Atalanta Band 2

Robert Kraft, Atalanta Band 2, Thomas Harbach, Rezension
Robert Kraft

Mit dem zweiten Band die Lieferungen 13 bis 24 umfassend zerfasert der Plot ein wenig. In der ersten Hälfte der Sammlung geht es um die Trauer Atalanta hinsichtlich ihres in einem Sandsturm umgekommenen Gatten. Der Struktur dieser Lieferungsromane folgend kann der holde Ehemann nicht ums Leben gekommen sein. Die erfolgreiche Suche wird eher durch einen Zufall abgeschlossen, wobei Robert Kraft Exkurse in die heidnischen Riten wie auch die Araber unter den Franzosen als Besatzer leidenden Afrikaner einschließt. Im Gegensatz zu seinem großen Konkurrenten Karl May ist eine Rettung nicht unbedingt der Abschluss eines Handlungszyklus, denn der Mann leidet nicht nur unter gebrochenem Herzen, sondern vor allem auch hat er Angst, sich zu seiner wahren Liebe zu bekennen. Dazu hat er sich selbst von seiner Außenwelt isoliert. In Hinblick auf dessen Verschwinden im Sandsturm werden die Motive für dieses exzentrisch paranoide Verhalten nicht zufriedenstellend erklärt und mit dem vorläufigen Rückzug Atalanta zu ihrem inzwischen besiedelten und einer modernen und von nationalen Zwängen befreiten kleinen Stadt, wie Paul Alfred Müller sie immer wieder in den „Sun Koh“ propagierte, ähnelnden Idyll bricht der lange, vom ersten Lieferungsroman ausgehende romantische Teil der Serie ab. Interessant ist dabei, dass Robert Kraft neben einer weiteren kurzzeitigen Entführung seinen Figuren kein Happy End gönnt. Das künstlich geschaffene Biotop, um dem Gatten die Realität zu ersparen, ist eine der besten späten Ideen dieses Lieferungsromans.

Dabei bietet Robert Kraft deutlich mehr Variationen an als Karl May und einige Handlungsteile wird Paul Alfred Müller fast eins zu eins für seine beiden Romanserien heben. Neben den obligatorischen Handlungselementen wie Entführungen und die Androhung von Folter – sie gipfelt in einem Schlag auf den nackten und gefesselten Körper eines vierjährigen unschuldigen Jungen – sind es die technischen Ideen, die „Atalanta“ auch heute noch zu einem sehr interessanten Stoff machen. Ihr Schiff –  später „Mohawk“ genannt – ist ein Wunderwerk der Technik. Aufgesetzt wirkt, dass eine meuternde amerikanische Kriegsschiffbesatzung das Schiffangreift, selbst versenkt wird und später unter falschen Identitäten sie vor der amerikanischen Regierung als Kriegstreiber anklagt. Vor dem Hafen San Franziscos liegend kann sie ihre technische Überlegenheit demonstrieren. Im Hintergrund agiert mit dem an Mephistopheles erinnernden Erfinder ein Faktotum, das für jede Provokation der amerikanischen Regierung quasi eine Antwort hat. Aus dieser Masse ragen die steuerbaren Blitze genauso heraus wie „Camera Obscura“, welche ohne technische Details die Satellitenüberwachung auf ein allgegenwärtiges sehendes Auge reduziert, das ohne Einschränkungen alle markanten Plätze unbemerkt überwachen oder markieren kann. Weitere Wunderwaffen sind eine Kanone, die geschmiedet aus Kruppstahl ein Ziel aus 15 Kilometern Entfernung treffen kann oder die neuen Mini U- Boote, deren technische Fähigkeiten alle Entwicklungen dieser Zeit übertreffen. Die Möglichkeit, mittels eines natürlichen Harzes das eigene Schiff quasi unzerstörbar und damit zu einer Art Rammbock zu machen, das sogar eines der modernsten amerikanischen Kriegsschiffe versenken kann oder die Aeroplanes, die nicht nur eine begrenzte Zahl von Menschen transportieren, sondern ebenfalls aus dem Sichtfeld des Auges verschwinden können. Während Paul Alfred Müller später diese phantastischen Erfindungen meistens mit technischen Fakten unterlegte, verweist Atalanta einmal auf ihr sie abgöttisch platonisch liebendes „Genie“ im Hintergrund, das mit einem gesunden Menschenverstand ausgestattet instinktiv in einer Notsituation die Waffen vor den Amerikanern schützt oder auf die Ideenschmiede am Sklavensee, wo die den Bewohnern alles bis auf die eine von der Camera Obscura beherrschten Kammer offensteht. Robert Kraft ist ein klassischer Ideenschriftsteller, der sich weniger um die Umsetzung dieser Ideen kümmert, sondern sie effektiv einsetzt. Der große Unterschied zu den späteren beiden Müller Serien ist dabei die Hauptfigur. Während Atalanta im ersten Sammelband auch ihre körperlichen Fähigkeiten immer wieder unter Beweis stellen musste, steht nur eine Auseinandersetzung mit einer afrikanischen Priesterin im Mittelband dieses zweiten Sammelbandes. Ansonsten dominiert die Indianerin zu Beginn als entschlossene Anführerin, die an Bord ihrer Yacht von getreuen Japanern umgeben insbesondere die Macht hungrigen Politiker immer wieder beschämt. In dieser Hinsicht erinnert sie tatsächlich eher an den charismatischen Sun Koh denn den technokratischen Jan Mayen. In der zweiten Hälfte muss sie zumindest eine persönliche kurzzeitige Niederlage einstecken und wird wieder zu einer „schwachen“ Frau, die Reichtum und Überlegenheit gegen ihre wahre Liebe eintauschen würde.

