Die weiße Göttin vom Amazonas

Earl Warren

Als zwanzigster Band der Reihe “Die Schatzjägerin” veröffentlicht die Romantruhe den ersten Teils eines bislang zwei fertig gestellten, aber im Kelter- Verlag nicht mehr publizierten “Roberta Lee” Doppelbandes aus der Feder Earl Warren. Leider ist das Titelbild dieser inzwischen dritten Inkarnation - und das bei bislang nur acht geschriebenen Abenteuern - wenig ansprechend. Es ist nicht notwendig, die bisherigen Abenteuer Roberta Lees zu kennen, da Earl Warren immer wieder Roberta Lees ungewöhnlichen Namen erklärt und eine Reihe von Fakten in die Handlung integriert. Während allerdings die ersten vier als Taschenheft erschienenen “Roberta Lee” Texte zu den besten Sachen gehörten, die Earl Warren über einen längeren Zeitraum geschrieben hat, flaute sein Schwung im Verlaufe der Serie merklich ab. Die Jagd nach dem Schwert eines legendären Mongolenfürsten inklusiv parapsychologischer Phänomene war genauso packend geschrieben wie die Begegnung mit Haldoon Gor am Ende einer langen Reise. Einem auf der Erde gestrandeten Außerirdischen. Auch wenn insbesondere der vierte “Indiana Jones” Film stark grüßen ließ, gelang Earl Warren mit Amphibienmenschen und einer Neuinterpretation alter Legenden im Rahmen der Taschenheft ein weiterer lesenswerter Roman. Die drei als Romanhefte veröffentlichten Abenteuer wirkten dagegen ein wenig zu bieder, zu sehr auf die Abenteuerkomponente konzentriert und phantastische Elemente außer acht lassend.
Im vorliegenden achten “Roberta Lee” Roman mit dem interessanten Untertitel “Die weiße Göttin vom Amazonas” mit Namen Sheeba regiert auch über sehr weite Strecken der klassische, aber leider auch schnell leicht klischeehafte Abenteuerkontext.
Gleich zu Beginn werden einige Indios im Amazonas von überwiegend weißen Abenteurern entweder den Kaimanen überlassen oder gefangen genommen, nachdem man in ihrem überladenen Kanu haufenweise Gold gefunden hat. Es ist keine Überraschung, dass die gefangenen Indios gefoltert und schließlich gezwungen werden, eine Karte zum legendären Versteck des Goldes zu zeichnen, das von einer weißen Göttin bewacht werden soll.
Roberta Lee macht sich auf der Parallelhandlungsebene ebenfalls mit ihrem Vater, ihrem treuen Gehilfen und einem Experten für außerirdische Phänomene ebenfalls auf, diesen legendären Schatz zu finden. Ein weiteres Phänomen soll neben der weißen Göttin eine gigantische, aus Stein gebaute und inzwischen im Dschungel überwiegend versunkene Pyramide sein, die auf eine Begegnung mit außerirdischen Göttern hindeuten könnte.

Wie fast alle “Roberta Lee” Abenteuer leidet der vorliegende Band unter einer etwas unglücklichen Strukturen. Auf den letzten Metern überschlagen sich wieder die Ereignisse, während insbesondere der Mittelteil ein wenig zu phlegmatisch und vor allem zu mechanisch entwickelt erscheint. Wenn Roberta Lee in vierfacher Todesgefahr steckt, blitzt der bekannte anarchistische Ideenfluss Warrens auf, der die Serie bislang so ausgezeichnet hat. Zumindest beendet der Autor den vorliegenden Roman nicht mit einem Cliffhangar und der zweite Teil bietet einiges an Potential, wenn der Autor von einer zu bodenständigen Handlungsführung absieht.

Earl Warren bemüht sich, die Antagonisten - inzwischen sind sie seit drei oder vier Heften austauschbar - möglichst eiskalt und rücksichtslos gegen die eigenen Männer wie auch die potentiellen Feinde mit Schwerpunkt Roberta Lee zu zeichnen. Dabei wirken diese größenwahnsinnigen Egoisten inzwischen derartig überzeichnet, das sie eher wie Karikaturen denn ernstzunehmende Feinde angesehen werden können. Vergleicht der Leser die sorgfältig, zwar ein wenig übertrieben aber sehr ironisch gezeichneten Feinde insbesondere der ersten Abenteuer mit ihren jetzigen “Nachkommen”, fällt dieser Unterschied besonders drastisch aus. Ein weiteres Versatzstücke ist die attraktive Helfer in Roberta Lees Gruppe - meistens ein Einheimischer -, der mehr als nur professionelle Bewunderung für die attraktive Rothaarige empfindet. Ihre Lebenslust bringt sie dieses Mal eher in eine schlüpfrige Situation, die unter Umständen die weltweite nach Sensationen gierende Boulevardpresse mit exklusiven Fotos aufgreifen könnte. Was bissig satirisch erscheinen könnte, wird hier fast sachlich abgehandelt.
Bis zum vorerst finalen Showdown hin gerät Roberta Lee mit ihrem Team in leider eher vorhersehbare Situationen, während die Schurken trotz der Folter der Einheimischen nicht richtig vorankommen. “Die weiße Göttin vom Amazonas” erinnert teilweise fatal an eine modernisierte Reinkarnation mancher Karl May Geschichte, nur das “Der Schatz im Silbersee” eher im Dschungel Brasiliens versteckt ist. Jegliche Anspielungen auf übernatürliche Phänomene werden durch Wetterleuchten und die einzigartige Atmosphäre des brasilianischen Dschungels wegerklärt. Der Leser hofft, dass sich in dieser Hinsicht insbesondere Roberta Lees Vater gründlich täuscht.
Es ist aber nicht nur der eher bekannte Handlungsbogen, welcher den vorliegenden Roman ein wenig aus der “Roberta Lee” Art geschlagen erscheinen lässt. Während Earl Warren in Kombination mit einer attraktiven wie bissigen Heldin insbesondere die Klischees des Genres gerne selbstironisch verzerrt in die Handlung eingebaut hat, verzichtet der Erzähler auf diesen unterhaltsamen Aspekt der Geschichte und spult sein Garn eher routiniert, aber nur selten wirklich inspiriert herunter. An einer Handvoll Stellen kommt Roberta Lees wirklich markante und die Serie auf ihren attraktiven Schultern tragende Persönlichkeit zum Vorschein. Die weltberühmte Archäologin wirkt stellenweise wie von einem anderen Autoren übernommen. Natürlich steckt sie immer noch die von Joolie Barker für ein männliches Publikum geschriebenen Abenteuerromane in die Tasche, aber die Einzigartigkeit der Roberta Lee Geschichten, diese “Anything Goes” Stimmung ist zumindest in dem vorliegenden Roman verschwunden und weicht einer stringenten Abenteuergeschichte, wie es sie inzwischen zu Hunderten zu kaufen gibt. Auch die anderen Nebenfiguren - angefangen bei Roberta Lees Vater bis zum diensteifrigen Harry - wirken eindimensionaler und sind mit weniger Liebe zum exzentrischen Detail gezeichnet. Es gibt zwar einige kleinere Geplänkel zwischen Roberta Lee und ihrem Vater, aber abgesehen vom kurzzeitigen Besuch im Elternhaus - hier öffnet Earl Warren einen kleinen Augenblick den Vorhang zu Roberta Lees Vergangenheit und beleuchtet die fast mütterliche Liebe zu ihrem nach dem Vorbild der schwarzen Mamsells aus zahllosen Hollywoodschinken gezeichneten Kindermädchen. Das ist aber angesichts des sich entfaltenden Plots zu wenig, auch wenn Earl Warren einmal Roberta Lees Vater nicht als egozentrischen, weltfremden nur seinen Forschungen ergebenen “Trottel” zeichnet.
Ein abschließendes Urteil kann erst nach der Veröffentlichung des zweiten Teils gefällt werden. Interessante Ansätze - die weiße Göttin, doch Besucher aus dem All? - sind vorhanden und es bleibt die Hoffnung, dass Earl Warren wie in den ersten als Taschenheft veröffentlichten Robert Lee Abenteuern die Genre bunt mischt und eine bislang schon von Action getriebene Handlung zufrieden stellend abschließt. Dem Roman fehlt ein wenig der lakonisch, selbst ironische Erzählstil mit einem frechen Durchbrechen der Ich- Erzählerperspektiven - wann wird der Leser von der Ich- Erzählerin direkt angesprochen -, der die ersten Romane trotz manches Klischees so kurzweilig unterhaltsam gemacht hat. Zusammengefasst eine solide, etwas zu lange erste Hälfte mit sehr viel Steigerungspotential im abschließenden Showdown, die weitere Fortsetzungen im Rahmen der Reihe “Die Schatzjägerin” ohne Frage verdient.

Earl Warren: "Die weiße Göttin vom Amazonas"
Roman, Softcover, 146 Seiten
Romtruhe 2011    

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