Zhid

Zhid, Matthias Falke, Rezension, Thomas Harbach
Matthias Falke

Zhid“ ist im Grunde trotz einer Differenz von zehn Jahren zwischen den Ereignissen im ersten Band einer möglichen Serie die direkte Fortsetzung zu Matthias Falkes ebenfalls im Atlantis- Verlag veröffentlichten Roman“ Bran“. Es ist nicht nur wegen der Charaktere und Plotverläufe, sondern vor allem den verschiedenen anfänglich expliziert beschriebenen Veränderungen sinnvoll, „Bran“ zu erst zu lesen.  Viele Schwächen vor allem hinsichtlich der Auflösung des Plots hat Matthias Falke ja nach Ansicht des Betrachters in diese Fortsetzung übernommen. Rückblickend bleibt nur die Frage offen, ob das Ende wirklich vom im Hintergrund agierenden potentiellen Antagonisten si geplant worden ist. Schon „Bran“ litt in dieser Hinsicht unter seiner unglaubwürdigen Struktur. Das Manko hat der Autor ein wenig relativiert, in dem er die Idee der gezielten Zeitreise nur noch vorsichtig und zumindest in der Theorie originell einsetzt. Dabei stellt sich die Frage, ob das Lernen aus taktischen Kriegsaktionen, das Zurückspringen in der Zeit und das beim zweiten Mal Bessermachen nicht impliziert, dass die eigentliche Reise gar nicht notwendig ist. Zusätzlich wirkt es unglaubwürdig, dass erstens nur Straner diese Möglichkeit erkennt, zumal mit Brighton ein Mann zumindest über einige Informationen verfügen müsste. Bedenkt man zusätzlich, wie gezielt und doch auch paranoid Richards im ersten Band dieser Serie agiert hat, dann wirkt das „aus der Hand geben“  dieser ultimativen und im Grunde auch unnötigen Waffe zu konstruiert.  Vor allem weil das von ihm angestrebte Ziel in „Bran“ von Straners Aktionen Abhängigkeit, in „Zhid“ indirekt in den Händen einer nicht mehr einzuschätzenden und vor allem zu kalkulierenden Frau liegt.  Aber im Vergleich zu „Bran“ nutzt Matthias Falke hinsichtlich der Auflösung des Plots die Zeitmaschine nicht mehr aktiv, sondern folgt Andreas Suchaneks interessanter „Heliosphäre 2265“ Serie mit der Verschwörung hinter dem Komplott, bis schließlich zumindest aus Straners Sicht die einzelnen Seiten nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.  Ob das Ende wirklich so umständlich geplant worden ist und aus den aggressiven politischen Tätern schließlich Opfer werden, steht nicht mehr unmittelbar zur Debatte, zumal in einer Umkehrung klassischer Strukturen der eigentliche Held Straners selbst mittels des Umweges über die Entführung seines Sohns als letztes beigefügtes, aber nicht mehr aktiv genutztes Klischee den Krieg nicht aufhalten oder die Fronten klären kann. Stattdessen wird er zusammen mit seiner Frau wie ein kleiner Junge vorgeführt, so dass seine Abscheu gegen jegliche Politik erklärbar ist.

Viel stärker ist aber die erste Hälfte des Romans, in welcher Matthias Falke nicht zuletzt aktuelle Tendenzen extrapolierend eine über weite Strecken einen packenden Roman verfasst hat, welcher die Stärken der Auftaktromans „Bran“ nicht mehr bis in die Wurzeln originell, aber souverän geschrieben nutzt.  Straner lebt auf Rangkor zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern in den Bergen. Nach den Abenteuern in „Bran“ haben sie sich zurückgezogen. Seine Frau versucht zumindest einzelne Familienmitglieder vom Wüstenplaneten Zhid nach Rangkor zu bringen, wo die ehemalige Geliebte Straners Kundali geputscht hat.  Bislang galt Zhid als armselige Welt ohne Resourcen und vor allem auch ohne Zukunft. Anscheinend hat Kundali die Armee nicht nur in kürzester Zeit modernisiert und aufgestockt, sie hat inzwischen dem eher dekadenten und selbstgefälligen Rangkor den Rang abgelaufen. Abgesandte eines ehemaligen Senators, den Straner und die Leser in „Bran“ als ambivalente Persönlichkeit kennengelernt haben, machen ihm ein Angebot. Sie bringen die Familie seiner Frau von Zhid weg, wenn er wieder für sie dort spioniert und vielleicht sogar versucht, in die Nähe von Kundali zu kommen.