Interessant ist, dass Robert Kraft in diesen Lieferungen einen wichtigen deutschen Charakter einbaut. Mit dem gestrandeten Hansen, der nach einigen Verwechselungen und von Miss Morgan kurzzeitig auf Abwege geführt Mitglied der Crew wird, wechselt Robert Kraft auch die Erzählperspektive. Als ich- Erzähler berichtet er von seinem Schicksal, der Begegnung mit zwei schönen geheimnisvollen Frauen und schließlich von seinen ersten Abenteuern mit Atalanta. In einigen seiner Lieferungsromane wie „Die Seezigeuner“ hat der früher ebenfalls zur See gefahrene Robert Kraft dieses Klischee vom aufrechten, ehrlichen und für seine Leserschaft auch wichtig deutschen Seemann idealisiert. Hansen verkörpert den Mann, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Zuverlässig und unverrückbar. Ein starker Kontrast zu der überwiegend japanischen Besatzung ihrer Yacht, wobei insbesondere der japanische Kaisersohn als Ratgeber/ Forscher unterrepräsentiert erscheint. Später nach dem vorläufigen Abschluss des erstens langen Handlungsbogens darf Hansen auch alleine vorgehen, wobei die Episode auf der einsamen Insel mit dem blutroten Wasser und der Geistererscheinung eher skurril als spannend erscheint. Auf jeden Fall hat der Autor mit Hansen für die augenblickliche unbemannte Atalanta eine ausbaufähige Vaterfigur erschaffen.

Neben den Exkursen „leiden“ die Lieferungsroman aber teilweise spürbar unter Robert Krafts ambivalenter Struktur. Da stiehlt zum Beispiel ein böser Franzose Bertrandt einen Aeroplan und will einige wichtige Politiker entführen, wie bei Karl May die französischen Besatzer gegen die Beduinen aufhetzen, zweimal „heiraten“ – eine französische Opernsängerin und die Enkelin eines Stammes, dessen zukünftigen Ehemann er einige Tage vorher ermordet hat – und schließlich sogar eine Festung geschickt mit einem Stoßtrupp über die Bergspitze stürmen lassen. Robert Kraft gibt sich viel Mühe, diesen Franzosen als rücksichtslosen Opportunisten zu etablieren und sein brutales Vorgehen en Detail zu beschreiben. Schockierend schnell und für den Leser überraschend pragmatisch findet er schließlich sein Ende. Einen Moment mag man nicht glauben, dass mittels Technik der intellektuell interessante Feind ausgeschaltet worden ist. Aber eine letzte Prüfung der Situation gibt Gewissheit, wobei dieser lange aufgebaute Handlungsfaden quasi im Nichts verpufft. Neben dem Kapitän Hansen, der jedem Robert Kraft Roman entstammen könnte, scheint der Autor mit der Exkursion zur Abgottschlage und den Opferungen der Afrikaner, die teilweise allerdings unter Quellenangabe auch Bezug auf Brehm´s Tierleben nehmen, auch eine Grundlage für seinen einige Jahre später entstandenen gleichnamigen Roman „Die Abgottschlange“  geschaffen zu haben.

Während die ersten Lieferungen inhaltlich ein hohes Tempo vorgegeben haben, nimmt Kraft im zweiten Viertel deutlich die Geschwindigkeit heraus. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen – Miss Morgan als exzentrische und rechthaberische Milliardärin und die „Heldin“ Atalanta als aufrechte, begabte Naturschönheit – tritt bis auf den Streit um Kapitän Hansen, der auch noch auf einem Missverständnis basiert, und die wiederholte Entführung des inzwischen hilflosen Gatten inklusiv einer rasanten Befreiung deutlich in den Hintergrund. Wie in Karl Mays Kolportageromanen werden einige exotische Schauplätze wie der Norden Afrikas besucht. Neben einigen Hintergrundinformationen, die Robert Kraft effektiv aber nicht belehrend präsentiert, konzentriert sich der Autor auf kleinere Nebenkriegsschauplätze, bei denen teilweise das unbestimmte Gefühl bleibt, als wolle Autor unterhaltsamen, aber auch professionell in erster Linie die Seiten der Lieferungsromane füllen. Auf der anderen Seite kann er aus dem Nichts heraus eine Verhaftung, eine Verurteilung wie in Trance, die spektakuläre Befreiung und einen sozialistisch erscheinenden Arbeiteraufstand in zwei oder drei Lieferungen abhandeln und das Tempo wieder anziehen. Heinz J. Galle weist in seinem ausführlichen, auf Robert Krafts Werk eingehenden Nachwort drauf hin, dass dieser immer Angst hatte, sein Publikum bei den Kolportageromanen zu langweilen und deswegen Wert darauf gelegt hat, ein kontinuierlich hohes, sich aber auch manchmal selbst überschlagendes Tempo vorzulegen.  Hinsichtlich der technischen Erfindungen ist auch der zweite Band wie Heinz J. Galle weiter ausführt ein Quell von interessanten Ideen und vor allem Verfeinerungen aus den ersten Lieferungen. Vor allem suchen Robert Krafts Charaktere selbst aus den unmöglichsten Situationen durch Eigeninitiative einen Ausweg und versuchen nicht wie bei Karl May zu sehr auf einen allwissenden und lenkenden Gott zu vertrauen. Auch wirken die aktiv handelnden Protagonisten internationaler und dank der zahlreichen technischen Ideen sind insbesondere die phantastischen Lieferungsromane des Autoren auch heute noch ein empfehlenswertes Science Fiction Frühwerk garniert mit abenteuerlichen Exkursionen.        

Verlag Dieter von Reeken, Hardcover

Band 2 (Lieferungen 13–24, 485 Seiten, 54 Abbildungen - 35,00 € - ISBN 978-3-940679-95-6