The Magazine of Fantasy and Science Fiction Mai/ June 2015

C.C. Finlay (Hrsg)

C.C. Finlay scheint ein Verfechter von ein oder zwei sehr überzeugenden Novellen in jeder Ausgabe von "The Magazine of Fantasy & Science Fiction" zu sein. Vor vielen Jahren hat David Gerrold "The Martian Child" in diesem Magazine veröffentlicht. Er hat die Novelle später zu einem auch erfolgreich verfilmten Buch erweitert. In den letzten Jahren hat David Gerrold auch bei anderen Kurzgeschichten einen interessanten selbstironischen und mit Annekdoten  angefüllten Stil gefunden, der die phantastischen Ereignisse noch authentischer und realistischer erscheinen liess.  Auch wenn Finlay als Einleitung zu einer neuen David Gerrold Novelle impliziert, dass "Entaglements" mit "The Martian Child" verbunden ist, stimmt dieser Hinweis nicht ganz. Der Leser solte weniger mit dieser Novelle vertraut sein, sondern vor allem mit David Gerrolds literarischer Karriere. Der Ich- Erzähler erhält an seinem Geburtstag von einem nicht unbedingt zum engeren Kreis gehörenden Freund ein besonderes Geschenk. Mit dem kleinen Gerät kann er quasi vor sich unzählige alternative Welten entstehen lassen. Er kann sie auch "besuchen", wobei nicht ganz klar ist, ob es sich um tatsächliche Besuche handelt oder eher das imaginäre Entstehen von virtuellen Möglichkeitswelten. Das Alter Ego des Autors sucht die sogenannten Wendepunkte. Während die politisch sozialen Möglichkeiten interessant, aber auch nur konsequent extrapoliert worden sind, erscheinen die persönlichen Lebenswendungen nicht nur dramatisch, sondern mit einem Schuss schwarzen Humor auch emotional ansprechend. Gerrold geht auf seine besten Werke, die Lebenskrise Ende der sechziger Jahre, den verschenkten Erfolg in Hollywood und schließlich die Adoption seines Sohns ein. Er streift gedanklich alle wichtigen Themen eines Lebens.  Verschenkte Chancen, Erfolge und Niederlagen, Krankheiten und Süchte.  Dabei wird David Gerrold nicht melancholisch. Er hat sichtlich Spaß, die verschiedenen Universen vor allem auch literarisch - so viele Heinleins - zu untersuchen. Immer den Blick mit zahlreichen Insiderjokes auf die Science Fiction im Allgemeinen und Star Trek im Besonderen gerichtet. In dieser Hinsicht ist "Entaglements" eine ungewöhnliche Parallelweltgeschichte mit wie mehrfach erwähnt mehr Insiderwitzen als es manchen Texten zuträglich ist. Herausgekommen ist eine "leichte" Novelle, die gegen Ende wie es sich für gute Geschichten gehört, auch nachdenklich stimmt.

  Die zweite längere Geschichte ist “Entrepreneurs“ von Robert Grossbach. Es ist die Geschichte einer langen ungewöhnlichen Freundschaft, wobei dieses Element erst quasi im Epilog eingeführt wird.  Dafür ist es auf der einen Seite eine First Contact Geschichte zwischen anfänglich einem Hund und den Miniaturaußerirdischen. Dann der Versuch eines ungewöhnlichen Techniktransfers und schließlich der Aufstieg eines intelligenten, aber auch immer im Schatten von anderen Menschen stehenden Ingenieurs. Es sind die Zwischentöne, welche diese geradlinige Novelle so interessant machen. Nach der ersten vom Hund vereitelten Kontaktaufnahme pendelt die Handlung immer zwischen Morty irdischen Katastrophen und der Entwicklung auf dem fremden Planeten hin und her. Dabei ähnelt der kapitalistische Aufbau dieser Welt sehr stark inklusiv der entsprechenden Krise unserer Erde. Morty ist anfänglich im Schatten seines Bruders. Er ist ein besessener Tüftler, dem unwissentlich auch der erste radiotechnische Kontakt mit den Fremden gelingt.  Später gelingt ihm fast widerwillig der Aufstieg inklusiv der entsprechenden Gründung einer eigenen Firma, die speziell für die Fremden arbeiten soll. Vor allem lebt die Story vom Wunsch der Leser, dass ein so reiner, so freundlicher, bescheidener, schüchterner und intelligenter Mann auch im Amerika der Gegenwart, des verdrehten Kapitalismus Erfolg haben kann.

Auf der technischen Seite ist Robert Grossbachs Geschichte unterentwickelt. Es gibt zu viele Widersprüche und der Transfer insbesondere von Drogen – ein Raumschiff landete auf einem Joint – geht zu einfach vonstatten. Alle Fakten sollen die positive Atmosphäre unterstreichen. Ignoriert der Leser diese Schwächen, dann bleibt eine erstaunlich lesenswerte und vor allem eine im Vergleich zu vielen zynischen „First Contact“ Geschichten mit der „Sense of Wonder“ Atmosphäre der fünfziger Jahre beladene Story zurück, in welcher Morty am Ende Erfolg und Freundschaft reichlich erntet. Und das gönnt ihm wahrscheinlich jeder Leser

 Unterschiedliche Arten der Zeitreise spielen in sogar drei Geschichten dieser Ausgabe wichtige Rollen. Jamers Sarafins „Trapping the Pleistocene“  unterhält vordergründig gut. Ein Jäger wird in die Vergangenheit geschickt, um auf der einen Seite die genetischen Proben eines inzwischen ausgestorbenen gigantischen Bibers zwecks Nachzüchtung in die Gegenwart zu holen. In Sarafins Urzeit scheint alles gigantisch groß zu sein. Anfänglich wehrt er sich dagegen und übernimmt den Auftrag nur, weil ein Kollege in der Vergangenheit zurückgeblieben ist. Es entwickelt sich eine leicht zu lesende Jagd wider Willen, in welcher die Menschen nicht klassische Opfer wie in anderen Geschichten mit dieser Prämisse sind, sondern sich durchaus in der Vergangenheit durchschlagen können. Die nur auf den ersten Blick zynische, eher opportunistische Pointe wirkt leider aufgesetzt.

Im Hintergrund spricht Sarafin eine andere Idee an. Ursprünglich wollte sich der Vergangenheitsgroßwildjäger die gefährliche Mission auf eine ganz andere Art und Weise bezahlen lassen: er wollte die Chance bekommen, seine zehnjährige Tochter vor dem Ertrinken zu retten. Diese Idee wird ihm mehr oder minder ausgeredet, während er am Ende aufgesetzt zu der Erkenntnis kommt, dass so doch alles irgendwie gut ist. Die handelnden Figuren sind eher auf Papier entwickelt und wirken zu eindimensional, so dass der emotionale Funke nicht zum Leser überspringt und die ganze Kurzgeschichte nicht nachhaltig genug überzeugen kann.

Weniger um Zeitreise als das Anhalten von Zeit  geht es bei „In the Time of Love“ von Amy Sterling Casil. Der Protagonist entwickelt eher durch Zufall ein Gerät, das die Zeit außerhalb des Raums aufhalten kann, in dem er sich aufhält. Er nutzt es, um seine Geliebte erst zu verführen und dann zu schockieren. Später erfährt seine Ehefrau nicht nur von der Affäre, sondern vor allem seiner Erfindung. Der Plot verläuft ohne viel Humor sehr geradlinig. Keine der Figuren ist wirklich  gut gezeichnet und wenn der Protagonist die geschenkte Zeit neben der Sexaffäre dazu nutzt, Three Stooges Cartoons anzuschauen, dann ahnt der Leser, in welchen Bahnen sich die Handlung bewegt, zumal das Ende auch stark konstruiert und nicht wirklich überzeugend angesichts der beschriebenen Ereignisse erscheint. 

Bei der letzten Zeitreisestory dieser Ausgabe „A Turkey with Egg on His Face“ aus der Feder Rob Chilsons kommt es rückblickend nicht auf den letzten Satz an. Ein junger schüchterner Mann aus Missouri hat nicht nur die falschen Freunde, sondern vor allem auch ein Mädchen das er nur aus der Ferne lieben kann. Wie gut, dass er zusätzlich über eine Zeitmaschine verfügt, mit welcher er zumindest in der Theorie reisen könnte, es aber niemals macht. Auch wirkt der Kriminalfall nicht nur nicht abgeschlossen, die Vorgehensweise erschließt sich nicht dem Leser. So bleibt Rob Chilsons Story unabhängig vom angenehm zu lesenden Stil in seinen Prämissen stecken und ist in dieser Subgenrehinsicht die schwächste Geschichte dieser Ausgabe.       

