SchrottT

Uwe Post

Die Sozialsatire „SchrottT“ – der Name einer Band – ist Uwe Post dritter Roman. Im Vergleich zu „Symbiose“ und Walpar Tonnraffir...“ legt der Autor die Struktur dieses Buches eher am Muster seiner pointierten Kurzgeschichten fest und kann so das Tempo der Story eher variieren und möglichen Längen ausweichen. Zusammengehalten wird die erste Hälfte des Buches durch die Episodenstruktur des unter findigen „Beweisen“ inhaftierten Colin Free, dessen Nachname nicht Programm, sondern proklamatisches Ziel ist. Diese Hin- und Herspringen zwischen der Tournee und den einzelnen Verhören bzw. freiwilligen Angaben erhöht auf der einen Seite die Dynamik des Buches, verwirrt aber auch ein wenig, wenn Uwe Post mit der Flucht aus dem „Gefängnis“ diese Struktur auflöst und sich nur noch auf eine Handlungsebene konzentriert. Um das Buch zu einem zufrieden stellenden, allerdings auch seltsam offenen und mit seinem Happy End auch bizarr erscheinenden Ende zu führen.

Tourneegeschichten oder Reiseromane sind immer ein schwieriges Sujet. Zum einen reist die kleine Gruppe aus exzentrischen und nicht immer wirklich sympathischen Figuren von einer Stadt zur anderen, viel wichtiger von einem Bundesland zum anderen und spielt an sehr unterschiedlichen Orten seine Konzerte. Dabei reicht es von der Provokation des Stiefvaters in spe als schwächstes Glied bis zum Höhepunkt auf dem Rand der Schalker Veltins Arena, da Ordnungskräfte der nigerianischen Erbgeneration den potentiellen Zuschauern den Zutritt verwehrt und dafür Gratislose verteilt haben. Es ist allerdings keine wirklich überzeugende Reise in die Dunkelheit und nicht selten fehlt den bizarren Situationen ein Knalleffekt. Das liegt vielleicht auch in der Tatsache begründet, dass Free und seine Kollegen diese Bundesrepublik in naher Zukunft besser kennen als die Leser, aber nicht einfacher auf die Veränderungen reagieren. Von Colin Free ausgehend sind viele Figuren eher wie Klisches gezeichnet. Da wäre Free, der sich schwer mit regulärer Arbeit tut und spätestens nach der erneuten Heirat seiner Mutter aus rein wirtschaftlichen Gründen auf Tournee geht. Free ist das typische Beispiel eines Musikers, der seine Position im Leben noch nicht gefunden hat. Er verfügt über ein wenig mehr Verstand als seine Bandmitglieder und tritt zumindest auch gegen den Schutz des eigenen Lebens gegen Unrecht und Ungerechtigkeit ein. An seiner Seite steht Blondie, seine Beschützerin oder Geliebte. Eine Figur, mit der Uwe Post zu ambivalent umgeht. In einer Szene besorgt sie ein Starkstromkabel, da Tier das seine verlegt hat. In der anderen Szene tritt sie anscheinend einen Bodyguard um, der sich an Free vergreifen möchte und in den wenigen ruhigen Szenen ist sie Liebhaberin mit sehr viel mehr Erfahrung und Ratgeberin zugleich. Die Figur ist von allen „SchrottT“ Protagonisten am Dreidimensionalsten angelegt und eine ältere Generation denkt vielleicht manchmal auch an Deborah Harry als indirektem Vorbild, aber um diese beiden wichtigen Protagonisten herum sind zu viele Funktionsträger aufgereiht, die in erster Linie funktionelle Pflichten erfüllen. Da wäre wie schon angesprochen das „Tier“ in der Band mit seiner Liebe zu seinem Schlagzeug. Natürlich erfüllt er vor allem die Erwartungen der Alternativmusikszene mit seinem ungebührlichen, kontinuierlich provozierenden Verhalten und ist gleichzeitig der Schwiegermutterschreck. Aber egal wie man es dreht und wendet, an einigen Konzertorten hätte selbst die beste Band der Welt das Tier aus dem Team entfernt. So stören wirkt er. Die anderen Bandmitglieder spielen ihre Rolle im Hintergrund eher zufrieden stellend. An einigen kritischen Stellen geben sie die richtigen Stichworte und bei den wenigen Konzerten inklusiv der provozierenden Texte bilden sie einen guten Background. Aber als Figuren wirken sie vor allem im Vergleich zu den liebenswerten exzentrischen Figuren des zweiten Posttraumatischen Epos zu einfach geschnitzt.

