Home is the Sailor

Day Keene

Mit der ersten Veröffentlichung seit über dreißig Jahren hat die amerikanische Krimireihe Hard Case Crime bei „Home is the Sailor“ aus der Feder Day Keene alias Gunnar Hjerstedt zur Wiederentdeckung eines weiteren Pulpautoren der fünfziger Jahre beigetragen. In den zwanziger Jahre begann er seine Karriere als Theaterschauspieler, bevor er sich dem Schreiben zugewandt hat. In den fünfziger/ sechziger Jahre fleißig, aber nicht unbedingt populär gehörten seine Werke eher zu den Insidertips, obwohl er oft auch Kurzgeschichten in Magazinen wie „Black Mask“ veröffentlicht hat. In mehr als zwanzig Jahre zwischen 1949 und 1970 veröffentlichte er regelmäßig ein bis zwei Romane in den USA. Inzwischen liegen eine Reihe seiner Zwischennoirs als E- Books vor. Interessant ist, dass von seinen mehr als fünfzig Romanen neunzig Prozent ebenfalls in Deutschland veröffentlicht worden sind. Neben Heyne und Bastei ist es der Xenos Verlag gewesen, der Keene nicht so dunkle wie Jim Thompson oder reinrassig zynische Werke wie David Goodies in Deutschland verbreitet haben. Unter dem Titel „Der Teufel mit dem Papagei“ – der einzige Papagei, der im Roman eine Rolle spielt, ist die Kneipe – mit einem interessanten Titelbild ist „Home is the Sailor“ mehrfach nachgedruckt worden.

Aus heutiger Sicht ist der Roman unter mehreren Aspekten interessant. Dabei ist interessanterweise gegen Ende des schwächste Element der eigentliche Kriminalfall. Neben einer schweren Körperverletzung sind es drei Morde, die eine Rolle spielen. Eine Tat fand vor mindestens sechs Jahren statt, ein Mord erfolgte aus dem allerdings von dritter Hand geplanten Affekt heraus und die abschließende Tat ist kein Mord. Da immer wieder auf die erste Tat Bezug genommen wird, ahnt der Leser weit vor dem naiven Protagonisten Swede Nelson, das sich zumindest einer, wenn nicht beide Täter in der Nähe aufhalten müssen. Daher ist die Aufdeckung der verschiedenen Identitäten einhergehend mit Erpressung keine wirkliche Überraschung und vielleicht das schwächste Element des ansonsten ausgesprochen kompakt und stringent geschriebenen Romans. Um aber den einzelnen Protagonisten Motive zu geben, gibt es keinen anderen Weg. Keene versucht die Spannung zu erhöhen, das emotionale Labyrinth, in das sich der naive Seemann verstrickt hat, bedrohlicher zu machen. Dazu muss er Fakten über die Figurenkonstellation hinaus liefern. Der zweite im Affekt begangene Mord ist zumindest anfängliche keine Folge dieser ersten Tat. Faszinierend ist, wie der Autor sie später in die Kausalkette einbaut und damit dem Schweden eine weitere Bewegungsmöglichkeit nimmt. Bis zu diesem Zeitpunkt wirkt die Beziehung zwischen dem Seemann und der attraktiven, eine Bar führenden Corliss Mason intensiv, aber normal. Nach drei Jahren auf See heuert Nelson mit vierzehntausend Dollar in der Tasche ab. Er will sich eine Farm kaufen, ein nettes Mädchen kennen lernen und mit knapp über dreißig Jahren sesshaft werden. An Bord gilt er als ein Vorzeigeoffizier, der sich alle wichtigen Patente selbst erarbeitet hat. An Land scheint er ein Alkoholproblem zu haben, denn die ersten vier bis fünf Tage verbringt im Delirium. Dabei gerät er in einen Streit mit einem Falschspieler, den er übel zurichtet. Er wacht im Hotel Corliss Mason auf, die ihm fast umgehend heiraten will. Diese Beziehung entwickelt sich ein wenig hektisch und während in Nelson das Misstrauen frustrierend langsam erwacht, wirken Corliss Masons Winkelzüge sehr aufgesetzt. Passend eine Fastvergewaltigung in ihrem Schlafzimmer, die Nelson noch enger an sie binden soll. Eine hektische Suche nach einem Friedensrichter in Mexiko, die keiner Erwartung entsprechenden Hochzeitsnacht. Selbst das Alkoholverbrauch Nelsons reicht als Erklärung für die Vorgänge nicht aus, zumal ihm immer wieder Warnungen überbracht werden, die so verklausuliert sind, das sie auffallen müssen.

Ohne Frage ist Corliss Mason eine attraktive Frau, ein klassischer Vamp, der aber den im Film Noir personifizierten Männerfressern nicht gänzlich nach empfunden ist. Sie ist manipulierend und wenn am Ende ihr Kartenhaus zusammenbricht, ahnt der Leser, wie komplex dieser Plan eigentlich gewesen ist. Aber in der ersten Hälfte des Romans wird ihre potentielle Panik angesichts verschiedener FBI Ermittlungen und Erpressungen zu wenig nachhaltig herausgearbeitet, um ihr im Grunde auffälliges Verhalten zu erklären. Die Alternative wäre leichter gewesen. Das Geld aus dem Schließfach holen und den Ort einfach zu verlassen, zumal die Bar anscheinend finanziert worden ist und ausreichend Reserven vorhanden sind. Ihr Verhalten wäre selbst bei einem Abschluss des Plans mit im Grunde mehreren Leichen um sich herum sehr auffällig gewesen. Wie naiv sie vorgegangen ist, bestätigt das Vorhandensein von Fingerabdrücken, das anscheinend doch eine Kette von gänzlich anderen Ermittlungen hervorruft. Ein weiterer Bruch ist das erst kürzliche Zusammenkommen von Nelson und Morliss, das spätestens mit dem Fund im Auto das Misstrauen der Beamten von dem naiven Seemann auf das Opfer hätte richten müssen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Schwede nach der Ausnüchterung im Gefängnis allerdings die Initiative übernommen. Die Aktionen wirken ein wenig zu gerafft, sie kommen zu passend angesichts der langen, aber nicht schlecht geschriebenen Exposition. Sie runden den Roman zufrieden stellend und vor allem nicht so zynisch dunkel ab, wie es der Leser nach ungefähr der Hälfte des Textes befürchten müsste. Bei Jim Thompson, David Goodies oder um die modernen Nachfolger wie James Ellroy zu nennen, wäre der Schwede verloren gewesen. In einer ungewöhnlichen Wendung gibt ihm Day Keene die Chance einer doppelten Läuterung, in dem er den einzigen Menschen „rettet“, der bedingungslos an seiner Seite gestanden hat und auf See noch einmal zu sich kommen will.

Während der Plot als Ganzes betrachtet zwar kleinere Schwächen aufweist, aber trotzdem kurzweilig unterhält, ist es die Zeichnung der einzelnen Figuren, die „Home is the Sailor“ aus der Masse herausragen lässt. Auch wenn Day Keene verschiedene Klischees bedient, denen sich der Roman kritisch gesprochen eigentlich nicht unterwerfen muss, sind seine Figuren ausgesprochen dreidimensional gezeichnet. Die verschiedenen Doppelspiele, die alle im Hintergrund für den Leser nicht erkennbar ablaufen, machen den Reiz der Geschichte aus. Es gibt nur zwei Figuren, die keine Vergangenheit im negativer Hinsicht haben. Dazu gehört der dumme August in Form des Seemanns, der sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen muss, aus diesem Karussell der Eitelkeiten nicht rechtzeitig ausgestiegen zu sein. Natürlich ist ein Todschlag ein Argument, um bei seiner „Frau“ zu bleiben. Zumal die erste Tat sogar als Einleitung der Ereignisse inszeniert worden ist, um ihn an sich zu binden. Aber ihm fehlt auch das Gespür für den Augenblick, um dieser raffinierten Falle zu entkommen. Auch die Idee, eine Frau nach wenigen Stunden gleich zu heiraten, wirkt konstruiert. Da hilft nicht einmal der Hinweis, dass der Schwede seit seiner Jugend nur Seemannsbräute kannte, die ihm gegen Geld einige Stunden versüßen. Gerade aufgrund dieser Begegnungen hätte er instinktiv gewarnt sein müssen.

