Babylon

Babylon, Thomas Thiemeyer, Titelbild
Thomas Thiemeyer

Thomas Thiemeyers neuer Hannah Peters archäologischer Thriller ist lange Zeit ein sehr unterhaltsamer Roman, der am Ende der Reise die Bodenhaftung verliert und neue eher phantastische Ideen einführt. Die bisherigen Bände selbst mit dem eher ambivalenten letzten „Walhalla“ Epos haben neben faszinierenden Orten und sehr gut recherchierten Rückblicken vor allem nachvollziehbare, durchaus realistische Auflösungen präsentiert. Mit „Babylon“ liefert der Autor auf der einen Seite eine interessante Erklärung für Gottes Turm und schimpft vor allem die religiösen Eiferer auf beiden Seiten als Narren, aber die tiefer gehenden Hintergründe wirken auf  der anderen Seite nicht nur nicht befriedigend, sondern rücken die Serie zu nahe an den vierten Teil der „Indiana Jones“ Serie heran. Hinzu kommt, dass der Autor noch eine zweite phantastische Note einfügt, die es ihm aufgrund des offenen Endes im Grunde verbietet, die Hannah Peters Romane fortzusetzen. Überambitioniert und ohne Not wird „Babylon“ mit dem ersten Hannah Peters Abenteuer verbunden und der Kreis geschlossen. Auf der einen Seite könnte Thomas Thiemeyer damit seine bisherigen Romane negieren und die Handlung gänzlich in eine neue Richtung treiben, auf der anderen Seite werden neben der Geburt der eigenen Tochter Facetten der Persönlichkeit der Archäologin negiert, so dass am Ende zu viele Fragezeichen übrig bleiben. Es ist schade, dass der Autor vor allem angesichts der Grundidee des Turms zu Babylon, die aktueller denn je in dem vom Krieg und Terror zerrütteten Land ist, ihm keine andere Auflösung des Plots eingefallen hat. 

 Die Archäologin ist wieder im Auftrag des inzwischen sterbenskranken Milliardärs Stromberg zusammen mit ihrer vierjährigen Tochter in einem Gebiet unterwegs, in dem nicht nur die Bürgerkrieg sowie der Kampf gegen den IS tobt, sondern vor allem unnatürliche Phänomene auf einen Schlag wie ein EMP Impuls alle elektronischen Geräte ausschalten können. In anderen Gegenden der Erde mit einer wenn auch natürlich hoch begabten vierjährigen Tochter sich durch die Gefahren zu schlagen, ist für den Leser noch nachvollziehbar, in einer extremen Kriegszone dagegen nicht mehr. Vor allem wenn sich sehr schnell herausstellt, dass die junge Peters nicht nur über eine extreme Auffassungsgabe, sondern anscheinend noch weitere Fähigkeiten verfügt.  Das wirkt zu stark konstruiert und wie im letzten Band der Serie verlässt Thomas Thiemeyer unnötig den realistischen Hintergrund der Serie und versucht einen familiären Elfenbeinturm aufzubauen, den er als Autor seiner Thriller im Grunde nicht nötig hat. Auch wirken andere Nebenfiguren wie die amerikanische Journalisten, die es anscheinend in ihren Träumen lieber „hart“ mag, eher eindimensional gezeichnet. Auf der anderen Seite ist sich Thomas Thiemeyer durchaus nicht zu schade, typische Antagonisten wie die IS Kämpfer – ehemalige Spezialeinheiten, die von den Amerikaner unter Hussein ausgebildet worden sind- oder falsche Priester als Opportunisten der gefährlichen intelligenten Art zu entlarven, die das Machtvakuum mit eigenen Gelüsten auszufüllen und sich eher als Nachfolger der abgesetzten Diktatoren sehen, deren Paradies die Hölle auf Erden ist. Dabei geht der Autor nicht unbedingt belehrend, sondern geschickt extrapolierend vor.

