Jerry Cotton 3000- Goodbye New York!

Anonym

60 Jahre Jerry Cotton! Heft 3000! Da wollte sich der BASTEI Verlag nicht lumpen lassen. Im leichten Über DIN A 4 Format mit einem schönen Titelbild versehen ragt das Heft aus der Masse ohne Frage heraus. Nur wirkt es zu weich, fällt wie eine normale Tageszeitung angesichts des einfachen Papiers zu schnell in sich zusammen. Mit 95 dreispaltig gesetzten, aber über große Buchstaben verfügenden Seiten soll der Plot suggestiv länger sein als der normale Jerry Cotton Roman, der - wie viele Autoren mehrfach geschrieben haben  - innerhalb einer Stunde zu lesen sein soll. Am Ende der Lektüre ist vieles anders und die beiden neuen Inspectors Jerry Cotton und Phil Decker sollen zukünftig aus Washington heraus agieren, aber weder der vorliegende Roman, noch die Aussichten scheinen wirklich durchdacht. Natürlich hat schon das Remake „Cotton Reloaded“ angedeutet, dass das normale Verbrechen nicht mehr von Überhelden wie Cotton bekämpft werden kann, da die Fälle ansonsten zu schematisch erscheinen würden, aber vieles an dem selten einfallsreichen Remake und vor allem an diesem vorliegenden Jubiläumsband scheint wirklich durchdacht.

Mr. High und seine beiden besten Agenten werden nach Washington gerufen, weil   Assistant Director Edward G. Homer plötzlich von seinem Arbeitsplatz verschwunden ist. Er hat seine Termine abgesagt und ist auf eigene Kosten in den rassistisch brodelnden Süden der USA geflogen. Dort verliert sich seine Spur. Phil und Cotton sollen versuchen, Homer zu finden. Im Gegensatz zu den beiden ausschließlich agierenden Agenten ist der Leser durch die Einführung einer Parallelhandlung zumindest über einen Teil der Ereignisse informiert. Homer ist ein mit Drogen vollgepumpter Weißer in den von den schwarzen Gangs dominierten Vierteln, der ausgeraubt, in Krankenhaus gebracht und von dort mittels eines professionellen Killers wieder entführt wird. Dabei verlieren insgesamt sechs Menschen – drei Gangmitglieder und drei im Krankenhaus Angestellte – ihr Leben. Homer, der Killer und alle wirklich überprüfbaren Spuren verlaufen auf dieser Handlungsebene buchstäblich im Nichts. Tiefpunkt ist, dass der mittels einer Telefonfalle, die keinen wirklichen Sinn macht, angerufene potentielle Täter Jerry Cotton erkennt, ohne dass dieser den Kreis der potentiellen, eine derartig  komplizierte Aktion durchführenden  Feinde gleich einschränkt.

Auf der zweiten Handlungsebene lässt Mr. High verschiedene Spuren in den Büros des FBIs untersuchen. Dabei scheint Homer durch eine fingierte Nachricht weg gelockt worden zu sein, die über Mr. Highs E- Mail Account von Jerry Cotton aus New York geschickt worden ist. Dabei deutet viel auf einen Insiderjob hin, denn die Accounts sind so nicht zu knacken. Nach einigem Hin und Her kommt nur ein Mann dafür in Frage, der sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen sucht und trotzdem von den örtlichen Behörden am Flughafen auf eine fast naive Art und Weise festgenommen werden kann. Gleichzeitig verschwindet Mr. High, was Teil eines komplizierten Plans ist, der in James Bond Manier ohne die übertriebene Action auf den letzten Seiten der lange gestreckten Handlung dem Leser und vor allem den überforderten Agenten präsentiert wird. Ohne die Spannung zu sehr zu mildern müssen sie wieder gegen einen alten Feind antreten, der schon in einem der zahlreichen kleinen Jubiläumsbände einen Auftritt gehabt hat. Während er allerdings dort weniger überambitioniert und vor allem zielstrebiger vorgegangen ist, versucht der entführte Mr. High im klarzumachen, dass sein A- Plan schon lange nicht mehr funktioniert und der auf den eher rudimentären Plan B zurückgreifen sollte. Angesichts der erhaltenen Informationen auf den ersten Seiten des Heftes ist beim Plan A schon mehr als nur dem FBI in Washington bekannt geworden schief gegangen, so dass erstens die ganze Aktion keinen Sinn macht und vor allem zweitens angesichts des wirklich effektiv platzierten Maulwurfs der Schaden durch die Nutzung der Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation viel größer hätte sein können, wenn man einen Racheplan nicht auf das primitive Auslöschen von zu ersetzenden Köpfen reduziert hätte. Natürlich ließen sich Argumente wie Geltungssucht oder überhebliche Arroganz hinsichtlich des Streckens des zugrundeliegenden Plans finden, aber angesichts der negativen Erfahrungen des Feindes aus den mehrfachen Begegnungen mit Cotton und Co macht das keinen Sinn. Niemand ist so intelligent und macht immer wieder den gleichen strukturellen Fehler.

