen – kam erst später. Diese Idee, dieser Moment durchzieht in unterschiedlichen Facetten das ganze Buch. Nicht nur wegen der Ignoranz ihrer Mutter oder den starken Symptomen ihres im Krankenhaus liegenden Partners ist Holly fast paranoid vorsichtig. Doppelt geimpft, trägt Maske und desinfiziert sich die Hände. Ihr Verhalten folgt aber den Vorschriften und ist nicht gänzlich aus der Art geschlagen. Wenn Menschen doppelt geimpft ist, legt sie auch die Maske ab. Nur bei den Harris fühlt sie sich beschmutzt. Das hat aber einen anderen Grund.

Nach ihrem Tod erfährt sie, wie sehr ihre Mutter sie immer weiter manipuliert hat. Schon Beginn ihrer beruflichen Existenz konnte sie sich mit Mühe von ihrem Einfluss befreien.  Mittels eines in der Presse hochkochenden Betrugs soll Holly ein weiteres Mal unter ihre Fittiche kommen. Aber wie ihr inzwischen verstorbener Mentor Bill Hodges in einem der früheren Bücher zu ihr gesagt hat: „Sometimes the Universe Throws you a Rope“. Und dieses Seil ist nicht nur die erfolgreiche Agentur, sondern auch die Menschen, die Holly wieder unterstützen.

Ein wenig zurückgefahren hat Stephen King Hollys Liebe für Filme. In den ersten Romanen hatte der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn sich Stephen King so sehr in Holly und ihr bescheidenes, introvertiertes Leben verliebt hat, dass es auf jeden cineastischen Moment im eigenen Wohnzimmer Abends vor dem Fernseher mit Streaming oder DVDs ankommt.

Holly kann inzwischen nicht nur mit Klienten, sondern auch mit Mitmenschen umgehen.  Bill Hodges ist inzwischen tot und doch immer präsent. Während des Höhepunkts des Romans ist ein weiser Ratschlag Hodges der ultimative Lebensretter und schockiert einen der beiden Antagonisten bis ins Mark. Im Kino muss dieser Moment köstlich wirken, im Roman ist die Sequenz lebendig, doch visuell deutlich „karger“ ausgestaltet.

Ein wichtiges Element ist Trauer. Trauer in verschiedenen Variationen – Holly hinsichtlich ihrer Mutter mit allerdings ambivalent distanzierten Gefühlen; die Trauer der Menschen beginnend mit Bonnie nach denen Holly zu suchen beginnt und schließlich auch die Trauer um eine Dichterin, die einen wohlwollenden Einfluss auf einen Menschen in Hollys Umfeld wie Barbara hatte. Trauer und Verlust(angst) sind wiederkehrende und wichtige Aspekte in Stephen Kings Werk. Seine Toten sind keine Nummern, keine klassischen Opfer,  sondern dreidimensionale Figuren, nicht selten mitten aus dem Leben gerissen.

Vielleicht wirkt es ein wenig überzogen, dass der junge Jerome mit den Erinnerungen an seinen Großvater als Roman einen durchschlagenden Erfolg hat und nach  New York eingeladen wird. Seine Schwester arbeitet sich parallel unter der Anleitung der angesprochenen, fast einhundert in einem Poetry Preiswettbewerb konsequent nach oben. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wie zumindest Stephen Kings Sohn alias Joe Hill beweist. Aber hier wirkt es ein wenig zu konstruiert. Zumindest sind Barbara und Jerome Teil einer „Familie“, die Holly nie hatte, und geben der Figur die Möglichkeit, über den dunklen Tellerrand der verschwundenen Menschen zu schauen.

Vielleicht geht Stephen King bei den Details und Hollys Gedanken einen Schritt zu weit. Aber es sind diese kleinen charakterlichen Facetten – lohnt es sich bei einer zweiten Übernachtung, noch einmal im One Dollar Store einzukaufen oder nicht -, diese klassische Vermenschlichung seiner Figuren, welche den Reiz seiner Bücher seit Jahrzehnten ausmachen. Und bei Holly hat der Amerikaner inzwischen viele Jahre Zeit und tausende von Seiten Raum gehabt, um immer wieder an den Ecken und Kanten zu feilen. Sie ist noch dreidimensionaler, noch verletzlicher und anschließend doch präsenter und  entschlossener, den Fall zu lösen.

Ihre charakterlichen Stärken wie Pünktlichkeit und Verlässlichkeit retten ihr schließlich indirekt das Leben und runden diese nächste Entwicklungsstufe zufriedenstellend ab.  

Auffällig ist, dass Stephen King sich nicht nur in Trumps gegenwärtiger zweiter politischer Phase über die sozialen Medien geäußert hat, sondern schon in „Holly“. Er ahnt wohl, dass Trump 2024 wiedergewählt werden könnte. Das ist eingetroffen. Er geht hart mit Trump ins Gericht und sieht in ihm den Antipolitiker, fast Antichristen und Narzissten. Vielleicht überspannt er den Bogen, wenn alle Corona Leugner – ein wichtiger Teil dieses Buches – gleichzeitig Trumpwähler sind. So einfach sollte es sich selbst ein Routinier wie Stephen King nicht machen. Seine politischen Äußerungen und die beidseitige Betrachtung von Covid als echte Seuche mit vielen Toten direkt in Hollys Umfeld, aber auch den Hoax Ideen hat ihm Kritik weit über die Qualität des Buches selbst eingehandelt. Aber Stephen King positioniert sich in diesem Werk und wer seine Meinung nicht teilt, der ist ihm wahrscheinlich auch als Leser vollkommen egal. Politik spielte immer wieder bei King eine Rolle. „Salem´s Lot“ und „Dead Zone“ seien hier als frühe Werke, „11/22/63“ als Spätwerk genannt. Warum dieser Aufschrei? Als literarisches wie politisches Barometer kommentiert Holly teilweise entsetzt – der Sturm aufs Capital wird als das beschrieben, was er wirklich war- ein politischer Umsturzversuch – und teilweise amüsiert – die Argumente der Corona Leugner – das Geschehen. Und es steckt viel wahres in Kings Aussagen. Die Platzierung in der Corona Zeit lässt den Text einige Jahre danach älter erscheinen als er wirklich ist.  Vieles weckt Erinnerungen an die Unsicherheit, an die Verzweiflung und vor allem auch an die allgegenwärtige wie unsichtbare Bedrohung und scheint doch so lange in der Vergangenheit zu liegen.

“Holly” ist ein interessanter Roman mit einigen Stärken, aber auch deutlichen Schwächen. Das größte Problem, abgesehen von der dominanten Hauptfigur, ist, dass die Geschichte auf “Der Outsider” folgt. Ein umfangreicher Roman, dessen erstes Drittel zu den besten Stephen King Geschichten der letzten zehn Jahre mit einem im Grunde gordischen Krimi Rätsel - ein Mann ist nachweislich an zwei Orten zugleich - als Ausgangspunkt  gehört. In dessen Schatten kann “Holly” nur auf der charakterlichen Ebene gedeihen.  Dazu ist die Haupthandlung manchmal zu stereotyp, zu vorhersehbar. Es gibt Krimis, in denen es ausschließlich um das “warum” geht. Diese brillieren nicht durch überraschende Wendungen im Handlungsverlauf oder aus dem Nichts kommenden Schockszenen und faszinieren durch den langen Blick in den dunklen Abgrund der Psychopathen. Das ist bei “Holly” nur teilweise der Fall. Zu wenige nachhaltige Überraschungen, zu wenige lange Passagen, in denen im Grunde wenig bis nichts passiert. Sie sind gut geschrieben, die Dialoge pointiert und Stephen King ist ein so meisterlicher Erzähler, dass er auch eine Speisekarte in der lokalen Burgerbude spannend gestalten könnte. Aber die Erwartungshaltung gegenüber jedem neuen Roman aus seiner Feder ist inzwischen so hoch, dass der knapp achtzig Jahre alte Amerikaner sehr hoch springen muss, um sein Ziel zu erreichen.  

 Als Person reicht Holly aus, um den Roman zu tragen. Nicht nur Stephen King, sondern auch der Leser ist mit ihr vertraut und ihr aktives Handeln gibt Holly wahrscheinlich hinsichtlich ihres Selbstbewusstseins auch einen Schub. Der letzte Absatz dieses Buches offenbart trotz der inhaltlichen Geschlossenheit, dass Hollys literarischer Weg noch nicht zu Ende ist. In dieser Hinsicht gehört “Holly” zu den besten Büchern Stephen Kings der letzten Jahre. Es empfiehlt sich aber wegen der zahlreichen Hinweise, Querverweise und vor allem auch der kontinuierlichen Entwicklung von relevanten Personen aus Hollys Umfeld, die Romane in der chronologischen Reihenfolge ihres Erscheinens und die Novelle “Blutige Nachrichten” trotz des Corona Widerspruchs zwischen “Der Outsider” und “Holly”. Dann entfaltet sich die Lebensgeschichte in ihrer ganzen, teilweise tragischen Fülle und bereichert Stephen Kings an signifikanten Figuren nicht kleinen Kosmos um eine besondere Note.   

Holly: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Erstmals im TB Edition (13. November 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 656 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453429680
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453429680
  • Originaltitel ‏ : ‎ Holly
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