The Gutter and the Grave

Ed McBain

In den späten fünfziger Jahren erschien unter dem Titel "Iám Cannon- For Hire" angeblich unter dem "Pseudonym" Curt Canon dieser Hardboiled Thriller, welcher die meisten Elemente des Film Noirs - gebrochener Held, attraktive Frauen, ein immer schwieriger werdender Fall - eher zögerlich in die bittere Realität des Nachkriegsamerikas übertragen hat. Ed McBain ist inzwischen aufgrund seiner teilweise sehr zynischen Thriller um ein besonderes Polizeirevier zu einem der erfolgreichsten Thrillerautoren der USA aufgestiegen. In der Neuauflage mit dem unglaublich passenden Titel "The Gutter and the Grave" zeigt sich, dass McBain über die Versatzstücke des Genres nicht nur herausgreifen konnte, sondern eine ausgesprochen sentimentale Liebesgeschichte geschrieben hat, die immer am Rande des Klischees und des Kitsches insbesondere gegen Ende eine Reihe von überraschenden, vielleicht sogar ein wenig zu stark konstruierten Wendungen enthält.
Dominierend ist der Ich- Erzähler Matt Cordell, der sich gleich im ersten Satz als "I ám a drunk" vorstellt. Matt Cordell war ein talentierter Privatdetektiv gewesen, dessen Praxis sehr gut angelaufen ist. Er hat eine wunderschöne Frau kennengelernt. Am Ende des Buches fügt Ed McBain noch eine Handvoll Erinnerungen hinzu, welche die Besonderheit der Beziehung untermauern sollen. Das Liebeslied, dass Cordell immer an seine Frau erinnern wird, der eine Abend, an dem sie ihren zukünftigen Mann "retten" muss, nachdem ihm bei einem Betrunkenen die Sicherungen durchgebrannt sind. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Leser schon, dass Cordell seinen Partner mit dem Knauf seiner Waffe zusammengeschlagen und getötet hat, als er ihn in den Armen seiner Frau erwischte. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Leser, dass Cordell seine Frau, seine Waffe, seine Lizenz und schließlich im Gefängnis auch fünf Jahre seines Lebens verloren hat.

Zu Beginn des Buches treibt er sich in der Bowery herum. Dem Nachbarviertel seiner Jugend, das ihn an die unbeschwerten Tage erinnert. Er ist arbeitslos und ein hoffnungsloser Alkoholiker, der das Vergessen sucht und doch nicht vergessen kann oder vergessen will. Durch einen Zufall findet ihn sein oberflächlicher Jugendfreund Johnny Bridges, der inzwischen eine kleine Wäscherei betreibt. Er hat den Verdacht, dass sein Partner ihn betrügt und Geld aus der Kasse nimmt. Anfangs wehrt sich Cordell gegen einen neuen Fall. Er will im Selbstmitleid schwimmen. Aber als er schließlich nachgibt, findet er Bridges Geschäftspartner in der Wäscherei tot. An der Wand stehen die Initialen Johnny Bridges. Cordell schlägt seinem ehemaligen Kumpel einen Deal vor. Der läßt sich von der Polizei an potentieller Tatverdächtiger verhaften, dafür wird Cordell den Mörder ermitteln. Er ahnt nicht, dass im Spinnennetz mit Laraine Marsh eine sehr attraktive Frau sitzt, die genau seine Schwächen zu kennen scheint.

