The very Witching Time of Night

Gregory William Mank

Von einem Abfallprodukt seiner zahlreichen sekundärliterarischen Arbeiten mit einem Schwerpunkt auf dem klassischen Horror zu sprechen, würde der Essay Sammlung „The very witching Time of Night“ mit einem einladenden Titelbild aus Val Lewtons „Cat People“ nicht gerecht werden. Der Autor spricht selbst von Themen, die er bei seinen Recherchen zu seinen längeren Büchern angerissen, aber nicht vollenden konnte. Eingerahmt und eng begleitet werden diese reichhaltig bebilderten Artikel von drei Interviews in erster Linie mit Verwandten, Nachkommen dreier in dieser Phase des Horrorkinos wichtiger, aber wenig sekundärliterarisch gewürdigter Persönlichkeiten, deren Lebensläufe unterschiedlicher nicht sein können.   

Lionell Atwills “Murders in the Zoo” wird genauso ausführlich vorgestellt wie ein Interview mit dessen Sohn geführt. Wie schon angedeutet geben die drei Interviews dem informativen Material einen lebhaften Klang und versuchen einen Einblick in die dekadent morbide Atmosphäre Hollywoods vor dem Zweiten Weltkrieg zu vermitteln. Im Tribut zu Helen Chandler, die in Bela Lugosis „Dracula“ als Mina aufgetreten ist, spricht ihre beste Freundin und Schwägerin über die junge Schauspielerin, die insbesondere vor „Dracula“ zu den am besten bezahltesten Newcomern Hollywoods gehörte. Eine Alkoholikerin, die unglückliche Ehen führte, ihre Karriere in den vierziger Jahren beendet und schließlich durch einen Brand im Gesicht verunstaltet worden ist. Zwar erfährt der Leser sehr viele Informationen über Helen Chandler, aber auch viele Fragen bzgl. Ihres Rückzugs aus dem Filmgeschäft bleiben ebenso offen wie Details zu ihrer Karriere.  Im Falle von Lionell Atwill spricht Mank mit dessen Sohn, der allerdings im Alter von zwei Jahren zur Halbwaise geworden ist. Gäbe es nicht die fast bizarr erscheinende Geschichte um die vergessene Urne des damals berühmten Stars und vor allem die späte Zusammenführung der Eheleute Atwill dann wäre das Interview in dieser Form überflüssig zu nennen.- Zu wenige nachhaltige Informationen erhält der Leser vor allem ausschließlich aus zweiter Hand.

Das letzte Interview dieser Sammlung – auch wenn es thematisch an den Anfang gehört hätte- wird mit der langjährigen Freundin Carl Laemmles Junior geführt, dem Sohn und Protege des Universal Studios Gründer. Als Kronprinz ist er auch fast vergessen, auch wenn er mit „Frankenstein“, „Dracula“, „Dem Glöckner von Notre Dame“ oder auch „Im Westen nichts Neues“ dem Studio nicht nur zu künstlerischen Erfolgen, sondern kommerziell zu einem Durchbruch verholfen hat. Anscheinend wie sein Vater anfänglich ein Hypochonder, später ernsthaft an MS erkrankt – ein Fakt, den Mank zu wenig herausarbeitet – wird das traurige Schicksal eines Schattenmannes trotz seiner arroganten und überheblichen Art beschrieben, dem nach dem Verkauf des Studios im Alter von nur 28 Jahren die Existenzberechtigung genommen worden ist. 

