Dan Cooper Gesamtausgabe Band 4

Albert Weinberg

Wer die Lektüre des vierten Sammelbandes mit dem zehnten Album “Die Kosmonauten” beginnt, muss sich ein wenig die Augen reiben. Nach den ersten Exkursen mit vielen Science Fiction Ideen steuerte Weinberg teilweise dank seines Ghostwriters die „Dan Cooper“ Serie wieder in realistischere Gefilde vor allem mit technischen Flugzeugentwicklungen und einer Reihe von immer auf Privatinitiative agierenden Spionen zurück. „Die Kosmonauten“ mit einer europäischen Weltraumbasis in den Schweizer Alpen wirkt dabei konträr, teilweise futuristisch. 

Zusätzlich präsentiert der Plot in doppelter Hinsicht einen Bruch. Dan Cooper soll der erste Kanadier im All werden, obwohl es sich um ein europäisches Projekt handelt. Dabei ist er zu einer aus Brasilien finanzierten Raumstation genauso geflogen wie zum roten Planeten. Hinzu kommt, dass er Antischwerkraftantrieb der Kapseln – sie sollen die Landung erleichtern – auch keine neue Idee ist. In den ersten Alben ist Dan Cooper bei seinen beiden Exkursionen außerhalb der Erdatmosphäre genau dieser Erfindung von zwei anderen klugen Geistern begegnet.  In der Einleitung wird argumentiert, dass Weinberg in erster Linie den Lesern wieder realistische Abenteuer präsentieren und die Science Fiction Ideen eher hintergrundtechnisch abhandeln wollte. In Bezug auf die Antigravtechnik ist das nur teilweise richtig. Sie ist wie eine Art MacGuffin und die Auflösung mit der Familientragödie im Hintergrund wirkt ein wenig zu stark konstruiert. Soll dramaturgisch den Leser im Allgemeinen und Dan Cooper im Besonderen ansprechen, aber mit einem kleinen moralischen Trick befreit sich Weinberg aus dem Dilemma, nicht mehr viele Seiten übrig zu haben. Die Technik ist in den ersten beiden utopischen Alben „Piraten der Stille“ und „Auf zum Mars“ ebenso effektiv eingesetzt worden. Dan Cooper verschweigt seinen Vorgesetzten, dass er schon einmal im All gewesen ist. Diese Idee belastet den ganzen Plot, denn im Mittelpunkt beginnend mit der wettertechnischen Notlandung im Garten eines alten Schlosses – wie wahrscheinlich ist es, genau dort auf den Menschen zu treffen, der ihm später in der Schweiz „helfen“ wird? – bis zum feurigen Finale steht diese erste europäische Weltraummission. Wie Dan Coopers Vater operiert ein Wissenschaftler mit seinem Assistenten im Geheimen, abgeschieden von den Vorgesetzten, um ein technisches Schlüsselelement für die Mission zu produzieren. Wie europäisch aber Weinberg progressiv für eine in den sechziger Jahren entstandene Geschichte diese Mission sieht, ist der Auftritt der attraktiven Kosmonauten Nadja Kalinskaja, der ersten Frau im All. Das Vorbild ist die Russin Walentina Tereschkova gewesen, die Weinberg später während einer Tourismusausstellung  persönlich treffen sollte. Sie entspricht unabhängig von ihrer Attraktivität nicht dem Klischee des kommunistischen Russen, der immer erster seiner möchte. Keine Parteipolitik, keine Polemik, sondern echte Kameradschaft. Das liegt auch an der ungewöhnlichen Mission. Drei Raketen mit jeweils einem Astronauten sollen starten, die Kapseln sollen sich im All miteinander als Vorläufer einer Art Raumstation verbinden und gemeinsam sollen sie landen. Nach der zu langen Exposition nimmt die Ausbildung der drei Kosmonauten – Weinberg hat sich für den russischen, also europäischen Begriff konsequenterweise entschieden – einen breiten Raum ein, wobei die Antigravtest von einem Heißluftballon aus initiiert eher dichterische Freiheit als technische Realität sind.  Wie angedeutet gibt es auch einen Schurken, der aus niederen Motiven – es ist kein Spion – die Mission zum Scheitern bringen möchte. In dieser Hinsicht hat Weinberg bei seinem geradlinigen Abenteuer eine überraschende Komponente eingebaut, wobei der „Täter“ sich auch sehr leicht auf und in der Nähe des gesicherten Geländes bewegen kann. Hinzu kommt, dass Weinberg ihm psychopathische Züge gibt, die seinen bisherigen kapitalistischen „Schurken“ perfekt entsprechen.    