Bei der Charakterisierung seiner wichtigsten Figur Mark Cordell bewegt sich Ed McBain auf einem sehr schmalen, aber außergewöhnlich zufriedenstellenden engen Pfand. In Cordells Leben gibt es im Grunde zwei Phasen. Die erste Phase endet an dem Abend, an dem er seine Frau in den Armen eines anderen Mannes findet und den Rivalen tot schlägt. Bis dahin verläuft alles wie am Schnürchen. Cordell ist fleißig und ein überdurchschnittlich begabter Ermittler, der ungewöhnliche Methoden und außergewöhnliche Blickwinkel anwendet. Diese helfen ihm auch bei diesem Fall. Aber Cordell wirkt nicht arrogant. Er ist selbst überrascht, welch gute Karten das Leben einem einfachen irischen Jungen aus der Bowery zuspielt. Cordell ist nur scheinbar der Flasche verfallen. Er ist weder ein hoffnungsloser Alkoholiker noch ertrinkt er in seinem Selbstmitleid. Er ist phlegmatisch und antriebslos, verletzt und gleichzeitig über sich selbst erschrocken. Fast gegen seinen Willen zieht er sich mit diesem widerwillig übernommenen Fall kurze Zeit aus seiner Lethargie und gewinnt neue Energie nicht zuletzt durch die "Liebe" zu einer Frau, die für den Leser schnell erkennbar zu sehr seiner Ehefrau und ihrer opportunistischen Rücksichtslosigkeit ähnelt als das etwas Gutes herauskommen kann. Cordell ist weder unsympathisch noch durch und durch zynisch. Er ist hingefallen und der Leser - neben einer Reihe gut charakterisierter Nebenfiguren - möchte ihm aufhelfen. Aber niemand weiß, wie man es machen kann. Als Figur dominiert Cordell den Roman. Vielleicht sogar ein wenig zu sehr. Ed McBains geradliniger, von pointierten mit schwarzem Humor unterlegten Dialogen getriebener Stil ist dieser Figur auf den Leib geschnitten. Dadurch wirken die anderen Protagonisten ein wenig zu holzschnittartig und klischeehaft. Teilweise nutzt Ed McBain diese oberflächliche Zeichnung, um die für den Mittelteil des Falls wichtigen Irrungen und Verwirrungen heraus zu arbeiten. Teilweise muss man einige Passagen zweimal lesen, um einige Figuren voneinander zu unterscheiden und die folgenden Zusammenhänge zu verstehen. Wo die Polizisten trotz ihrer Tendenz, mögliche Verdächtige zu grillen, für einen Thriller dieser Ära sehr positiv gezeichnet sind. Sie zeigen gegenüber Cordells deduzierender Leistung den notwendigen Respekt, kümmern sich aber letztendlich um das rechtmäßige Aufräumen hinter dem Schmalspurschnüffler.

Plottechnisch ist „The Gutter and the Grace“ solide entwickelt. Ed McBain nimmt sich viel Zeit, um Cordells persönliche Situation zu beschreiben. Er wird förmlich aus Hilfsbereitschaft dem alten Freund gegenüber bestraft. Anschließend legt der Autor eine Reihe von falschen Spuren inklusiv eines weiteren Mordes und eines Mordanschlags, bevor er weniger überzeugend Cordell eine Zufallskarte in die Hand spielt, die es ihm zu stark konstruiert ermöglicht, den Fall zu lösen und den Täter zu einem Geständnis in zukünftiger „Columbo“ Manier zu einem Geständnis zu zwingen. Das Cordell am Ende eher einen Pyrrhussieg als einen reinen Erfolg, ist auf der emotionalen Ebene konsequent. Cordell hat gute Chance, die Gosse zu verlassen, wenn er es nur will.

Ed McBain entwickelt den Hintergrund seiner Geschichte überzeugend. Seine Beschreibungen der Kneipen, der Hinterhofmusik, die Verbindung von Glanz und vordergründigem Glitzer, von Kleinkriminellen und dem einfachen Arbeitermilieu mit einem wunderbaren Seitenhieb auf Hitler sind stimmig. Hinzu kommt ein nicht gänzlich fatalistischer Schreibstil- siehe Jim Thompson oder David Goodies – mit humorvoll pointierten Romanen, die aus „The Gutter and the Grave“ nicht unbedingt einen Klassiker des Genres machen, aber zumindest einen sehr lesenswerten Roman mit einem interessanten, vielschichtigen Protagonisten irgendwo zwischen Verdammnis und Bekehrung.

Ed McBain: "The Gutter and the Grave"
Roman, Softcover, 216 Seiten
Hard Case Crime 1958

ISBN 9-7808-5768-3670

Taschenbuch, Hard Case Crime

256 Seiten

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