Ringo Gesamtausgabe Band 1

William Vance

William Vance hat in seiner langen Comickarriere nur zweimal den Wilden Westen literarisch/ zeichnerisch besucht. Einmal mit seiner „Marshall Blueberry“ Trilogie und den drei Alben um Ray Ringo, den Mann von Wells Fargo. Der Splitter Verlag hat dieser Ikone des Western trotzdem eine aus zwei Bänden bestehende Gesamtausgabe gewidmet. Der erste Band der Gesamtausgabe umfasst die beiden Alben „Der lange Weg nach Santa Fee“ und „Der Schwur von Gettysburg“. Dazu kommen eine Reihe von begleitenden Zeichnungen und die komplette Biographie dieser beiden Alben auf einer schön gestalteten Extraseite. Zwischen der Veröffentlichung der beiden Alben liegt beginnend mit ihrem Serienabdruck im Magazin „Tintin“ nur ein halbes Jahr. Inhaltlich sind es allerdings Welten.

„Der lange Weg von Santa Fee“ ist eine geradlinige Geschichte um Goldräuber und den aufrechten Verfolger, der allerdings im Gegensatz zu vielen anderen Western die Täter nicht unbedingt alleine jagen wollte, sondern von der Armee im Stich gelassen worden ist, die sich um die von den Schurken angezettelten Indianeraufstände kümmern muss. „Der Schwur von Gettysburg“ ist ein Epos, das nicht nur Ray Ringos ganze Zeit im amerikanischen Bürgerkrieg umfasst, sondern sich vor allem sehr intensiv und politisch ausgesprochen nuanciert mit den Opportunitäten der Sieger und der moralischen systematischen Zerstörung der Verlierer auseinandersetzt.

Vor allem durch den ersten Band der Gesamtausgabe gegenüber gestellt kann der Leser den Quantensprung nachvollziehen, den diese Serie durch den Autor des zweiten Albums Jacques Acar erhalten hat. William Vance hat ohne Frage eine spannende, aber sehr geradlinige Geschichte verfasst, während sich Acar vielleicht unbewusst auch ein Sam Peckinpahs ein Jahr zuvor in den Kinos angelaufenen „Major Dundee“ Epos orientiert hat.

Ohne viel Federlesen stellt William Vance den Helden gleich zu Beginn von „Der lange Weg nach Santa Fee“ vor. Er verscheucht zwei Uniformierte, die einen einzelnen Mann angreifen. Er wird diesen Uniformierten wieder begegnen, wobei erstaunlich ist, dass sein Urinstinkt nicht schneller Alarm schlägt. Der Held ist Ray Ringo, weder verbittert noch ein Schurke. Er arbeitet für Wells Fargo. Nach dem Bürgerkrieg wird er auch wieder zu Wells Fargo zurückkehren. Heute eine der bekanntesten Banken wuchs Wells Fargo im 19. Jahrhundert vor allem durch den Transport von Gold mittels bewachter Postkutschen. Insgesamt 200.000 Dollar in Gold sollen aus den Lagerstätten wie der Titel sagt nach Santa Fee transportiert werden. Durch unerschlossenes Land, in dem die Indianer noch mächtig sind. Weiße Banditen haben es auf den Transport abgesehen und versuchen weniger mit einem normalen Überfall den von der Armee mit bewachten Transport zu überfallen, sondern nutzen die Indianer, um eine Ablenkungstaktik zu inszenieren. William Vance baut einen Verrat auf den Nächsten. Dazu kommen einige spannende Verfolgungsjagden, eine Auseinandersetzung am Ufer eines durch Gewitter immer reißender werdenden Stroms und schließlich der Wahnsinn in der Wüste. Ray Ringo erweist sich dabei als verantwortungsvoller Mann, der weite Weg geht, um das Gold zu schützen und später wieder zu gewinnen. Er ist kein kaltblütiger Killer – das wird noch mehr im zweiten Album der Serie unterstrichen -, kann aber sehr gut mit dem Colt umgehen. Die Schurken sind intelligent wie verschlagen beschrieben worden, wobei ihnen schließlich das Gold und die Hitze der Wüste buchstäblich zu Kopf steigt. William Vances Zeichnungen sind sehr detailliert und eifern der Hermann Schule nach, während die Kolorierung von Petra an vielen Stellen ungewöhnlich realistisch ist, um dann in einzelnen, eher überbetonten Szenen auch ein wenig surrealistisch zu erscheinen.

 In einem starken Kontrast zu dieser für den Western der damaligen Zeit noch bodenständigen, solide erzählten und stringent entwickelten Geschichte entwickelt sich „Der Schwur von Gettysburg“. Amerikanische Geschichte im Zeitraffer beginnend mit dem Angriff der Konförierten auf Fort Sumter über die im Mittelpunkt der Handlung stehende Gettysburg Schlacht bis zur Kapitulation General Lees. Vance und Acar brauchen nicht einmal die Hälfte des Albums für diese fünf Jahre. Gut recherchierte Geschichte im Zeitraffer mit einem gegenseitigen Respekt der Offiziere voreinander, auch wenn sich ihre Soldaten auf den Schlachtfelder mehr und mehr gegenseitig hinrichten als bekämpfen. Der vorher bei einer Patrouille schon verletzte Soldat der Nordstaaten Ringo wird während der Schlacht von Gettysburg verletzt und findet sich in einem abgeschiedenen Teil der Front wieder. Zusammen mit einem verletzten Soldaten der Südstaaten. Die beiden Männer sind kurzzeitig aufeinander angewiesen und vergessen den Krieg um sich herum. Sie schwören sich, nach dem Krieg sich gegenseitig ihre Taschenuhren zu bringen.