Auf der anderen Seite scheint Corliss Mason eine Mischung zwischen Täter und Opfer zu sein. Beim ersten Mord ist nicht ganz klar, ob sie nur Werkzeug oder Planerin gewesen ist. Ihre Begegnung mit Nelson ist dagegen minutiös, wenn auch auf einige Zufälligkeiten angewiesen, konstruiert zu sein. Auch hier impliziert Day Keene gegen Ende eine aktive wie teilweise passive Rolle, in der sie ihre ganze Vergangenheit auszulöschen sucht, während sie zu Beginn eben auch auf diese Vergangenheit und die Beziehungen zu einzelnen Männern in ihrer Umgebung angewiesen ist, um den Stein ins Rollen zu bringen. Ihr fehlt unabhängig von ihrer erotischen Ausstrahlung vielleicht die Komplexität verschiedener Vamp Charaktere, die wie Spinnen ihre Opfer aufsaugen. Vielleicht liegt das auch an der aufgesetzten Naivität des Seemanns, aber mit ein wenig mehr Fingerspitzengefühl hätte Corliss Mason zu den großen Figuren des Genres gehören können. 

Im Vergleich zu vielen anderen Film Noirs und Hardboiled Krimis spielt die Polizei keine untergeordnete Rolle. Auch wenn sie anfänglich mit den Ermittlungen überfordert ist, kommt ihre Wendung relativ schnell, unorthodox, aber auch pragmatisch. Sie ermöglicht es, der dreifachen Falle – Todschlag, Erpressung und Mord – zu entkommen.

Eine weitere Stärke des Buches ist die exotische, aber morbide Atmosphäre, die Day Keene mit wenigen, fast funktional erscheinenden Beschreibungen entwickelt. Es ist eine kleine Hafenstadt mit ihren Kneipen. Ein Hort der Verlorenen, die nicht nur von der See nicht in die im Titel bezeichnete Heimat zurückkehren, sondern stetig auf der Flucht meistens nicht nur vor der eigenen Vergangenheit, sondern sich selbst sind. Ein Ort voller Schönheit irgendwo in der Nähe von Malibu, den die Menschen verschandelt haben. Auch wenn die Umgebung anfänglich keine Rolle spielt und dann auch meistens von den Protagonisten zum Verdecken ihrer Taten missbraucht wird, nimmt sie im Verlaufe des Plots eine immer wichtigere Stellung ohne Dominanzgelüste ein.

„Home is the Sailor“ ist kein perfekter, aber ein ausgesprochen unterhaltsam geschriebener Hardboiled Krimi, dessen Ende deutlich mehr befriedigt als die Arbeiten anderer Autoren und der unabhängig von seiner aufgrund der Anlage für den Leser deutlich eher durchsichtigen Struktur das Zusammentreffen unterschiedlicher Menschen mit den fatalen Folgen für einen Teil von ihnen spannend, an einigen Stellen drastisch, aber zumindest konsequent beschreibt. Der Leser glaubt dem Schweden, wenn er am Ende zu seiner wahren Heimat zurückkehrt, die tückisch, aber immer fair ist und glücklich, aber auch in den Tiefen seines Herzens einsam ist.                

HOME IS THE SAILOR
Day Keene
March 2005
ISBN: 978-0857683199
Cover art by Richard B. Farrell, Gregory Manchess

Hard Casr Crime, Taschenbuch, 215 Seiten

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