Professor Zamorra 49 "Lux Aeterna"

Manfred Weinland

Manfred Weinland nimmt auch im dritten “Nele” Roman kurz hintereinander nicht richtig den Faden auf. Die Idee, Neles Lebens- und damit auch Leidensweg aus der fortlaufenden Heftromanserie in die „Zaubermond“ Edition zu verlagern, ist grundsätzlich richtig. In der laufenden Serie hat Nele ihren Nikolaus inzwischen wiedergefunden, so dass die grundlegende Spannung dieser Odyssee nicht nur durch die Zeiten, sondern ein historisch gut recherchiertes Europa aus den einzelnen Begegnungen erfolgen muss. Ein großes Problem des zweiten und leider auch des dritten „Nele“ Romans ist, dass sich der Autor mit der Länge der Taschenbücher deutlich verschätzt und der eigentliche Plot trotz eines dynamischen Auftakts doch lange braucht, um Tempo zu entwickeln. Der Mittelteil ist dann zufriedenstellend strukturiert, während der Abschluss abrupt erscheint. Auf den knapp zweihundert Seiten wird zwar mehr Handlung angeboten als im letzten, ein wenig zu belehrend geschriebenen Roman, in dem Nele sich um die Erziehung eines Werwolfsjungen gekümmert hat, aber ganz zufriedenstellend kommt der Autor nicht zum Punkt.

Im Jahre 1745 erreicht Nele Großkreutz London. Zu den stärksten Passagen gehört ohne Frage die detaillierte Beschreibung Londons. In London lernt sie fast als Parallelität zum letzten Nele Roman das erst kürzlich aufgenommene Mitglied einer Jugendbande Lyndon kennen.  Bedenkt man, dass Nele eigentlich nach Spuren ihren verschwundenen Jungen sucht, ist ihre Affinität für junge, noch halb unschuldige Knaben im mütterlichen Sinne sogar verständlich.  Nele führt sie aus ihrem schlimmen Schicksal zumindest phasenweise heraus. Ohne sie würde ihnen ohne auf das Ende vorzugreifen das gleiche irgendwann, aber nicht so schnell passiert. Sie können für einen kurzen Augenblick in ihrem langen Schatten „Helden“ sein. Es ist auffällig, dass Manfred Weinland über die gleichlautenden Ausgangsprämissen hinaus sich nicht in der Lage sieht, den Plot grundsätzlich zu variieren und zweimal ein vergleichbares Ende zu präsentieren ist ohne Frage eher enttäuschend als zufriedenstellend. Im Vergleich allerdings zu Christian Schwarz, der mühelos aus seinen eigenen Heftromanen kopiert und zitiert, ist die Vorgehensweise vielleicht noch akzeptabel. Viel schwerwiegender ist das Etablieren einer Grundidee – Nele sucht nach ihrem Sohn -, die allerhöchstens als schwacher MacGuffin durchgehen kann, denn sie spielt im nächsten Augenblick so gut wie keine Rolle mehr. Mit ein wenig mehr Mühe und vor allem Ideenreichtum hätten diese beiden Aspekte entweder gut miteinander verbunden werden können oder bis auf die grundsätzliche Erwähnung ihrer Odyssee hätte Manfred Weinland die sich durch die ganze Miniserie hinziehende Suche nach dem verschwundenen Sohn auslassen können. In der vorliegenden Form ist es weder Fisch noch Fleisch.