Nach Ende der Auseinandersetzungen fühlt sich Ringo verpflichtet, vor seiner Rückkehr zu Wells Fargo diesen Schwur zu erfüllen und macht sich auf in die Südstaaten, die nicht nur unter dem Verlust ihrer Sklaven leiden, sondern vor allem unter den betrügerischen Nordstaatlern, die sich mit Beziehungen und Bestechungen auf den großen Farmen des Südens breit machen. Ringo ahnt nicht, dass er seinen neuen Freund in einer gänzlich anderen Rolle wieder treffen wird.

Die Geschichtsstunde ist ohne Frage auch erzähltechnisch ein herausragendes Element dieses Albums. Auf Einzelschicksale reduziert und ohne Belehrungen wird der amerikanische Konflikt bis zur Ermordung Lincolns in einer Mischung aus beigefügten Fakten und einzelnen Kämpfen, Begegnungen sehr gerafft und trotzdem verständlich erzählt. Die beiden Europäer verhalten sich neutral und zeigen die Schrecken des Krieges, die eine lange Zeit nicht zu schließende Kluft in die USA gerissen haben. Dazwischen steht die persönliche Geschichte zwischen dem Nordstaatler Ringo und dem aristokratischen Südstaatler Morton. Während Ringo seinen Weg relativ gerade gehen kann, findet Morton seine Heimat verkauft und verraten vor. Die sich daraus ergebende Idee ist durchaus verführerisch, auch wenn Acar und Vance klar machen, dass sich ein aufrechter Mann immer seiner Verantwortung stellen muss. Vielleicht wirken die in mehreren Gefängnissen spielenden Szenen zu stark konstruiert und beinhalten auch einen Augenblick des bizarr wirkenden Comic Relief, aber vor allem zeigen sie, wie sehr sich die Verhältnisse im Süden gewandelt haben. Es ist interessant, dass Ringo sich auf der einen Seite weiterhin als gesetzestreuer Mann gibt, der aber seine Regeln sehr moralischen Regeln aufgestellt hat und die Realität immer gegen diese und nicht die nieder geschriebenen Texte prüft. Während im ersten Album die Guten und Bösen relativ schnell voneinander zu unterscheiden sind, erscheinen die Grenzen in der zweiten Geschichte deutlich fließender und damit auch ambivalenter. Am Ende muss der Autor einen klassischen Schurken etablieren, der ein wenig wie die hinterhältigen Planer Karl Mays – siehe zum Beispiel „Der Ölprinz“ – erscheint und auch ähnlich wie die betrügerischen Macher der deutschen Wendland Produktionen auch ganz in schwarz gekleidet ist. Aber die verschiedenen Konstellationen machen genauso den Reiz dieser ungewöhnlich ambitionierten Story aus, wie die zahllosen Wendepunkte und vor allem die atemberaubende Zeitspanne, die ohne Brüche auf die Länge eines einzigen Albums reduziert abgehandelt wird.

William Vance wirkt durch die Teilung der Aufgeben deutlich befreiter und kann sich noch mehr als in dem vor allem hinsichtlich der Protagonisten schon gut gestalteten Geschichte auf die Figuren, auf die Hintergründe und vor allem eine optisch immer wieder variable Konzeption der Erzählstruktur konzentrieren. Dialogtechnisch überzeugen beide Alben, aber die Figuren sind in „Der Schwur von Gettysburg“ noch ambitionierter gezeichnet und Petras Farben wirken noch realistischer.

Interessant ist, dass in beiden Geschichte eine durch ein Gewitter hervorgerufene Flut eine wichtige Rolle spielt. Es ist aber die einzige wirkliche Wiederholung in zwei sehr guten Westerngeschichten, die noch den Flair der amerikanischen Frontier atmen und noch nicht wie einige der „Blueberry“ Storys mehr den Italo Western der frühen, ernsten Phase zuzurechnen sind.

Alleine „Der Schwur von Gettysburg“ ohne unfair der ersten Geschichte „Der lange Weg nach Santa Fee“ zu sein ist die Wiederveröffentlichung in dieser sehr schön gestalteten Hardcoverausgabe wert. Der aufmerksame Leser merkt an einigen Stellen den beiden Geschichten ihre Herkunft aus den sechziger Jahren an, aber diese wenigen Schwächen werden elegant von William Vance und Jacques Acar durch die erzähltechnische Entwicklung sowie dem noch nicht zu einem Überhelden stilisierten Ringo sehr gut ausgeglichen.  

Autor

William Vance, André-Paul Duchâteau, Jacques Acar
ZeichnerWilliam Vance
EinbandHardcover Splitter Verlag
Seiten96
Band1 von 2
Lieferzeit3-5 Werktage
ISBN978-3-95839-340-0
erscheint am:01.10.2016
Kategorie: