Der Abgrund jenseits der Träume

Peter F. Hamilton, Der Abgrund jenseits der Träume, Rezension, Thomas Harbach
Peter F. Hamilton

Mit dem ersten Band der Faller Duologie hat Peter F. Hamilton in Deutschland den Verlag gewechselt. Von Bastei zur neuen Science Fiction Reihe im Hause Piper.  Obwohl Neueinsteiger nach kurzer Zeit in das „Commonwealth“ Universum von Peter F. Hamilton einstecken können, empfiehlt es sich, zumindest mit der letzten Trilogie um das dunkle Universum („The Void“ ) zu beginnen, obwohl der Prolog des vorliegenden Buches erst die Ereignisse in dieser Trilogie in Gang setzt.. Der Bastei Verlag hat die Romane zwar aufgespalten, aber im englischen Original ist es „nur“ eine Trilogie.  „Das dunkle Universum“ beleuchtet intensiv einen wichtigen Punkt in der „Commonwealth“ Trilogie, während „Der Abgrund jenseits der Träume“ sich dem Void aus zwei interessanten Perspektiven nähert.

Da wäre zuerst der lange Prolog mit einem Raumschiff, das quasi in dieser Leere gefangen ist.  Man beschließt, die gestrandete Flotte aufzuteilen. Ein Teil wird wie angesprochen in der „Void“ Trilogie behandelt, während der Leser im ersten der beiden Bücher dem Raumschiff zu einer Welt folgt, die später als Bienvenido bekannt wird. Die Urängste der überforderten Besatzung, ihre verzweifelten Bemühen, in dieser Leere ihren Platz zu finden beschreibt der Autor intensiv und vor allem überzeugend.

Auf der anderen Seite hat der Autor seinen Plot quasi auf sieben Geschichten / Handlungsebenen aufgeteilt. Er verlangt nicht nur Geduld vom Leser, der Aufbau der markanten Spannungsbögen – einem wird quasi mittels einer Zeitangabe Spannung erzeugt, die zweite Ebene beschäftigt sich mit den Träumen – erscheint absichtlich phlegmatisch. Es wirkt herausfordernd, vor der eigentlichen Geschichte sehr viele Informationen zu präsentieren. Auf der anderen Seite ist Hamilton einer der Autoren, der mehr in seinen Epen als seinen eigenständigeren kürzeren Romanen Wert darauf legt, dass der Leser indirekt auf dieses vielschichtige Universum vorbereitet erscheint und vor allem selten diese Informationen gänzlich ins Leere schießen. Nicht umsonst tritt der Autor mit Beginn des zweiten internen Buches zurück und fängt an, die Geschichte von Bienvenido, den Fallers und schließlich auch der großen Leere erneut von Beginn an sehr viel intensiver als in den vorangegangenen Büchern angedeutet zu erzählen. Die wenigen Überschneidungen mit seinen bisherigen „Commonwealth“ Arbeiten verdichten eher den Eindruck eines komplexen, sicherlich auch komplizierten Kosmos als das sie als blanke Wiederholungen erscheinen könnten.  

 Für den Leser wird vieles auch zugänglicher, da die Geschichte zwar auf der einen Seite in der fernen Zukunft spielt, auf der anderen Seite aber diese Welt innerhalb der Leere durch eine eingeschränkte Nutzung der Technik zugänglicher erscheint. Iain Banks hat es in einem seiner „Culture“ Romane mit einem Hardboiled Krimi und indirekt auch einer Zeitreise versucht. Da Hamilton die unwirtlichen Bedingungen in der Leere selbst erschaffen hat, braucht er auf diese Kniffe nicht ausweichen. Auf Bienvenido ist weiterhin die Eisenbahn die schnellste Methode, um zu reisen. Es ist eine industrielle Welt des späten 19th und frühen 20th Jahrhunderts ohne die beiden Weltkriege. Die Industrie dominiert und die sozialen Schichten erscheinen klar definiert. Ganz bewusst weicht Hamilton von der Kultur ab, welcher der Leser in der „Das dunkle Universum“ Trilogie vorgefunden hat. In einem Punkt ähneln sich aber diese Gruppen wieder. Die Menschen verfügen nicht nur über telekinetische Fähigkeiten, sondern sind auch telepathisch begabt. Insbesondere letztere Gabe könnte zu einer grundsätzlich Veränderung der sozialen Strukturen führen, aber Hamilton bewegt sich in dieser Hinsicht vielleicht ein wenig zu sehr an der Oberfläche. In dieser Hinsicht wünscht man sich einige sozialkritische Passagen in der Tradition von Robert Silverbergs „Der Seher“, der sich intensiv mit diesen verschobenen Aspekten geschützter Persönlichkeiten in einer zumindest latent telepathischen Gesellschaft – exemplarisch am Protagonisten exerziert – auseinander gesetzt hat. Hamilton geht es aber um große Ziele. Dazu dient Nigel Sheldon, einer der schon bekannten Protagonisten. Durch Inigos Träume, aus denen hervor geht, dass es im Void Leben gibt, schicken die Raiel Shelden aus, um dieses Phänomen zu untersuchen. Nigel Sheldon will die Leere aus sich heraus zerstören, während die Raiel im Grunde neugierig sind. Nicht allmächtig landet Sheldon mit Bienvenido auf der falschen Welt. Es besteht keine Möglichkeit, den Planeten wieder umgehend zu verlassen. Anfänglich verzweifelt findet Nigel Sheldon mit den Faltern einen indirekten Verbündeten, der ihm seinem ursprünglichen Ziel  - der Zerstörung der Leere, wobei das fast symbolisch zu sehen ist – wieder näher bringt.

