Deadly Beloved

Max Allan Collins

Max Allan Collins spricht in seinem Nachwort zu "Deadly Beloved" die wechselhafte, aber inzwischen mehr als fünfzig Comichefte umfassende Geschichte der Ms. Tree an. Zusammen mit Terry Beatty erschuf der amerikanische Krimiautor eine Art weiblichen "Dick Tracy", wobei er sich stetig bemüht hat, die Antagonisten auf einem realistischen Niveau zu halten, während Collins in der zu dieser Zeit ebenfalls von ihm verfassten Comicreihe eine Reihe grotesker Figuren einführte. Bislang - dieser erste Ms. Tree Roman ist ebenfalls schon sechs Jahre alt -  erfüllte sich aber ein Wunsch Max Allan Collins noch nicht- der Sprung auf die kleine oder große Leinwand. "Deadly Beloved" ist daher eine interessante Variation der ersten Ms. Tree Geschichte, welche die Hintergründe dieser Figur ein wenig aufhellen soll, während auf der anderen Seite ein spannender Kriminalfall erzählt wird. Aus den Comics hat Collins im Grunde nur eine kontinuierliche Idee übernommen. Ms. Trees Mann - ein Polizist, der sich selbstständig mit einer Detektei gemacht hat - wird in der Hochzeitsnacht erschossen und seine Frau übernimmt das Büro entgegen der Wünsche eines alten Freundes.

Anstatt die Geschichte chronologisch zu erzählen, greift Collins auf eine lesenswerte Variante von Rückblenden zurück. Ms. Tree besucht einen Psychiater und berichtet ihm von einem schwierigen, im Grunde aussichtslosen Fall. Im Verlaufe des kurzweilig zu lesenden Romans fließen anschließend Vergangenheit - ein Teil der Handlung spielt etwa eineinhalb Jahre vor der "Gegenwart", ein anderer nicht ungewichtiger Teil nur eine Woche vor dieser letzten Sitzung - und Gegenwart ein wenig zu stark konstruiert und am Ende nach dem Prinzip Hoffnung gestaltet zusammen. Es wirkt unwahrscheinlich, dass ein derartig intelligenter wie perfider Auftragsmörder sich von Ms. Tree vorführen lässt, ohne das es für den Leser einen entsprechenden Hinweis gibt. Jeder Hinweis hätte vielleicht die Spannung untergraben und des zumindest teilweise überraschende Endes unterminiert, aber die Aktionen und Reaktionen erscheinen nicht immer natürlich. Auf der anderen Seite kann der geschulte Psychiater relativ schnell erkennen, in welche Richtung sie ihr Spiel. Dass er keine weiteren Sicherungen eingebaut hat, erscheint unwahrscheinlich. Dazu ist die Materie erstens zu komplex und zweitens basiert sie auf einer Reihe von Zufällen, die spannungstechnisch allerdings Alfred Hitchcock das Wasser gereicht hätten.

Ms. Tree wird von ihrem Freund und Anwalt gebeten, einen einwandfreien Mord noch einmal zu untersuchen. Die gehörnte Frau eines Steuerbüros hat ihren Mann und eine Prostituierte im Bett eines Hotelzimmers erschossen. Die Frau selbst ist seit vielen Jahren geisteskrank, ihr Zustand wurde aber als stabil angesehen. Ms. Tree und ihr Anwalt vermuten, dass sie Opfer eines "Planers" geworden ist, der bestimmte Opfer im Auftrag der örtlichen, nur vordergründig ehrlich gewordenen zweiten Mafiageneration beseitigt. Ob es wirklich realistisch gewesen wäre, den vagen Hinweisen zu folgen und eine Manipulation der Kranken anzunehmen, bleibt außen vor. Auch wird der Bogenschlag zu einigen anderen Verbrechen zu schnell vollendet. Immerhin konnte selbst die damals ermittelnden Beamten keine Spuren eines im Hintergrund agierenden Planers erkennen. Das plötzlich auch der Mord an ihrem Mann zu einem Teil eines von langer Hand vorbereiteten Plans gehören könnte, wird von Max Allan Collins in der Mitte des Plots in die Handlung integriert. Auch hier wirken die Bezüge – die Rachegeschichte ist nur eine Cliffhanger – ein wenig vage, da die Verbindung zwischen den Hintermännern, den Tätern und Mr. Tree durch die Selbstständigkeit eigentlich gekappt sein sollten und es falltechnisch auch keine aktuellen Bezüge gegeben hat. Aber als Teil eines absichtlich komplex, vielleicht zu komplex angelegten Romans sind diese Konstruktionen noch akzeptabel.  

Ms. Tree in der Charakterisierung Max Allan Collins war niemals eine nur herzensgute liebevolle Ehefrau gewesen. Von Beginn der Comicserie an hat er sie auch als äußerlich teilweise gefühlskalt, intelligent und konsequent, zynisch komisch, aber konsequent und im Notfall auch brutal beschrieben. Sie benimmt sich unweiblich - da fliegen die Stöckelschuhe in die Ecke, wenn ein flüchtender Tatverdächtiger die Feuertreppe hinauf gejagt wird - und sexuell offensiv - sie hat ein Verhältnis mit einem deutlich älteren Kollegen ein knappes Jahr nach dem Tod ihres Mannes, das drastisch endet - zugleich. Sie kann Schläge einstecken wie ein Mann und mit weiblichen Waffen auch irritieren. Über insgesamt fünfzig Hefte haben Collins und Beatty einen abgerundeten Charakter erschaffen, dessen Ecken und Kanten einen guten Kontrast zu anderen Macho- Überdetektiven wie Mike Hammer und den schon angesprochenen Dick Tracy bildet.  Auf diesen Hintergrund greift Collins im Verlaufe des Romans zurück und präsentiert ungewöhnlich für einen leider nicht realisierten Serienauftakt eine gereifte Persönlichkeit im Mittelpunkt der Handlung und sehr viele durch die Comics vertraute Nebenfiguren. Von der emotionalen Ebene her übernimmt der Autor die Stärken seiner Arbeiten mit Terry Beatty.

Handlungstechnisch überzeugt "Deadly Beloved" wie schon angesprochen nicht gänzlich. Viele Ermittlungen gehen zu stringent voran. Die Informationen werden ohne Erklärungen fast auf dem Silbertablett präsentiert und die einzelnen Verbindungen zwischen den Fällen rückblickend zu schnell ermittelt. Auf der anderen Seite weißt Max Allan Collins überzeugend nach, das der erste Eindruck manchmal täuschen kann. Es ist erstaunlich, welche Schwierigkeiten und "Längen" der Attentäter in Kauf nimmt, um ein perfektes Verbrechen inklusiv des Täters zu inszenieren. Während der Leser noch indirekt nachvollziehen kann, warum Mr. Tree auf einer potentiellen Opferliste stehen könnte und warum andere erfahrene "Freunde" ungewöhnliche Wege gehen, um Ms. Tree zu schützen, wird die Verbindung zwischen der Mafia und dem ersten mit einer ebenfalls zum Opfer gemachten Prostituierten Ermordeten eher impliziert. Der Leser hat den Eindruck, als habe Max Allan Collins entweder ein wenig das Interesse verloren, die nur auf den ersten Blick nebensächlichen roten Fäden abschließend in die komplexe Handlung zu integrieren, oder sie erschienen ihm nicht mehr wichtig. So erringt Ms. Tree am Ende des Romans auch nur einen Teilsieg während des dramatischen Showdowns. Der großen Hinterfrauen bleiben unbehelligt. Für den Pilotfilm einer möglichen Fernsehserie ohne Frage eine interessante Extrapolation, für einen alleinstehenden Roman zu wenig.

Zu den Stärken gehört ohne Frage Max Allan Collins nur vordergründig leicht zynischer Stil. Ms. Trees pointierte und auf den Punkt zutreffende Dialoge bilden einen guten Kontrast zu der realistischen Kulisse. Als Charakter geht sie selbstkritisch mit sich selbst um. Sie will weniger Mitleid als Fairness. So geht sie auch mit ihren Feinden um, wobei Collins sich zu wenig Mühe gibt, diese bis auf die Mafiachefin wirklich nachhaltig zu charakterisieren.

Zusammengefasst ist "Deadly Beloved" über weite Strecken wie von Max Allan Collins im Nachwort angekündigt  ein Roman, der Ms. Tree neue Anhänger zuführen soll. Für die Hard Case Crime" Reihe ist diese Figur wie erschaffen. Langjährige Comicfans müssen sich an eine "neue" Vergangenheit gewöhnen, die Collins allerdings den Originalen gegenüber relativ fair entwickelt hat. Die Grundfakten sind nicht verändert worden. Viel mehr hat der Amerikaner rückwirkend für einige auf den ersten Blick wie Machogehabe wirkende Handlungen Erklärungen gesucht und sie teilweise überzeugend auch gefunden. Das Gesamtwerk betrachtend hat Collins seinen Kosmos nicht nur teilweise "neu" aufgestellt, sondern vor allem erweitert. In diesen Punkten wird der ansonsten trotz der angesprochenen Schwächen nicht schlecht geschriebene konzeptionell rückblickend doch geradlinige Krimi Collins langjährige Anhänger zufriedenstellen. Ms Tree war niemals dazu ausersehen, wie Collins beste Schöpfung Nate Heller von einem historischen Brennpunkt zum nächsten zu eilen, um dort Verbrechen aufzuklären, aber sie stellt solide bodenständige Unterhaltung mit einer markanten, eckigen Protagonistin dar.       

 

Deadly Beloved
by Max Allan Collins

  • Publication Date: November 27, 2007
  • Genres: Fiction, Mystery
  • Mass Market Paperback: 203 pages
  • Publisher: Hard Case Crime
  • ISBN-10: 0843957786
  • ISBN-13: 9780843957785
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