Im Strudel – Kritik zu The Expanse 5.02

SPOILER

Camina Drummer (Cara Gee) ist möglicherweise insgeheim eine der faszinierendsten und interessantesten Figuren des Expanse-Universums. Während sie in der Romanreihe erst im fünften Buch ihren ersten Auftritt hat, darf sie in der Serie schon ab der zweiten Episode der 2. Staffel mitspielen. Es handelt sich um eine der besseren Adaptions-Entscheidungen. Drummer wurde nämlich Zeit und Raum gegeben, sich von einer Person, die weitestgehend im Hintergrund agierte, zu einer dreidimensionalen Protagonistin zu entwickeln.

Cara Gee spielt sie von der ersten Minute an mit einer äußerst strengen und verbissenen no-bullshit-Attitüde. Sie schießt ohne mit der Wimper zu zucken gefangen gesetzten Gürtler-Terroristen in den Kopf und vollführt wenig später mit einer eigenen frisch genähten Bauch-Schusswunde ihr Kopfüber-Bauchmuskel-Training.

Gleichzeitig mangelt es ihr nicht an Emotionalität und innerer Zerrissenheit, ohne sofort ins “harte-Schale-weicher-Kern“-Klischee zu verfallen. Fred Johnson (Chad L. Coleman) zog sie einst anscheinend eigenhändig aus der Versenkung, anschließend sagte sich von ihrem einstigen Mentor Anderson Dawes (Jared Harris), um mit Johnson die Tycho-Station aufzubauen, weil sie sich davon eine neue Gürtler-Zukunft erhoffte. Allerdings erkennt sie auch in Johnson dasselbe Machtstreben und den Größenwahn, den sie schon in ihrem alten Mentor Anderson Dawes (Jared Harris) und in der Mars- und Erden-Gesellschaft immer wieder beobachtete.

Für das Gürtler-Volk wünscht sie sich jedoch einen anderen Weg, auch wenn sie nicht genau zu wissen scheint, wie dieser konkret auszusehen hat. Vielleicht schließt sie sich deswegen immer wieder anderen Personen mit großen Ideen an, und vielleicht wird sie deswegen wiederholt enttäuscht. Mit Naomi Nagata verbindet sie eine innige Freundschaft, die aber insbesondere während der gemeinsamen Zeit auf dem Raumschiff Behemoth strapaziert wird.

Ihr Zynismus bezüglich Gürtler scheint sich von Staffel zu Staffel zu vergrößern. Zyniker sind aber häufig nichts anderes als enttäuschte Optimisten und Idealisten, und das trifft auch auf Drummer zu: Sie kämpft weiter und weiter, schwingt auch gerne mal große und patriotische Braveheart-Reden (siehe Episode 3.09). Im Gegensatz zu anderen politischen Figuren und Machthabern wirkt sie dabei jedoch grundehrlich.

Allerdings sieht sie auch die Existenz der Gürtler-Identität durch die Sternentore zu den neuen Welten gefährdet. Sie hat Angst, dass sich immer mehr ihrer Mitstreitern von ihren Wurzeln abwenden, um neue Kolonien aufzubauen. Gleichzeitig erkennt sie, dass Führungspersönlichkeiten der eigenen Gürtler-Fraktion (insbesondere Fred Johnson) die eigenen Leute aus politischen Gründen opfern. In der 8. Episode der 4. Staffel wendet sie sich von den "großen Männern und ihren großen Träumen“, von deren Politik und ihrem Posten auf der Medina-Station ab.

Ihr Weg führte sie nun, zu Beginn der 5. Staffel, zur Weltraum-Piraterie. Und ironischerweise wirkt diese Option fast ehrlicher als die politischen Fallstricke und faulen Taktiken, mit denen sie sich zuvor auseinandersetzen musste. Die Episode selbst widmet Drummer vielleicht gerade einmal zehn Minuten. Trotzdem lohnt es sich, die (psychologische) Reise dieser Nebenfigur, die sich langsam und stetig über vier Staffeln weiter entwickelt hat, noch einmal zurückzuverfolgen.

