Loke Klingsor- Der Mann mit den Teufelsaugen Band 1

Loke Klingsor- Der Mann mit den Teufelsaugen, Band 1, Titelbild, Rezension
Robert Kraft

Der Verlag „Dieter von Reeken“ legt mit „Loke Klingsor- der Mann mit den Teufelsaugen“ den zweiten Robert Kraft Roman vor, der posthum von Johannes Jühling bearbeitet und veröffentlicht worden ist. Schon während des Ersten Weltkriegs veröffentlichte Jühling mit „Untersee- Teufel“ den ersten von ihm abgeschlossenen Roman des populären Kolportage Autoren Robert Kraft.

 „Loke Klingsor“ erschien erst elf Jahre nach Robert Krafts Tod zwischen 1927 und 1928. Es lässt sich heute nicht mehr bis auf das geschätzte Viertel feststellen, welche Passagen wirklich von Robert Kraft und welche von Jühling stammen, aber angesichts der mehr und mehr beginnenden Paranoia in der Weimarer Republik unter anderem auch mit dem Aufkommen von „Dr. Mabuse“ wirkt der Lieferungsroman ein wenig zeitgeisttechnisch konträr. Wie Heinz J. Galle in seinem ausführlichen, sehr interessanten Nachwort ausführt, ist aber „Loke Klingsor“ beginnend mit dem dominanten und doch irgendwie auch zu menschlichen Antagonisten ein deutlich vielschichtigerer, ambitionierterer Romans als es auf dem ersten Blick scheint. Auch wenn in späteren Lieferungen ganze Passagen aus Arthur Conan Doyles „Die verschollene Welt“ entnommen worden sind, erinnert vieles in diesen ersten Lieferungen 1 bis 15 an typische Robert Kraft Abenteuer. Da wäre der Hinweis auf die auch in „Atalanta“ fast allgegenwärtige Camera Obscura, deren magische Wirkung durch die Fähigkeit Loke Klingsors ergänzt wird, quasi auch aus einem Bilderrahmen zu steigen und damit seine Gegenüber zu verblüffen. Ob es alleine obskure hypnotische Kräfte sind, bleibt offen. Auch sind es nicht selten Teams, die aus beiden Geschlechtern bestehen. Wie wandelbar seine Frauengestalten sind, zeigt die berühmte Opernsängerin, die sich auch in einem Wildlederkostüm auf der Pirsch wohlfühlt. Auch typisch für Robert Kraft sind die Hinweise auf seine Seefahrererfahrung, beginnend mit der Episode in Hamburg und endend mit diversen fast eindimensional klischeehaft dargestellten Seebären. Paul Alfred Müller hat später nicht nur aus „Atalanta“ die Idee übernommen, seine Protagonisten über die ganze Erde zu hetzen. Noch mehr als in der parallel im gleichen Verlag erscheinenden „Atalanta“ Veröffentlichung finden sich hier eine Reihe von markanten geographischen Punkten wie Rapa Nui oder die Weiten Australiens, die Sahara sowie die Tiefe des Ozeans. Heinz J. Galle weist darauf hin, dass Zeit und Raum in diesem Robert Kraft Abenteuer noch mehr Bedeutung haben als in manch anderen Werken. Das ist bedingt richtig, zumal Robert Kraft ganz geschickt von Beginn mit der Erwartungshaltung des Lesers spielt.
Der Roman beginnt mit einer absurden Aufgabe. Ein gerade von einer gefährlichen Mission zurück gekommener Abenteurer soll Loke Klingsor in seinem Versteck in Asien finden, die sieben Runen als Schlüssel zu einem der größten Geheimnisse der Welt von seinem Rücken abschreiben und gegen die Zahlung von einer Millionen an den reichen, wie exzentrischen Auftraggeber geben. Was in vielen Abenteuerromanen wie eine Mission auf Leben und Tod erscheint, wird schnell relativiert. So erhält er eine attraktive weibliche Begleitung und der Auftraggeber nimmt an, dass Loke Klingsor sein Geheimnis nicht mit Gewalt verteidigen wird. Auch die Ermordung des geheimnisvollen Mannes kommt nicht in Frage. Mit diesen einfachen Hinweisen relativiert Robert Kraft anfänglich die Bedrohung, zumal er im nächsten Augenblick wieder „Mabuse“ vergleichbare Anspielungen einbaut. Trotzdem wirkt „Loke Klingsor“ trotz des an den Plot von „Das zweite Gesicht oder die Verfolgung um die Erde“ erinnernden erstaunlich originell. Wie ein Fächer explodiert förmlich die Handlung, in dem auf der einen Seite teilweise befremdlich die Vergangenheit Loke Klingors mit einer Mischung aus kindlicher Naivität und trotziger Bedrohlichkeit in erstaunlich beschaulichen Rahmen extrapoliert, auf der anderen Seite die Bemühungen der einzelnen Gruppen beschrieben werdfen, irgendwie zum fiktiven Rom in Form der Runen auf Klingsors Rücken zu kommen.
