Martha Wells „Systemkollaps“ ist hinsichtlich der veröffentlichten Taschenbücher der vierte „Band“ der Reihe um den sympathischen egozentrischen Killerbot. Es ist aber die siebente Geschichte, da die ersten Arbeiten vor allem aus Novellen und Kurzgeschichten bestanden. Auch wenn „Systemkollaps“ Romanlänge aufweist, kehrt die Autorin zur stringenten Struktur und vor allem der geradlinigen Handlungsführung ihrer ersten Arbeiten zurück. Wie bei seinen Aufgaben ist Killerbot auch als literarische Figur kein Mann für tiefgründige Gespräche – außer, wenn es um seine populären Soaps geht -. Das hilft der vorliegenden Geschichte ungemein, auch wenn die Mischung aus Kolonialplanet mit einem dunklen Geheimnis; der Macht der Konglomerate und die Blue Collar Welt natürlich auch an andere populäre Filmserien wie zum Beispiel „Alien“ erinnern.
Die Handlung schließt unmittelbar an „Der Netzwerk-Effekt“ an und präsentiert auch teilweise den gleichen Hintergrund. Für den Leser wirkt die Umgebung dadurch vertrauter, allerdings erwartet man auch eine Art Feuerwerk, eine monumentale Entdeckung und vor allem ein Argument, warum sich die Autorin so lange auf dieser Welt aufgehalten hat. Strukturell spricht einiges dafür, dass „Der Netzwerk-Effekt“ und „System Kollaps“ auch eine lange Geschichte hätten sein können. Mit kleineren Änderungen, Verschiebungen des zwischenzeitlichen Höhepunkt am Ende von „Der Netzwerk-Effekt“, aber als zwei Romane muss sich insbesondere in der zweiten Geschichte die dramaturgische Dynamik effektiver und schneller entwickeln. Auch wenn der Killerbot im Vergleich zu den ersten Texten auf die verschiedenen Diskussionen mit seinen positiv gestimmten Mitmenschen verzichtet und sich eher als Teamplayer präsentiert.
Generell empfiehlt es sich, diese Serie in der chronologischen Reihenfolge zu lesen, um die kontinuierliche charakterliche Entwicklung des Killerbot an der Seite der Menschen, nicht selten auch trotz der Menschen nicht unbedingt an seiner Seite besser verfolgen zu können. Nicht jede Geschichte ist von Martha Wells in der strikten chronologischen Reihenfolge niedergeschrieben worden, aber geschickt verknüpft sie immer wieder Ereignisse/ Erfahrungen aus der Vergangenheit mit der fortlaufenden chronologischen Handlung, so dass – vergleichbar der geplanten Aplle TV Serie – die Geschichte als ein großer Bildungsroman gelesen werden könnte. Zumindest der Killerbot würde sich über diese Vision köstlich amüsieren. Unabhängig von dieser Idee greift Martha Wells auf verschiedene Charaktere, aber vor allem auch angerissene Szenarien aus dem ersten Killerbot Roman „Der Netzwerk- Effekt“ zurück.
Die Barish- Estranza Kooperation hat Rettungsschiffe – der Begriff ist eher ironisch zu nehmen – zu einem neu kolonialisierten Planeten ausgeschickt, um die Menschen zu evakuieren. An Bord der Rettungsschiffe befinden sich auch einige Security Units. Die Universität dagegen schickt ein kleines Schiff mit einer kleinen Besatzung und einem Killerbot aus, um die Situation zu untersuchen. Nicht selten haben die Konglomerate Planeten aus eigenen monetären Interessen gegen alle Gesetze evakuiert, um die Funde geheim zu halten.
Schnell stellen die Menschen um den Killerbot fest, dass es auf dieser Welt nicht eine Kolonie gibt, sondern zwei. Eine Gruppe von Menschen hat sich förmlich unter den am Nordpol befindlichen Terraforming Maschinen eingegraben und lebt dort isoliert unter der Erde. Und die Menschen sind nicht das einzige Phänomen dieser Welt. Anscheinend gibt es Geheimnisse auch außerirdischen Ursprung, die viel älter und wahrscheinlich viel wertvoller sind, als es die Kooperation ans Licht der Öffentlichkeit dringen lassen will.
Wie in einigen anderen Killerbot Geschichten wäre in der Theorie die Mission relativ einfach, aber nicht weniger gefährlich. Wie in den meisten anderen Geschichten Martha Wells wird der Plan nicht funktionieren. Die Killerbot-Serie hat sich zu einer Art Anti-A-Team entwickelt. Egal was geplant ist, erst einmal geht alles schief und der frustrierte Killerbot muss sehen, wie er aus den verschiedenen Teilen etwas zusammenbaut, was rückblickend eine halbwegs erfolgreiche Mission genannt werden kann.
Aber Martha Wells hat in der vorliegenden Geschichte eine weitere Hürde eingebaut. Da sich der Killerbot trotz aller Herausforderungen als abschließend zu unüberwindbar erwiesen hat, muss er wie bei den Superhelden Geschichte wieder reduziert werden. Nicht aufs Menschliche, das wäre zu viel. Aber der Killerbot trägt eine „Wunde“, eine Baustelle aus „Der Netzwerk-Effekt“ mit sich herum.
Dieses Problem löst sich erst ab der Hälfte des Buches, als der Killerbot neue „Freunde“ findet. Das Verhältnis zu den Menschen ist eher ambivalent. Ihm fehlt trotz aller Hilfsbereitschaft nicht nur das Vertrauen, sondern eine gegenseitige Basis über das Betrachten von Soaps hinaus. Martha Wells entwickelt die nicht humanen Beziehungen erstaunlich dreidimensional und fremdartig. Die meisten Menschen bekommen es nicht mit. Durch die Ich- Erzählerperspektive ist der Leser natürlich eingeweiht. Und der Killerbot macht deutlich, wenn die Menschen es nicht merken, dann sind sie selbst Schuld. Nicht er. Diese pragmatische Haltung durchzieht nicht nur den vorliegenden Roman, sie ist eines der Markenzeichen der Serie. Aber in „System-Kollaps“ hat Martha Wells eine bessere Balance zwischen Handlung, charakterlicher Weiterentwicklung und dunkler Stimmung gefunden. Vielleicht liegt es an der begrenzten Länge des Romans, vielleicht liegt es an der deutlich reduzierten Bewegungsfläche der Protagonisten – unwirtliche Planetenoberflächen und gigantische unterirdische Anlagen haben ihre Vorteile – oder auch an der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Autorin, die auf zu lange innere Monologe verzichtet und stattdessen ihren Killerbot mehr kommentieren sowie anschließend nicht immer den Absprachen folgend agieren lässt als in einigen der früheren Geschichten.
Interessant ist, wie schwer es erscheint, Menschen bzw. Kolonisten davon zu überzeugen, dass es die Konglomerate nicht gut mit ihnen meinen. Martha Wells schlägt hier einen guten Bogen zur gegenwärtigen Wirtschafts- und Politik generell. Die Konglomerate sind nicht nur in dieser Serie immer die Bösen. S.A. Barnes in ihren beiden Horror Science Fiction Romanen, die Alien Serie oder teilweise auch “The Expanse” haben den gleichen Weg beschritten. Die Konglomerate behandeln die Siedler, die Menschen wie Droiden/ Roboter. Nicht nur im “Star Wars” Universum. Damit haben sie sich in Form der Killerbots schon von Punkt eins an einen Feind gemacht. Diplomatie ist nicht unbedingt seine Stärke, aber die Universität, für welche der Killerbot inzwischen arbeitet, kann die Menschen nur freiwillig vom Planeten weg bringen. Und da sind mindestens die unterirdisch lebenden Siedler mehr als eine Handvoll Erde und Stahl weit entfernt. Natürlich drückt auf der anderen Seite die Zeit, denn wie das Konglomerat erst mit der zwangsweisen Evakuierung der Welt unter fadenscheinigen Begründungen anfängt, sind diese Menschen verloren. Alleine sie wollen dem Killerbot und seinen Freunden natürlich nicht glauben. Und Vertrauen wäre der erste Schritt.
Zu den Stärken nicht nur dieses Romans, sondern der Serie gehört Martha Wells Fähigkeit, die nicht menschlichen Maschinenintelligenzen ausgesprochen dreidimensional und mit entsprechenden Persönlichkeiten – ob gut oder schlecht, steht auf einem anderen Blatt – auszustatten. Im Schatten des Killerbots überzeugen sie nicht selten mehr als die selten dreidimensionalen, eher pragmatisch zweidimensionalen Menschen. Außerirdische mehr einer höheren Entwicklung als ein unheimliches, nicht selten tödliches Virus sind bislang nicht gefunden worden.
Durch diese Fokussierung auf die nichtmenschlichen Intelligenzen wirken einzelne Passagen vor allem aus der Erzählperspektive des ironisch kommentierenden und sich manchmal zu oft hinterfragenden Killerbot wie Parodien auf das Genre im Allgemeinen, aber auch die unmöglichen Szenarien aus den Ballerspielen. In einer wichtigen Sequenz analysiert der Killerbot die Situation selbst und kommt zur Erkenntnis, dass er in seinem gegenwärtigen Zustand – Hand zerschossen, Finger fehlen, Blut läuft aus, aber ansonsten noch brauchbar – keine Chance gegen zwei gleichzeitig angreifende Securityunits hat. Und trotzdem überlebt er, weil es in diesem Fall Hilfe von außen gibt. Dadurch wirken einige der wenigen und sich gegen Ende der Geschichte konzentrierenden Actionszenen eher wie Parodien als aus sich selbst heraus entwickelte spannende Momente.
Hinzu kommt, dass der Killerbot lieber unbewusst durch die innere Monologe und manchmal sehr zynischen effektiven Kommentare lieber mit dem Leser als den Mitmenschen spricht. Das wirkt befremdlich, aber im siebten Abenteuer hat sich der außenstehende Betrachter an diese Situation nicht nur gewöhnt, er schätzt die intime Beziehung zwischen dem Killerbot und sich selbst.
„Systemkollaps“ baut auf „Der Netzwerk-Effekt“ auf. Deswegen fehlt dieser Geschichte ein wichtiges Element- das Kompetenzgerangel, das zu einem Markenzeichen der Serie geworden ist und jede der Geschichten einleitet. Natürlich ist es am Ende anders und natürlich steht der Killerbot während des Finals direkt wie indirekt im Mittelpunkt, aber die pointierten Diskussionen hinsichtlich der Aufgabenverteilung und ihrer finalen Absurdität sind eine liebegewonnene Einführung geworden.
Strukturell wirkt „Systemkollaps“ ein wenig zu simpel angelegt. Eine geradlinige Ausgangsbasis - Evakuierung einer Welt gegen die Konglomeratspropaganda, Aufklärung der Kolonisten hinsichtlich ihrer Rechte und vor allem ihres Besitzes am Planeten; Hinweise auf eine zweite Kolonie unter der Erde; Flug dahin, Erkundung und schließlich Konfrontation – endet auch entsprechend mit einem Finale, das plötzlich aus dem Nichts heraus zu Ende ist. Dann kommt der Epilog und der Sieg - dieses Mal kein Pyrrhussieg – ist errungen. Der Hinweis, dass sich der Killerbot auf die nächsten Soaps und das nächste Ziel freut. Mit diesem Hinweis soll nicht ausgedrückt werden, dass „Systemkollaps“ ein schlechtes, ein langweiliges Buch ist. Das stimmt so nicht. Aber jede Serie muss sich weiterentwickeln. Nicht nur auf der charakterlichen Ebene, sondern auch hin Hinblick auf die einzelnen Plots. In diesem Punkt stellt „Systemkollaps“ leider eine Art Stillstand dar. Gut geschrieben, spannend in den engen Grenzen der Serie, aber kein Fortschritt gegenüber „Der Netzwerk-Effekt“. Das ist zu wenig, um die Killerbot Serie auch in Hinblick auf die groß angekündigte Adaption bei Apple TV+ auf längere Sicht am Leben zu halten. So bleibt der Eindruck, daß „Systemkollaps“ ein weiterer grundsolider Teil der Serie ist. Das wird aber weder dem Leser noch dem Protagonisten wirklich genügen.
- Herausgeber : Heyne Verlag
- Erscheinungstermin : 12. März 2025
- Auflage : Deutsche Erstausgabe
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 304 Seiten
- ISBN-10 : 3453323513
- ISBN-13 : 978-3453323513
- Originaltitel : System Collapse
- Abmessungen : 13.6 x 2.6 x 20.6 cm
- Buch 4 von 4 : Killerbot-Reihe