 Neben den drei Interviews stellen die einzelnen Filmvorstellungen einen Höhepunkt dieser Sammlung dar. John Barrymore als Enfant Terrible und hochdotierter Warnerstar wird in „Mad Jack unleashed“ im Grunde zweimal vorgestellt. Einmal bei seiner Arbeit an „Svengali“ und anschließend während der Hollywoodkopie „The Mad Genius“, mit der das hoch verschuldete Warner Studio einem möglichen Erfolg Svengalis vorgreifen wollte. Wie im anschließenden Artikel zu „Murders in the Zoo“, einem der vergessenen Pre Code Horrorfilme, folgt Mank vielleicht zu schematisch seinem Plan. In der Vorgeschichte erhält der Leser die wichtigsten Informationen über das Projekt und die Rekrutierung der Stars. Dann schließt sich das Drehtagebuch an, in dem es in erster Linie um die langen Arbeitszeiten geht und Besonderheiten an einzelnen Tagen zu wenig erläutert werden. Die Reaktionen der Zensurbehörden in Kombination mit den euphorischen Presseverlautbarungen der Studios sowie abschließend die Publikumsreaktion und im chronologischen Zeitraffer ein Ausblick auf die weiteren Karrieren der Beteiligten. Einzeln betrachtet lesen sich die Artikel ausgesprochen gut, nur in der Fülle dieser Sammlung nutzt sich das distanzierte und niemals durch persönliche Anmerkungen durchbrochene Muster zu stark ab. Dass die Filme in ihrer provokanten Exzentrik genauso heute noch sehenswert sind wie die Implikationen – Barrymore schafft sich mit der siebenzehnjährigen Hauptdarstellerin in „Svengali“ eine zweite Muse, Atwill muss nach „Murders in the Zoo“ verschiedenen Vorwürfen perverser Orgien in seinem Haus teilweise vor Gericht erfolglos widersetzen -  , die Manks Recherchen ans Tageslicht bringen, soll mit diesem kritischen Hinweis auf die statische Komposition des Buches nicht unterminiert werden.       

Es sind aber nicht isoliert stehende Artikel, die den Reiz dieses Buches ausmachen. Insbesondere im Mittelteil verbindet der Autor rote Fäden sehr geschickt. Es beginnt mit dem Thema Zensur - erst Horrorfilme, dann exemplarisch am Beispiel James Whales "One More River" auf verschiedene sittlich/religiöse Implikationen - ausweitet, streift dann Karloff während seines 5 Filmvertrages Konfrontation mit dem Hollywoodboykott, Horrorfilme zu drehen und "endet" in Karloff glorreicher Rückkehr auf die Bühne mit "Arsen& Spitzenhäubchen", sowie der Auseinandersetzung um die Frage, warum Boris Karloff nicht in Frank Capras berühmter Verfilmung aufgetreten ist. Selbst ein verweis auf Lionell Atwill und dessen Orgien - siehe das Interview - findet sich in einem der Artikel, so dass "The very witching Time of Night" kompakter erscheint als es auf den ersten Blick den Eindruck macht.

Die Auseinandersetzung mit der immer einflussreicher werdenden Zensurbehörde insbesondere nach den verschiedenen Exzessen wie "Island of Lost Souls" oder "Murders in the Zoo" ist eher eine Art Schattenkampf. Mank hat mehrfach rausgestellt, dass schon vorher die einzelnen Bundesstaaten genau wie die anderen Nationen die betreffenden Filme gekürzt und bearbeitet haben. Im Falle von James Whale sadistisch- masochistischen Familiendrama setzt die Zensur ein wenig früher ein und geht hinsichtlich der doppeldeutigen, aber niemals wirklich explizierten Dialoge einen Schritt weiter, aber das Grundthema der moralischen Bewachung der unschuldig naiven Bevölkerung bleibt gleich. Dieser Artikel leidet am ehesten unter Manks Unwilligkeit, wirklich Position gegenüber dem inzwischen restaurierten Film zu beziehen. Wie bei allen Arbeiten sind die einzelnen Schritte der Produktion und der Dreharbeiten minutiös herausgearbeitet worden. Aber bezugnehmend auf seine detaillierte Analyse der Frankenstein Saga setzt der Autor zu viele Hintergrundinformationen insbesondere James Whale gegenüber voraus, so dass die Vorstellung eines heute fast vergessenen Films lobenswert, die von der sachlichen Seite alle Aspekte umfasst.

Diese statische Vorgehensweise wirkt sich allerdings bei Boris Karloffs fünf Warner Streifen eher negativ auf. Das Auflisten der einzelnen Produktionskosten, das Beschreiben von ereignislosen Drehtagen und Warners Sucht auf künstlerische Anerkennung statt Unterhaltung bilden die eine Seite dieses kurzweilig zu lesenden, aber zu oberflächlichen Artikels mit dem Titel "Baby Scarrer- Boris Karloff at Warner Broth." Interessant ist, das das Studio durch den Zensurdruck mit Boris Karloff nicht richtig etwas anfangen konnte und ihn in einem nicht exklusiven Deal in B- Filmen einsetzte. Faktisch wenig herausgearbeitet ist Karloff Angst vor Armut, die ihn zu einigen Kompromissen zwang, obwohl seine Arbeit an der "Wong" Serie ihm für die damaligen Verhältnisse auch ausreichend Geld eingebracht haben sollte. So wirkt dieser Artikel wie ein Streifzug durch teilweise auch heute noch sehenswerte Filme wie "The Devil´s Island", ohne dass über den Tellerrand geschaut wird. Auch das sich anschließende Essay mit Namen "Libel and Lace" beschäftigt sich sehr stark mit Karloff und lässt sich nur am Rande über die auch heute noch interessante Tatsache aus, dass zum Beispiel Erich von Stroheim oder Bela Lugosi ebenfalls auf der Bühne in "Arsen und Spitzenhäubchen" standen. Zumindest räumt der reichhaltig bebilderte Artikel mit einigen Falschinformationen hinsichtlich Boris Karloffs fehlender Teilnahme an der Capra Verfilmung auf und zeigt, wie Großzügigkeit der Theaterstückproduzenten ihn zu einem reichen Mann machte. Das gleichzeitig mit dem Erfolg des Stücks und noch während Karloffs Zeit bei Warner mit der Wiederaufführung von "Dracula" und "Frankenstein" ein neuer Horrorfilmboom begonnen hat, steht auf einem anderen Blatt. Das Thema wird bei der ausführlichen Besprechung von „Frankenstein meets the Wolfman Revisited“ wieder aufgenommen. Mank geht sehr ausführlich mit dem schon mehrfach angesprochenen Produktionstagebuch auf die Entstehung des Films, die verschiedenen Stars und vor allem das Schicksal Bela Lugosis ein. Authentisch wird der Bericht durch einige Zitate von Zeitzeugen, die Mank zusammen mit einigen Magazinherausgebern noch sprechen konnte. Es sind die kleinen Details, welche diese Auseinandersetzung mit einem oft ungerecht behandelten Teil der „Frankenstein“ Saga, der weniger gruselig als nachdenklich stimmend ist, lesenswert machen. Nur verfolgt der Autor einige Spitzen wie Curd Siodmaks Hinweis auf Hitler Bezüge zu wenig weiter und geht eher ambivalent mit den erkennbaren Schwächen des Drehbuchs um.

So wirkt die Betrachtung von Val Lewtons „Cat People“ und „Curse oft he Cat People“ ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen. Über Lewtons sieben Horrorfilme ist ausführlich berichtet worden. Ihr stilistische Einzigartigkeit, ihre in einander übergehenden Themen und schließlich auch die Dominanz des Produzenten. Mank bleibt bei seinen Produktionsnotizen an vielen Stellen oberflächlich und ambivalent ungenau. Wer sich bislang nicht mit den Themen auseinandergesetzt hat, kann dieses Essay als Einstieg nehmen. Für Fans Van Lewton erscheint der Artikel eher als Kompromiss, um den vorliegenden Sammelband zu füllen. 