 Hamilton hat im Verlaufe seiner langen Karriere immer wieder starke Charaktere entwickelt. Sheldon gehört ohne Frage dazu. In diesem Buch kommt mit dem Soldaten Slvasta noch eine vielschichtige Persönlichkeit hinzu. Um ihn zu verstehen, müssen auch die Falter betrachtet werden.  Es wirkt zwar ein wenig bizarr, wenn ihre Eier aus der Umlaufbahn auf die Erde fallen und diese Wesen ihre Opfer nicht nur absorbieren, sondern auch nachahmen können. Dabei handelt es sich vor allem in der Science Fiction um keine neue Idee. Vor allem Hal Clement hat in seinen beiden „Nadel“ Romanen bewiesen, wie man mit dieser Thematik vielschichtig und spannend zu gleich umgehen kann. Slvasta will die Faller ausrotten, wie Sheldon die Leere zerstören möchte. Beide empfinden persönliche Verluste, wobei die Reaktionen Slvastas aufgrund des Verlusts seiner Hand ein wenig zu übertrieben erscheinen.   Es ist aber nicht der einzige Aspekt, mit dem Hamilton seine Leser provoziert. Sheldons Absichten müssten eigentlich von Beginn an ad absurdum geführt sein, weil in der später spielenden „Das dunkle Universum“ Trilogie diese Leere noch existiert und es in allen anderen „Commonwealth“ Bänden keinen Hinweis gibt, dass Sheldon erfolgreich gewesen ist. Es scheint fast so, als wenn der Autor absichtlich mit der Erwartungshaltung der Leser spielt, denn ein Scheitern ist bei Sheldon nicht vorgesehen und das sehr offene Ende des vorliegenden Romans ist eher eine Überraschung für die Leser als den Protagonisten. Auf der anderen Seite muss sich Hamilton auch der Herausforderung stellen, diesen Exzess wieder logisch in sein Universum zurückzuführen.  Nichts wäre schlimmer, als wenn sich diese Duologie als sinnfrei in Hinblick auf das ganze „Commonwealth“ Universum herausstellen sollte. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber der Leser muss sich immer vor Augen halten, das rückblickend die grundlegende Mission, nämlich die Leere zu zerstören und weniger das entstandene Lesen zu beobachten in dieser Zeitlinie nicht erfolgreich sein kann.

So überzeugt trotz der kritischen Distanz aufgrund der beschriebenen Ereignisse im historischen Kontext der erste Teil dieser Duologie vor allem durch das für Hamilton so typische Entwickeln einer menschlichen Kultur in einer engen Koexistenz mit dem „Fremden“ sowie einer ausreichenden Anzahl von sehr gut geschriebenen Actionszenen. Die Mischung aus Technik und „Magie“ dank der übernatürlichen Fähigkeiten funktioniert über weite Strecken sehr gut, während die Idee eines unterschiedlichen Zeitablaufes innerhalb und außerhalb der Leere eher ein Mittel zum Zweck ist, um oberflächlich unnötige Spannung zu erzeugen, da dieses Werkzeug nur mittelbar eingesetzt wird. Es wird viel darüber gesprochen, aber anscheinend sind die Auswirkungen eines sechsfach schnelleren Zeitablaufs zu wenig durchdacht, um in der vorliegenden Konstellation – nur Sheldon wäre als relativ Unsterblicher davon betroffen – Nachklang zu bewirken. Alleine der herausfordernde, aber abschließend durch das offene Ende und die verschiedenen Implikationen hinsichtlich der ganzen Serie nur vorerst befriedigende Aufbau dieses epischen Romans macht sehr aber viel Spaß, mit Hamilton wieder in sein inzwischen unglaublich vielschichtiges Commonwealth Universum einzutauchen.     

    

Piper Verlag

Übersetzt von: Wolfgang Thon
816 Seiten, Klappenbroschur
Die Chronik der Faller 1
ISBN: 978-3-492-70391-8