Flucht vor der Nova

John Brunner

John Brunners Roman „Flucht vor der Nova“ (Im Orginal „Castaway´s World“) erschien 1963 zusammen mit seinem Buch „The Rites of Ohe“ als ACE Double. Zu Beginn seiner literarischen Karriere hat sich John Brunner vor allem auf Actionstoffe konzentriert, von denen er einige in den achtziger und neunziger Jahren überarbeitet neu veröffentlicht hat. „Castaway´s World“ gehört nicht zu diesem Kanon, obwohl diese Robinsonade über sehr viel Potential verfügt hätte.

 Der deutsche Titel trifft im Grunde den Kern des Problems. Die Sonne droht zur Nova zu werden, die Menschen einer erdähnlichen Welt bereiten sich hektisch auf die Evakuierung eines kleinen Teils ihrer Bewohner vor. Einige wenige Raumschiffe sind vorhanden. Die nächste Welt liegt nur knappe fünfhundert Lichtjahre entfernt. An einer der interessanten, aber nicht weiter extrapolierten Stellen werden die Protagonisten darüber sprechen, dass ihre Kolonie trotz aller Bemühungen nur auf Zeit auf diesem Planeten ist und das Licht der Nova sie auch irgendwann verbrennen wird. Diese Idee lässt John Brunner wie einige andere Aspekte im Laufe des langen Finales fallen, denn es geht ihm in erster Linie um die Interaktion verschiedener politischer Systeme.

 Zwei Raumschiffe landen auf dem erdähnlichen Planeten. Beide werden bei der Landung schwer beschädigt und sind nicht einsatzbereit. Die eine Gruppe findet sich auf einem Plateau wieder. Die andere Gruppe landet in Ufernähe an einem Fluss. Ihr Raumschiff wird kurze Zeit nach der Landung im Meer versinken, allerhöchstens die Raumschiffhülle könnte noch auseinandergeschweißt und geborgen werden. Es gibt aber keinen Hinweis, mit welcher Technik die Gestrandeten es machen sollen.

 Ein weiterer interessanter Aspekt verbürgt sich hinter der Tatsache, dass einer der Protagonisten ein Polymath sind. Lex ist extrem langlebig, wobei seine Aufgabe ist, einen neu entdeckten Planeten als Anführer zu kolonisieren und sich auf entsprechende Extreme auch vorzubereiten. Die Ausbildung dauert mehr als dreißig Jahre, eine Mission noch einmal die gleiche Zeit, so dass ein Polymath im Grunde am Ende seines Lebens nur diese eine Mission erfüllt hat. Ein Polymath ist trotz seiner vordergründigen intellektuellen Überlegenheit vor allem an einer demokratischen Zusammenarbeit der Kolonisten interessiert und versucht mehr eine Art Mentor zu sein. Aufgrund der Novaexplosion und der schnellen Flucht hat Lex seine Ausbildung nur beginnen, aber nicht abschließen können. Er hat Angst, dass die Menschen in ihm viel mehr sehen als er in Wirklichkeit sein kann. Ein roter Faden, der immer wieder angesprochen, aber niemals abgeschlossen wird. Denn Lex ist für die Menschen in der Flussnähe ein extremes Geschenk. Im Hintergrund organisiert er die Kolonie, lässt Gemüse anbauen und Häuser bauen. Auch wenn die Alten und Dominanten sich gegen seine Art der langen Leine wehren, sind seine pragmatisch vorgetragenen Ideen ein Schlüssel für das Überleben der Kolonie.

 Auf dem Hochplateau hat der Kapitän des abgestürzten Schiffes das Kommando übernommen und versucht die Überlebenden mit einer Handvoll von Kameraden zu Sklaven zu machen, die er aus den Schiffsvorräten nur bedingt ernährt. Sein Ziel ist es, das Raumschiff wieder flugfähig zu machen.

Natürlich wäre diese Mission unabhängig von den Schwierigkeiten der Reparatur der Raumschiff ein Segen für die nächsten Generation, da über ihnen das Damoklesschwert der Nova steht. Aber soweit lässt John Brunner seine eher eindimensionalen Protagonisten nicht planen. Es ist ein existentieller Überlebenskampf mit klassischen Schurken und entsprechend bescheiden, aber entschlossen agierenden Helden.     