Zu Beginn reißt wie schon angedeutet Matthias Falke einige aktuelle Themen an. Zhid ist eine Welt, die bislang ihre unglaublichen Menschenmassen – immerhin 800 Millionen Bewohner in der Hauptstadt und täglich werden dort mehr Menschen geboren als auf den anderen Welten sterben – nicht effektiv einsetzen konnte. Mit der Infantin verfügt diese orientalisch angelegte Welt plötzlich über einen gefährlichen Anführer, der dank der aus geheimnisvollen Quellen stammenden modernen Ausrüstung die Machtverhältnisse in der Region auf den Kopf stellen kann. Was auf der Erde vielleicht schwerlich verheimlicht werden kann, fällt durch die Entfernungen in den Tiefen des Alls weniger auf. Plötzlich nicht mehr gleichwertig, sondern auch aufgrund ihrer Menschenleben verachtenden Angriffsweise überlegen beginnen die Kräfte von Zhid insbesondere Rangkors Soldaten in Schwierigkeiten zu bringen. Die politische Aktualität wie auch die sozialen Widersprüche in einer im Grunde diktatorisch verwalten, aber auch phlegmatischen Gesellschaft arbeitet der Autor ausgesprochen gut heraus. Auch wenn Straner und seine dreidimensionale, sehr pragmatische Frau keine Fremden auf ihrer Heimatwelt sind, überrascht es sie, wie stark sich plötzlich der Planet verändert hat.  Bis zum Ende ihrer ersten Mission – sie werden gefangen genommen, bestechen eine Wache und kommen doch nach der Begegnung mit Kundali eher passiv frei – ist „Zhid“ ein ausgesprochen spannender, ambitioniert gestalteter Roman, der vor allem nicht nur in Straner die Frage hinterlässt, wie man dieser Gefahr überhaupt Herr werden kann. Auch die Machthaber auf Rangor haben lange die Aufholjagd ignoriert und sind jetzt überrascht, wie schnell sie ihre Pool Position im Grunde verloren haben.

Ab der Mitte des Plots greift wie schon erwähnt Matthias Falke zum Einen auf die Idee der gezielten Zeitreise als taktisches Mittel zurück, um aus potentiellen Konfrontationen nicht nur zu lernen, sondern beim zweiten Durchlauf pro aktiv agieren und nicht mehr nur reagieren zu können. Zusammen mit der technischen Aufrüstung der Streitkräfte Zhids – unabhängig von der Mannstärke – eine ultimative Waffe.  Auf der anderen Seite macht es sich Matthias Falke in dieser Hinsicht vielleicht auch zu einfach und verfällt in einige Handlungsmuster, die „Bran“ während der zweiten Hälfte so konstruiert erscheinen lassen. Mit der zweiten Reise – nur vordergründig unauffällig – von Straner und seiner Frau nach Zhid nimmt die Handlung zwar deutlich wieder an Fahrt auf, aber die Mechanismen des Plots inklusiv der Geiselnahme der Verwandten oder der Entführung des Sohns – er kann aber eine wichtige Nachricht hinterlassen – wirken nicht mehr so ambitioniert und vor allem nicht originell genug, um die Handlung wirklich überzeugend zu tragen.  Positiv wie ungewöhnlich ist, das Stranger nicht aktiv in das Geschehen eingreifen kann und das der Gegner auf jede seiner eher sich auf den privaten Bereich erstreckenden Aktionen eine Antwort hat. Das diese Gegner aber nur selbst Marionetten sind, die sich im wichtigen Moment erfolglos gegen ihre Meister wenden, ist eine Komponente, die gesprochen kompakt abgehandelt wird. Matthias Falke ist sich dabei allerdings nicht zu schade, bestehende Klischees aus dem ersten Buch in einer gänzlich anderen Form aufzulösen und vor allem auf der Antagonisten Seite die Grenzen zu verwischen, so dass auf den ersten Blick nicht mehr zu erkennen ist, ob der Weg es potentiellen Schurken wirklich der Richtige ist. Auf der anderen Seite ermöglicht es die Zeitmaschine, die entsprechenden Korrekturen in der Vergangenheit vorzunehmen und eine neue Achse zu etablieren.  „Zhid“ schließt ausgesprochen offen. Straner kehrt zwar zusammen mit seiner Frau in die Einsamkeit der Berge zurück, aber ob er dort lange in Frieden leben kann, nachdem zwar der Putsch auf Zhid beendet, im Cluster aber anscheinend ein anderer Mann parlamentarisch in Ordnung, aber auf einem zwiespältigen Weg die Macht übernommen hat, bleibt abzuwarten. Weiterhin kritisch gesprochen fragt sich wie am Ende des ersten Buches der Leser, ob erstens ein derartig mächtiger Unternehmer sich auf der einen Seite zurückzieht, um dann über Hintertüren und Verschwörungen wieder zu kommen und zweitens der direkte Weg mit dieser technischen Machtfülle nicht der Bessere gewesen wäre. Matthias Falkes „Zhid“ wirkt kritisch betrachtet noch stärker konstruiert als Andreas Suchaneks in dieser Hinsicht überlegene „Heliosphere 2265“ Serie, die offensiv der konstruierten Passagen begegnet und noch eine weitere fast paranoid zu betrachtende Handlungsebene einzieht, welche den komplizierten, aber nicht immer komplexen Verschwörungen eine neue, teilweise sogar sehr originelle Note gibt, die der erfahrene, zwischen die Zeilen schauende Leser leider bei „Zhid“ rückblickend unabhängig von der stilistisch ansprechend Gestaltung und vor allem im Vergleich zu „Bran“ deutlich ambitionierter und mehr dreidimensionalen Gestaltung der Protagonisten vermisst.           

 

Atlantis Verlag

Titelbild: Timo Kümmel
A5 Paperback. ca. 380 Seiten,
ISBN 978-3-86402-241-8.