 25 Jahre nach ihrer letzten Kurzgeschichtenveröffentlichung in diesem Magazin kehrt Lisa Mason mit „Teardrop“ zurück. Es ist eine warmherzige, vor einem exotischen, aber glaubwürdigen Hintergrund entwickelte Geschichte mit einer auch wirklich fremdartigen „Frau“ im Mittelpunkt des Geschehens. NaniNini ist eine der Einheimischen auf einer von den Menschen entdeckten Welt. Sie ist aber wie alle Ureinwohner mit den wenigen auf dem Planeten lebenden Menschen zufrieden, bis natürlich andere eher kommerziell orientierte Händler kommen, welche vor allem das soziale Ökosystem zu unterminieren beginnen. Auch wenn die einzelnen Facetten nicht unbedingt originell erscheinen, entwickelt die Autorin über kleine pointierte Bemerkungen und vor allem auch die guten Beschreibungen eine nachdenklich stimmende, aber auch gut zu lesende Kurzgeschichte mit wie erwähnt überzeugenden Protagonisten jeglicher Herkunft.  Wie bei den Zeitreisegeschichten stellt Herausgeber Finlay gerne mindestens zwei Texte gegenüber. So ist „Four Seasons in the Forest of the Mind“  die zweite nicht unbedingt First Contact Story dieser Ausgabe. Caroline M. Yoachim hat eine zynische Geschichte geschrieben, in welcher die Außerirdischen die Menschen nicht nur von innen heraus kontrollieren, sondern sie systematisch zerstören. Da es ausschließlich aus der Sichtweise der Fremden geschrieben worden ist, erhält diese nicht neue Idee eine überzeugende wie verstörende Perspektive.  Menschliche Planung hätte die Fremden bis zur Landung des nächsten im Orbit befindlichen Schiffes warten lassen. Oder jeden Menschen aus sich heraus zu töten suchen. Aber auch in dieser Form mit einigen Einschränkungen handelt es sich um eine dunkle emotional beeindruckende Geschichte.  Der Verzicht auf Charaktere und vor allem die Art und Weise, in welcher der Plot erzählt wird, wirken experimentell, unterstrichen aber auch die fremdartige Atmosphäre.  

 Auch in dieser Ausgabe finden sich einige kürzere Beiträge. „Today´s Smart House in Love“ von Sarah Pinsker steuert sehr stark auf eine zwiespältige Pointe zu. In einer der ersten Ausgaben, die Finlay editiert hat, fand sich eine Geschichte um die künstliche Intelligenz einer Stadt, die sich die Menschen  zurück wünschte. Hier versucht die Autorin ein differenziertes Verhältnis zwischen den Bewohnern der Häuser und ihrer jeweiligen künstlichen Intelligenz aufzubauen, wobei einige sehr gute und auch humorvolle Ansätze leider verschenkt werden.  Zu den stärksten Kurzgeschichten der Ausgabe gehört Albert E. Cowdreys „The Laminated Man“. Über weite Strecken handelt es sich um einen Krimi. Eine Leiche gestorben unter mysteriösen Umständen wird aus dem Fluss gezogen. Anscheinend hat er sehr viele Menschen mit einer Betrugsmasche um ihr Geld gebracht. Weiter gehen die Ermittlungen nicht, bis sich auf eigene Rechnung ein gerade pensionierter Polizist auf die Suche nach den Wurzeln macht. Die Ermittlungen selbst sind ausgesprochen spannend beschrieben worden. Jede Spur führt im Grunde ins Nichts. Zurück bleiben bis zur Hälfte des Plots ausschließlich Fragen, bevor Cowdrey im überstürzten Finale auch Antworten liefern muss, die leider nicht gänzlich befriedigend ausfallen. Trotz dieser Schwäche auch aufgrund des lakonischen Stils einer der Höhepunkte dieser Ausgabe. 

 Die Buchkritiken sind dieses Mal uneinheitlicher. Nicht nur Charles de Lint gerät ins Schwärmen, auch seine Kollegin Elizabeth Hand wirkt zu optimistisch. Es fehlt ein wenig die Distanz zu den besprochenen Büchern, während David Langford in den „Curiosities“ auf eine fast unbekannte Serie hinweist. David J. Skal setzt sich mit verschiedenen Adaptionen auseinander, wobei er der Heinlein Verfilmung „Predestination“ einen breiten wie positiven Raum einräumt. 

Zusammengefasst ragen einige Texte aus dieser dritten von C.C. Finlay zusammengestellten Ausgabe ohne Frage heraus. Die breite Masse der Storys ist eine Stärke und Schwäche zu gleich. Dass der Herausgeber einzelne Themen durchaus von mehreren Texten präsentieren lässt, zeigt die Vielfältigkeit  der Science Fiction oder Fantasy. Trotzdem wirken einige der Kurzgeschichten zu wenig  nachhaltig entwickelt und die Pointen zu aufgesetzt, während die Stärken der Mai/ Juni Nummer ohne Frage in den längeren Texten zu finden sind. 

Taschenbuch, 262 Seiten

www.sfsite.com