Der geschichtliche Aspekt des Buches ist faszinierend. Der Turm von Babylon ist gefunden worden. Aber nicht als ein Bauwerk, das in den Himmel reicht, sondern anscheinend neun Stockwerke unter die Erde gebaut worden ist. Zusätzlich ist es einem dunklen Gott gewidmet worden.  Diese Informationen werden über weite Strecken in erster Linie in den Nebenhandlungen aufgerollt. Höhepunkt ist ein Tauchgang zu einem der größten untergegangenen Schiffe der Antike, an Bord dessen ein Schlüssel zu diesem Bauwerk gefunden wird. Da der krebskranke Milliardär Stromberg alle Fäden in der Hand hält, kann er die Bedeutung dieses Fundes einschätzen. Während Hannah Peters Freund im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris nicht weit von der Kampfzone entfernt nach der Position des Turms von Babylon sucht, wird der Schlüssel mit Hannah Peters als Zeugin gehoben. Die verschiedenen Handlungsebenen werden anschließend sehr rasant und actionreich zusammengeführt, bevor der eigentliche Plot wie eingangs erwähnt mit ohne Frage phantastischen Elementen leider wieder auseinanderfällt.  Um die Spannungsschraube deutlich aufzudrehen, kommt es durch den Ausfall aller elektronischer Geräte zu einigen Zwischenfällen. Was zu Beginn der Journalisten und ihren Soldaten passiert, entwickelt sich später zu einer Katastrophe, wenn ausgerechnet über Mossul mehrere amerikanische Kampfjets abstürzen und ihre neuartigen Hydrobomben explodieren. Tausende von Toten sind der Fall. Das ohne hin schon vergiftete politische Klima wird noch schwieriger und Thomas Thiemeyer weist immer wieder auf die politischen Folgen hin, ohne diese im Verlaufe der finalen Konfrontation weiter zu extrapolieren. Der Autor verliert diese interessante wie brutale Grundidee im Zuge des Buches dann aus den Augen. In erster Linie scheint er diesen Ansatz gewählt zu haben, um amerikanische Truppen in die Nähe der geheimnisvollen Quelle zu bringen, die naiv und blind dann von ebenfalls einem zufällig aufgefangenen Funkspruch folgenden Kämpfern des IS mit bekannten Charakteren nieder gemacht werden. Dieser Ansatz dient in erster Linie dazu, um die Helden unter der Erde einzuschließen und ihnen einen Weg zum Ziel zu öffnen. Es ist schade, dass auf der einen Seite Thomas Thiemeyer vor allem im Rahmen eines zur Unterhaltung geschriebenen Thrillers zeitnahe wie  relevante Themen anspricht, um sie dann quasi im Raum stehen zu lassen. Dabei hat der Autor auf dem Weg dahin sogar den Mut, die Wurzeln des IS und des Terrors nicht bei den bekannten Schuldigen zu suchen, sondern beginnend mit Kissinger das Interesse der Großmächte an einer unruhigen Situation um die wichtigsten Ölquellen herum zu betonen. Ein Interesse, das erstaunlicherweise die Diktatur in Saudi Arabien toleriert. Thiemeyer taucht weit in die neuere Geschichte mit dem ersten Iran/ Irak Krieg sowie dem angeblichen Verrat der Amerikaner ein. Dabei argumentiert der Autor relativ neutral und verteilt die Schuld gleichmäßig. Es sind diese Passagen, in denen „Babylon“ überzeugt und wenn auch politisch oberflächlich die einem gordischen Knoten entsprechende Situation im Zweistromland und seinen Nachbarn mittels Zeitraffer zusammengefasst wird.               

  Hinzu kommt, dass Thomas Thiemeyer immer wieder deutlich macht, dass er fremde Kulturen und vor allem exotische Regionen mit nicht nur sehr viel Liebe zum Detail weit abseits der Karl May Romantik beschreiben kann. Die Funde der Vergangenheit und die unwirtlichen Gegenden der Gegenwart gehören dabei untrennbar voneinander zusammen und bilden einen exotischen wie faszinierenden Hintergrund, vor dem der Autor immer wieder eine rasante, von einigen Actionszenen getriebene Handlung abspielen lässt. Erstaunlich, vielleicht sogar ein wenig enttäuschend ist, dass der Autor bekannte und beliebte Figuren wie den Milliardär Stromberg oder gar die Archäologin Hannah Peters über weite Strecken des Buches im Hintergrund hält, um sie dann an den relevanten Stellen nicht  an die passenden Positionen zu schieben, sondern eher die nicht immer glaubwürdigen Auflösungen anderen Personen überlässt. Natürlich ist Hannah Peters durch ihre negativen schockierenden Erlebnisse im letzten Abenteuer gezeichnet und positiv greift Thomas Thiemeyer immer wieder mittels Anspielungen auf „Walhalla“ zurück, aber als Ganzes betrachtet leidet der vorliegende Roman unter der Zeichnung der Hauptcharaktere, während die Nebenfiguren dreidimensionaler und reibungstechnisch provokanter gezeichnet worden sind. Über weite Strecken verleiht „Babylon“ dem zugrundeliegenden Mythos neue Aspekte, um dann leider in letzter Sekunde mittels einer eher konstruierten Auflösung sehr stark an Reiz zu verlieren.     

 

Knaur Verlag

Klappenbroschur, Knaur HC
528 S.

ISBN: 978-3-426-65363-0

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