Vollmondbestien

Hugh Walker

In der neuen Sammlung erscheinen zwei Werwolf Romane Hugh Walkers aus dem gleichen Jahr 1973. „Das Haus der bösen Puppen“ und „Herrin der Wölfe“ verbindet interessanterweise mehr als die grundlegende Thematik. In beiden Fällen sind sich ein junger Mann und eine junger Frau ihrer Vergangenheit nicht bewusst. Während allerdings „Herrin der Wölfe“ auf den ersten Blick der simplere Plot mit der Nutzung einer Reporterin ist, beinhaltet der erste Roman mit den im Grunde aus „Menschen“ bestehenden Puppen ein ungewöhnliches Horrorelemente.  Beide Charaktere verfügen aus unterschiedlichen Gründen nicht über ihr volles Gedächtnis. Beide Figuren wehren sich erst gegen ihre Natur und akzeptieren sie dann aus unterschiedlichen, einmal evolutionären und einmal dominanten Gründen. In beiden Romanen ist der Werwolf nicht mehr die klassisch gehetzte Figur, sondern hat sich in die moderne Gesellschaft assimiliert und Hugh Walker deutet in „Herrin der Wölfe“ sogar an, dass die Werwölfe der natürliche Nachfolger des Homo Sapiens werden könnte.  Neben Vor- und Nachwort finden sich aber mit „Vollmond“ (aus dem Jahr 1968) und „Mimikry“ (1975) zwei lesenswerte Kurzgeschichten sowie die Exposes der beiden Romane. Horst Herman von Allwörden geht in seinem wieder einem längeren Artikel entnommenen Essay „Hugh Walker und der Werwolf“ auf diesen Aspekt in Hugh Walkers umfangreichen Werk näher ein.   Während „Vollmond“ inhaltlich erstaunlich eng mit einzelnen Aspekten von „Herrin der Wölfe“ verbunden ist, erscheint „Mimikry“ als jüngster Text dieser Sammlung eher wie eine opportunistische Umsetzung der verschiedenen in den anderen Arbeiten angesprochenen Überlebensstrategien im Rahmen des Schutzes der Großstadt.  

Charlie Tepesch leidet unter Gedächtnisschwund zu Beginn von „Das Haus der bösen Puppen“. Er kann sich an Teile seines bisherigen Lebens nicht erinnern, hat aber auch keinen Unfall oder Vergleichbares erlitten. Gleichzeitig streift ein Vollmondmörder umher, der insbesondere junge Frauen zerfetzt. In dieser Hinsicht bleibt der Roman zu ambivalent und in Bezug auf die Gewaltszenen insbesondere zu Beginn zu opportunistisch. Spannung wird über die Figur eines Privatdetektivs aufgebaut, der über Informationen zu Tepesch früheren Leben verfügt, aber sich auch nicht richtig in die Karten schauen will. Als der Detektiv verschwindet, wendet sich Tepesch voller Verzweiflung an dessen Frau Carlotta. Neben den Puppen mit ihren nadelspitzen und anscheinend mit Drogen präparierten Szenen scheint eine Zigeunerin über die fehlenden Informationen hinsichtlich Tepesch Vergangenheit zu verfügen. Nur weiß der Leser im Vergleich zum Protagonisten deutlich schneller, dass im Grunde nur Tepesch der umherstreifende Werwolf sein kann. Spannung zieht der Roman vor allem aus den Puppen. Zu den schockierenden Szenen des Romans gehört eine in einem Kaufhaus in Frankfurt umfallende Puppe, die durch das Glas fallend zu bluten beginnt. Es handelt sich um den verschwundenen Privatdetektiv. Leider sind diese Szenen über den ganzen Roman verstreut zu selten und Filmen wie „Puppet Master“  oder „Chucky“ vorgreifend versucht Hugh Walker aus den Puppen etwas Bedrohliches zu machen. Das funktioniert teilweise sehr gut und Vergleiche zu den späteren Filmen zeigen, dass Walker die einzelnen Mechanismen überdurchschnittlich gut vorbereitet hat und dabei den Puppen weiterhin individuelle Züge schenkte. Natürlich hat er die Grundidee nicht entwickelt, sondern einigen klassisch märchenhaften Stoffen entlehnt und geschickt modernisiert. Aber sie funktioniert zufriedenstellend bis gut.  Viel interessanter ist in dieser Hinsicht der philosophisch existentielle Ausblick mit einem gewandelten Charlie Tepesch, welcher der Welt droht.  In einem plötzlich vertrauten Umfeld – er findet seine Mutter wieder, die Puppen spielen eine gänzlich andere Rolle und selbst eine ihn liebende Frau steht plötzlich an seiner Seite – wird aus dem passiven Helden die glorifizierte Erscheinung des Werwolfs allerdings mit Superschurkenattitüde.