In vielen Nele Romanen gibt es nach der Einführung der wichtigsten Figuren eine Art Katalysator, der intellektuell das Beschreiten des „guten“ Weges begünstigt. Lyndons Jugendbande überfällt ein älteres Ehepaar. Lyndon greift auf Seiten der älteren Menschen beherzt ein. Ihm kommt der geheimnisvolle Graf Welldone zur Hilfe. Der am Kopf schwer verletzte Lyndon wird von ihm gepflegt. Hier schließt sich eine nicht unbedingt überraschende, dem Kontext der bis dahin semihistorischen Handlung fast widersprechende Verbundenheit zwischen dem darbenden Lyndon und der vor den sie heimsuchenden Dämonen im Hafen übernachtenden Nele an. Lyndon wird anscheinend über Nacht geheilt, während ihre Dämonen genauso über Nacht verschwinden. Manfred Weinland baut hier ein wenig Spannung auf, aber der Kontrast zwischen dem Geschehen und seinen Beschreibungen ist groß. Teilweise zu routiniert, zu distanziert verläuft dieser Handlungsabschnitt. Anschließend kommt es nicht zuletzt dank der vagen Hinweise des Grafen zu einer weiteren Reise in Richtung Wallis, die begleitet von einem Schiffsuntergang kompakter und interessanter ist als die eigentlich anfänglich so gut beschriebenen Ereignisse in London selbst. Immer wenn Manfred Weinland den Hintergrund seiner Handlung verlässt, zeigen sie unnötige und unerklärliche Schwächen. Nele gehörte ohne Frage anfänglich zu den interessanten, aber nicht unbedingt dominierten Figuren des „Zamorra“ Universums. Ihre Odyssee, ihre Suche nach ihrem Geliebten beginnend mit der Implikation des legendären Nikolaus  verband effektiv und vor allem intensiv Tragik und Legende. Inzwischen hat sich Manfred Weinland entschlossen, in erster Linie Nebenkriegsschauplätze in den vorliegenden Taschenbüchern zu erzählen und beginnt sich handlungsmäßig zu verzetteln. Eine gewisse Grundgeschwindigkeit wäre immer hilfreich. Natürlich unterhalten diese Nebenepisoden solide und kurzweilig, aber sie wirken auch wie die Ausdehnung eines Stoffes, der diese Länge nicht wirklich verdient.  

Das gleiche verhält sich mit den Figuren. Nele entwickelt sich als Person zu wenig weiter. Angesichts der verschiedenen Erfahrungen, die sie auf dieser beschwerlichen Reise macht, wirkt das im dritten Taschenheft enttäuschend. Vielleicht kann Manfred Weinland sich bei den Heftromanen ein wenig freier bewegen – auch wenn es wie ein Widerspruch scheint -, da dort die Nele Geschichten in ein deutlich engeres Korsett eingebunden worden sind, aber hier fehlt auf der einen Seite eine gewisse Selbstreflektion innerhalb des Charakters – spätestens am Ende dieses Buches müsste es ihr wie Schuppen von den Augen fallen, dass sich zumindest was ihre Obhut angeht Geschichte auf traggische Art und Weise wiederholt -, der die Handlung unterstützt. Schlimmer ist, dass Manfred Weinland selbst zu wenig an einer geschlossenen Geschichte über mehrere Bände interessiert ist und Nebenfiguren einführt, die zu sehr als Fremdkörper zu den eigentlichen Abschnitten erscheinen. Das beginnt mit dem Werwolfsjungen, der befremdlich beschrieben worden ist, aber als Figur zu distanziert, zu unsympathisch und zu wenig vielschichtige angelegt erschien und endet im vorliegenden Band mit Lyndon, der mit Fortschreiten der Handlung bis zu seinem vorhersehbaren Ende immer eindimensionaler und vor allem auch klischeehafter wird.  Lyndon ist im Vergleich der zugänglichere Jugendliche in Neles Schatten, wirkt aber als Figur zu wenig originell und stimmig gestaltet.  Die absolute Nebenfigur Graf Welldone hätte nicht nur wegen der interessanten, in der Gegenwart allerdings gespiegelten Lebensgeschichte  weiter ausgebaut werden müssen. Während bei Nele immer wieder die gleichen Fragen diskutiert und – da das Ende des Weges bekannt ist – die gleichen eher ambivalenten Prophezeiungen geäußert werden, hätte der Fokus mehr auf Lyndon und Welldone liegen müssen. Was bei Lyndon zu viel aufgewandt  worden ist, erhält der Graf zu wenig.  Viel zu einfach fallen die einzelnen Bestandteile ineinander, werden wichtige Informationen ausgetauscht und schließlich eine vordergründige „Lösung“ präsentiert, die Nele in ihrer Suche nicht unbedingt weiter, aber die Handlung viel zu schnell vorantreibt.

Manfred Weinland ist inzwischen ein sehr routinierter Autor, der sich sprachlich auch bemüht, der fiktiven Zeit anzupassen. Das ist ihm beim vorliegenden Roman an einigen Stellen nicht gelungen. Zu sehr greift er zwar inhaltlich passend auf die Vulgärsprache zurück und reißt den Leser damit wieder auf dem 18. Jahrhundert in die Gegenwart. Zusammen mit der wie schon angesprochen sich eher in sich drehenden, aber zu wenig vorwärtsbewegenden Handlung und den zu vielen offenen Flanken präsentiert sich das dritte Nele mit zu vielen Schwächen und nur wenigen Stärken hinsichtlich der Atmosphäre, der detaillierten Recherche und einer letztendlich vernachlässigten Nebenfigur.          

         

Zaubermond Verlag, Taschenbuch

210 Seiten, Erschienen Juni 2013

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