Vor allem dieser Loke Klingsor wird erstaunlich vielschichtig inklusiv Familienabstammung gleich zu Beginn des Buches ausführlich beschrieben. Das bezeichnende Titelbild mit dem Titelantihelden, seiner Golemkatze auf der Schulter und den markanten Augen zieht sich wie ein roter Faden durch die ersten hier zusammengefassten Lieferungen. Von der Herkunft her ein klassischer Multikultieuropäer vor allem mit Wurzeln wahrscheinlich indirekt selbst in den nordischen Mythologien, der exotisch in einem Derwischkloster erzogen worden ist. Dort soll er auch leben, wobei verschiedenen Handlungsbögen eine wahrlich globale Persönlichkeit suggerieren, die zeitlos von New York nach Sidney eilen kann, um Gesprächspartner zu treffen. Da Robert Kraft gerne und interessant die Perspektive wechselt, wird der Leser später auch direkt aus Loke Klingsors Sicht einige Passagen verfolgen können. Wie Mabuse nutzt er seine Fähigkeiten aktiv. Entgegen dem Superhirn und den von Heinz J. Galle angesprochenen Superverbrechern bleibt Klingsor aber bescheiden. Keine Weltherrschaft, in erster Linie gut abgestimmte Reaktionen auf die einzelnen Bedrohungen, wobei es ihm auch egal erscheint, dass sein Runengeheimnis auf dem Rücken abgeschrieben werden könnte. Diese Ambivalenz wirkt in der zweiten Hälfte ein wenig kontraproduktiv und nimmt dem in dieser Hinsicht ohne Frage ungewöhnlichen Robert Kraft Roman ein wenig die Balance.
Auf der anderen Seite spielen die Handlanger beginnend mit dem Abenteurer James O'Donnell eine wichtige Rolle. Er ist die erste echte Identifikationsfigur des Lesers. Er hat seinen Freund bei der letzten Expedition verloren – die Begegnung mit seiner Ruhestätte ist einer der ergreifenden Punkte dieses Buches – und übernimmt opportunistisch diesen Auftrag. Die schöne Frau an seiner Seite trägt einige Züge von Atalanta. An einer anderen Stelle wird der Leser die leidende Frau eines selbstständig agierenden Tiefseetauchers kennenlernen, die in ihrer pragmatischen Art andere Züge von Robert Krafts Figuren auf sich vereint. Sie dienen aber nicht nur als Staffage, sondern seine Frauen „arbeiten“ teilweise hart mit. Immer wieder gibt es zwar Exkurse hinsichtlich einer potentiellen Zukunft ohne Kirche, aber zumindest in der Küche und mit Kindern, aber als Persönlichkeiten betrachtet erscheinen seine Frauen vor allem im Vergleich zu seinem großen Rivalen Karl May und dessen Frauenbild ausgesprochen modern und nicht aus dem Preußen vor dem Ersten Weltkrieg stammend.
Aber auch die Reise um die Erde scheint in mystische Bereiche wie die Skalden abzudriften, in denen aus einer anderen Welt immer wieder für die gigantischen Konflikte – sie erinnern an eine Variation des trojanischen Krieges – Menschen angeworben werden. Kritisch gesprochen könnte allerdings Jühling inzwischen auch die Idee der Mars und Venus Romane Burroughs übernommen haben, deren Ausgangspunkt ja auch das Verschwinden des jeweiligen Helden von der Erde und sein Auftauchen in einer archaischen Welt mit endlosen Konflikten ist. Befremdlich dagegen und der bisherigen Entstehungszeit zwischen 1915 und 1916 widersprechend ist die Auseinandersetzung mit der Idee des Golems. Robert Kraft und Jühling holen hier sehr weit aus, um die Legende mit Leben zu erfüllen. Gustav Meyrinks Roman ist zu diesem Zeitpunkt schon zwei/ drei Jahre nach der Zeitschriftenvorveröffentlichung auf dem Markt und der/ die Autor(en) geben sich bei Loke Klingsor alle Mühe, diese Idee des Beschützers der Juden mit keiner Silbe zu erwähnen. Dass aber bis auf Loke Klingsor keiner der Charaktere einen Golem kennt und vor allem trotz der deutschen Wurzeln nicht weiß, wie man mit dem rohen Ei – die Geburtsmasse des Golems als interessante Variation – umzugehen weiß, erscheint befremdlich.
Zusammengefasst ist vor allem durch die Kooperation zwischen Jühling und Robert Kraft posthum ein interessanter Roman entstanden. Es sind zahlreiche Ideen aus seinen bisherigen Werken positiv verändert eingeflossen. Die zahlreichen Schauplätze , die vielen Charaktere, die Sprünge zwischen den einzelnen noch zusammenzuführenden Handlungsebenen und die Exkurse aus klassischer, vielleicht ein wenig klischeehafter Abenteuerliteratur in diesen mystischen, okkulten Zwischenweltbereich müssen mit den folgenden Lieferungen noch geordnet werden. Die ersten fünfzehn Lieferungen in diesem schön zusammengestellten und reichhaltig illustrierten Band öffnen wie immer bei Robert Kraft sehr unterhaltsam, aber auch ein wenig belehrend das Tor zu dieser phantastischen, überraschenden Geschichte.

Verlag Dieter von Reeken

Neusatz-Neuausgabe des 1927 in 60 Lieferungen zu je 64 Seiten (= 3.840 Seiten) erschienenen illustrierten Lieferungsromans in 4 Bänden, verfasst von Robert Kraft und bearbeitet und beendet von Johannes Jühling
Hardcover
(laminierter Pappband, gerundeter Rücken, Lesebändchen), je Band ca. 590 Seiten, ca. 60–80 Abbildungen.