The Magazine of Fantasy and Science Fiction November/ December 2015

The Magazine of Fantasy and Science Fiction, November/ December 2015, Titelbild
C.C. Finlay (Hrsg)

Jeffrey Ford eröffnet die Winter 2015 Ausgabe mit einem Rückblick auf die weiße Jahreszeit des Vorjahres. Der Titel „The Winter Wraith“ ist von Kit Reed inspiriert worden.  Der Protagonist lebt in einem alten Haus auf dem Lande mit den Tücken und Charaktereigenschaften dieser Gebäude. Seine Frau/ Freundin ist nach den Feiertagen in Shanghai, während er mit den Tücken des abgestorbenen Weihnachtsbaumes kämpft. Die phantastischen Elemente sind eher rar gesät und könnten als Einbildung durchgehen, während vor allem die bedrohliche Atmosphäre und das Leben in dieser Einöde mit treuen Tieren sehr genau und überzeugend beschrieben worden ist.

„Gypsy“ von Carter Scholz ist die einzige Novelle dieser Ausgabe. Eine Gruppe von Dissidenten stehlen von der ökologisch sterbenden Erde mit einem gestohlenen Raumschiff, das ein exzentrischer Milliardär eigentlich für eine Handvoll Freunde und sich selbst gebaut hat. Das Flugziel ist Alpha Centaury. Im Laufe der langen Reise werden immer wieder einzelne Passagiere und Crewmitglieder geweckt, um sich mit verschiedenen Problemen auseinanderzusetzen.  Dabei wechselt der Autor zwischen technischen Problemen und wichtigen Meilensteinen dieser einzigartigen Reise. Jeder Charakter darf dem Leser über seinen Hintergrund berichten. Mehr und mehr zeichnet sich ab, dass die „Diebe“ im Grunde wie eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe Zigeuner –  ein Hinweis auf den Titel – sind. Carter Scholz nutzt die Technik eher pragmatisch als Teil einer emotional ansprechenden Story mit einem im Grunde tragischen Ende. Der Diebstahl des Raumschiffes wird in Hinblick auf die Struktur als Gegenentwurf zu der langen, endlos erscheinenden Reise beschrieben. Vor allem aber die Hintergrundgeschichten sind die einzelnen, sehr individuellen Höhepunkte dieser Reise.  

Eine der längsten Geschichten dieser Ausgabe ist Tim Sullivans „Hob´s Choice“. Sie spielt auf der Schwerkraftwelt Cet  Four, welche Menschen nur unter Aufgabe ihres Körpers mittels eines Bewusstseinstransfers erreichen können. Die Menschen werden quasi reprinted. Durch diese „einfache“ Einbahnstraßenmethode des Reisens wird die Welt der Ceteans von Menschen quasi überrannt und es bildet sich gegen diese Invasion eine Art Untergrundbewegung. Die Idee wirkt schon angesichts der körperlichen Fremdartigkeit bizarr, aber Tim Sullivan folgt den irdischen Vorlagen bis zum Ende. Die Großmutter des Protagonisten ist aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in diese Verschwörung involviert, so dass Hob zu einem Spielzeug der unterschiedlichen Mächte wird. Handlungstechnisch bietet die Novelle nicht unbedingt viel Originelles und einige der Winkelzüge wirken leider ein wenig zu stark konstruiert, aber insgesamt die verschiedenen fast paranoiden Verschwörungstheorien mit dem angeblich nur einen Spaziergang machenden Hobs – siehe Ray Bradbury – bis zu einem exotischen Planeten in Hal Clement oder Robert Forward Manier gestaltet unterhalten überraschend gut.

Maria Dahvana Headleys Geschichte „The thirteen Mercies“ beginnt mit einem Paukenschlag, in sie im Grunde alle Welten irgendwann/ irgendwo in ihrer Geschichte als Zivilisationen brandmarkt, in denen Krieg ein opportunes Mittel ist.  Eine Gruppe von Söldnern wird für ihre Taten bestraft. Eine minimale Hintergrundbeschreibung und vor allem eine spärliche Handlungsführung unterminieren das ohne Frage ambitionierte Ziel.   

Sophie M. Whites „Phases“ beschäftigt sich als einziger Beitrag in der Lyrik Section mit dem Mond, wobei sie es vor allem aus einer exotischen Perspektive beschreibt.  Dieses Mal finden sich im sekundärliterarischen Teil neben den Filmbesprechungen eher kleinerer Produktionen drei Essays mit Buchrezensionen. Neben den üblichen Verdächtigen wie Charles de Lint ist es vor allem Elizabeth Hand, die sich ausführlich an Hans einer literarischen Würdigung Delaneys mit dessen umfangreichen, progressiven Werk auseinandersetzt.   Sehr kurz mit einer pointierten Auflösung präsentiert sich K.J. Kabzas „Her Echo“. Ganz bewusst wird die Idee der Fabel hier zielgerichtet eingesetzt.