 An seiner Seite seine spätere Liebe, wobei John Brunner die Idee einer Beziehung zwischen einem Polymath und einer Frau ambivalent handhabt. Lex ist ein interessanter Charakter. Er beginnt sich erst langsam durchzusetzen. Seinen Status hält er aufgrund der nicht abgeschlossenen Ausbildung unter Verschluss. Dabei stellt sich im Grunde das Thema nicht, denn die „Menschen“ hatten gar nicht die Möglichkeit, noch dreißig Jahre zu warten. Bei der Besiedelung der Welt ist es erstaunlich, wie viele Menschen ausgewählt worden sind, denen ein grundsätzlicher Überlebenswille und vor allem die Erfahrung, in einer Wildnis etwas aufzubauen fehlt. Wissenschaftler sind vorhanden, die auch immer wieder entsprechende Erfindungen machen, aber es fehlt nicht selten der entsprechende technische Bezug. Anscheinend ist der größte Teil der Schiffsladung unbrauchbar geworden. In erster Linie konnte Saatgut gerettet werden. Alles andere wird auf eine primitive Art und Weise errichtet. Das Prinzip funktioniert. Im Laufe der Handlung beginnt Lex auch aufgrund des Konflikts mit der tyrannisch agierenden anderen Partei zu dominieren. Seine Vorschläge sind pragmatisch, aber auch passend. Opposition erdrückt er nicht, sondern brüskiert sie mit ihren Schwächen. Das wirkt hart, aber im Gegensatz zur Sklaverei auf dem Plateau ist es der richtige Weg.

 Die Begegnung zwischen den beiden Gruppen findet sowohl beim Gegner als auch dem eigenen Lager statt. Die Plateaubewohner haben einen Damm errichtet, um die Siedlung unten austrocknen zu lassen. Lex stellt relativ schnell fest, dass ohne das entsprechende Wissen die technische Umsetzung mangelhaft ist. John Brunner hätte die Situation dramaturgisch überzeugender beschreiben können, in dem er den Kräfte der Natur Spielraum gegeben hätte. So bleibt die Frage offen, ob Lex recht hat oder nicht. Hier kommt noch eine Zufallskomponente zum Tragen.

 Interessanter ist die finale Auseinandersetzung. Was die Gegner als Schwäche auslegen ist Teil eines subversiven Spiels, Zwietracht im Lager zu sähen und schließlich abzuwarten, bis der Druck des Tyrannen auf die Menschen zu stark wird und die revolutionären Kräfte Oberwasser bekommen. Es ist eine ungewöhnliche Vorgehensweise in einem eher Actionorientierten Science Fiction Roman vor allem aus den sechziger Jahren, weißt aber auf einige Facetten des späteren John Brunner hin.

 Der Planet ist ambivalent beschrieben. Wenn die Gefahren für den Plot notwendig sind, nutzt John Brunner sie effektiv wie stringent. Wenn der Planet bei der Handlungsentwicklung stört, spielt er im Grunde keine entscheidende Rolle. Der Fokus liegt auf den zwischenmenschlichen Konflikten. John Brunner zeigt auf, das selbst in Extremsituationen der Mensch in erster Linie sein eigener Gegner ist und nicht das Wohl der wenigen Überlebenden im Mittelpunkt steht, sondern eigene Interessen.

 Aber auch hier bleibt John Brunner ein wenig oberflächlich. Wie eingangs erwähnt ist die Zeit auf dem Planeten endlich und die Strahlen der Nova werden die Oberfläche auch in weiterer Zukunft verbrennen. Daher ist das sinnlose Bemühen des Captains auf dem Plateau sogar verständlich, wenn er versucht, das Raumschiff wieder flott zu machen, um zu entkommen.  In einer der Schlüsselszenen zeigt John Brunner auf, welch schmaler Grad zwischen Fanatismus und Wahrheit ist. Es ist eine der wenigen Szenen, in denen selbst Lex an sich zu zweifeln beginnt.

 „Flucht vor der Nova“ ist ein typischer früher John Brunner. Der Plot ist geradlinig entwickelt, die Figuren höchstens zweidimensional gezeichnet und das Ende erstaunlich optimistisch. Aus einem Standardplot des Genres macht der Brite erstaunlich viel, so dass der Roman auch heute noch mit den angesprochenen Einschränkungen kurzweilige Unterhaltung mit einer angenehm hintergründig präsentierten Botschaft anbietet.        

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Terra Heftroman 445

64 Seiten