Triste Zustände auf der Erde

Viel haben wir in den vergangenen Staffeln nicht von der Erde gesehen. Ein UN-Gebäude hier, eine verträumte Farm mitten im Nirgendwo dort. Bobbie Draper konnte in der 2. Staffel einen kurzen Ausflug in unschönere Stadtgegenden machen. Umso interessanter ist es, dank der Reise, auf der sich Amos weiterhin befindet, zu diesem Zeitpunkt einen tieferen Einblick zu erhalten, 

Das Baltimore, das er besucht, erinnert weniger an eine futuristische Mega-City. Vielmehr scheint das abgewrackte London aus Children of Men und die Wohnprojekte aus der Serie The Wire (das ebenfalls in Baltimore spielt) als Vorbild zu dienen. Die Zukunft ist hier nur in geringem Maße wirklich angekommen. Weit weg wirken coole technische Spielereien und vor allem Sternentore zu anderen Sonnensystemen mit ihren frischen, weitestgehend leer stehenden Planeten. Nur ein paar Solarzellen wurden an den Dächern der tristen Erden-Gebäude montiert. Das einzige, was das Leben auf der Erde und das Leben im Weltraum verbindet: Jeder kämpft ums tagtägliche Überleben.

Amos, der eigentlich Timothy heißt, wie sich herausstellt, findet schnell wieder in diese Welt und ihre Dynamik hinein, die er einst unter falschem Namen verlassen hat. Es ist einerseits beunruhigend, andererseits faszinierend, wie gezielt und kontrolliert er Gewalt einsetzt, um seinen alten Freund Erich wiederzufinden: Zwei bis drei gezielte Schläge ins Gesicht eines eingeschüchterten Dealers und kurz danach Verständnis für dessen Situation und Arbeit, was noch nicht einmal geheuchelt wirkt. Im Gegensatz dazu wirkt er geradezu unbeholfen, als er versucht Charles (Frankie Faison), den Witwer seiner verstorbenen Mutterfigur Lydia, zu trösten.

Daniel Abraham und Ty Franck, die beiden Autoren der Buchreihe, die auch als Drehbuchautoren dieser Episode verantwortlich zeichnen, kennen die Figur offensichtlich genau. Diese kleinen Szenen und Charakterisierungen passen organisch ins Geschehen, liefern wichtige Informationen zu Hintergründen und Geschichte dieser Erden-Gesellschaft.

Auch wenn der Plot nicht weit voranschreitet, ist das Erlernen dieser neuen Informationen noch spannend genug und machen neugierig auf mehr. Über die Beziehung zwischen Amos/Timothy und seinem Jugendfreund Erich, seinerseits Anführer eines Syndikats, wird gerade genug preisgegeben, um diese Spannung beizubehalten. Selbiges gilt für Lydia und Amos: Offensichtlich handelte es sich um zwei einsame Menschen, die sich gegenseitig brauchten. Lydia war jemand, die Amos Zurückhaltung beigebracht hat. Kaum auszudenken, zu welcher Art von Gewalttäter sich Timothy entwickelt hätte, wäre dieser Einfluss nicht vorhanden gewesen.

True Detectives in Space

Holden erscheint mittlerweile selbst ein bisschen verloren, wenn er seine gewohnte Crew nicht um sich hat. Nicht einmal auf der Rocinante kann er sich wegen Reparatur- und Update-Arbeiten aufhalten, von seinen Freunden erhält er keine neuen Nachrichten. Nur die neugierige Reporterin Monica Stuart (Anna Hopkins) hält neue Informationen bezüglich des Protomoleküls parat. Nach einem ersten Zögern kann Holden doch nicht widerstehen und beißt an. Auch wenn moralisch überkorrekte Helden-Figuren wie Holden augenscheinlich kaum Ecken und Kanten aufweisen, erscheinen sein Heldentum und sein Bedürfnis, die Probleme des Universums zu lösen, fast zwanghaft. Schließlich ist es einfacher sich in die nächste Ermittlung und Verschwörung zu stürzen, als sich mit der eigenen Einsamkeit auseinanderzusetzen.