Den bekannten Handlungsmuster entspricht und widerspricht das zweite Abenteuer dieses Sammelbandes: „Phantom III antwortet nicht“. Wieder geht es um Spionage durch den Frontmann einer eher ambivalenten internationalen Organisation. Nur soll dieses Mal nicht Dan Cooper ausspioniert werden, sein fliegerisches Können soll ausgenutzt werden. In der Nähe der russischen Grenze will sich der Filmproduzent J.J. Walker Dan Cooper für Filmaufnahmen ausleihen. Er soll mit einem alten kleinen Wasserflugzeug voller Kameras zu einem finnischen See fliegen und für einen neuen Spielfilm Hintergrundmaterial drehen. Nur wird in der Nacht vorher sein Kompass manipuliert und durch einen Zufall stellt Cooper fest, dass er mit der Maschine die russische Grenze überquert hat. Russische Jäger sind ihm auf den Fersen.  Angesichts des Kalten Krieges hätten viele Leser im Westen Weinberg verziehen, wenn er auf die übliche schwarzweiße Propaganda zurückgegriffen hätte.  Wie in „Die Kosmonauten“ zeichnet er die russischen Soldaten als Patrioten, die nur ihre Pflicht tun und Spionage jagen. Dabei stellt die Grenze immer noch eine unverletzbare Hoheitslinie dar.  Ganze Seiten sind nur von russischen Dialogen ohne Übersetzung begleitet. Es gibt keine rassistischen Entgleisungen und die Sowjetunion verteidigt wie Cooper mehrfach darstellt nur ihre militärischen Geheimnisse gegen die Eindringlinge, denen es vor einem Gericht auch schwer gefallen wäre, den Spionagevorwurf auch nur in Ansätzen zu entkräften.  Wie bei allen seinen Geschichten hat Weinberg ordentlich recherchiert und zeichnet vor allem die russischen Kettenfahrzeuge sowie deren Panzer mit der bekannten Detailfreude.  Die Geschichte selbst ist relativ geradlinig, wobei die Mitnahmen des Jungen sowie des immer mehr dominierenden Pudels Rackers den ersteren Spionagehintergrund der Geschichte negieren. Der Pudel gehörte ja einst Dan Coopers Vater und ist von ihm nur während dessen Entführung in Pflege genommen worden. Jetzt spielt er eine immer wichtigere Rolle. Warnt vor Schurken,  verwüstet Hotelzimmer, wird durch Russland gejagt, lässt sich von einer russischen Kosmonautin kraulen.  Weinberg als Hundefreund hat anscheinend seinem eigenen Tier ein literarisches Denkmal gesetzt, aber in einigen Szenen übertreibt der Belgier. Auch Dan Cooper bringt den Jungen und den selbst auf Militärflugplätzen immer wieder freilaufenden Hund  mehr als einmal in Gefahr.  Auf der anderen Seite durch die Fokussierung auf Dan Cooper – er ist im Grunde auf sich alleine gestellt und der Fotograf/ Spion ist eher Ballast als eine wirklich Hilfe – erzeugt die stringente Geschichte aber auch auf der zwischenmenschlichen Ebene eine intensive Spannung. Dan Coopers Überlebenswille und seine Instinkte erscheinen natürlich in dieser Konzentration übermenschlich, aber im Vergleich zu seinen technisch orientierten Alben hat Weinberg in „Phantom III antwortet nicht“ eine simple wie packende Fluchtgeschichte inszeniert, die unabhängig vom unsympathischen, arroganten und schließlich wie bei James Bond agierenden Antagonisten auch über fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung gut unterhält.   