Auch wenn Bruce McAllisters "DreamPets" und Naomi Kritzers "Cleanout" thematisch nicht unterschiedlich sein könnten, gehören sie zu den Geschichten, auf denen sich die Tradition dieses Magazins seit Jahrzehnten begründet. Es sind emotionale und humanistische Stories, die auch ohne den phantastischen  Hintergrund funktionieren und vor allem die Seele ansprechen. In "DreamsPets" gehts es um einen Designern von futuristischen "Domestic Pleasure Animals", anscheinend lebendigen künstlich erzeugten Wesen. Zu Hause scheint er eine perfekte Idylle durch sein gutes Einkommen erschaffen zu haben, aus der sich seine Kinder langsam nicht unbedingt verabschieden und ihr eigenes Leben leben wollen. Eine Vorstellung, mit der nicht alle Menschen klarkommen. Das drastische Ende erscheint übertrieben, es ist aber effektiv und emotional ansprechend. In "Cleanout" geht es um ein Szenario, das auf alle Menschen zukommt. Das Abschiednehmen von nahen Verwandten, meistens sind es ja die Eltern. Der Vater der Familie ist vor längerer Zeit gestorben, die Mutter liegt im Sterben. Die Erzählerin und ihre Schwester müssen nicht nur mit dem Tod der Eltern klar kommen, sie müssen sich aufeinander zu bewegen. Bis dahin sind sie immer davon ausgegangen, dass ihre Eltern aus einer entfernten Provinz der Sowjetunion in die USA geflohen sind. Ein Fundstück deutet in eine andere Richtung. Ohne Kitsch, ohne Pathos, ohne künstliche Emotionen nieder geschrieben mit hervorragenden Charakteren handelt es sich auch wegen des bekannten Szenarios und den behutsam eingeflochtenen wenigen phantastischen Geschichten um eine der besten Storys dieser Ausgabe.   

 Ein weiteres Markenzeichen des Herausgebers Finlay ist die Hinwendung zu humorigen Geschichten, die weniger Satiren oder Grotesken sind, sondern die positive Absurdität des Lebens unterstreichen.  Alleine die Grundidee, aber leider nicht das zu stark konstruierte Ende macht aus „The Fabulous Follicle“ von Harvey Jacobs eine interessante Lektüre. Ein Friseurmeister träumt vom eigenen Salon. Eine Werwölfin gibt ihm die Chance und die Klientel ist besonders bei Vollmond aktiv. Die kleinen Episoden im Salon selbst sind lustig – auch die potentiellen Werwolf Imitate - , während die Idee, auf diese Art und Weise so schnell reich zu werden genau absurd erscheint wie das effektive Ende.   Es wird zusammengefasst sehr viel Potential verschenkt.  Lisa Mason versucht sich an „Tomorrow Is a Lovely Day“ an der typischen „Und täglich grüßt das Murmeltier“ Variante, wobei weder die Handlung noch die Charakter in dieser Humoreske mit einem nur vordergründig bittersüßen Hintergrund interessant sind.  Deutlich besser macht es Norman Birnbach in seinem intellektuellen Elfenbeinturm  “It's All Relative at the Space-Time Café" , das vor allem Referenzen zu möglichst vielen Wissenschaftlern beginnend mit Einstein und einem besonderen Geburtstag und in der Rettung Schrödingers gipfelnd beinhaltet. Selbst Heisenberg kann eine Entscheidung treffen. Birnbach bemüht sich wirklich, die skurrile Grundidee möglichst lustig, aber auch nachvollziehbar zu präsentieren, doch er steht sich mit seinem distanzierten Stil zu sehr selbst im Wege. 

Irgendwo zwischen allen Fronten steht Robert Reeds „The City of your Soul“.  Es ist schwierig, ein pikantes Thema wie den immer noch verschollenen Flug MH 370 in eine Geschichte einzubinden, ohne Betroffene zu verletzen oder die Spekulationen in andere Richtungen anzuheizen. Vor dem Abflug nach Seattle erfahren die Passagiere, das die ganze Stadt plötzlich verschwunden ist. Als sie in Seattle aber landen, entwickelt Robert Reed ein weiteres Geheimnis um das Verschwinden und Auftauchen der Stadt. Auch wenn der Plot sehr solide und zumindest teilweise originell entwickelt worden ist, gelingt es Robert Reed nicht, die entsprechende Atmosphäre zu erzeugen und zu viele Fragen bleiben offen.

Das Titelbild dieser eher durchschnittlichen, aber thematisch breiten Winterausgabe 2015 stammt von David A. Hardy und feiert eine Figur, die der Künstler vor mehr als vierzig Jahren zur Propagierung eines bemannten Flugs zum Mars entwickelt hat. Keine der Geschichten spielt auf dem Mars, keine der Storys hat einen lustigen Außerirdischen im Zentrum, aber das Titelbild zeigt, wie weit die damaligen Ambitionen von der Realität inzwischen entfernt sind.

Taschenbuch, 262 Seiten

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