Der Gott der Klinge

Joe R. Lansdale

Im Original „The God of the Razor“ genannt und 2007 bei Subterranean Press in den USA veröffentlicht worden findet der Leser neben dem schon vor einigen Jahren erstmalig auf deutsch im Rowohlt Verlag erschienenen und nachgedruckten Roman „Nightrunners“ fast alle anderen Texte um den Gott der Klinge. Nur eine „Batman“ Geschichte konnte aus rechtlichen Gründen nicht aufgenommen werden. Eine andere, anfänglich unabhängige Story hat Lansdale fast wörtlich dem zu diesem Zeitpunkt unveröffentlichten Roman entnommen und in einem Magazin veröffentlicht. Lansdale selbst geht auf die Entstehungsgeschichte des Romans und seines Wendepunktes als Schriftsteller – das Erscheinen von „the Magic Wagon“ - ein. Wer sich mit seinen inzwischen zahlreichen nicht selten in oder um Texas spielenden Krimis und Thrillern gut auskennt, wird von der Brutalität, der Provokation eines um literarische Beachtung kämpfenden Neulings schockiert sein. Lansdale gehörte zu dieser Zeit zu den Splatterpunks und bis auf „Nicht aus Detroit“ bzw. „Das zottelige Haus“ bestehen alle Texte aus blutigen Gemetzeln allerdings weniger um ihrer Selbst willen, sondern sie sind ein Stahlbad des Lebens, durch das Lansdale Protagonisten nicht selten auf dem Weg zum Erwachsenen einfach schreiten müssen. Ohne in sadistische Details zu verfallen – obwohl diese ohne Frage vorhanden sind – beschrieb der frühe Lansdale Gewalt pur. Im Vergleich zu Richard Laymon verzichtete er allerdings auf sadomasochistische Exzesse und Lansdale Frauen nahmen nie anfänglich eine Art Opferrolle ein. Dean Koontz beschreibt in seinem schon 1987 anlässlich der Erstveröffentlichung von „Nightrunners“ veröffentlichten Vorwort den talentierten wie bodenständigen Lansdale, der sich erst eine Fangemeinde erschreiben musste. Wie kaum ein anderer Schriftsteller hat er sich aus der Small Press Gemeinde heraufgearbeitet, ohne dabei seine Wurzeln zu vergessen. Alleine, um diesen Provokateur aus einer kleinen Gemeinde Texas kennen zu lernen, der später in seinen Thrillern Rassendiskriminierung und das Leben insbesondere während der großen Depression in unterschiedlichsten Facetten ausgesprochen lebendig beschrieben hat, lohnt sich der Erwerb dieser Sammlung von Texten, die in kleineren Verlagen teilweise mehrfach aufgelegt und liebevoll nachgedruckt worden sind. Der längste Beitrag der Sammlung, der im Grunde bis auf eine Kurzgeschichte alle anderen Texte mehr oder minder inspiriert hat, gehört zu den frühsten Arbeiten Lansdale, als er eher provozieren wollte. Als Roman ist die Geschichte viel zu lang. Eine Novelle wäre das richtige Format für den Plot gewesen. Dabei finden sich viele diskussionswürdige Ansätze. Der dunkle Kern ist die Vergewaltigung einer Lehrerin durch ihre Schüler. Da Lansdale seinen Plot nicht chronologisch erzählt, erfährt der Leser erst die seelischen Folgen dieser Tat, bevor er ohne zu expliziert zu werden die Tatnacht beschreibt. Ihr Ehemann befand sich zu dieser Zeit auf Dienstreise. Erschwerend kommt hinzu, dass er ein lebenslanger Pazifist ist, der nicht einmal seinen Bruder vor den brutalen Klassenkameraden retten konnte bzw. impliziert retten wollte. Zynisch gesprochen könnte man davon ausgehen, dass es für Lansdale keine echten masochistischen Pazifisten gibt, denn der Tradition von Filmen wie "Last House on the Left" greift selbst der friedlichste Mensch/ Mann zur Waffe, wenn er seine Lieben schützen muss und in diesem Fall während des Showdowns durch Anwesenheit auch schützen kann. Die moralischen Implikationen sind auf einem einfachen Niveau angelegt und der Leser hat das Gefühl, als versuche der Autor die inneren Zwänge seiner Protagonisten weniger zu extrapolieren als mit diesen Facetten Seiten zu füllen. Das Thema Vergewaltigung und deren nicht selten unsichtbare Folgen behandelt Lansdale fragwürdig. Da die Täter offensichtlich vom - hier noch indirekt angesprochen - Gott der Klinge und dessen bösen Geist zu den schrecklichen Taten inspiriert worden sind, wird ihre Schuld in den Bereich des Übernatürlichen abgeladen. Nachvollziehbar wäre eine solche Abbitte, wenn - wie bei Stephen King öfter zu finden - die Protagonisten von Beginn an "unschuldig" wären. Aber Lansdale beschreibt sie auch durch die Struktur der Kurzgeschichte als klassische "no Future" Verbrecher, denen die Lehrerin ihre aussichtslose Zukunft durch engagierten Unterricht verdorben hat. Die Figuren sind nicht sympathisch und wenn der Geist des in der Zelle gestorbenen Hauptverdächtigen auf den nächsten Jugendlichen überspringt, dann wirkt dieses handlungstechnische Element nicht spannungsfördernd, sondern grenzt eher an ein plottechnisches Klischee an. Die eindimensionale Zeichnung der unsympathischen Antagonisten - ein Aspekt, wie ihn Peckinpah in seinem "Straw Dogs" auf die Spitze getrieben hat - nimmt der Story notwendige emotionale Tiefe und rückt sie näher an eine oberflächliche Sensationsstory heran als die Texte, die Lansdale in den letzten Jahren mit provokanter Bravour geschrieben hat. Im Vergleich zu seinen mit dunklen Humor gespickten frühen Texten fehlt dieser in "Nightrunners" gänzlich. Die Idee, eine schwarzen Chevy durch die Nacht fahren zu lassen, wird Lansdale in der vielleicht besten Arbeit dieser Sammlung "Nicht aus Detroit" sehr viel besser umsetzen. Hier lenkt sie den Leser ab. Der Versuch, ein übernatürliches Element- den Tod - als "Punks" zu etablieren, scheitert an der zu groben, zu auffälligen und zu wenig nuancierten Umsetzung. Auf der anderen Seite kann der Leser negativ ermessen, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Was in den achtziger Jahre als Tabubruch und Provokation angesehen worden ist, kratzt heutzutage eher an den Grenzen des guten Geschmacks und wird weniger schockieren als überraschen. Der brutale Untertan als Mittler zwischen den Slasherfilmen der siebziger und achtziger Jahren und der aufkommenden Splatterpunkbewegung ist passend, für einen späteren Lansdale ohne Frage überraschend. Auch wenn der Texaner in seinen Krimis immer wieder gegen die guten Sitten verstossen und manches abstossende Detail beschrieben hat, in "Nightrunners" kämpft er noch verzweifelt um seine eigene Stimme. Als Geschichte von Besessenheit, Vergewaltigung, Mord und schließlich im umgekehrten Sinne des Wortes auch Rache wirkt "Nightrunners" auch in Bezug auf die eigentliche Länge des Textes unfertig. Ein wenig zu grob und in Hinsicht auf den Tonfall zu ambivalent, sich zu sehr selbst gefallend. Stilistisch insbesondere in der soliden, aber auch distanziert erscheinenden deutschen Übersetzung ist dieses Frühwerk ein Fingerzeig. Lansdale sucht ohne Frage noch seine eigene Stimme, in einigen Passagen des Romans hat er sie gefunden und schreit seine literarische "Wut" dem Leser förmlich ins Gesicht. Im Anschluss hat Joe Lansdale sowohl das Motiv als auch die „Figur“ des Gottes der Klinge in verschiedenen Kurzgeschichten extrapoliert, variiert oder einfach mit den Ideen gespielt. Alle diese Texte bis auf die angesprochene „Batman“ Geschichten sind in dieser Sammlung vereinigt und runden somit den Episodenzyklus mit „Nightrunners“ im Mittelpunkt ab. In ihrer Ballung wirken die Geschichten aber auch sehr statisch. Sie beinhalten keine wirklichen Überraschungselemente und insbesondere „Gott der Klinge“ sowie „Janet findet ein Rasiermesser“ leiden unter der hauchdünnen Charakterisierung der Protagonisten. Dabei ist „Gott der Klinge“ hinsichtlich der Hintergrundinformationen am Reichhaltigsten. Ein Mann dringt nachts in ein lange verlassenes altes Haus ein und wird von erwischt. Nur hat sein Gegenpart ganz andere Motive als der Protagonist der Geschichte. Die Hintergrundinformationen und die lange Geschichte der verfluchten Klinge, die selbst Jack the Ripper zu umfassen scheint, sind die wichtigsten Aspekte dieser anfänglich stimmungsvollen, danach allerdings zu stark komprimierten Story. „König der Schatten“ ist in Bezug auf die handelnden Protagonisten die beste der hier gesammelten Arbeiten. Eines Tages erhält der vierzehnjährige Erzähler einen „kleinen“ Bruder. Es ist ein behinderter Nachbarjunge, dessen Mutter von dem sich später das Leben nehmenden Vater ermordet worden ist. Aus der Bewunderung des Jüngeren wird schließlich Abneigung und Hass, da sich das Objekt seiner kindlichen Begierde den brüderlichen Gefühlen zu entziehen sucht. Die finale Konfrontation im Mordhaus folgt dem bekannten und etablierten Muster, wobei selbst die Transformation der Rasiermesserträger in den „Gott der Klinge“ nach der Lektüre der vorangegangenen Story keine wirkliche Überraschung mehr darstellt. Betrachtet man vor allem „König der Schatten“ isoliert und ohne die Ballung ähnlicher Texte, dann zeigt Lansdale sehr viel Einfühlungsvermögen in die Wünsche und Nöte heranwachsender Jugendlicher in einer eher herausfordernden Umgebung. Hinzu kommt die Abneigung gegen alles Behinderte und der Versuch, der Masse zu gefallen und weniger die eigene Persönlichkeit auszubilden. Die erste Hälfte der Geschichte erinnert positiv stark an die gelebte Emotionalität von Stephen Kings Novellen mit ihren dreidimensional gezeichneten Protagonisten und ihrer nur vordergründig perfekten, aber einfachen Lebensumgebung, in die sich ohne große Hindernisse schnell das Grauen schleichen kann. „Janet findet ein Rasiermesser“ ist leider die schwächste Vignette dieser Sammlung. Janet findet ein Rasiermesser im Gras in der Nähe ihres Hauses und ein schreckliches Massaker nimmt seinen Lauf. Nur wer sich mit dem Zyklus von Geschichten um den Gott der Klinge auskennt, kann die brutalen Bilder in einen Plot kleiden. Ansonsten bleibt dieser sehr kurze Text oberflächlich mit zu vielen offenen Fragen am Ende. Zwei Geschichten der Sammlung „Nicht aus Detroit“ und „Das zottelige Haus“ entnehmen Motive dem Roman. Joe Landsdale hat sie zu eigenständigen Geschichten ausgebaut, wobei er „Nicht aus Detroit“ als Entwurf auch bei „Amazing Stories“ unterzubringen suchte. Zwei ältere Menschen warten im Grunde nur auf den Tod und haben mehr Angst, alleine zurückzubleiben. Eines Nachts begegnet dem Ehemann ein dunkler Herr mit Melone, der rasend schnell über die Dorfstraße fährt und neben seinem verlotterten Haus dreimal hupt. Der Auftakt einer emotional ansprechenden Geschichte mit überzeugenden, mit wenigen Strichen gezeichneten Figuren und vor allem pointierten und stellenweise doppeldeutigen Dialogen. Auch wenn das Ende bei dieser Art von Geschichten – jeder muss einen Fahrplan des Lebens einhalten – vorhersehbar ist, wirkt „Nicht aus Detroit“ weder traurig noch nihilistisch. Auch für „Das zottelige Haus“ hat Joe Landsdale im Grunde eine kleine, in sich selbst unbedeutende Szene dem Roman entnommen und sie geschickt erweitert. Über nacht erscheint in einer kleinen Ortschaft ein Haus. Zwei alte Männer wollen das Phänomen untersuchen. Obwohl die grundlegende Handlung zu geradlinig ist und zu wenige wirkliche Überraschungen aufweist, überzeugt die kurzweilig zu lesende, eher schauerlich gruselige Story durch die Kleinstadtatmosphäre mit einer fast melancholischen Rückbesinnung auf das amerikanische Grundrecht – ein eigenes Haus mit den eigenen Händen erbaut. Das Ende wirkt übertrieben und verleiht dem Plot eine groteske Grundausrichtung, die eher befremdet als inspiriert. Während Stephen King selbst seine Einkaufsliste als Bedrohung des Menschen bzw. Lesers beschreiben kann, sollte sich Landsdale mehr auf Psychopathen konzentrieren. Ohne Bezug zu „Nightrunners“ ist nur eine Geschichte: „Zwischenfall an einer Bergstraße“. Lansdale selbst ergänzt in seinem kurzen Vorwort, dass sie aber vom Inhalt und Tonfall her besser in diese Sammlung passt als zum Beispiel „Nicht aus Detroit“ oder gar „as zottelige Haus“. Es wird allerdings nicht erwähnt, dass diese Kurzgeschichte im Gegensatz zu den beiden im vorangegangenen Satz erwähnten Texten tatsächlich als eine „Masters of Horror“ Folge verfilmt worden ist. Ein klassisch klischeehaftes Ausgangsszenario, das der Autor überzeugend auf den Kopf stellt. Eine schöne junge Frau, eine einsame Straße, ein Autounfall und ein psychopathischer Mörder, der direkt dem „Texas Kettensägen Massaker“ entsprungen sein könnte. Nur, dass dien Frau bei ihrem paranoiden Freund nicht nur Selbstverteidigung, sondern das Überleben in Extremsituationen erlernt hat. Lansdale beschreibt diesen Überlebenskampf ausgesprochen graphisch und manche Szenen sind selbst in der meisterhaften Adaption für „Masters of Horror“ deutlich entschärft worden. Seine Protagonisten sind sich der im Grunde klischeehaften Horrorsituation sehr wohl bewusst. Sie agiert bzw. reagiert in den engen Leitplanken des Genres überzeugend und kann sich gegen den kräftigeren entstellten Mann geschickt wehren. Das Ende ist morbide und subversiv zugleich. Eine der besten Geschichten dieser Sammlung. Thematisch ist "Der Gott der Klinge" uneinheitlich. Über die Hintergründe im nicht ganz befriedigenden Roman "Nightrunners" erfährt der Leser erst etwas in den deutlich besseren und intellektuell zufriedenstellender angelegten Kurzgeschichten. Handlungstechnisch ist dagegen "Nightrunners" im Vergleich zu den teilweise zu stereotypen, sich wiederholenden Plots die bessere Arbeit. In erster Linie für diese Sammlung Leser ansprechen, die Lansdale schon in seine wilden Anfangsphase geliebt haben, die nicht selten in seinen zahlreichen Comicarbeiten heute eher zur Geltung kommt als in seinen intelligent komplex angelegten Krimis, die ihn als reiferen und hintergrundtechnisch perfekten Autoren zeigen. Und natürlich für die Leser lesenswert, die einen der originellsten Splatterpunks in seiner noch wilden, rohen Phase ins blutige Gesicht schauen wollen.

Originalausgabe erschienen 2007 unter dem Titel The God of the Razor, deutsche Ausgabe erstmals 2008 , 399 Seiten. ISBN 3-453-67557-6. Übersetzung ins Deutsche von Walter Hartmann und Frank Dabrock.

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