Aus verschiedenen Gründen ist „Akrobaten der Lüfte“ das schwächste Album dieses vierten Sammelbandes. Dan Cooper wird gegen seinen Willen und zum ersten Mal mit deutlichem Widerwillen von seiner legendären, im ersten Album etablierten Staffel 501 nach Frankreich versetzt. Er soll die 450. Kunstfliegerstaffel der Kanadier auf Vordermann bringen, die sich nach dem Tod ihres Kommandanten momentan selbst zerfleischt und durch Undiszipliniertheiten negativ auffällt. Es ist nach der internationalen Gruppe unterschiedlicher Charaktere die zweite schwierige Aufgabe, im heutigen Neudeutsch „Teambuilding“ zu betreiben.  Die erste Hälfte des Plots nach dem rührenden vorläufigen Abschied von den Kameraden folgt das Album den etablierten Mustern. Die neuen Untergebenen beginnen ihn zu provozieren, Dan Cooper versucht ihnen zu imponieren. Erstaunlich ist, dass es sich ja um eine militärische Einheit handelt. Weinberg versucht durch Dan Cooper eine Art Mittelweg aufzuzeigen, der großartige Leistungen nur mit einer Mischung aus Disziplin und Motivation ermöglicht. Auf der anderen Seite verweichlicht Weinberg nicht zum ersten Mal in der Serie die Gefahren des Fliegens, wenn seine Piloten schwere Abstürze oder wie hier einen Crash direkt in einen Hangar schwerverletzt, aber lebend überstehend. Damit wird die Glaubwürdigkeit auf Seiten der Helden zu sehr strapaziert. Alleine der Amerikaner stirbt, in dem er sich selbst für die Dorfbewohner in „Die Jaguarstaffel“ opfert.  Der erste Teil der Geschichte ist noch akzeptabel. In der zweiten  Hälfte führt der Autor eine Kunstpilotin ein, die ohne größere Ausbildung nur aufgrund ihrer Empfehlungen in die Staffel aufgenommen wird. Es handelt sich immer noch um eine militärische Einheit und auch wenn es sich um eine Offizierin handelt, wird ihr Hintergrund mit dem geheimnisvollen Mann inklusiv Schal vor dem Gesicht zu wenig geprüft. Hinzu kommt, dass Weinberg auf der einen Seite eine Frau als gleichwertige Partnerin etabliert, sie aber während einer wichtigen Übung einen Flugfehler macht, weil sie nach 20 Minuten konzentrierter Aufgaben ermüdet ist. Damit relativiert der Belgier die Grundidee seiner insbesondere im Comic ungewöhnlichen Emanzipation. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse nicht mehr, sondern die vagen und konstruiert erscheinenden roten Fäden werden zusammengeführt und rührselig abgeschlossen.

Es ist schade, dass Weinberg das Potential dieser Geschichte nicht heben kann. Dem Plot hätte es besser getan, sich ausschließlich auf die schwierige Gruppenbildung zu konzentrieren und vor allem minutiöser aufzuzeigen, wie schwierig es wirklich ist, Kunstflugformationen einzustudieren. Zeichnerisch wirkt vor allem Dan Cooper im ersten Teil der Geschichte deutlich gröber, auch wenn er sich in der Kneipe/ Bar der Einheit zwei Whiskeys gönnen darf. Racker begleitet ihn über den großen Teich. Es wirkt ein wenig befremdlich, wenn der inzwischen Flug begeisterte Pudel auf dem Rücksitz sitzt eines Kampffliegers  mit Sauerstoffmaske hockt, aber im Vergleich zu den letzten Alben mit einer kontinuierlichen Dauerrettung durch den kleinen schwarzen Racker verzichtet Weinberg auf größere Exzesse.

Ohne Frage zeigen vor allem die beiden ersten hier gesammelten Alben die konsequente Weiterentwicklung Dan Coopers unabhängig von den stetigen Bedrohungen durch Spione ohne die Entführung seines Vaters als Person, als Anführer und schließlich auch als Persönlichkeit. Das Themenspektrum ist deutlich breiter als in den letzten Sammelbänden der Gesamtausgabe. Die Hintergründe konzentrieren sich mit der Schweiz, Finnland und schließlich Frankreich mehr auf Europa,  den meisten Lesern zugänglichere Regionen. Dabei verzichtet Weinberg auf bösartigen Rassismus und zeigt ein sehr modernes, der Ära des Kalten Kriegs nicht entsprechendes Bild vor allem der Sowjetunion in einem sich stetig positiv entwickelnden, friedlichen Europa.

  • Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
  • Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1 (1. November 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3958393454
  • ISBN-13: 978-3958393455
  • Originaltitel: Dan Cooper
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