Die Medienvertreter mit ihrem seltsamen Spiel sind genau wie die Zensur- Conultants interessante Extrapolationen der gegenwärtigen Exzesse. Das beginnt bei dem kosmischen Interview auf einem Schweitzer Fernsehkanal und endet bei den Free verhörenden freien Kräften. Aber so übertrieben ihre Funktionen und wie sinnlos ihre Aktionen auch erscheinen, der Leser wünscht sich einen weiteren Impuls. Die Farce wird vielleicht nicht zu weit getrieben.Das liegt auch daran, dass der Autor hinsichtlich seiner zukünftigen Bundesrepublik Deutschland dem sarkastischen Wunschträumen hingibt. Die Bundesregierung hat wenige Jahre vor Einsetzen der Handlung und damit auch der Konzerttournee das Recht zur Ausübung der Polizeigewalt in den einzelnen Bundesländern an den Meistbietenden versteigert. Bremen wollte niemand haben, in Bayern ist die katholische Kirche mit ihrem Gebot erst auf der zweiten Stelle gelandet. Diese „Aufteilung“ der Exekutive ist ohne Frage lustig zu verfolgen. Wenn in Nordrhein Westfalen die Nigeria Connection mit ihren Reklameanrufen hinsichtlich einer schnellen Erbschaft oder eines längst verschollenen Enkels dominiert, dann kann der Leser ohne Frage darüber lachen. In Thüringen hat der Vatikan mit der Schweitzer Garde die Kontrolle übernommen, was zu einigen Konflikten mit den neuen Gesetzen der Zensur führt. In Thüringen schießt Uwe Post aber auch über das Ziel hinaus. Die Intention des Autoren ist klar zu erkennen, alleine die Vorgehensweise und vor allem die Ergebnisse wirken extrem konstruiert und zu wenig natürlich. Wenn in Baden Württemberg die sizilianische Mafia für knapp 30 Milliarden Euro die Kontrolle übernommen hat, bedient der Autor die Klischees. Angebote, die man nicht ablehnen kann. Oppositionelle verschwinden, die Herren in den dunklen Anzügen dominieren. Was diesen einzelnen Sequenzen fehlt, ist die Wechselwirkung zur Realität. In keinem dieser Bundesländer wäre unter den beschriebenen Umständen noch ein „normales“ Leben möglich und vor allem das Ländle müsste als großindustrielle Ruine erscheinen. Natürlich lässt sich argumentieren, dass Uwe Post aus der Perspektive der jungen, revolutionären und naiven Crap-Metal-Sänger das Land betrachtet, aber diese Vorgehensweise befriedigt insbesondere bei den wie in einem Blitzlichtgewitter vorbeiziehenden Szenen nicht immer. Nicht selten bleibt das unbestimmte Gefühl, als schlage der Ideenmensch Uwe Post zu und der Autor Uwe Post versucht bemüht, aber nicht immer erfolgreich diese zahllosen und für ihn sprechenden Gedankenblitze in eine Romanform zu bringen.

Das Ende des Buches ist vielleicht das schwächste seiner bisher drei Roman. Mit dem Ende der „Tournee “ und dem Aufgehen eines eher hofierten Sterns – sie spielen vor zehntausend Besuchern, scheinen sich aber in einer Medienwelt zu einem Außenseiterphänomen entwickelt zu haben – kommt es zur persönlichen Konfrontation. Hier „befreit“ der Sänger Colin Free quasi seine Mutter von der Unterdrückung durch den Stiefvater, den er auf der Bühne stehend so sehr provoziert, dass er im wahrsten Sinne des Wortes das Klischee erfüllend den Stecker zieht. Im Gegensatz zu Watkins zynischem „Privileg“ oder George R.R. Martins „Armageddon Rock“ verändert sich die Welt nur für Colin Free. Oder vielleicht doch für die Bundespolizei, die sich den veränderten Verhältnissen nach einem so drastischen Entwicklungsprozess anpassen muss. Oder bleibt doch alles beim Alten mit „SchrottT“ eine neue Tournee beginnend. „SchrottT“ bietet literarisch keinen Höhepunkt, keinen klassischen Showdown, nicht einmal ein wirklich brillantes Abschlusskonzert. Vielmehr verliert der Roman auf den letzten Seiten auch angesichts einiger sich wiederholender Szenen vor unterschiedlichen Hintergründen an Fahrt. Die Brillanz der einzelnen Figuren/ Chiffren wird nicht weiter entwickelt, sondern bleibt im wahrsten Sinne des Wortes stehen. Bei Filmen würde der Zuschauer von einer Art „Overkill“ sprechen, dessen Endergebnis das genaue Gegenteil von den Erwartungen ist. „SchrottT“ ist kein schlechter Episodenroman. Auch das Verbinden der einzelnen Episoden durch die einzelnen Stationen der Tournee und damit das Etablieren eines überzeugenden roten Fadens ist gelungen, aber mit der dunklen antiutopischen Handlungsebene wird bis zu Frees zu einfacher Flucht eine „Brazil“/ „!984“ Erwartungshaltung im Leser erweckt, die der Autor zum Ende hin nicht einlösen kann oder nicht einlösen will. Vielleicht funktioniert „SchrottT“ nicht unbedingt als klassischer Roman, sondern als Sammlung bizarrer Episoden, die in erster Linie in kleinen Bröckchen goutiert werden sollten, um Uwe Post ohne Frage satirisches und teilweise ausgesprochen originelles Ideenfeuerwerk in seiner Tiefe und weniger seiner quantitativen Breite genießen zu können.        

Titelbild: Ines Korth
A5 Paperback, ca. 230 Seiten, ISBN 978-3-86402-126-8