Offshore

Michael Weisser

"Offshore" ist Michael  Weissers dritter und letzter Roman. Nach der Erstveröffentlichung als Corian Hardcover und später im Heyne Verlag legt Michael Haitels p.machinery den Roman mit zwei ergänzenden Essays überarbeitet neu auf.  Rückblickend ist es auf der einen Seite positiv gesprochen Michael Weissers "oberflächlichster" und damit auch zugänglichster Roman, der in mehrfacher Hinsicht pragmatisch positiv nicht nur in Ehren gealtert, sondern mit der multidimensionalen reality TV Familie voller Quotenjunkis und Sofawettern den Zeitgeist noch mehr trifft als Anfang der achtziger Jahre.  

 Aus den ersten beiden Romanen sind isolierte "Räume" übernommen worden.  "Offshore" spielt jenseits der Polarkreises auf einer gigantischen Ölplattform. Ein neues gigantisches Feld  soll ausgebeutet werden, dazu veranstalten dreizehn Firmen bzw. Nationen einen Wettbewerb.  Auf den vorplatzierten gigantischen Ölplattformen - Michael Weisser hat die heute nicht mehr so cool, sondern eher affektiert wirkenden Angliszismen beibehalten und schreibt von Rigs -  sollen die Teams erfolgreich bohren und dem Sieger fällt die Ausbeutung von mindestens einem Drittel des ganzen Feldes zu. Positiv  ist zusätzlich, dass der Sieger quasi einen Teil der zwölf weiteren vorgebohrten Arbeitsstellen erhält und so  neben den gigantischen Reserven sich viel knochige Arbeit erspart. Der Rest des Feldes wird dann plötzlich gleichmäßig unter den anderen fünfunddreißig Nationen aufgeteilt. Nach dem extremen Kapitalismus greift dann eine Art progressiver pazifistischer Kommunismus. 

 Der Wettbewerb wird zu einem mutltimedialen Ereignis. Anscheinend ist es nicht das erste Feld, das auf diese Art und Weise vergeben und entsprechend ausgeschlachtet wird.  

 Michael Weisser erläutert den semifuturistischen Hintergrund seines Buches eher im Vorbeigehen. Da wird von Blöcken gesprochen, was auf eine kapitalistische Globalisierung und gleichzeitig eine Aufgabe der Nationalstaaten schließen lässt.  Die Technik erscheint in Hinblick auf die Bohrtechnik den achtziger und neunziger Jahren angemessen.  Alleine auf seinem Spezialgebiet - Digitalisierung, moderne Medien -  zeigt der Autor auf, wie weit die komplette Überwachung der Besatzungsmitglieder gehen kann.  Der Autor nimmt den "Big Brother" vorweg.  Die Bohrmannschaften dürfen sich anscheinend weniger als dreißig Minuten Offkamera besprechen, ansonsten können die Zuschauer dank der geschickten Fernsehschnitttechnik im Grunde fast alles mitschauen.  Kommentiert wird es in eher amerikanisch übertriebener "Network" Manier. Aus heutiger Sicht nichts Besonderes, aber in diesem Punkt muss der Leser das Buch aus dem Zeitgeist der achtziger Jahre heraus betrachten, in dem diese Überwachung von Menschen eher in geschlossenen Räumen durch perfide Roboter/ künstliche Intelligenzen wie in "Teufels Saat" stattgefunden hat.  Im Gegensatz zu "Digit"  und vor allem seinem Erstling "Syncode 7" agiert Michael Weisser sehr viel realistischer, weniger belehrend verspielt und dramaturgisch überzeugender. In den "künstlichen"  Welten der ersten beiden Bücher hat sich Michael Weisser auf der einen Seite in eher antiutopische und für  die achtziger Jahre so typische, aus heutiger Sicht eher sperrige Nebenkriegsschauplätze verliebt, ohne die Handlungsbögen wirklich zufriedenstellend voranzutreiben,  während "Offshore" angesichts des kontinuierlichen Wettbewerbs, des  Kampfes gegen die unwirtlichen Wetterbedingungen jenseits der Polarkreises und des klar umrissenen Zieleinlaufes fokussierter und damit auch heute noch lesenswerter erscheint.

 Auf der anderen Seite wirkt die Verknappung von Lebensmitteln, die Rationierung und Ersatzbeschaffung von synthetischer Nahrung aus den dunklen achtziger Jahren extrapoliert ein wenig stereotyp.  Die Idee von alternativen Energien hat Michael Weisser genauso wenig berücksichtigt wie die überzogene Idee der schwindenden Rohstoffe – siehe Öl - , für die es einen stetig steigenden Bedarf gibt. Die pervertierte Gegenwart mit einem auch aus politischen Gründen sinkenden Ölpreis und einem Wettrennen um die umweltfreundlichen Alternativen allerdings noch nicht auf eine globalen Augenhöhe lassen diese Jagd nach einem Moby Dick aus Öl auch alt erscheinen.   

 Eine weitere  Schwäche seiner ersten beiden Bücher sind die eher stereotypen wie funktionalen Charaktere gewesen. "Digit" ist in dieser Hinsicht "Syncode 7" schon überlegen gewesen, "Offshore" stellt  vordergründig einen Schritt zurück dar,  ist aber in mehrfacher Hinsicht perfekt auf die absichtlich eindimensionaleren und funktionaleren Charaktere zugeschnitten.  Gleich zu Beginn  mit dem Eintreffen der neuen Besatzungen auf den Plattformen -  die Handlung spielt auf "Success 13", der nummerisch letzten Plattform -  macht der Autor deutlich, das Individualität nicht gewünscht ist.  Es geht um ein perfektes Teamplay, in das jeder seine individuellen Stärken erlernt an extremen Bohrplätzen rund um den Globus einbringt, und die eigenen Macken zu Gunsten eines eingeübten routinierten Arbeitsablaufes zurückstellt.    

 Michael Weisser hat wie bei „Syncode 7“ und „Digit“ das Problem, das er den Plot nicht wirklich beenden kann. Irgendwie wirkt seine Geschichte abschließend plötzlich wie eine surrealistische Farce, welche der Zuschauer sowohl in den siebziger Jahren als auch achtziger Jahren aus Abenteuerfilmen wie „Runaway Train“ und Coppolas Alptraumdrama „Apocalypse Now“ kennt.  Bis dahin zeigt der Autor auf, das das Biest im Manne ausbrechen kann und unter den extremen Situationen ausbrechen wird. Die Handlung um den einzigen schwerverletzten Überlebenden einer anderen explodierten Ölplattform inklusiv seiner schweren Jugend unter einem tyrannischen Vater soll das „Klima“, die erdrückende Enge auf der dreizehnten Ölplattform auflockern, erreicht aber das Gegenteil. Dieser Handlungsbogen zieht sich zu lange hin und bis endlich der Leser die Zusammenhänge erkennen kann, vergeht angesichts des Restromans zu viel Zeit.

 Wichtige Ereignisse werden im immer unwirtlicher werdenden Wetter nur noch im Zeitraffer beschrieben. Der Kontakt mit den Fernsehstationen bricht nach einem Sturm ab und niemand kümmert sich um die Ölplattformen im letzten Feld. Technisch gesehen wäre es angesichts der langen Handlungszeit – die Tage werden angezeigt – möglich gewesen, ein U Boot auszuschicken und nachzuschauen. Vor allem nachdem eine Katastrophe mit vielen Toten in dem Feld schon stattgefunden hat. Spannungstechnisch spielt das nicht unbedingt die große Rolle, da sich Michael Weisser auf das Drama in einer Extremsituation konzentriert und aufzeigen möchte, wie schnell die hart gesottenen Männer auf der Bohrinsel innerlich verfallen und wie bei Goldings „Herr der Fliegen“ die Fesseln der sie sowieso erdrückenden Zivilisation abstreifen.  Der Zerfall geht sehr vonstatten, vielleicht sogar zu schnell. Hintergrundinformationen bietet Michael Weisser nicht an, die Führungskräfte verschanzen sich in der Kommandoebene mit den drei Diensthuren und versuchen die Tage zu überstehen.

 Am Ende dieser Geschichte steht vielleicht nur metaphorisch – auch hier lässt Moby Dick irgendwie grüßen – oder real ein nicht für den Leser einschätzbarer Erfolg. Hätte Michael Weisser seine Jagd nach dem letzten großen Ölfund bis zum Ende ein wenig stringenter, ein wenig realistischer und nicht plötzlich in den Bereich der warnenden mahnenden Allegorie abdriftend erzählt, dann wäre „Offshore“ für den Medienkünstler enttäuschend, für den Leser aber sehr erfreulich ein wirklich zufriedenstellendes und sehr packendes Drama geworden. Viele Aspekte werden positiv zynisch konsequent zu Ende geführt und Michael Weisser will aufzeigen, wie fragil der Mensch an sich ist, aber es wirkt plötzlich zu bemüht.

 Vor allem nachdem er vorher die mehrfache Überwachung durch die Medien und intern durch die Führungsebene inklusiv der drakonischen, an Sadismus grenzenden Bestrafungen immer wieder in den Mittelpunkt gestellt hat und der Übergang von Diktatur zur Anarchie nicht wirklich klar und nachhaltig genug herausgearbeitet worden ist.

 Mit dem interessanten Hintergrund – Arbeiten am Rande des Zumutbaren, jenseits im Grunde der Zivilisation – und dem ausgesprochen intensiven, atmosphärisch dichten und durch Michael Weisser sehr sachlich, distanzierten Stil auch mit dem richtigen Tempo erzählten Plot überzeugend "Offshore“ unter den drei Michael Weisser Büchern am meisten, auch wenn er ökonomisch im Gegensatz zu seinen technischen Vorhersagen in den ersten beiden Romanen am weitesten von der Gegenwart weg liegt.

 Das Buch wird neben einer kurzen Exkursion in seine fortwährende künstlichere Auseinandersetzung mit den Quellcodes durch ein ausführliches Interview abgeschlossen, das die Hamburger ARD Journalistin Antje Hinz mit ihm in den achtziger Jahren geführt hat.              

 

in Bericht am Rand der Wirklichkeit
AndroSF 89
p.machinery, Murnau, August 2018, 350 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 134 1 – EUR 15,90 (DE)