So oder so gestaltet sich Monicas Rettung recht aufregend, wenn auch etwas vorhersehbar. Die Serie, seine Autoren und Regisseure (in diesem Fall wieder Breck Eisner) konnten schon immer Spannung in den kleinsten und engsten Räumen erzeugen. Ein klitzekleines Loch in der Außenhülle eines Containers innerhalb einer Raumstation, aus dem Luft entweicht, kann manchmal in dieser Hinsicht effektiver sein als eine oder mehrere große CGI-Explosionen.

Detektivisch geht es auch auf dem Mars weiter. Und es ist schwer zu sagen, ob Bobbie (Franke Adams) Alex (Cas Anvar) einweiht, um einem schwierigeren Gespräch zwischen Freunden aus dem Weg zu gehen, oder weil sie ihn wirklich für nützlich hält.

Die ganze Episode um Admiral Sauviterres Vorlesung, Mars-Verschwörung und Waffenschmuggel deutet jedenfalls auf Ereignisse hin, die über eine 6. Staffel hinausgehen, ohne zu viel zu verraten. Im Zweifelsfall bleiben diese losen Story-Fäden alle in der Luft hängen. Ein anderes Szenario könnte darin bestehen, das Produzenten und Autoren versuchen, hastig alle noch offenen Fragen - Mars-Verschwörung, Gürtler-Terroristen, Protomolekül und die andere, noch unbekannte Bedrohung - innerhalb einer gehetzt wirkenden letzten Staffel zu adressieren und abzuschließen. Es ist schwer zu sagen, was wünschenswerter ist.

Chrisjen kommt auf ihrem verlorenen Mond-Außenposten etwas zu kurz. Das bleibt wahrscheinlich nicht aus, wenn man sich bereits mit vier Storylines innerhalb einer Stunde beschäftigt. Offensichtlich hat sich ihr politischer Einfluss verringert, auch wenn sie fleißig im Hintergrund Fäden zieht und dabei ihre Familie schmerzhaft vernachlässigen muss. 

Fazit:

Nachdem sich die Crew der Rocinante getrennt hat, müssen The Expanse und seine Autoren noch mehr verschiedene Story-Bälle in der Luft halten. Dabei bleibt es nicht aus, dass die eine oder andere Figur vernachlässigt wird. Die Handlung bewegt sich anscheinend nur in Babyschritten vorwärts, trotzdem wirkt das Geschehen selten zäh. The Expanse investierte stets mindestens genau so viel in die verschiedenen Charaktermomente wie in die spektakuläreren Science-Fiction-Elemente. Die Früchte kann man jetzt ernten: Beides ist unterhaltsam und weckt Neugier, sodass Episoden mit augenscheinlichen Leerlaufmomenten nicht weniger interessant sind als die actiongeladenen Weltraumschlachten und Feuergefechte.

The Expanse

Originaltitel: The Expanse (2015)
Erstaustrahlung am 23.11.2015
Darsteller: Thomas Jane (Josephus "Joe" Aloisus Miller), Steven Strait (James „Jim“ Holden), Cas Anvar (Alex Kamal), Dominique Tipper (Naomi Nagata), Wes Chatham (Amos Burton), Shawn Doyle (Sadavir Errinwright), Shohreh Aghdashloo (Chrisjen Avasarala), Frankie Adams (Roberta "Bobbie" W. Draper)
Produzenten: Broderick Johnson, Andrew Kosove, Sharon Hall, Sean Daniel, Jason F. Brown, Mark Fergus, Hawk Ostby, Naren Shankar
Basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Daniel Abraham & Ty Franck
Staffeln: 3+
Anzahl der Episoden: 24+


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