Es gibt aber noch zwei große Probleme mit dem vorliegenden Roman. Zum einen haben die „Cotton Reloaded“ Romane die stereotype Idee, Cotton in ein schlechtes Licht zu rücken. In den letzten Monaten zu oft durchgespielt.  Warum es also wie im vorliegenden Fall vor allem ohne nachhaltige Konsequenzen noch einmal versuchen. Cotton wird von den Ermittlungen nicht abberufen, weil Mr. High keinen Augenblick an den Wahrheitsgehalt möglicher Verdächtigungen glaubt. Es wäre effektiver gewesen, einen anderen hochrangigen, dem Leser aber nicht unbedingt bekannten Agenten dafür zu missbrauchen. Mit dieser Vorgehensweise hätte zumindest ein wenig Spannung erzeugt werden können.  Das zweite noch größere Problem ist die Idee einer weiteren Entführung durch Mr. High. Wenn man diese Prämisse in einem Jubiläumsband ansetzt, dann muss man sie – so tragisch es für die ganze Reihe wäre – auch bis zum bitteren Ende durchziehen und ggfs. Mr. High auch sterben lassen. Nur Entführungen hat der Leser in den letzten „Cotton Reloaded“ Bänden auch mehrfach lesen können. Und keine ist für eine der Hauptfiguren tragisch zu Ende gegangen. Diese beiden ausschließlich mechanisch eingesetzten Ideen sollen diesem Jubiläumsband sehr viel mehr Tiefe geben als es der schwache Plot hergibt.  Auch die Struktur des Romans wirkt seltsam. Zuerst auf zwei Nebenhandlungen den örtlichen Hintergrund der Geschichte entwickeln und dabei auf die so typischen wie leider auch klischeehaft eindimensional beschriebenen Gangs eingehen, bevor im langen Mittelabschnitt durch Zufall wichtige Spuren aufgenommen werden und der Feind ein Gesicht erhält. Dabei werden wichtige Fragen nicht mehr aufgeworfen und der Fokus dieser auf den ersten Blick groß angelegten internen Verschwörung mit einem „äußerlichen“ Katalysator relativiert. Auf den letzten Seiten muss es dann ganz schnell gehen, wobei spätestens mit dem Auffinden eines der Opfer das Mastermindgehirn hinter dieser ganzen Operation hätte reagieren müssen.

Befremdlich ist, dass „Goodbye New York“  eher verzweifelt Dicker und Cotton aus ihrer Umgebung zu reißen sucht. Die Dialoge sind schon stark bemüht geschrieben, aber viel schlimmer ist, dass alle Ordnungskräfte förmlich mit sperrigen Titeln um sich werfen. So sind Cotton und Decker jetzt „Inspectors“, was anscheinend nicht nur eine Beförderung darstellt, sondern ihre Ermittlungen förmlich hemmt. Immer wieder hinterfragen sie gegenseitig ihren bisherigen Status und ihre jetzige Aufgabe, anstatt zu ermitteln. Es ist unglaubwürdig, wie schwierig sich die beiden erfahrenen Agenten insbesondere in der direkten Kommunikation mit ihren Partner vor Ort tun, von denen eine natürlich eine attraktive und nicht auf den Mund gefallene Agentin ist.  Im Grunde ermittelte Cotton ja schon seit vielen Jahren eher wie ein überregionaler Agent auf besonderer Mission als wie in den ersten, nachgedruckten klassischen Stoffen, in denen Autoren wie Heinz Werner Höher mit dem Stadtplan von New York Entfernungen ausgemessen hat, um seine Fälle realistisch zu planen. Ob nun aus New York oder Washington heraus agierend ist weniger eine Frage der Lokalität, sondern vor allem der Authentizität. Beförderungen nach so vielen sehr erfolgreichen Jahren sind nachvollziehbar, aber in erster Linie sind Cotton und Decker klassische Big Apple Pflanzen, die mit ihrem New Yorker Auftreten auch in der Fremde überzeugen können. Der Versuch, die Serie auf ein fiktives James Bond Niveau zu heben oder die Fälle wie in den Remakes politisch zu komplizieren ohne nachhaltig Position zu beziehen, sollte in erster Linie die Altleser befremden. Aufgrund der inhaltlichen Schwächen – der Fall ist wirklich nicht originell und selbst die geschickte Planung/ Ausführung leidet unter der spannungsarm erzählten innerbetrieblichen Untersuchung – und der stilistischen Mängel sowie dem Versuch, dem Leser diese neuen Ränge fast mit Gewalt auf jeder Seite mittels Dialog einzuprügeln ist „Goodbye New York“ kein ambitionierter Jubiläumsband, nicht einmal ein gelungener Jerry Cotton, sondern der Beweis, dass die unter Ermüdungserscheinungen teilweise leidende Serie nicht so einfach in ein neues Gewand gekleidet werden sollte. Ein schwacher, ein enttäuschender Roman, in dem der eindimensionale Erzschurke der einzige Hinweise auf die teilweise goldenen Zeiten ist, die Cotton in den letzten sechzig Jahren erleben durfte.

Neben den skurrilsten Romantiteln aus 60 Jahren „Jerry Cotton“ kommen die Leser in kleinen, in die Handlung eingeschobenen Kästchen zu Wort.                   

 

Bastei Heftroman Überformat

95 Seiten, Erschienen Dezember 2014

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