Die verlorene Flotte 8- Ein halber Sieg

Jack Campbell

Mit "Ein halber Sieg" liegt der insgesamt achte Roman um die verlorene Flotte vor. Es ist nach "Jenseits der Grenze" das zweite Abenteuer der im Grunde zweiten Miniserie. Autor Jack Campbell knüpft die Handlung gleich an den Auftaktband an. Geary kann zumindest einen Stillstand gegen die ersten Fremden erreichen. Mit seiner angeschlagenen Flotte dringt er tiefer in das unbekannte Gebiet ein. Dieses Vorstoßen nach „außen“ anstatt verzweifelt in den Heimatraum zurückzukommen unterscheidet die zweite Serie am meisten vom ersten Sechsteiler. Kaum entflohen drohen wie in allen Romanen des Zyklus neue und deutlich größere Probleme auf die kleine Menschenflotte „einzuschlagen“. Admiral Geary muss sich umgehend mit einer neuen, bislang unbekannten außerirdischen Rasse auseinandersetzen, die wie alle Fremden in dieser Military Science Fiction Serie erst zur Waffe greifen, bevor sie die Idee von Verhandlungen ins Auge fassen. Hier liegen die Stärken und Schwächen des Buches zugleich. Im vergleich zu vielen anderen eher Action orientierten Serien gibt sich der Autor Mühe, die Fremden wirklich als Fremde zu charakterisieren. Sie haben zwar ihre Wurzeln in irdischen Tierarten, die locker übertragen mit  Bärenkühe und Spinnenwölfe zu vergleichen sind, handeln aber fremdartig, wenn auch aggressiv. Im Gegensatz zur ersten Miniserie, in der sich Geray zwar auch mit fremden, aber zu "menschlich" handelnden Wesen auseinandersetzen musste, wirkte der zweite Zyklus sehr viel ambivalenter gestaltet. Dabei konzentriert sich der Autor ausschließlich auf eine fremde Rasse, die Geary erst hinterfragen und dann natürlich besiegen muss. Der Versuch, einen alt gedienten Offizier der Sternenflotte in eine für ihn nicht nur militärisch neue Positionen zu bringen, dominiert die erste Hälfte des Buches. Da Campbell den Roman ausschließlich aus der menschlichen Perspektive erzählt und nur rudimentäre Hintergrundinformationen anbietet, ist der Spannungsaufbau solide und die wenigen militärischen Auseinandersetzungen gehören weiterhin zu den Höhepunkten des Romans. Es bleibt abzuwarten, ob diese Miniserie in den folgenden Romanen daran scheitert, dass Jack Campbell die Fremden wieder menschlicher beschreibt oder ihre Handlungen nicht derartig komplex bis kompliziert sind, wie es Gearys Vorgehensweise vermuten lässt. Mit den Spinnenwölfen hat Campbell wie schon angesprochen eine Art Joker in der Hand. Da Geary mit keiner der beiden Rassen wirklich kommunizieren kann und sich nur die Bärenkühe - das ist weniger lächerlich als es in der Rezension erscheinen mag - bislang aggressiv gegenüber den Menschen sprich Eindringlingen verhalten haben, muss abgewartet werden, in welche Richtung der eigentliche Plot läuft. Der erste Feind wirkt durch die Mischung aus militärischer und waffentechnischer Überlegenheit sowie die Tendenz, im Notfall auf Selbstmordkommandos zurückzugreifen, ausgesprochen gefährlich. Wie in den ersten Bänden ist Oberbefehlshaber Geary auf eine nicht nur Waffentechnisch unterlegene Einheit im Niemands- aber zumindest nicht offensichtlichen Feindesland angewiesen, er ist auch von jeglicher Heimatunterstützung abgeschnitten. In dieser Hinsicht folgt Campbell den teilweise ein wenig zu stereotypen Handlungsmustern der ersten Abenteuer. Während die exotischen Rassen teilweise ein wenig zu befremdlich wirken und ihr Verhalten sich bislang eher eindimensional in Richtung militärische Auseinandersetzung hin bewegt, ist es interessant, den Gedankengängen Gearys zu folgen. Als Autor verfügt Jack Campbell über ausreichend militärische Erfahrung, um diesen selten analysierten, aber kriegsentscheidenden Bereich der Vorausplanung dem Leser nicht nur plastisch zu beschreiben, sondern vor allem überzeugend zu erläutern. Hier müssen aber auch Absolutismen akzeptiert werden, da Geary zu selten im Rückblick hinsichtlich seiner schwierigen Planung scheitert und auf Pyrrhussiege oder kleinere Niederlagen immer ein Triumph folgt.

 Während Geary in den ersten sechs Büchern in erster Linie durch seine isolierte Lage hinter den feindlichen Flotten ausschließlich auf Aktionen der Feinde reagieren und nur in wenigen Fällen aktiv agieren konnte, verhält er sich "Jenseits der Barriere" trotz ähnlicher logistischer Hindernisse deutlich nuancierter.

Auf der "innenpolitischen" Ebene wird es dem Helden nicht leichter gemacht. Zu den schwächeren Elementen des vorliegenden Romans gehört die Idee, dass Geary im Grunde als unwillkommenes Relikt einer längst vergangenen Epoche auf diese Selbstmordmission abgeschoben worden ist. Ehrlich gesprochen lohnt es sich nicht, über diese bekannte Vorgehensweise viele Worte oder gar innere Monologe zu vergießen. Die Ausgangssituation war schon vor Etablierung der Verzweifelungsmission klar und deutlich umrissen. Es handelt sich um ein Selbstmordkommando, das von einem Einzelgänger befehligt wird. Wieder wird Geary mit den gleichen Konfliktsituationen wie in den ersten Büchern konfrontiert. Teilweise greift Jack Campbell sogar auf ähnliche Vorgehensweisen zurück, so dass mehr als einmal eine Art Deja Vu im Kopf des Lesers erscheint. Zusätzlich gehört zu den schwächsten Passagen des Buches die Charakterisierung der menschlichen Nebenfiguren. Als Überheld nimmt Geary auch in diesem Roman sehr viel, vielleicht zu viel Raum ein. Es ist schade, dass sich Jack Campbell angesichts der zahlreichen gut geschriebenen Actionszenen nicht die Mühe macht, seinen Figuren mehr Plausibilität und Dreidimensionalität zu geben. Wer "Jenseits der Barriere und "Ein halber Sieg" als Einstieg genutzt hat, wird diese Kritik vielleicht nicht unbedingt verstehen. Aber selbst Gearys ehemaliger Untergebene und jetzige Frau Tanya Desjani ist in allen bisherigen acht Romanen in erster Linie durch ihre Handlungen und ihre Aussagen beschrieben worden. Auf Äußerlichkeiten legt Jack Campbell sehr wenig Wert. Dadurch geht er bewußt und für den Leser teilweise frustrierend das Risiko ein, dass die Figuren zu stark ineinanderfließen und weniger als eigenständige Persönlichkeiten mehr definiert werden. Auffällig ist, dass Jack Campbell anscheinend auch Außerstande ist, die Liebesgeschichte zwischen Geary und Desjani weiter zu entwickeln. Schon in der ersten Miniserie hatte der Autor Probleme, über einige Neckereien und grundsolide geschriebene Sexszenen hinaus, verstohlene Blicke der natürlich alles im Voraus wissenden Untergebenen und schließlich einer sehr kurzen zur Heirat genutzten Pause zwischen den beiden langen Missionen zwischen den sich Liebenden ein wirklich überzeugendes Verhältnis aufzubauen. Im vorliegenden Band wird es offensichtlich, dass Campbells Idee von Ehe eher eine platonische Freundschaft, ein militärisch dominiertes Vertrauen ist. Desjani wird zu einem Neutrum. Sie ist die Kommandantin von Gearys Flagschiff und er würde niemand anderem ein derartig wichtiges Kommando anvertrauen. Sie ordnet sich seinen Befehlen komplett unter. Es gibt keinen Funkenflug und keine Spannungen, wie sie der Leser sonst bei Beziehungen am Arbeitsplatz so gerne liest.  Es fehlt jegliche Leidenschaft. Natürlich lässt sich argumentieren, dass man während des Kriegseinsatzes für derartige Nebensächlichkeiten keine Zeit hat, aber es wirkt eher so, als könne es Campbell gar nicht beschreiben. Seine Intention geht gänzlich in die Leere, wenn er mit Victoria Rione Gearys frühere Geliebte und eine zivile Beobachterin - ein Widerspruch in sich - in ein Vakuumbeziehungsdreieck zu integrieren sucht. Was dieser Serie im Allgemeinen und diesem Roman im Besonderen fehlt ist eine ausgegliechene zweite Garde, die mehr als nur einen Auftritt mit einigen eher belanglosen und von Geary ignorierten Dialogen vorzuweisen hat. Wie schon in der ganzen Serie ist der in der Zukunft aufgewachte militärische Held eine zu dominante Figur.   

Auf der anderen Seite impliziert „Ein halber Sieg“ die Idee eines Verräters in den eigenen Reihen. Kein Novum für diese Serie, aber es besteht die Möglichkeit, dass das Besatzungsmitglied als Doppelspion für die Geary eher feindlich gesonnenen Regierungskreise als auch eine der bislang drei kennengelernten außerirdischen Rassen spioniert. Campbell wird diesen bislang rudimentär entwickelten Handlungsfaden in einem der nächsten Bücher sicherlich zufriedenstellender extrapolieren. Es ist zu früh, ein vorläufiges Urteil zu fällen. Da Campbell in dieser Hinsicht positiv keine der Nebenfiguren wirklich nachhaltig charakterisiert hat, bleiben hier viele Türen für Spekulationen hinsichtlich der Identität des Spions offen.

Zusammengefasst konzentriert sich die Handlung von "Ein halber Sieg" zu sehr auf die militärische Auseinandersetzung mit einer der beiden fremden Rassen. Campbell wirft, wie es sich vielleicht für den zweiten Roman einer Serie gehört, noch zu viele Fragen auf und fügt neue, noch zu ergründende Informationen seinem inzwischen reichhaltigen Kosmos hinzu. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich diese kurzweilig zu lesende und zumindest hinsichtlich der militärischen Taktik auch überzeugende Serie noch entwickeln wird. "Ein halber Sieg" ist ein solider Beitrag, leider nicht mehr, aber auf keinen Fall weniger.

 

  • Taschenbuch: 512 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe (Bastei Verlag); Auflage: Aufl. 2013 (19. April 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3404207114
  • ISBN-13: 978-3404207114
  • Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 12 Jahren
  • Originaltitel: The Lost Fleet - Beyond the Frontier - Invincible