Auch hinsichtlich der Werwolfthematik kann sich Hugh Walker nicht gänzlich entscheiden. Das Zusammenführung der beiden Handlungsebenen wirkt ein wenig zu bemüht und die Idee des Gedächtnisverlustes ist angesichts der noch kommenden Ereignisse eher ein lästiges Klischee als ein belebendes Handlungselement. Viel Zeit geht in der ersten Hälfte des Romans verloren, die Hugh Walker im zweiten Teil nicht mehr gänzlich zufriedenstellend einholen kann. Zu den Stärken des Bandes  gehört auf der anderen Seite eine fast perfekte Mischung aus semirealistischen, gegenwärtigen Hintergrundelementen und mit dem eigentlichen „Haus der bösen Puppen“ der Übergang zu einer märchenhaften Atmosphäre mit obligatorischer Zigeunerin sprich Hexe. In vielen seiner sonstigen Horrorromane treffen klassische Elemente – Vampire, Hexen – auf den Unglauben den modernen Menschen, der relativ schnell davon überzeugt wird, dass die Legenden und Sagen immer einen wahren, nicht selten schmerzhaften Kern in sich tragen. In „Das Haus der bösen Puppen“ grenzt er diese beiden Kontraste weniger stark voneinander ab und verfügt mit Charlie Tepesch über einen  entwurzelten Charakter, der mit ein wenig mehr Eigeninitiative und Engagement zu einer tragenden Figur in Walkers an tragischen Figuren reichhaltigen Oevre hätte werden können.   Das Ende stammt aus der „Vampir“ Originalveröffentlichung, die „Dämonenland“ Neuauflage wurde um diesen überwiegend verbalen, aber inhaltlich zu wenig vorbereiteten Triumph des Bösen gekürzt. 

Der Ansatz von "Herrin der Wölfe" unterscheidet sich grundlegend von den meisten Mythen und vor allem auch dem ersten Roman der Sammlung. Von seinem dreigeteilten Expose weicht der Autor deutlich ab. Der Fairness halber hätte der Stoff auch eher für eine Trilogie gereicht. So wirkt der letzte Abschnitt von "Herrin der Wölfe" ein wenig bemüht, während die Exposition zu lang geraten ist. Mit der Protagonistin Thania Lemar verfügt der Roman über eine sehr intelligente, attraktive Frau, die - auch kein Novum bei Hugh Walker - als Reporterin agiert und eine Geschichte über einen abgeschieden lebenden Mann schreiben soll. Aus der anfänglichen Abneigung gegenüber dem Objekt der literarischen Begierde wird erst Attraktivität/ Anziehung, später impliziert auch eine besondere Art der Liebe. Vielleicht macht es Hugh Walker mit der ersten Begegnung zwischen den Wölfen - hier sei der rote und der weiße Wolf expliziert genannt - und Thania Lemar dem Leser zum leicht. das weitere Handlungsfortschreiten abzuleiten. Aber auf der anderen Seite spielt der Autor auch mit der Erwartungshaltung des Publikums und ist sich nicht schade, die typischen Prämissen des im Vergleich zum Vampir weniger sexuell aktiven und aggressiven Werwolf auf den Kopf zu stellen und abschließend sogar eine gänzlich überraschende These aufzustellen. Während der Werwolf in "Das Haus der bösen Puppen" trotz seiner Überlegenheit dem Menschen gegenüber weiterhin ein Schattendasein führen wird, sieht Walker in "Herrin der Wölfe" den Wolf als Teil einer klassischen Evolution, die sich zwar auf Darwin beruft, aber dessen Thesen in graue Theorie umwandelt. Im Vergleich zu vielen anderen seiner Horror- Romane verzichtet Hugh Walker auf die Ich- Erzählerperspektive. Das distanziert ohne Frage den Leser vom Geschehen, gibt dem Autoren aber auch die Möglichkeit, den Plot breiter zu entwickeln und notwendige Infos effektiver einzustreuen. Im Nachwort spekuliert Horst Herrmann von Allwörden, dass sich Hugh Walker nicht zutraute, in die intime Perspektive einer Frau zu schlüpfen. Das erscheint eher unwahrscheinlich, da viele Irritationen, der Gedächtnisverlust und die gegenseitige Attraktivität in Walkers Romanen nicht unbedingt geschlechtsspezifisch ausgearbeitet worden sind. Auch heben sich seine Frauenfiguren aus dem Horrror Heftroman Niveau insbesondere der siebziger Jahre deutlich heraus.