Nicht nur wegen seines geschichtlichen Status ist „Horror Propaganda: Hitler´s Madman“ ein wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste Beitrag dieses Bandes. Im Schatten von Fritz Lang interessanten „Auch Henker sterben“ entstand unter der Regie von anfänglich Edgar Ulmer und später Douglas Sirk ein zweiter, nur semiphantastischer Film, der sich mit dem Attentat von Prag und der Auslöschung eines ganzen Dorfes durch die Nazis beschäftigt. Der Film ist heute kaum zu sehen, daher ist Manks ausführlicher Beitrag zu begrüßen. Neben zahlreichen bekannten Horrorfilmdarstellern und einem dominierenden John Carradine sind es die sehr gut gewählten Fotos, die diesen Artikel gut begleiten. Mank geht genauso in die Details wie bei den anderen hier gesammelten Essays, enthält sich aber noch deutlicher einer eigenen Meinung, was den inhaltlichen Gehalt ein wenig zu sehr schmälert. Auf der anderen Seite arbeitet Mank gegen Ende solide heraus, wie Hollywood aus diesem teilweise auf Tatsachen beruhenden Film schließlich angesichts der grotesken Vorgänge einen Horrorfilm macht. Man könnte allerdings auch sagen, dass „Hitler´s Madman“ das italienische Kriegsabenteuergenre der siebziger Jahre und damit auch Quentin Tarantino vorweg genommen hat.  

John Carradine herausragende Darstellung als Hitlers Mann in Prag leitet auf ein ebenfalls wenig bekanntes Kapitel über. Immer wieder suchte Carradine die Bühne, um Shakespeare aufzuführen. Mit einer von ihm selbst angeheuerten Truppe fuhr er durch das Land und inszenierte dessen Stücke, während er auf der anderen Seite in Horrorfilmen das Geld dazu verdiente.Der Kreis – der Fairnesshalber eigentlich mit dem abschließenden Beitrag über Laemmle beginnend – der Themen schließt sich in „ Shock! Theatre, the "Half-Witch and ­Half-Fairy" and Dr. Lucifer“ mit der Verwertung der alten Horrorfilme im aufkommenden Medium Fernsehen, die eine gänzlich neue Generation verzauberten, aus der teilweise die besten Regisseure und Drehbuchautoren der Gegenwart stammen. Dabei geht Mank auf das Schicksal der gleich in der ersten Ausstrahlung von „Shock! Theatre“ gebrandmarkten Mae West genauso ein wie auf die „Dr. Lucifer“ Familie und ihre Präsentation der Filme im lokalen Baltimore Fernsehen. Es ist ein eher melancholisch stimmender Abschluss dieses Buch, da viele der Filme mit Werbepausen unterbrochen auf dem kleinen Fernsehschirm niemals ihre wahre Stärke zeigen konnte. 

Jedes Kapitel schließt Gregory William Mank mit einer Zeitleiste ab, in der er die wichtigsten Fakten allerdings sich teilweise wiederholend zusammenfasst. Zum Nachschlagen allerdings ein idealer chronologischer Wegweiser durch die nicht immer glücklichen Karrieren der vorgestellten Männer und Frauen.  Dazu kommen fast zweihundert teilweise sehr seltene Fotos nicht nur zu den Filmen, sondern auch Werbematerial oder Autogrammbilder. Die Themen dieser Sammlung sind vielfältig und laden ein, auf Tom Weavers Arbeiten wie „Universal Studios“  oder „Poverty Road Horror“ sowie Manks andere Bücher zurückzugreifen, um die auch heute noch faszinierenden Wurzeln des Horrorfilms der dreißiger und vierziger Jahre einzutauchen. Verschiedene rote Fäden – Zensur/ Bann der Horrorfilme; John Carradine und letzt endlich Carl Laemmle Junior – verbinden die einzelnen Arbeiten und lassen es auch zu, das Buch in einem Rutsch zu lesen.  

 

Print ISBN: 978-0-7864-4955-2
Ebook ISBN: 978-1-4766-1543-1
176 photos, notes, bibliography, index
444pp. softcover (7 x 10) 2014

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