Winnetou unter Werwölfen

Karl May und Peter Thannisch

Jane Austen war das erste “Opfer”. Unter dem inzwischen ebenfalls auf Deutsch lieferbaren Titel “Stolz und Vorurteil und Zombies” begann eine im Grunde einzigartige, der Oberflächlichkeit der Gegenwart entgegenkommende Serie von Verunglimpfungen klassischer Literaturwerke. In die Originalwerke sind einfach neue, möglichst phantastische Sequenzen mit Vampire, Zombies und Werwölfen eingefügt worden und die klassischen Charaktere reagierten mehr oder minder interpretationsfrei auf diese neuen wie ungewöhnlichen Bedrohungen. Dabei sollte der Charakter der Originale möglichst wenig verändert und impliziert bewiesen werden, das Autoren wie Jane Austen im Stillen ganz andere Absichten gehegt haben.
Schon “Stolz und Vorurteil und Zombies” litt unter dem Versuch, einen Kuzgeschichtengag auf Romanlänge zu dehnen und nutzte sich schnell ab. Die insbesondere in den USA nachfolgenden Literaturoperation mit Persönlichkeiten der Geschichte wie Abraham Lincoln als Vampirjäger und antiquierter Van Helsing konnten weder literarisch noch kommerziell noch überzeugen. In Deutschland griff Peter Thannisch zum immer noch erfolgreichsten “Reiseberichtautoren” Karl May und reichte dessen weltberühmten Roman “Winnetou” nicht nur um Werwölfe an, sondern vor allem auch um Vampire. In letzteren Fall passt die Bezeichnung Bleichgesichter ausgezeichnet und beinhaltet eine der wenigen wirklich unterhaltsamen und weniger klamaukartigen Ideen des ganzen Werkes. Die Idee von indianischen Werwölfen hat Stephanie Meyer in ihren “Twillight Romanen”, die vor “Winnetou unter Werwölfen” entstanden sind, schon aufgegriffen und als Gegenentwurf zu den aus Europa in die neue Welt gelangten Vampiren solide überzeugend etabliert.
Die Grundlage bildet - wie Peter Thannisch in seinem Nachwort herausstellt - die Buchausgabe des Karl May Verlages, die im Gegensatz zu den ausdrucksstärkeren Ausgaben der letzten Hand - siehe die uneingeschränkt empfehlenswerte “Weltbild” Edition - über die Auflagen und Jahrzehnte hin vorsichtig modernisiert und leicht bearbeitet worden ist. Wer nur mit den originären Texten vertraut ist, wird sich auf den ersten Blick wundern, wie viel bzw. wie wenig gegenüber den Neuauflagen Peter Thannisch Karl Mays Sprachstil verändert bzw. bearbeitet hat. Am markantesten ist die Einführung des neuen Ich- Erzählers Karl Mayer sowie die Korrekturen des imaginären Lektors oder die durchgestrichenen “Passagen” des Originalmanuskripts, welche die Intention Mays persiflieren sollen. Dabei wirken die Wortspielereien teilweise ein wenig zu albern, zu unnötig bemüht dem Text eine Bully Herbig Art von Humor aufzudrucken, welche diese Bearbeitung weder benötigt noch das Original verdient. Alleine wenn der Ich- Erzähler seine Geschichte “verlässt” und direkt mit dem Publikum zu sprechen beginnt, lebt die Neuinterpretation förmlich auf. Die kleinen Eitelkeiten des Karl Mays und sein christlich bedingtes Sendungsbewusstsein schimmern in diesen kleinen, zu weit verstreuten und zu spärlich eingesetzten Abschnitten auf. Auf der anderen Seite hat Peter Thannisch unnötigerweise auf Mays Hang zur Kopie anderer Reiseberichte verzichtet. Wikipedia hätte sich im übertragenen Sinne als Kopiervorlage angeboten. Unabhängig von diesen unterhaltsamen Exkursen bzw. unnötigen Ablenkungen hat sich der neue Co- Autor bemüht, die ursprüngliche Handlung “Winnetous” extrem zu Lasten der teilweise eloquenten wie gestelzten Dialoge des Originals zusammenzufassen und dank radikaler Kürzungen Platz für die neuen Einschübe zu schaffen. Im Gegensatz zum Original ist der Ich- Erzähler zwar ein passabler Schütze und ein mit einer Eisenfaust gesegneter Lehrer und Landvermesser, aber ihm fehlt noch der Heldenpathos, mit dem Karl May sein Alter Ego vom ersten Abenteuer im Wilden Westen an versehen hat. Da geht schon mal was schief oder besser wie bei der Befreiungsaktion Winnetous vom Marterpfahl der feindlichen Werwolfstämme augenscheinlich auch dreimal schief. Oder im Duell mit dem indianischen Werwolf muss der Ich- Erzähler auf silberne Sporen bzw. in der Faust versteckte Silberkugeln zurückgreifen, um zumindest auf dem geduldigen Papier eine kleine Chance zu haben. Es sind eher diese kleinen Feinheiten, die “Winnetou unter Werwölfen” im Gegensatz zu manch anderer literarischer Vergewaltigung zu einem unterhaltsamen, aber nicht gänzlich zufrieden stellenden Buch machen. Leider hält Peter Thannisch nicht an seiner Intention fest, den Ich- Erzähler zu vermenschlichen – am Ende wird er zu Winnetous Wolfsbruder - , sondern macht ihn mehr und mehr zu einem Trottel. Der Sex mit Winnetous Schwester – eine wilde Maid bekommt eine neue Bedeutung – ist noch akzeptabel, aber die folgenden Aktionen mit den Zweikämpfen als eine Art Running Gag werden leider immer flacher. Dem Reiseberichterstatter Thannisch trocknet im wahrsten Sinne des Wortes die Feder ein. Von Beginn an wird Karl Mayer schon eher als naiver Jüngling beschrieben, was nicht nur auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig ist. Da der Autor keine charismatische Gegenfigur etabliert – auch Winnetou wird immer langweiliger, dümmer und schließlich mit den Abstechern in oberflächliche Geistergeschichten zu einem Stichwortgeber reduziert - , fragt sich der Leser schnell, warum Thannisch nicht nur die Werwölfe und Vampire in die Handlung integriert, sondern vor allem die spirituellen Eckpfeiler Mays nicht parodiert, sondern wie Bully Herbig lächerlich gemacht hat. Die kindischen Elemente bilden dann leider unlustig den traurigen Niederpunkt dieser Männerfreundschaft, in der Peter Thannisch homosexuelle Tendenzen zumindest auf Indianerseite impliziert, während Karl Mayer sich ja mit Winnetous Schwester „vergnügt“ hat. Im Vergleich zu den beiden wichtigsten Handlungsträgern können leider auch die Nebenfiguren nicht wirklich überzeugen. Sie sind wieder erkennbar, werden aber teilweise extrem überzeichnet. So ist Winnetous Vater als seniler Alter ebenso peinlich wie der schreckliche Akzent, mit dem der große zukünftige Häuptling der Apachen aufgrund eines französischen Hauslehrers zu sprechen geruht. Unabhängig von seiner Erscheinung als Indianer oder Werwolf. Hinsichtlich anderer Nebenfiguren versucht Peter Thannisch seinem Publikum eine Mischung aus den Horst Wendlandt Filmen der sechziger Jahre und dem behutsam modernisierten Original anzubieten. Leider bleiben viele Figuren im Ansatz stecken und wirken eher wie ein trauriges Klischee. Das beginnt mit den drei anscheinend nach Trickfiguren benannten Landvermessern der Eisenbahngesellschaft über den arroganten und sich am Rande der Pleite befindlichen Chef des Bauabschnitts, über Winnetous deutschen Lehrer - einem ständigen Nörgler, der aufgrund schlechter Schießkünste den Weg ins Jenseits antreten und damit die Bahn für den Ich- Erzähler frei machen muss - bis zu den schurkischen Indianerwerwölfen, die sich im Gegensatz zu Karl Mays noch erträglichem Original stellenweise selbst für Werwölfe ausgesprochen naiv anstellen. Die liebevolle, teilweise überzogene an Karikaturen erinnernde Zeichnung der einzelnen Protagonisten durch Karl May und seinen implizierten Hang, insbesondere staatliche Organe als überfordert und hilflos zu entlarven wird der Leser vergeblich suchen.
Hinzu kommt, das alleine die Idee, einen Karl May Roman mit Werwölfen und Vampiren anzufüllen - immerhin handelt es sich beim Ich- Erzähler um einen technisch begabten Fußballer, der mit einem Kopf als Ball allerlei Tricks auf Lager hat - nicht ausreicht, um das Publikum alleine zu unterhalten. Natürlich agieren insbesondere die indianischen Werwölfe deutlich wilder und brutaler als zum Beispiel die domestizierten Indianer Karl Mays, aber ihnen fehlt das tierische Elemente und alleine der Hinweis, dass Winnetou mit seinen Indianer ein weiteres Urinieren in die Flüsse Amerikas verhindern wird, reicht nicht aus, um die teilweise uninspiriert und literarisch eher unterentwickelt geschriebenen Szenen wirklich mit Leben zu erfüllen. Wenn Werwölfe, dann bitte deutlich mehr als im vorliegenden Roman präsentiert. Die einzelnen Kampfsequenzen sind entsprechend umgeschrieben worden und wirken theatralisch originell entwickelt, aber zwischen diesen wenigen Höhepunkten fehlt bis nicht zuletzt aufgrund der teilweise zu klamaukartig bis dümmlich geschriebenen Dialoge eine Sympathieebene zu den wichtigsten Figuren. Im letzten Drittel des Buches fällt Peter Thannisch auf der verbalen Ebene nicht mehr viel ein und der Leser hat das unbestimmte Gefühl, sich mit den Figuren im Kreise zu drehen. Selbst die Wolfsbrüderschaft zwischen Werwolf Winnetou und überdeutschen Reiseerzähler wirkt teilweise extrem bieder geschrieben. Der Auftakt eher im Schatten extrapoliert streiten sich Karl Mayer und Winnetou in den Silberbergen um Reichtum und gebrochene Versprechen, als wenn die Senilität des Vaters in direkter Linie nicht nur auf den Sohn, sondern dessen neuen besten Freund übergesprungen ist. Wenn ein Autor ein derartiges Projekt in Angriff nimmt, sollte die übernatürliche Handlung erst einmal grundsätzlich funktionieren und dem entsprechend zu parodierenden Genre neue Impulse geben. Erst danach kann ich diesen neu geschaffenen Plot in den Roman des weltbekannten Romans integrieren. Da “Winnetou unter Werwölfen” im Vergleich zum Original gekürzt worden ist, wird ein Fan nicht jede Sequenz miteinander vergleichen können und wahrscheinlich auch wollen. Die grundlegende Intention, das der Ich- Erzähler selbst als Greenhorn den erfahrenen Trappern aufgrund seines Intellekts überlegen ist, wird von Beginn an negiert. Die Bezeichnung “Lusche” - “Grüner Junge” oder “Schafshirte” wären hier treffender gewesen - zieht sich durch den ganzen Roman wie ein roter, aber aufgesetzter Faden und beginnt schnell nicht nur den Ich- Erzähler zu ärgern. Irgendwann macht er allerdings seinem despektierlichen Spitznamen alle Ehre und irgendwie scheint der Autor stolzer auf diese Reduktion der Charaktere zu sein als es der Leser ertragen möchte. Wie die meisten Neuinterpretationen reicht die grundlegende Idee von “Winnetou unter Werwölfen” eher für eine Kurzgeschichte denn einen ganzen Roman. Zumindest in der vorliegenden Form. Warum nicht gleich eine gänzlich neue und vor allem originelle Geschichte schreiben, in die die Idee von indianischen Werwölfen und einem leicht arroganten Dandy/Hauslehrer/Schundliteraten von Beginn an als gegeben akzeptiert wird. Mit einem neuen Plot - sicherlich schwerer zu entwickeln als die hier vorliegende “Schändung” des Originals - hätte die Verweildauer des Experiments Karl May/ Peter Thannisch vielleicht ein wenig länger im Gedächtnis des Lesers überlebt. Auf der anderen Seite kann der Leser mitverfolgen, was aus dem sicherlich nicht perfekten Original entstehen kann. Eine Erwartungshaltung – was macht der Autor auf dieser oder jener Originalszene – ist sicherlich da, sie wird aber zu selten befriedigt und nur einzelne Sequenzen – wie die Hinrichtung der Schurken durch Wasser und natürlich nicht ganz fairen Zweikampf – spricht eher niedere Instinkte an. Vor allem hat Peter Thannisch die eigentlichen Absichten Karl Mays förmlich auf den Kopf gestellt und damit hinterlässt „Winnetou unter Werwölfen“ insbesondere bei Karl May Fans einen negativen Eindruck, während andere Patch Up Arbeiten die Vorzüge der Originale – siehe wieder den Vorreiter „Stolz und Vorurteil und Zombies“ – zu verstärken suchen, indem sie ihre neuen Szenen in die Vorlagen integrieren. Zusammengefasst präsentiert „Winnetou unter Werwölfen“ sicherlich eine nette Idee, irgendwo zwischen Alptraum und Stammkneipe geboren, die viel mehr Facetten in sich trägt als es die leider moderne Form der reinen “Schneid- und Kleb Methode” ans Mondlicht bringen kann. Zurück bleiben einige nette, eher oberflächliche Lesestunden, die aber weder Fisch noch Fleisch sind.

Karl May und Peter Thannisch: "Winnetou unter Werwölfen"
Roman, Softcover, 432 Seiten
Piper Verlag 2010

ISBN 9-7834-9226-7724

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