Während die Handlung im Vergleich zu "Das Haus der bösen Puppen" deutlich stringenter, auch im ersten Teil märchenhafter ist, erscheint der Hintergrund interessanter. Wie schon angesprochen ist der Werwolf für Hugh Walker die Krone einer fortschreitenden, aber extrem fokussierten Evolution. Auf der unteren Wolfsstufe stehen die reinen Wölfe, die sich als Umkehr der Legenden mittels ihrer magischen "Keime" - das schwächste Glied dieser Idee - bei Vollmond in einen in erster Linie attraktiven Menschen verwandeln.  Das ein Rudel der Tiere ihrem Leitwolf menschliche Gestalt dauerhaft verleihen kann, wirkt auch innovativ wie konstruiert zu gleich.Faszinierend ist, dass unabhängig von dieser evolutionären Komponente sich schließlich der menschliche Charakter, der anfänglich anzogen schließlich zur dominanten Figur des Geschehens wird. Das Hugh Walker das „dunkle“ Ende mit einem Pyrrhussieg der Werwölfe in der vorhandenen Romanform im Vergleich zum längeren, eher Klischee abgeschlossenen Expose gelassen hat, wirkt die vorliegende Fassung geschmeidiger und durch die angesprochene Evolution auch origineller. Es bleibt diskussionswürdig, ob ein Ausbau eines Antagonisten/ Werwolfjägers dem Spannungsbogen gut getan hätte. Aufgrund der romantisch verklärten Exposition wäre dieser Figur aber überflüssig. 

 Die 1968 ursprünglich unter dem Titel „Das fünfte Opfer“ – jetzt „Vollmond“ genannt – veröffentlichte Kurzgeschichte weißt eher zufällig deutliche Ähnlichkeiten zu „Herrin der Wölfe“ auf. Das ist nicht nur in der zu spät enttarnten Figur des Werwolfs zu erkennen, sondern in den nur angerissenen Hintergrundfakten. Auf der anderen Seite ist es eine klassisch klischeehafte Pointengeschichte, in welcher Zufall und Tragik den Protagonisten retten. Die ganze Geschichte ist kurzweilig unterhaltsam und im Vergleich zu „Mimikry“ deutlich vielschichtiger. Wie die anderen Bände der Hugh Walker Edition ist „Vollmondbestien“ liebevoll gestaltet und mit interessanten Hintergrundinformationen ausgestattet. Die beiden Romane geben der Idee des Werwolfs neue Impulse, auch wenn einzelne Aspekte trotz der Überarbeitung dem Zahn der Zeit unterliegen. Aber die verschiedenen Ideen, die Walker wie bei „Die Blut GmbH“ effektiv einsetzt und damit gegen das Werwolf Subgenre selbst bügelt, machen wie bei allen Bänden der Reihe eine Wiederentdeckung empfehlenswert.      

 

 

 

 

 

  • Taschenbuch: 258 Seiten
  • Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (30. Juni 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 1499579969
  • ISBN-13: 978-1499579963
Kategorie: